Ausgabe 2 / 2011 Artikel von Elke Berger, Gabriele Buismann, Elke Johanna Kuhlenkampff und Lore Schultz-Hamster

Hilf mir geduldig tragen

Beschwernissen des Alterns feministisch-theologisch begegnen

Von Elke Berger, Gabriele Buismann, Elke Johanna Kuhlenkampff und Lore Schultz-Hamster

„Herr Jesu, deine Angst und Pein / und dein betrübtes Leiden / lass meine letzte Zuflucht sein, / wenn ich von hier soll scheiden.“ Das Sterben Jesu als tröstlicher Halt in der Angst vor dem eigenen Tod ist ein vertrautes Motiv in der christlichen Spiritualität.

Eng damit verbunden ist der Gedanke der Kreuzesnachfolge. „Mein Kreuz und meine Plagen / … hilf mir geduldig tragen; / gib, o mein Herr und Gott, / dass ich … folge dem Exempel, / das du mir vorgestellt.“ (EG 82,6) Sind also die vertrauten Passionslieder eine Möglichkeit, wie Frauen mit den Beschwernissen des Alters besser leben können? Kann die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu, wie diese Liedtexte sie transportieren, uns heute noch Glaubensstärke und Trost verleihen? Oder schleppen wir sie nur widerstrebend mit in unser Altwerden?

Die meisten Passionslieder entstanden im 17. oder 18. Jahrhundert, von Männern verfasst und nicht in inklusiver Sprache geschrieben. Frauen werden also nicht eigens benannt, sondern sind „mitgemeint“. Und doch wirken Sprache, Stil und auch die zugrunde liegende Christologie wie für oder von Frauen geschrieben. Gefühlvolle Intensität eines einzelnen sprechenden Ich verbindet sich mit individuell verstandenem und persönlich erfahrenem Bewusstsein von Sünde (EG 84,3). Und so liegt nahe, sich das Verhalten Jesu zum Vorbild zu nehmen: „Gib auch, Jesu, dass ich gern / dir das Kreuz nachtrage, / dass ich Demut von dir lern / und Geduld in Plage.“ ( EG 88,6)

Methoden-Baustein:
Passionslieder – Hilfe beim Altern?
Im Ev. Gesangbuch finden sich 23 Lieder für die Passionszeit. Können sie in den Krisenzeiten des Lebens die Richtung vorgeben? Der Theologe Helmut Gollwitzer, der zur „Bekennenden Kirche“ gehörte, antwortete auf die Frage, welche Bedeutung Jesus in seinem Leben habe: „Als ich zum ersten Mal in Gestapohaft lag, sagte ich mir alte Gesangbuchverse vor. In ihnen sprechen Christen davon, dass Jesus alles sei und dass es gut sei, ihm alles hinzugeben. Ich fand mich dazu nicht in der Lage. Ich hatte Angst und liebte mein Leben.“(1)

Ein Mann der Kirche entscheidet hier, was die Gesangbuch-Dichter nicht einmal andeuten: eine vermeintliche Nachfolge zu verweigern aus Liebe zum eigenen Leben. Vermutlich hat Gollwitzer sich auch Verse aus den Passionsliedern aufgesagt. Oft begegnen hier Worte wie: Jesu Angst und Pein, unsere Sünden, Nachfolge auch in den Tod, Jesu Opfer am Kreuz, Demut, Glaube, Trost im Tode. Vielleicht kann seine Aussage Frauen helfen, zu den eigenen Erfahrungen zu stehen und davon zu erzählen.

Die Leiterin liest aus „Du großer Schmerzensmann“ (EG 87) vor:
Lass deine Wunden sein
die Heilung unsrer Sünden,
lass uns auf deinen Tod
den Trost im Tode gründen.
O Jesu, lass an uns
durch dein Kreuz, Angst und Pein
dein Leiden, Kreuz und Angst
ja nicht verloren sein.

Sie liest den Text nochmals vor und legt dabei drei Schilder in die Mitte:
– Heilung unserer Sünden
– Trost im Tode
– durch dein Kreuz

So ein Text kann ganz verschiedene Gedanken, Gefühle und Erinnerungen wecken. Ich lade Sie ein, diese miteinander zu teilen. Helfen diese Worte uns, die Lasten, die das Alter mit sich bringt, zu tragen und uns Trost am Ende unseres Lebens geben?

Jesus Christus

Was uns Passionslieder bedeuten, ob sie uns bei der Bewältigung der Beschwerden des Alters helfen oder auch nicht, gründet in der Antwort auf die Frage: Wer ist für uns Jesus Christus? Ist er Mensch? Ist er Gott? Die Antwort wurde in den frühen Zeiten des Christentums mit „wahr‘ Mensch und wahrer Gott“ gegeben. Die moderne Theologie unterscheidet „Christologie von oben“ – Jesus ist göttlich obwohl wahrer Mensch, bekommt göttliche Kräfte zur Erlösung und Sündenvergebung – und „Christologie von unten“ – Jesus wirkt vorbildhaft durch sein konkret gelebtes Leben. Als Heilender, als Lehrender, als der, der für Gerechtigkeit auf Erden eintritt und verkündet, dass das Reich Gottes unmittelbar bevorsteht.

Methoden-Baustein:
Wie stehe ich zu Jesus Christus?
In der Mitte(2) wird mit Fäden, Tüchern oder sonstigen Materialien ein langgestrecktes Kreuz gelegt. An die vier Balken-Enden werden folgende Begriffe gelegt:
– oben: Christus
– unten: Jesus
– rechts: Erlösung – Befreiung von Sünden
– links: heilen – für Gerechtigkeit eintreten – lehren

Die Teilnehmerinnen suchen sich eine Position am Kreuz aus, an der sie sich am Platze fühlen; natürlich können sie sich auch abseits stellen, wenn ihnen keine der möglichen Position zusagt. Die Frauen bleiben für einen Moment (in Stille) stehen und nehmen aufmerksam wahr, welche Gedanken und -Gefühle in ihnen aufkommen. Wieder im Sitzkreis, berichten die Frauen, was der gewählte „Standpunkt“ für sie bedeutet oder warum sie ihn sich ausgesucht haben.

Anschließend Austausch: Hilft die gewählte Position zum Kreuz Jesu, die Mühen des Altwerdens zu bewältigen? Wahrscheinlich werden manche mehr Zuflucht / Ansprache finden bei Jesus als dem Menschen, der durch seine Taten herausragt, anderen ist der göttliche Christus näher, der erlöst und von Sünden befreit. Die unterschiedlichen „Positionen“ sollen bewusst werden – aber nicht als „richtig“ oder „falsch“ bewertet werden. Hilfreich kann der Hinweis sein, dass die alte Kirche, die auch vor der Frage stand, welches der „richtige“ Standpunkt sei, im Konzil von Chalzedon (451) die Aussage zum Lehrsatz machte, dass Christus „wahrer Gott und wahrer Mensch“ sei – kein Gott, der das Menschenleben „zum Schein“ auf sich nahm und daher nicht richtig leiden konnte. Wichtig zu erwähnen ist, dass ein solches Dogma zur Versicherung und Abgrenzung der Kirche dienen soll, unser Gefühls- und Glaubensleben aber möglicherweise nicht berührt – und auch nicht berühren muss.

Im Kreuz ist Heil

Die christliche Tradition gibt auf die Frage nach der Heilsbedeutung des Kreuzes immer wieder zwei Antworten. Die eine ist: Das Kreuz Jesu entspricht dem Willen Gottes. Es steht im Zentrum des göttlichen Heilsplanes – Jesu Sühnetod am Kreuz kauft die mit Sünde beladenen Menschen los von ihrer Schuld. Dorothee Sölle hat diese Sicht als exklusiv kritisiert. Denn wenn nur Jesu Leiden erlösend sein soll, wird Gewalt ver-HERR-licht und die Täter geraten aus dem Blick (EG 87). Menschen haben zu allen Zeiten nicht weniger gelitten, höchstens länger.(3) Das Kreuz, so die andere Deutung, ist Ausdruck der Solidarität Jesu mit den Gefolterten, Leidenden, ist Konsequenz seiner Botschaft vom Reich Gottes. Gott erniedrigt sich. Jesus geht freiwillig. Auch hier erscheint Gewaltver-herr-lichung als Weg zur Erlösung. Die Gewalt bleibt die gleiche, gerechtfertigt durch Gottes Plan und Jesu Einverständnis. (EG 83)

Paulus hingegen versteht das Kreuz als „Dreh- und Angelpunkt der Weltordnung“.(4) Weltweite Vergeschwisterung von Feinden und sozial unterschiedlichen Schichten entsteht in einer Gemeinde ohne Macht- und Konkurrenzkämpfe und bezieht ihre Kraft aus dem „Wort vom Kreuz“, das die Verhaltensweisen der Menschen ändern kann. Das Opfer Christi nachvollziehen heißt dann nicht Selbstaufgabe sondern Gegenseitigkeit. Diese solidarische Gemeinschaft unterwandert mit ihrer Gewaltlosigkeit, Vergebensbereitschaft und Nächsten- bzw. Feindesliebe die Herrschaftsstruktur des „gegenwärtigen Äons“ (Röm 12; 14; 15)

Methoden-Baustein:
Angelpunkt der Weltordnung
Drei kleine Zeichnungen (siehe S. 81; für AbonnentInnen unter www.ahzw-
online.de / Service zum Herunterladen vorbereitet)
stellen die genannten Deutungen des Kreuzes dar. Zwei Kleingruppen erhalten Kopien der Zeichnung (1) bzw. (2). Sie sollen die jeweilige Deutung des Kreuzes herausfinden und sich darüber austauschen, ob diese Deutung für sie hilfreich sein kann, leichter mit den Beschwernissen und Ängsten des Altwerdens umzugehen.

Ergebnisse werden im Plenum zusammengetragen. In das Gespräch, ob diese Deutungen den Frauen vertraut sind und welche Anfragen sie evtl. daran haben, bringt die Leiterin die oben skizzierte Kritik (Verherrlichung von Gewalt) ein. Dann werden Kopien mit der Skizzierung der Sicht des Paulus auf das Kreuz als Dreh- und Angelpunkt einer neuen Weltordnung verteilt. Nach einem ersten Austausch erläutert die Leiterin die Skizze anhand des Absatzes oben.

Leitfrage für das folgende Gespräch: „Das Opfer Christi nachvollziehen heißt nicht Selbstaufgabe sondern Gegenseitigkeit.“ Kann dieser Gedanke mir/uns helfen, die mit dem Altwerden (auch) einhergehenden Nöte und Ängste besser zu verstehen und zu tragen?

Reden von und mit Gott

Altsein ist kein von Gott auferlegtes Kreuz: Wer lange lebt, wird, muss alt werden. Frauen werden anders alt als Männer, weil ihr gelebtes Leben meist von anderen Bedingungen geprägt wurde; oft erfahren sie im Alter Armut, Vereinsamung, höheres Durchschnittsalter und daher mehr Hinfälligkeit. Solche Lebenserfahrungen sind bedeutsam für unser Bild von Gott – und für unser Reden mit Gott. Wenn wir glauben können, dass in dem kleinen, hilflosen Kind (Lk 2) Gott selbst offenbar wird, dürfen wir ebenso davon überzeugt sein, dass er auch in einer auf Hilfe angewiesenen alten Frau gegenwärtig ist. Gott darf also auch im Bild einer alten Frau angesprochen werden, die die -Erfahrungen der Betenden teilt, wie Alter, Schwäche, Einsamkeit, Warten auf Besuch, schöne und schlimme Erinnerungen, Trennungen, Verluste.

Methoden-Baustein:
Wer soll unsere Gebete hören?
Impuls: Schon immer haben Menschen Gott mit verschiedenen Namen angeredet:
Ewiger, Fels, Hort, Quelle, Vater, Mutter alles Seins. Heute sind wir eingeladen, uns Gott als Frau vorzustellen. Als alte Frau.(5) Sie bewegt sich langsam. Ihr Haar ist schütter, ihr Gesicht von Falten durchzogen. Ihre Augen ermüden schnell, das Hören strengt sie oft an. Gott sehnt sich nach Besuch. Also besuchen wir sie. Zusammen sitzen wir am Küchentisch bei einer Tasse Tee. Gott lächelt: „Ihr Menschenkinder seid unglaublich selbständig geworden. Ihr schifft über die Meere und fliegt durch die Lüfte. Ihr macht Musik, schreibt Gedichte und pflanzt schöne Gärten.“ Dann beginnt sie leise zu summen und das erinnert uns: Ja, so war es, als jemand abends an unserem Bett saß und leise sang, wenn wir nicht einschlafen konnten, uns in Fieberträumen besänftigte, uns in unserem Kummer tröstete …

Die Frauen tauschen sich darüber aus, welche Gedanken und Gefühle die Vorstellung, mit Gott als alter Frau am Küchentisch zu sitzen und zu reden, in ihnen weckt. Anschließend werden sie eingeladen, in Stille – evtl. leise Musik im Hintergrund – nachzudenken, was sie Gott in diesem Gespräch sagen würden. Wer möchte, kann einen Satz auf bereitgelegte Kärtchen schreiben. Nach ca. 15 Minuten werden die Sätze zu einem gemeinsamen Gebet zusammengetragen.

Abschluss
Lied: Ja, ich will euch tragen (EG 380, 1.2.3.6.7)

Elke Berger, geb. 1937, Gabriele Huisman, geb. 1946, Elke Johanna Kulenkampff, geb. 1937 und Lore Schultz-Hamster, geb.1938, haben das Fernstudium Feministische Theologie im Frauenwerk der Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers absolviert. Erfahrungen und Erkenntnisse daraus sind in diesen Beitrag eingeflossen.

Anmerkungen
1 zitiert nach: Dorothee Sölle: Gesammelte Werke Bd. 9, „Gott denken“, Stuttgart 1989, S. 136
2 Methodenvorschlag Dr. Hildburg Wegener aus dem Direktkurs „Feministische Theologie“ 2009 in Goslar
3 Vgl. hier und i.F. Artikel „Kreuz“ in: Wörterbuch der Feministischen Theologie, hg. von Elisabeth Gössmann u.a., Gütersloh 22002, S. 348f.
4 Vgl. ebd., S. 352
5 Das Bild von Gott als alter Frau ist übernommen von einer Predigt der Rabbinerin Margaret Moers Wenig, gehalten an Jom Kippur 2003. Die Predigt ist im Internet zugänglich unter: http://www.hagalil.com/judentum/feiertage/kippur/frau.htm

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