Ausgabe 2 / 2006 Frauen in Bewegung von Birgitta M. Schulte

Hildegard Knef

Eine Art von intellektuellem Sex

Von Birgitta M. Schulte


Ein flaches ebenmäßiges Gesicht, auf das Fotografen projizieren konnten, was sie für Schönheit hielten; helle klare Augen, als „Flutlicht“ apostrophiert; ein großer, oft strahlend lachender Mund; blondes, immer blondes Haar und eine schlanke Figur. Hildegard Knef – eine Ikone, verehrt und geliebt.

Hildegard Knef hat sich immer wieder neu erfinden müssen. Sie ist die erste deutsche Nachkriegsschauspielerin. Bis 1954 entstehen 14 Filme, 1955 feiert sie mit dem Musical „Silk Stockings“ von Cole Porter ihren größten Bühnenerfolg. Nach ihrer Rückkehr aus den USA aber gibt es keine Rollen mehr für sie, der deutsche Kinofilm reißt sie mit in seine Krise. Sie stellt sich 1962 als Chanson-Sängerin wieder auf die Bühne. Ausgebrannt vom anstrengenden Touren, macht sie sich 1970 zur Buchautorin. Sie hatte ihre – 300 – Liedtexte selbst geschrieben und erzählt nun ihre Biographie. Ihr zweites Buch 1975 ist die erste öffentliche Thematisierung der Krankheit Krebs. Und als es mit dem Schreiben nicht weiter geht, beginnt sie zu malen. Ihre letzte Gesangstournee 1986 umfasst noch einmal zehn Stationen. Hildegard Knef steht bis kurz vor ihrem Tod am 1. Februar 2002 im Studio oder auf der Bühne, auch wenn man sie auf dem Weg dorthin zuletzt stützen muss.
 

Provozierend schön

Vital in den 90ern, extravagant und mondän in den 60ern, „herbe Unschuld“ oder „verruchte Verführerin“ in den ersten 15 Jahren ihrer Karriere. Was machte ihre Schönheit aus? „Hildegard Knef war doch nicht schön“, sagt mein Friseur, „in jungen Jahren war sie vielleicht attraktiv und später apart. Aber schön?“
„Schön war die Mutter“, schreibt Hildegard Knef, „sie hatte die längsten, schönsten Beine von Schöneberg und die grünsten Augen… Ich, Hildegard Frieda Albertina, hatte ihr wenig Freude gemacht… Da waren ewig neue, endlose, zahllose, familienzermürbende Krankheiten, Tropfen- und Tablettenströme. ‚Hilde ist dauernd krank', hieß es. … Und hübsch war ich auch nicht, weiß Gott nicht, keiner fand mich hübsch, außer Großvater. … Und Mutter sagte zum Stiefvater, so nachts in die Finsternis hinein: ‚Ein Jammer, daß Hilde nicht hübscher ist.' Und Stiefvater murmelte gestört-verschlafen: ‚Naja, aber ganz interessant sieht sie aus.'“(2)

Also interessant. Nicht harmonisch. Über das Sperrige eher ist sie „Kult“ geworden. Und sie selbst? Fand sie sich denn schön? Im Zusammenhang mit ihrer Krebserkrankung hat sie darüber gesprochen. „Man sagte mir ins Gesicht: Sie haben Krebs. Und hat mich sofort operiert. Danach habe ich darüber geschrieben. Immerhin hatte ich zu dieser Zeit einen schönen Körper. Und plötzlich wurde dieser Körper auseinander genommen.“(3) Schön war er – denkt sie mit Blick auf die kaum verheilten Narben – überlanger Rücken, breite Schultern, prächtiger Busen, schmale Hüften, lange Oberschenkel, Hals zu kurz, Unterschenkel ebenfalls. Das Kinderlähmungsbein hat kaum einer bemerkt.(4) Mit diesem Körper hatte sie den ersten Nachkriegsskandal provoziert. Nackt war sie 1950 – nur für Sekunden – auf der keuschen Nachkriegsleinwand erschienen: im Film „Die Sünderin“. Hildegard Knef spielte ein „leichtes“, ein „gefallenes Mädchen“, das blieb hängen. Aber war es nicht doch das Bild provozierender Schönheit, das die 6,5 Millionen Zuschauer mitnahmen? Einer anderen Schönheit eben.

Aufrecht

„Mit zierlich-scheuer Fräuleinhaftigkeit kann sie nicht dienen, das unkonventionelle Gesicht mit den großen grünen Augen und dem vollen Mund sowie die tiefe Stimme verleihen ihr eine gewisse Androgynität“, beschreibt Biograph Christian Schröder den Typus, den Hildegard Knef in ihren frühen Rollen verkörpert.(5) Die androgyne Ausstrahlung also war's, die sie so anziehend machte? Sie hatte etwas Jungenhaftes im Körperausdruck, während sie die blonden, teils gelockten Haare sehr feminin wirken ließen. Ihr Gang war lässig auf der Bühne. Aufrecht, aufgerichtet sein schien der Chanson-Sängerin eine Selbstverständlichkeit, so als fühle sie sich wohl in ihrem Körper. „Hildegard Knef hat viele Modemacher begeistert, nicht wegen ihrer Maße, sondern aufgrund ihrer Ausstrahlung, der Art sich zu bewegen“,(6) berichtet Kristina Jaspers vom Filmmuseum Berlin. Körpersprache und Modeempfinden wurden zum „Knef-Look“ verschmolzen. Und später, nach der Brustamputation, habe Hildegard Knef den Blick vom Körper auf den Kopf gelenkt. „Schon immer hatte sie den Garçonne-Stil geschätzt, hatte hochgeschlossene Blusen, Herrenpullover, Sakkos und Trenchcoats getragen, nun kommen Mützen, manchmal ein Schlips dazu,“(7) Hüte, und dann die Brille. Die Art, wie sie 1958 Kleider präsentierte, meinte ihr damaliger Fotograf F.C. Gundlach, sei „Inszenierung der Individualität und das Kondensat eines spezifischen Lifestyles gewesen.“(8)

Nun kommen wir dem Geheimnis auf die Spur. Schönheit ist Ausdruck der Persönlichkeit, Hildegard Knef blieb natürlich vor Film- wie vor Foto-Kameras, verlor nie ihre Direktheit. Else Bongers, Schauspiellehrerin, beschreibt ein „nicht sehr freundliches, ungeheuer forderndes Mädchen“,(9) das sich 1942 an sie wandte und Begabung behauptete. Eine junge Frau, die sich herausstemmen wollte aus den Verhältnissen. Mit sechs Monaten hatte sie den Vater verloren, mit 19 Jahren den Großvater, den „einzigen, der sie liebte“ als Kind. Sie „schmeckte, ahnte, wollte Schönheit“ nach dem Staub und Gestank der ewigen Berliner Bombennächte, sagte still „ich will: will groß sein, will siegen, will froh sein, nie lügen.“(10)


Deutlich und präsent

Auch später hat sie gesagt, was sie dachte, manchmal die Menschen erschreckt, oft aber mit großer Klarsicht benannt, was kritisiert werden musste. Sie hatte eine enorme Deutlichkeit, eine „Kotterschnauze“, sagt ihr Schauspielerkollege Hardy Krüger(11) – und war gleichzeitig ein sehr verletzbares Wesen. Davon sprechen der Zug, der um ihren Mund spielt, und der große Augenaufschlag. Von „verfolgten Augen“ hatte Tennessee Williams, der Freund, gesprochen. Die existenziellen Nöte der Kindheit spiegeln sich in den Augen der Knef. Sie hat eine Menge hinnehmen müssen, nicht nur die Konstellationen ihrer Kindheit, die Kriegserfahrungen und -verletzungen, das Auf und Ab ihrer Karrieren, das Scheitern zweier Ehen, die schwierige Geburt ihrer Tochter, sondern vor allem immer wieder Krankheit, 60 Operationen insgesamt. Das Herbe ihrer Schönheit ist auch Bitterkeit, die sich aber erst im Alter als tiefe Falte in Verlängerung der Mundwinkel zeigt. Es ist vor allem Leidenserprobung, Lebensernst macht sie schön.

„Kam sie mir entgegen, erschrak ich“, schreibt Roger Willemsen, „so gespenstisch lebten all die Bilder von ihr in diesem geschundenen Körper. Ihre Wärme aber war wie eh und je, und ihr Verstand zeigte diese begeisternde, unsentimentale, auf den Grund der Sache blickende Intelligenz, die zu erleben jede Begegnung mit ihr bereichernd machte.“(12) Als spritziger Geist war sie befreundet mit Henry Miller, Carlo Schmid, Ludwig Marcuse. Henry Nannen spricht von „einer Art von intellektuellem Sex“ und trifft den Kern ihrer Schönheit. Hildegard Knef hatte etwas Weltläufiges, weil sie bereit war, zuzuhören. Vor allem aber ist es ihre Präsenz, die beeindruckt, ihr Wille etwas „rüberzubringen“. Der ganze Körper verleiht ihrer Geste Kraft, wenn sie spricht. Darin ähnelt sie Marlene Dietrich, der Freundin über einen langen Zeitraum, die sie so beschreibt: „Sie ging wie sie aß oder Saucen rührte: mit vollkommener Konzentration.“(13)
Hildegard Knef wäre am 28.12.2005 achtzig Jahre alt geworden.


Birgitta M. Schulte, Jg. 1951, lebt in Frankfurt. Sie ist Freie Journalistin für Hörfunk und Printmedien mit den Schwerpunkten Bildung und Frauenthemen. Sie hat vier Bücher veröffentlicht, zwei davon im Christel Göttert Verlag: Der weibliche Faden. Geschichte weitergereicht (Rüsselsheim 1995) und: „Ich möchte die Welt hinreißen“. Ilse Langner 1899 – 1987. Ein Porträt (Rüsselsheim 1999).


Anmerkungen
2
Hildegard Knef: Der geschenkte Gaul. Bericht aus meinem Leben. Zuerst: Wien, München, Zürich: Molden 1970, zitiert nach Ullstein 6. Auflage 2003, S. 30f
3 Hildegard Knef in einem Interview mit Monika Goetsch. Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt 1999. 1925 geboren, erkrankt sie 1973 an Brustkrebs – Beginn eines Passionsweges durch verschiedene Kliniken, beschrieben in: „Das Urteil“
4 vgl. Hildegard Knef: Das Urteil oder Der Gegenmensch. Zuerst: Wien, München, Zürich: Molden 1975, S. 196
5 Christian Schröder, Hildegard Knef. Mir sollten sämtliche Wunder gegegnen. Biographie. Berlin (Aufbau-Verlag) 2004, S. 57
6 Kristina Jaspers: Schöne Hülle, verletzter Körper. Alltagsmode und Haute Couture. In: Hildegard Knef. Eine Künstlerin aus Deutschland. Berlin (Bertz + Fischer) 2005,
S. 62
7 ebd. S. 65
8 F.C. Gundlach: Die Pose als Körpersprache. Köln (König) 2001, S. 5
9 in: Aber schön war es doch …/ Une diva d'après guerre. Portrait Hildegard Knef. Ein Film von Birgit Schulz, arte 19.12.2000
10 Zeile aus Liedtext „Für mich soll's rote Rosen regnen“
11 in: Aber schön war es doch …
12 Roger Willemsen: Hilde, in: Christina Schröder: Hildegard Knef. Mir sollten sämtliche Wunder begegnen. Biographie. Berlin (Aufbau-Verlag) 2004, S. 9
13 Hildegard Knef: Der geschenkte Gaul, a.a.O., S. 21

Ausgabenarchiv
Sie suchen eine Ausgabe?
Hier entlang
Suche
Sie suchen einen Artikel?
hier entlang