Martin Binder lebt in Berlin und ist Künstler sowie Experte für Kunst im öffentlichen Raum. Ein Public Design, das öffentliche Räume gemeinwohlorientiert gestaltet, ist für ihn Maßstab einer gelungenen Stadtarchitektur. Mit scharfem Blick analysiert er die diskriminierenden Strategien in der Stadtgestaltung. Für feinschwarz.net hat die Theologin Vanessa Lindl das Interview mit ihm geführt.
Vanessa Lindl: Herr Binder, wie kam es dazu, dass Sie sich gerade auf Public Design, also die Gestaltung öffentlicher Räume in Kommunen spezialisierten?
Martin Binder: Ich habe schon während des Bachelorstudiums angefangen mich mit diesem Thema zu beschäftigen. Meine Abschlussarbeit habe ich zum Thema „Grauzone. Vorurteile im öffentlichen Raum“ geschrieben und dabei eine ironische Herangehensweise gewählt. Da ging es darum, diskriminierende Interventionen für Städte zu entwickeln und zu überlegen: Wie kann ich bestimmte Gruppen gezielt diskriminieren? Ich habe dann kleine Anweisungen geschrieben, wie verschiedene Leute diskriminiert werden könnten. Davon habe ich einige umgesetzt und eine Fotoserie dazu gemacht. Es gab z.B. die Anweisung „Sägen Sie die Beine von Parkbänken ab“, um damit etwa ältere Menschen zu diskriminieren, die sich dann nicht mehr auf die tiefer gelegte Parkbank setzen oder zumindest nicht mehr aufstehen können. Diese Anweisungen habe ich in Bozen verteilt, wo ich damals studiert habe. Oder ich habe Mülleimer so hoch gehängt, dass man keine Flaschen mehr herausnehmen, sondern nur noch welche hineinschmeißen kann. Oder Aufschriften für Bänke gemacht, wo es hieß: „Maximal 100 kg“. […]
VL: Sie haben diese Diskriminierungen also wirklich ausprobiert und beobachtet, wie Ihre Anweisungen aufgenommen werden?
MB: Genau. Das war für mich der erste Schritt in den öffentlichen Raum. Als ich nach Berlin gegangen bin, habe ich angefangen in einem Designbüro zu arbeiten und parallel einen Master in ‚Kunst im Kontext‘ zu belegen. In diesem Designbüro gab es viele Projekte im öffentlichen Raum. Das fand ich total spannend, einerseits die künstlerische Seite zu betrachten, dann aber auch die wirtschaftliche Seite anzuschauen: Wie funktioniert Stadtmöblierung und Stadtaußenwerbung? Wenn ein Designunternehmen eine Bushaltestelle gestaltet haben will, dann soll die eben vandalismusresistent sein, und Leute sollen auf den Bänken in den Wartehallen nicht schlafen können.
VL: Wie sieht das konkret aus, wenn bestimmte Personengruppen beispielsweise von Bushaltestellen ferngehalten werden sollen?
MB: Bei Wartehallen ist das sehr offensichtlich: Bänke im öffentlichen Raum haben meist Armlehnen oder getrennte Sitzschalen, sodass man keine durchgehende Bank hat. Damit soll verhindert werden, dass sich Leute auf diese Bänke legen. Im Designbüro war das keine explizit formulierte Anforderung vom Kunden, sondern das wurde von vornherein angenommen, dass die Bänke so gestaltet sein sollen, damit da niemand liegen kann. Auch Vandalismus ist im öffentlichen Raum ein riesen Thema. Dem kann man dadurch begegnen, dass man brutale und stabile Gestaltungslösungen sucht. Man kann aber auch versuchen, die Sachen so zu gestalten, dass sie möglicherweise so ansprechend sind, dass durch die Gestaltung Vandalismus schon verhindert wird – weil man eben vielleicht Sachen, die nicht total furchtbar aussehen, weniger gerne zerstören möchte.
VL: Was fällt Ihnen zuerst auf, wenn Sie durch eine Großstadt laufen?
MB: […] Das habe ich mittlerweile schon sehr verinnerlicht, dass ich beobachte: Welche Objekte gibt es hier, wie ist das gestaltet, und was steht dahinter? Am meisten merken das natürlich Leute, die direkt davon betroffen sind. Das kann man sich aber auch aneignen: Wenn man sich einfach mal informiert oder auch Begriffe googelt wie ‚hostile design‘ oder ‚hostile architecture‘. Da gibt es sehr abschreckende und offensichtliche Beispiele, wie Menschen oder ein bestimmtes Verhalten von Menschen ferngehalten werden soll.
VL: Wie werden Verhaltensweisen konkret gefördert oder verhindert, was sind typische Strategien?
MB: Die Bänke natürlich. […] Ganz oft sieht man auch, dass Hausecken so gestaltet sind, dass man sich da nicht hinsetzen oder hinlegen kann. Manchmal ist das noch mit einem gestalterischen Anspruch verbunden. Dann sind das irgendwelche Steine, die einbetoniert sind. Manchmal sind es auch ganz brutal einbetonierte Glassplitter oder Zacken auf Zäunen. Dann sieht man auch oft, dass Zäune mit Metallblechen beplankt sind, am Bahnhof Zoo in Berlin gibt es das zum Beispiel. Damit wird verhindert, dass Leute gegen diesen Zaun pinkeln können, da sie dann gegen so ein Blech pinkeln. Gleichzeitig wird mit dieser Methode auch verhindert, dass Fahrräder abgestellt werden. […] Oft sind es aber einfach fertige Lösungen, mit Stadtmöbelserie XY, die zum Beispiel ausschließen soll, dass Obdachlose sich dort niederlassen können, und die wirtschaftliche Interessen widerspiegeln. In Innenstädten macht sich das am meisten bemerkbar. Da soll vor allem konsumiert werden. Und da ist die Gestaltung dann so ausgelegt, dass der Konsum möglichst störungsfrei stattfinden kann, und nicht unbedingt so, dass Leute sich damit identifizieren. […]
VL: Was wäre eine bessere, freundlichere Lösung? Wie würden Sie das Ziel einer gelungenen Stadtplanung beschreiben?
MB: Bezüglich der Obdachlosigkeit kann ich sagen, dass sehr viel Geld investiert wird, um Strategien zu entwickeln, wie man Obdachlose fernhalten kann. Aber das greift nur kosmetisch an der Oberfläche des Problems an, macht es nur unsichtbar und verdrängt die Leute. Aber das eigentliche Problem ist die Obdachlosigkeit an sich, der Umgang damit, und wie Menschen in die Obdachlosigkeit kommen. Dieses Geld, das investiert wird, könnte man sehr viel sinnvoller in Maßnahmen stecken, damit die grundlegenden Probleme angegangen werden. In Hamburg gab es etwa den Fall, da wurden unter einer Brücke, die auch bei Obdachlosen beliebt war, für, ich glaube, 80.000 Euro große Steine hingeschüttet. Da haben sich aber trotzdem weiterhin Leute dort niedergelassen. Und dann wurde für einen ziemlich hohen Betrag nochmal ein Zaun drumherum gebaut. Doch das gab dann Proteste in der Bevölkerung, weil so viel Geld da rein geflossen ist, einfach nur, um diese Brücke abzuriegeln – obwohl man das Geld auch viel besser in Unterkünfte hätte investieren können. […]
VL: In welche Richtung ginge da Ihr Plädoyer?
MB: Dass man versucht, die Städte wieder mehr mit Leben zu füllen, und zwar von den Leuten, die da auch selbst leben. Wenn das nicht passiert, dann wird eben alles sehr gleich und austauschbar. Teilweise fühlen sich die Innenstädte dann wie völlig ausgestorben an, weil sich da niemand mehr einbringen kann. Das Plädoyer geht an Menschen, sich mehr in ihren eigenen Kiezen zu vernetzen und einzubringen, also genau da, wo sie leben. Da gibt es super Initiativen wie etwa nebenan.de. So kann man beitragen, dass sich eine Stadt so gestaltet, wie man das selbst gerne hätte. […]
Martin Binder ist Bildender Künstler mit Fokus auf Kunst im öffentlichen Raum/Public Design. Er ist Mitglied der Fachkommission für Kunst im öffentlichen Raum des bbk berlin.
Vanessa Lindl hat kath. Theologie, Philosophie und Politikwissenschaft studiert. Sie ist Referentin für Sozial- und Arbeitsmarktpolitik im Caritasverband für die Diözese Limburg.
Nachdruck (gekürzt) mit freundlicher Genehmigung von feinschwarz.net – Vollständiges Interview vom 7. Sept. 2020 zugänglich unter www.feinschwarz.net/diskriminierung-als-teil-der-stadtarchitektur-ein-interview-mit-martin-binder/
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