Ausgabe 2 / 2005 Bibelarbeit von Claudia Janssen

Hier sind die Menschen nicht unterschieden

Bibelarbeit zu Galater 3,28

Von Claudia Janssen

Kennen Sie Phöbe, Junia, Evodia, Syntyche, Aphia oder Priska? In verschiedenen Briefen werden sie von Paulus genannt und gehören damit zu den wenigen realen Personen des Neuen Testaments, deren Namen und Wohnorte wir kennen, deren Geschichten durch die Briefe des  Paulus sichtbar werden.

Die Namen dieser Frauen stehen stellvertretend für viele andere, die u.a. in den Grußlisten der Briefe genannt werden, aber auch für die vielen, die namenlos bleiben, wenn Paulus die „Geschwister“ in den Gemeinden anspricht. Sie waren mit Paulus unterwegs wie Priska, die als Zeltmacherin gearbeitet hat (vgl. Röm 16,3-5; 1 Kor 16,19; Apg 18,1-4). In der Apostelgeschichte wird erzählt, dass sie und ihr Mann Aquila Apollos unterrichten (vgl. Apg 18,24-26). Andere Frauen waren mit Paulus zusammen im Gefängnis wie Junia, die von Paulus als bedeutende Apostelin angesprochen wird (Röm 16,7).
Auch Phöbe erfährt besondere Hochachtung: Sie war Diakonin und Vorsteherin der Gemeinde in Kenchreä, der Hafenstadt vor Korinth. Paulus schreibt ihr eine Empfehlung für die Gemeinde in Rom, zu der sie reisen wird. Möglicherweise war sie es, die den Brief nach Rom mitgebracht und dort vorgelesen hat. Haben Sie sich schon einmal überlegt, wie die dort niedergeschriebenen Worte klingen, wenn sie von einer Frau gesprochen werden?

Evodia und Syntyche hatten einen Konflikt – miteinander oder mit anderen aus der Gemeinde in Philippi, zu der sie gehören (Phil 4,2). Paulus schätzt sie sehr und sorgt sich um sie: „Sie haben mit mir für die Freudenbotschaft gekämpft … ihre Namen stehen im Buch des Lebens.“ (Phil 4,3)
Und Aphia? Ihr Name wird zusammen mit dem des Philemon genannt, an den Paulus schreibt, um sich für Onesimus einzusetzen, einen zur Gemeinde gehörenden Sklaven (Phlm 2). Aphia wird in der Auslegungsgeschichte vielfach zur Ehefrau des Philemon, doch davon ist nicht unbedingt auszugehen. Sie gehört zur Gemeindeöffentlichkeit, an die Paulus sich wendet, um Philemon zu überzeugen, Onesimus als „Bruder“ und nicht länger als Sklaven anzusehen.

Gleichberechtigung in der Gemeinde?

Auch wenn Paulus für antike Verhältnisse ungewöhnlich viele Frauen erwähnt, sie grüßt und mit Hochschätzung von ihnen spricht, Priska sogar vor ihrem Mann Aquila nennt (Röm 16,3), so war er doch kein Vorkämpfer für die Geschlechtergerechtigkeit. Zwar stammt der Satz: „Frauen sollen in der Gemeindeversammlung schweigen!“
(1 Kor 14,34) wahrscheinlich nicht von ihm, sondern von einer späteren Hand, doch gibt es auch „echt“ paulinische Aussagen, nach denen sich Frauen den Männern unterordnen sollen: „Christus ist das Haupt des Mannes, der Mann ist das Haupt der Frau“ (1 Kor 11,3). In seinem Einsatz für Gerechtigkeit ist die Geschlechtergerechtigkeit vielfach ein blinder Fleck geblieben. Wie kommt es dann aber dazu, dass Paulus so viele aktive Frauen nennt, mit denen er zusammengearbeitet, denen er sich sogar unterstellt hat wie Phöbe (Röm 16,2)? Die Antwort kann nur lauten, dass ihre Präsenz in den Gemeinden selbstverständlich war.

In Gal 3,28 zitiert Paulus den Leitsatz der Gemeinden in Galatien: „Hier sind die Menschen nicht unterschieden in jüdische oder griechische, in versklavte oder freie, durch Männlichkeit oder Weiblichkeit, denn ihr bildet alle eine Einheit in Christus Jesus.“ Nun wird vielfach eingewendet, dass es sich hier gar nicht um eine echte Gleichberechtigung handelt, wie wir sie uns vorstellen, sondern um eine, die allein „in Christus Jesus“ gilt – eine spirituelle Gleichheit, die keine alltagspraktischen Konsequenzen habe. Leider fehlen uns die Stimmen der Frauen aus Galatien, Philippi oder Korinth, die darauf eine Antwort geben könnten. Wir kennen die Briefe des Paulus, aber nicht die andere Seite der Korrespondenz.

Unterordnung und Widerstand

Stark geprägt wurde das Paulus-Bild der christlichen Tradition von Schriften, die etwa 100 Jahre nach der Abfassung seiner Briefe geschrieben wurden, von den sogenannten Pastoralbriefen: 1. und 2. Timotheus und Titus. Diese geben vor, von Paulus zu stammen und sind Jahrhunderte lang auch so verstanden worden. Sie haben das Verständnis des Geschlechterverhältnisses mehr beeinflusst als die echten Paulusbriefe. In ihnen wird die Unterordnung von Frauen unter Männer theologisch legitimiert und festgeschrieben. Die drei Briefe stecken voller Polemik gegen die Aktivität von Frauen und weisen damit – mit der Hermeneutik des Verdachts gegen den Strich gelesen – auf massive Konflikte zwischen Männern und Frauen Mitte des 2. Jahrhunderts hin. 1 Tim 2,9-3,1 enthält Ermahnungen für ein stilles Leben von Frauen, die zugleich ein Lehrverbot enthalten (2,11f). Dieses wird damit begründet, dass Adam als erster und Eva als zweite geschaffen wurde (2,13f). Allein das Gebären von Kindern trage zu ihrer Rettung bei
(1 Tim 2,15). Frauen werden auf ihre Reproduktionsfähigkeit reduziert und zum Schweigen verpflichtet. Die Verfasser dieser Schriften nehmen für sich in Anspruch, im Namen des Paulus zu sprechen und sein Erbe anzutreten. Lesen wir diese Texte mit einer Hermeneutik des Verdachts, indem wir davon ausgehen, dass sie möglicherweise nicht etwa eine Situation so beschreiben wie sie ist, sondern Verhaltensweisen vorschreiben wollen, dann beginnen sie zu sprechen: Wahrscheinlich hat es streitbare Frauen gegeben, die in der Tradition Priskas, Junias und Phöbes Lehr- und Leitungsautorität für sich beanspruchten. Es gab vermutlich eine Gruppe unabhängiger „Witwen“ (1 Tim 5,3-25) und ältere Frauen, die ihr Wissen an jüngere Frauen weitergaben (Tit 2,3f).

Zum Glück fehlen uns ihre Stimmen, die Gegenstimmen zu Timotheus und Titus, nicht gänzlich. Zeitgleich zu den Pastoralbriefen wurde eine Schrift verfasst, die den Namen der Apostelin Thekla trägt. Sie bezieht sich auf die Timotheusbriefe und den Titusbrief, was u.a. aufgrund der Verwendung gleicher Namen und Themen nachzuweisen ist. Das Besondere an den sog. Thekla-Akten ist, dass sie sich mit Zitaten auf die Briefe des Paulus beziehen und deutlich machen, wie Frauen sie verstanden und welche Konsequenzen sie daraus gezogen haben. Mit den Thekla-Akten melden sich also die Leserinnen der Paulusbriefe zu Wort und schildern in einer romanhaften Erzählung ihre Sicht der Dinge. Überliefert ist uns
auch die Reaktion des Kirchenvaters  Tertullian, der sich darüber entrüstet, dass sich Frauen in Karthago auf Thekla als Apostelin berufen, taufen und lehren wollen.

Kurz zur Geschichte: Thekla hört die Predigt des Paulus, weigert sich darauf hin, ihren Verlobten zu heiraten und entscheidet sich für ein ehefreies Leben. Sie ist vielfach Gewalt ausgesetzt, lässt sich aber nicht daran hindern, Paulus zu folgen und selbst das Evangelium zu verkünden. Diejenigen, die die Theklageschichte verfasst haben, lesen die paulinischen Schriften als Aufforderung, selbst aktiv zu werden, sich aus beengenden Familien- und Gesellschaftsverhältnissen zu lösen und ein Leben „heilig an Körper und Geist“ zu führen
(vgl. 1 Kor 6,16; 7,34 / Theklageschichte 5-6). Ihre Geschichte wurde im Gegensatz zu den Pastoralbriefen nicht in den Kanon des Neuen Testaments aufgenommen. Hier haben sich andere Interessen durchgesetzt.

Auseinandersetzungen um das Geschlechterverhältnis prägen nicht erst unsere Zeit, um Geschlechtergerechtigkeit mussten Frauen zu allen Zeit kämpfen. Das Neue Testament erzählt von diesen Konflikten, und die weitere Geschichte zeigt, dass um bereits Errungenes immer wieder neu gestritten werden muss, vor allem wenn es um Lehr- und Führungspositionen von Frauen geht.

Frauen werden unsichtbar:
Strategien der Bibelauslegung

In der späteren christlichen Tradition sind die Geschichten dieser aktiven Frauen meist nicht mehr bekannt. Noch heute ist das Wissen über die frühchristliche Frauenbewegung bruchstückhaft. Wie konnte es geschehen, dass die frühchristliche Zeit als Zeit der Kirchenväter, wissenschaftlich: Patristik, erscheint, selbst im Neuen Testament vor allem Männer aktiv zu sein scheinen?

Als wirksames Instrument, Frauen und Frauenaktivität unsichtbar zu machen, hat sich die Sprache erwiesen. Die Frauen in den Gemeinden verschwinden: hinter der männlichen Anrede Brüder – die Fischerinnen hinter den Fischern, die Lehrerinnen hinter den Lehrern, die Prophetinnen hinter den Propheten. Die Gemeindevorsteherin und Diakonin Phoebe wird zur „Diakonisse“, die Apostelin Junia zum Mann. (Schauen Sie einmal in älteren Bibelausgaben nach: Röm 16,7) Die mutigen Frauen in der Nachfolge Jesu, die bis zum Grabe solidarisch blieben, werden zu geschwätzigen Weibern, Maria zur unerreichten Heiligen, Elisabet und Hanna als alte Frauen unsichtbar. Aphia wird zur Ehefrau des Philemon. Den Worten „des Paulus“ in 1 Kor 14,34 folgend, werden die Frauen in den Gemeinden zum Schweigen gebracht. Die patriarchale Tradition, die mit den Pastoralbriefen (Timotheus und Titus) ein unheilvolles Dokument hinterlassen hat, hat diese Tradition gestärkt. Möglicherweise waren es die Verfasser der Pastoralbriefe, die die besonders frauenfeindlichen Sätze erst in die echten Paulusbriefe hineingeschrieben haben. Ihre Fälschungen waren wirkmächtiger als manche Paulusworte selbst; nun ist es das Gebären, das Frauen selig macht!

Andere Quellen aus der Zeit zeigen, dass das frühe Christentum attraktiv für Frauen war. Für viele bedeutete es den Freiraum, außerhalb der patriarchalen Ehe neue Lebensformen zu entwickeln, zu reisen und als Apostelin zu lehren – wie Junia, Priska oder Thekla. Sicher sind eine ganze Reihe von Zeugnissen über weitere Frauen verschwunden oder vernichtet worden, weil sie nicht als wert erachtet wurden, überliefert zu werden. Dennoch gibt es erstaunlich viele erhaltene Dokumente über Frauen im frühen  Christentum, die als Prophetinnen, Lehrerinnen, Witwen, Presbyterinnen, Diakoninnen und Bischöfinnen lehrten und arbeiteten. Frauen waren im frühen Christentum aktiv und haben für ihre Anliegen gekämpft. Dass ihre Geschichten nun auch als relevanter Teil der Kirchengeschichte angesehen werden, dafür kämpfen heute feministische Forscherinnen.

Frauenalltag wieder sichtbar machen:
Gegenstrategien

Geschlechtergerechtigkeit, Gleichberechtigung – waren das bereits Themen im frühen Christentum? Haben Frauen heute weibliche Vorbilder im Neuen Testament, wenn sie sich für Gerechtigkeit einsetzen? Der kurze Überblick hat gezeigt, dass es hier viel zu entdecken gibt. Vor allem in den Briefen des Paulus sind deutliche Spuren aktiver Frauen zu finden. Die Paulusbriefe sind im Zusammenhang der Gemeinden entstanden, die ein Leben nach der Tora im Glauben an den Messias Jesus führen wollen. Paulus hat stets mit anderen Frauen und Männern zusam men gearbeitet und war mit einigen von ihnen auf Reisen, bei anderen hat er in ihren Hausgemeinden gewohnt. Die Bezeichnung „Mitarbeiter“/“Mitarbeiterinnen“, die in diesem Zusammenhang häufig verwendet wird, klingt in unserem Kontext leicht missverständlich: Wir denken schnell an den Chef und seine Mitarbeiterinnen. Historisch ist es so vorzustellen, dass der Wanderarbeiter Paulus zu Menschen kam, bei denen er kurzzeitig Arbeit gefunden hat, in deren Werkstatt er aufgenommen wurde (vgl. Apg 18,3).

In diesem Zusammenhang stand dann auch das, was wir als Mission bezeichnen: das Erzählen, Erklären, das Leben der Botschaft Jesu. Hier sind auch die Briefe geschrieben worden, die an die anderen Gemeinden verschickt wurden. Die Erfahrungen, von denen sie berichten, sind nicht allein die des Paulus, sondern auch die der Frauen und Männer, die hier gemeinsam arbeiten, leben und Gottesdienst feiern. Der Respekt den zahlreichen Frauen gegenüber, der aus den heute vielfach genannten Texten deutlich wird, lässt auf ein Beziehungsgeflecht schließen, dem Paulus nicht einfach als Patriarch vorstand.

Wenn ich beginne, die verschiedenen Stimmen hinter den Texten zu hören, die unterschiedlichen Menschen zu sehen, die an der Abfassung beteiligt sind, ihr Lebensumfeld in den Werkstätten, den armen Vierteln der Städte zu entdecken, dann verändert sich das Bild der früh christlichen Zeit. Die paulinischen Briefe zeigen sich als „Alltagstexte“, die Kraft und Ermutigung aussprechen wollen.

 
Für die Arbeit in der Gruppe:

Die folgenden Vorschläge können einzeln oder in beliebiger Kombination – dann aber auf mindestens zwei Treffen verteilt oder im Rahmen einer Tagesveranstaltung – umgesetzt werden.

Lesen Sie 1 Tim 5,3-16 mit der „Hermeneutik des Verdachts“ gegen den Strich: Welche Aktivitäten von Frauen werden dann sichtbar? Wie haben Frauen miteinander kommuniziert? Warum werden sie damit für die Schreiber der Pastoralbriefe so gefährlich?

Erzählen Sie einander Beispiele aus der (eigenen) Geschichte. Fallen Ihnen Situationen ein, in denen immer wieder neu um bereits Errungenes gekämpft werden muss? Welche Taktiken werden eingesetzt, um Vorteile für Frauen wieder rückgängig zu machen? Welche Strategien haben Frauen entwickelt, um für ihre Sache zu kämpfen?

Kopieren Sie für alle den Auszug aus der Thekla-Erzählung (siehe Arbeitsmaterial auf S. 42-43). Lesen Sie den Text laut vor und geben anschließend Gelegenheit zu spontanen Äußerungen.
Bitten Sie die Frauen, den Text noch einmal durchzulesen und dabei zu notieren, welche Themen angesprochen werden. Tragen Sie die Antworten zusammen und schreiben sie in Stichworten auf ein Plakat.
Tauschen Sie Ihre Gedanken zu einem oder mehreren der Themen aus, z.B.:
Theklas Gläubigkeit (Bereitschaft und Mut zum Martyrium / „Selbst-Taufe“ / Bekenntnis, Zeugnis des Glaubens): Welche Gedanken und Gefühle löst das Schicksal / die Glaubensgeschichte dieser Frau bei mir aus?
Solidarität unter Frauen: Wie äußert sie sich in dieser Geschichte? Was bewirkt sie? Können wir daraus für uns heute etwas lernen?

Zur Vertiefung für Interessierte: Lesen Sie die ganze Thekla-Erzählung (ca. 8 Seiten). Eine gut zugängliche und verständliche Ausgabe stammt von Anne Jensen, Thekla – Die Apostolin. Ein apokrypher Text neu entdeckt, Gütersloh 1999. Eine vollständige Übersetzung von Beate Wehn können AbonnentInnen im Servicebereich herunterladen.
Abgesehen davon, dass allein das Lesen dieser aufregenden, vielen aber völlig unbekannten Frauengeschichte aus der frühen Kirche faszinierend ist, könnten Sie den Text z.B. näher anschauen unter dem Blickwinkel: Wie verstehen  Christinnen im 2. Jahrhundert die Briefe des Paulus (vgl. Thekla-Akten v5 und 1 Kor 6,19-7,9)? Welche Konsequenzen ziehen sie daraus für ihr Leben?

Dr. Claudia Janssen arbeitet als theologische Referentin bei der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland in Frankfurt und lehrt als Privatdozentin Neues Testament an der Philipps-Universität in Marburg.

Zum Weiterlesen
Artikel zu den Briefen des Paulus, den Pastoralbriefen und zur Theklageschichte im Kompendium Feministische Bibelauslegung, Luise Schottroff / Marie-Theres Wacker (Hg.), Gütersloh, 2. Aufl. 1999.
Beate Wehn, „Selig die Körper der Jungfräulichen“ – Überlegungen zum Paulusbild der Thekla-Akten, in: Claudia Janssen, Luise Schottroff, Beate Wehn (Hgg.), Paulus. Umstrittene Traditionen – lebendige Theologie. Eine feministische Lektüre, Gütersloh 2001, 182-198.

Bibel in gerechter Sprache

Ein Verständnis, das Paulus im Beziehungsnetz der Gemeinden angesiedelt sieht, in denen Männer und Frauen gemeinsam gelebt, gebetet und gearbeitet haben, hat vor allem Konsequenzen für die Übersetzung seiner Texte. Sozialgeschichtliche Forschungen zeigen, dass es Fischerinnen, Handwerkerinnen, Jüngerinnen, Gemeindeleiterinnen, Synagogenvorsteherinnen, Apostelinnen gab. Es ist deshalb aus historischen Gründen angemessen, die Beweislast umzukehren: Wenn nicht eindeutig zu belegen ist, dass Frauen nicht mitgemeint sind, ist bei allen pluralischen Formen davon auszugehen, dass auch Frauen anwesend waren. Der griechische Begriff adelphoi ist deshalb historisch korrekt mit „Geschwister“ wiederzugeben, die gängige Übersetzung „Brüder“ bezeichnet den Sachverhalt nicht angemessen.

Diejenigen aber, die den griechischen Text nicht mal eben aus dem Regal holen und übersetzen können, haben es schwer. Deshalb brauchen wir eine neue Übersetzung, die dem historischen Sachverhalt der Texte angemessen ist und Frauen nicht länger unsichtbar macht. Ein Projekt, das von der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland unterstützt wird, will sich dieser Aufgabe stellen und die Bibel in „gerechter Sprache“ übersetzen. Mittlerweile sind über 60 Übersetzerinnen und Übersetzer an der Arbeit. Ein Ziel ist es, die Vielfalt, die es in biblischer Zeit gab, auch sprachlich wieder sichtbar zu machen. Die Bibel soll nicht umgeschrieben werden, erhalten bleiben damit auch die Traditionen, die frauenfeindlich sind. Doch haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, die anderen Stimmen wieder lauter werden zu lassen. Wir arbeiten mit dem Wissen, dass jede Übersetzung eine Interpretation ist. Es ist nötig, ein Bewusstsein für die Relativität jeder Übersetzung zu entwickeln. Das Bemühen um eine zeitgemäße Sprache bedeutet jedoch nicht Beliebigkeit. Es ist deshalb notwendig, Kriterien zu entwickeln, die sich an dem umfassenden Begriff der biblischen Gerechtigkeit orientieren. Ein zentrales Kriterium des Projekts ist die Geschlechtergerechtigkeit bei der Übersetzung -das betrifft die Rede von Gott, aber auch die Sprache, mit der der Alltag von Frauen und Männern in biblischer Zeit beschrieben wird. Eine Übersetzung in eine zeitgemäße Sprache bedeutet auch, die Bibel weiterzuschreiben, den eigenen Alltag in sie hineinzuschreiben. Dafür braucht es neben sprachlicher Überlegungen vor allem die Praxis vieler engagierter Menschen. Denn durch sie lebt die biblische Tradition.

Informationen unter: www.bibel-in-gerechter-sprache.de
Kontakt: Luise Metzler, Tel.: 0521-9384617
E-Mail: metzler@bibel-in-gerechter-sprache.de

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