„Wenn die Zeit zum Gebet kommt, dann verrichte das Gebet, denn die ganze Erde ist ein Ort zum Beten.“ Dieser überlieferte Auszug aus einem Ausspruch des Propheten Muhammad deutet an, worin das Wesentliche hinsichtlich der Nähe zu Gott besteht – nämlich in der Konzentration auf Gott selbst.
Sowohl im Judentum als auch im Islam sind Synagoge beziehungsweise Moschee keine geweihten Räume. Sie dienen als Orte, in denen Gebet und Gottesdienst stattfinden können – aber nicht nur. Denn hier treffen sich auch die Gemeindemitglieder, es werden Veranstaltungen abgehalten, Angelegenheiten der Gemeinschaft besprochen und, was sehr wesentlich ist, es findet ein allgemeiner Austausch statt.
Das Wort Beth Knesset (hebr. „Haus der Versammlung)“ bzw. Synagoge (griech. „sich versammeln“) und der arabische Begriff Masgid (Ort der Versammlung) für Moschee unterstreichen den allgemeinen Charakter des Gebäudes an sich. Sicher ist es sinnvoll, Gemeinschaftsgebete mit vielen Menschen in einer solchen Räumlichkeit abzuhalten, zumal hierfür oft besondere Anforderungen notwendig sind. Aber grundsätzlich können Musliminnen und Muslime überall beten, sofern einige wesentliche Voraussetzungen erfüllt werden.
Im Judentum sind für ein solches Gemeinschaftsgebet, den sogenannten Minjan, zehn Personen über 13 Jahre notwendig. Allerdings muss hier zwischen den unterschiedlichen Strömungen des Judentums differenziert werden. Zumeist sitzen die Frauen von den Männern getrennt, entweder auf einer Empore oder zum Beispiel seitlich von den Männern. In liberalen jüdischen Gemeinden sitzen Frauen und Männer zusammen und leiten auch den Gottesdienst – so zum Beispiel in Frankfurt am Main. Viele Einheitsgemeinden bieten verschiedene Rituale von aschkenasisch-orthodox, sefardisch-orthodox über liberal-egalitär bis konservativ.
Auch im Islam gestaltet sich das Leben in einer Moschee meist nach tradierten Vorstellungen. In der Mehrzahl der Moscheen beten die Frauen getrennt von den Männern, oft auch in einem separaten Raum. Mittlerweile haben sich allerdings Gruppierungen gebildet, bei denen ein liberales Islamverständnis dazu führt, dass Männer und Frauen gemeinschaftlich beten und auch Frauen das Gebet für die gesamte Gemeinschaft leiten – etwa die die Muslimische Gemeinde Rheinland oder Gruppierungen an verschiedenen deutschen Universitäten.
Auch an den meisten Pilgerstätten des Judentums und des Islam herrscht Geschlechtertrennung vor. Das tut jedoch einer beglückenden Gotteserfahrung keinen Abbruch – auch nicht bei der Hadsch, der Pilgerfahrt nach Mekka, die jede Muslimin und jeder Muslim zumindest einmal im Leben machen sollte.
Das während des Hadsch oft rezitierte Labbayka Allahumma Labbayk („Hier bin ich, Gott, zu deinem Gottesdienst, hier bin ich“) ist für viele ein Ausdruck ihres inneren Bedürfnisses und der Hingabe an Gott. Es geht hier darum, alles hinter sich gelassen zu haben und sich nur auf Gott zu konzentrieren.
Gotteserfahrung ist eine sehr persönliche Angelegenheit, die jeden Menschen auf eine ganz spezielle Art erfüllen kann. Über das Judentum schreibt die jüdische Pädagogin und Judaistin Rachel Herweg: „Jüdische Tradition ist gelebte Gotteserfahrung. Die Liebe zu Gott erweist sich für Jüdinnen und Juden in der Liebe zur Tora (Fünf Bücher Mose), die traditionell als authentische Offenbarung Gottes gilt. Neben dieser schriftlich fixierten, in sich abgeschlossenen Tora (Lehre / Weisung) existiert von Sinai an die sogenannte mündliche Tora – die fortlaufende Offenbarung.“1
Auch muslimische Menschen haben eine ganz besondere Beziehung zur Offenbarung im Islam, dem Qur'an, der ebenfalls als authentisches Gotteswort verstanden wird. In diesem Buch legt Gott (arabisch Allah) eine klare Sichtweise seiner Beziehung zu seinen Geschöpfen, insbesondere zu den Menschen dar. So heißt es: „Wirklich, Wir haben den Menschen in bester Form erschaffen“ [Qur'an 95:4] und: „Und tatsächlich, Wir erschufen den Menschen, und Wir wissen, was er in seinem Innern denkt und fühlt, und Wir sind ihm näher als (seine) Halsschlagader.“ [Qur'an 50:16]
Die Vorstellung, dass Gott den Menschen näher ist als alles andere, macht ihn spürbar – und zwar in einer Form, die auch Sicherheit vermittelt. Wichtig ist dabei, nie zu vergessen, dass diese Nähe für alle Menschen gilt und nicht nur für eine Gruppe oder gar für ein Geschlecht.
Zugleich gibt es die Möglichkeit, sich Gott auch durch Erkenntnis zu nähern – insbesondere im Austausch mit anderen. Deshalb ist der inner- aber auch der interreligiöse Dialog eine besondere Form, sich Gott „zu erschließen“. Auch wenn dies natürlich nie endgültig möglich ist, sind somit Orte, die dem interreligiösen Zusammenkommen und Gespräch dienen, ebenso Orte sich Gott zu nähern.
Wo immer es darum geht, miteinander Gotteserfahrungen zu teilen oder sich darüber auszutauschen, ist es wichtig zu differenzieren, ob es sich bei den GesprächspartnerInnen – sofern sie dem islamischen Kulturkreis angehören –
um VertreterInnen einer traditionellen oder der liberalen Ausrichtung handelt. Denn entsprechend muss Rücksicht auf die Gestaltung gemeinsamer Rituale oder Events genommen werden. Gerade liberal denkende muslimische Frauen verleihen ihren religiösen und spirituellen Bedürfnissen mittlerweile Nachdruck. Daraus ergeben sich ein nicht zu unterschätzendes Potential an männlicher Abwehr und zugleich ganz neue Möglichkeiten für den interreligiösen Dialog.
Es erleichtert den Zugang zueinander, wenn die Orte solcher gemeinsamen Anliegen so neutral wie möglich gehalten werden. Wenn Frauen sich bewusst machen, dass ihre Religionen ihnen die Chance bieten, über die traditionellen Formen hinaus miteinander Gottesnähe zu suchen, entfaltet sich oft ihre Kreativität, dieses Miteinander auch zu praktizieren. Eine gute Möglichkeit bietet hierfür das persönliche Gespräch, in dem sie einander von ihren Gottesvorstellungen und -erfahrungen berichten.
Erkenntnisse aus dem eigenen Leben sind weibliche Gotteserfahrungen – das müssen sich die Frauen aber bewusst machen. Sie mit den eigenen Gottesvorstellungen zu verknüpfen bedeutet, der Vermännlichung Gottes entgegen zu wirken. Die meisten Theologen und Theologinnen im Islam sind darin einig, dass Geschlechtlichkeit zur Geschöpflichkeit gehört, Gott als Schöpfer aber kein Geschlecht hat; nichtsdestoweniger wurde oft ein männliches Gottesbild verinnerlicht.
Die Vorstellung, dass Gott kein Geschlecht bevorzugt, also ein gerechter Gott ist, bildet eine weitere Grundlage gemeinsamer Diskussionen. Ein solches Gottesverständnis kann dazu beitragen, Geschlechtergerechtigkeit in den Religionen zu fördern. Wenn Frauen erkennen, dass Gott selbst Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern als religiöse Forderung sieht, haben sie nicht mehr das Gefühl, sich gegen ihre Religion zu wenden, sondern diese religiösen Gedanken weiter zu entwickeln und umzusetzen. Interreligiöse Gespräche über diese Fragen können dazu beitragen, dass Frauen sich gegenseitig stützen und damit Geschlechtergerechtigkeit als ein Ziel ihrer (gemeinsamen) Spiritualität erkennen.
Rabeya Müller hat Pädagogik, Islamwissenschaften, Ethnologie und Islamische Theologie studiert. Sie engagiert sich u.a. als Stellvertretende Vorsitzende des Zentrums für islamische Frauenforschung und Frauenförderung (ZIF), ist Gründungsmitglied des Liberal-Islamischen Bundes (LIB.ev) und Mitdozentin beim interreligiösen Lehr- und Lernhaus für Frauen (Gelnhausen, Berlin, Köln).
zum Weiterlesen
Rachel Monika Herweg: Die jüdische Mutter, Darmstadt 1994
Der Koran für Kinder und Erwachsene, übersetzt und erläutert von Lamya Kaddor und Rabeya Müller, München 2008
Annemarie Schimmel: Mystische Dimensionen des Islam, Aalen 1979
Anmerkung
1) http://www.compass-infodienst.de/Rachel_Monika_Herweg__Frauen_im_Judentum_-_Grundlagen_juedischer_Religiositaet_u.2335.0.html (letzter Aufruf 14.08.2013)
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