Alle Ausgaben / 2004 Artikel von Ilona Helena Eisner

Ich bete für dich!

Nachdenken über eine heikle Form des Gebets

Von Ilona Helena Eisner

„Ich bete für dich!“ Dieser Satz löst bei mir unterschiedlichste Assoziationen und Erinnerungen aus. Sicher geht es der einen oder anderen Leserin ebenso. Da ist zunächst das Gefühl von Eingebunden sein. Ich gehöre zu einer Gemeinschaft und andere Menschen denken an mich, ja beten für mich. Ich kann mich glücklich schätzen, in der Welt nicht allein zu sein.

Doch Halt – was beten die anderen eigentlich für mich? Kennen sie mein Leben, meine Vorstellungen und Träume so gut, dass sie für mich beten können? Wissen sie, was ich gerade brauche, welche Fürsprache, welche Art der Zuwendung? Schließen sie mich mit ihren Vorstellungen in ihr Gebet ein? Das wäre möglicherweise verletzend, eine Anmaßung und ein Übergriff auf meine Persönlichkeit. Beten sie für mich, um mich unmündig zu machen, ihr eigenes Helfersyndrom auszuleben? Schließen sie mich in ihre Fürbitte ein, um kein schlechtes Gewissen zu haben? „Ich habe wenigstens für dich gebetet, wenn ich dir sonst auch nicht helfen kann!“ Aber dann passiert es auch hin und wieder, dass ein mir vertrauter Mensch sagt: „Mach dir keine Gedanken, ich bete für dich mit. Mein Gebet wird heute für uns beide reichen.“
Dies und vieles mehr ging mir bei dem Satz: „Ich bete für dich!“ durch den Kopf. Nun wollte ich es ein bisschen genauer wissen, was es mit dem Beten auf sich hat.

Im Brockhaus finde ich zwischen Geber und Gebetbuch Folgendes:

Gebet: (ahd. gibet „Bitte“), die den ganzen Menschen fordernde Weise, mit der Gottheit in Verbindung zu treten. Die Struktur der Gottesbeziehung bestimmt die Gebetsarten: 1) Auf einem personalen Verhältnis zu Gott beruht das von Worten und oft Gebärden begleitete äußere Gebet (Lobpreisung, Bitt-, Buß-, Dank-, aber auch Fluch–Gebet). Es schließt einerseits den als Person vorgestellten Gott, andererseits das Ich des Betenden, sein Wollen, seinen Verstand, seine Vorstellungen und Bilder von Gott ein. 2) Die Beziehung zur eigenen Mitte (und auf diesem Wege zu Gott) sucht dagegen das innere Gebet auf meditativer Grundlage … Es sucht in „passivem, liebendem Empfangen“ das Ich und seine Fähigkeiten auszuschalten … und „bilderfrei“ zur „göttlichen Vereinigung“ zu gelangen.
Kurz und knapp wird hier zwischen äußerem und innerem Gebet unterschieden. Die Herkunft vom althochdeutschen Wort gibet, Bitte, ist demnach der Hinweis auf die Möglichkeit, eine Verbindung mit Gott durch Worte und Gebärden herzustellen oder über  en Weg der eigenen Mitte. Das ist nicht neu und uns praktizierenden Christinnen wohl bekannt.

Das Bibellexikon, wie sollte es anders sein, geht da wesentlich ausführlicher ans Werk:

Das Gebet ist die persönliche Verbindung des Menschen mit Gott. Glaube und Gebet gehören zusammen; wer nicht glaubt, betet nicht. Die Art des Betens entspricht der des Glaubens.
Oh, bei der Unterschiedlichkeit der Glaubensvorstellungen, die auch die Menschen in meinem Umfeld haben, ist mir doch etwas unwohl, wenn ich daran denke, dass einige von denen für mich beten. Ihre Vorstellungen von Gott sind so ganz anders als meine. Ich kann diese Menschen gut in ihrem Glauben lassen. Aber will ich, dass sie für mich beten? Erinnere ich mich doch noch zu gut an die Gebete für mich nach meiner Trennung, die meine Ehe retten wollten. Dabei hatte ich mir diese Entscheidung wahrlich nicht leicht gemacht und wollte nun mein Leben als allein erziehende Mutter in den Griff kriegen. Warum hat eigentlich niemand dafür gebetet, dass mir das gelingt? Auch die Unterschiedlichkeit von Moralvorstellungen und Lebensentwürfen prägt wohl die Gebete der Menschen für sich und andere.

Gott will von uns gebeten sein. Das Gebet ist Antwort auf Gottes Wort. Gottes Größe zeigt sich darin, dass alles Fleisch zu ihm kommt, … dass ihn anrufen darf, wer in Not ist.
Dass das Gebet Antwort auf das Wort Gottes ist, habe ich so noch nicht bedacht, aber es ist logisch. Die Bibel ist die Grundlage unseres Wissens von Gott. Und oft wird sie als Wort Gottes vorgestellt. Ich habe gelernt, dass die Bibel eine Aneinanderreihung von menschlichen Bekenntnissen und Glaubenserfahrungen ist. Woher nehmen wir die Zuversicht, wirklich das Wort Gottes zu kennen? Auch die finden wir wohl in der Bibel. Im Psalm 27,8 heißt es: „Mein Herz hält dir vor dein Wort.“ Mit dem Herzen Gottes Wort hören. Dieser Gedanke gefällt mir. Da kann mich so mancher (Bibel-)Text berühren und mein Gebet ist eine Antwort. Doch wie ist das mit den Herzen der anderen? Dazu fällt mir Saint Exupery ein: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Vielleicht müsste ich mir die Menschen, die sagen, sie beten für mich, mit dem Herzen etwas genauer ansehen, um sicher zu sein, dass ihr Gebet mir nicht schadet. Und was heißt in Not sein? Gott darf anrufen, wer in Not ist. Sind Menschen  in Not, weil ich mich anders entscheide, als es – wie sie meinen – gut für mich wäre? Vielleicht sollte hier doch jede Beterin und jeder Beter bei sich bleiben. Was uns ja nicht hindert, für die Notleidenden um Gnade zu bitten.

Die Abhängigkeit (der Menschen) von Gott treibt zum Bitten. Darum kann der Mensch nicht fordern und ist das Gebet nicht dazu da, um über Gott die eigenen Wünsche durchzusetzen.
Hinsichtlich der unbekannten Fürsprecherinnen beruhigt mich dieser Satz: Der Mensch kann seinen eigenen Willen nicht über Gott setzen. Gott weiß schon, was zu tun ist.

Gott erlaubt uns auch, in der Fürbitte für andere einzutreten. Das ist darin begründet, dass Gott uns mit ihnen durch natürliche oder geschichtliche, vor allem geistliche Beziehungen verbindet und diese auch vor ihm gelten. … Das Gebetsleben der Bibel ist voll von Fürbitte.
Gerade Jesus übte diese Fürbitte aus. Er bat für seine Jünger, für die Gemeinde, sogar für seine Feinde. Und weil er der Sohn Gottes, der von Gott Gesandte ist, zweifelt auch niemand an seiner Berechtigung zum Fürsprecher. Das griechische Wort dafür ist „Paraklet“. Das verblüfft mich, kenne ich es doch bisher nur im Zusammenhang mit Heiligem Geist oder Weisheit. Ist Fürsprache eine Sache des Heiligen Geistes, ohne das Mittun des Geistes nicht möglich? Ist der Heilige Geist der Fürsprecher an sich? Dann bräuchte es die Gebete anderer für mich nicht mehr! Aber das ist mir zu einfach. Menschen kennen und nutzen die Sprache und werden immer mit- und füreinander reden und beten. Da möchte ich aber doch, dass der Geist mit seiner Weisheit bei der Fürsprache für mich wenigstens beteiligt ist.

Weil Gott dem Menschen Zeit zur Umkehr lässt, erhält er auch dem Gottlosen die Lebensbedingungen.
Schon wieder etwas von der Abhängigkeit der Menschen von Gott. Hier wird es deutlicher. Zu unseren Lebensbedingungen gehören: Nahrung, Wärme, Liebe, ein Zuhause. Die Leben spendende Kraft liegt bei Gott, der weißen Schöpferin, die weiß, was wir nötig haben. Ohne diese Kraft sähe es wohl trüb aus auf unserem Planeten. Und: Wir sind abhängig von ihr. Auch wenn wir vielleicht häufiger für den Seelenfrieden anderer als für die Erneuerung und Erhaltung dieser Kraft beten, ist Gott großzügig mit den Menschen. Die Lebensbedingungen werden auch dem erhalten, der nicht mehr betet oder beten kann oder es nie gelernt hat. Als Frau mit einer Ost–Vergangenheit ist mir noch gut in Erinnerung, dass Kirche eine Nische war. Sind diejenigen gottlos, die von Geburt an gehindert wurden, mit Glaube in Berührung zu kommen? Wer darf sich darüber ein Urteil erlauben oder sich anmaßen, um mehr Glauben für diese Menschen zu bitten? Wer ist hier eigentlich gottlos?

Die Verheißung für das Gebet ist uneingeschränkt, nicht von Erfüllung von Bedingungen abhängig; sonst könnten wir Gott zwingen oder müssten verzagen; man darf nicht sagen: Du hast nicht recht geglaubt, sonst wäre deine Bitte erfüllt. Jede Erhörung ist freie Gnade.
Noch so ein heikles Thema. Wie oft hörte ich schon: „Du hast nicht richtig geglaubt, sonst wäre dir das nicht passiert, sonst hätte Gott dich beschützt.“ Was ist rechter Glaube? Hat uns nicht Luther gelehrt, dass wir für unser Seelenheil nicht zahlen müssen, sondern dass Gott uns aus reiner Gnade liebt? Warum nur verschaffen uns Sätze wie „Ich bete für dich“ ein so ungutes Gefühl? Haben wir selbst ein Problem mit uns? Könnte die Sicht der anderen auf uns nicht genau unsere Schwachpunkte offen legen? Das, was wir an uns selbst nicht annehmen können? Diese Gedanken erinnern mich sehr an die Rechtfertigungslehre Luthers, die wir aber bis heute nicht richtig angenommen haben. Auch die feministische Rechtfertigungslehre von Elisabeth Moltmann-Wendel „Ich bin gut, ich bin ganz, ich bin schön.“ wird nur zu oft belächelt. Und doch werden wir nicht darum herum kommen anzunehmen, dass wir allein durch unser Vertrauen auf die Gnade Gottes von Gott akzeptiert werden. Mit diesem Vertrauen dürfte mir die Ankündigung „Ich bete für dich“ nichts ausmachen – und ich könnte locker regieren: „Tu das!“

Weil Gottes Gedanken höher sind, ist oft auch die Erhörung anders da, als wir dachten.
Auch dieser Satz ist ein Trost. Gottes Gedanken sind höher und die Erhörung unserer Gedanken anders als wir meinen. „Gott sei Dank!“

Für die Arbeit in der Gruppe

Mit dem Thema „Ich bete für dich“ können die Teilnehmerinnen unterschiedlichste Erfahrungen und Erinnerungen verbinden. So ist es ratsam, am Anfang mit einer Methode zu arbeiten, bei der jede die Möglichkeit hat sich zu äußern.

Hinführung:

Möglichkeit 1: Die Methode „Das selbstgesteuerte Interview“ geht davon aus, dass die Teilnehmerinnen über ihre Fragen, Wünsche und Erfahrungen zum anstehenden Thema selbst am besten Bescheid wissen. Deshalb bitten Sie die Teilnehmerinnen, drei Fragen zu formulieren, die sie selbst gern in dieser Gruppe zum Thema beantworten möchten. Die Fragen sollen so formuliert werden, dass die Teilnehmerinnen sagen können, was ihnen im Blick auf das Thema wichtig ist, welche Erfahrungen sie damit gemacht haben und was sie der Gruppe mitteilen möchten.

Die Teilnehmerinnen schreiben ihre Fragen auf je einen Zettel. Dann sucht sich jede eine Partnerin. Die beiden tauschen die Zettel und interviewen sich gegenseitig mit ihren eigenen Fragen.

Anschließend sollte die Leiterin eine Gesprächsrunde mit folgenden Impulsen anbieten: Wie habe ich mich bei diesem Interview erlebt? Was hat es mir gebracht? Was habe ich zum Thema gehört? Welche Erinnerungen kamen mir und was lösten sie aus?

Möglichkeit 2: Die Frauen werden gebeten, sich in Kleingruppen (3-4 TN) zusammen zu finden; jede Gruppe erhält ein großes Blatt mit dem Satz: „Ich bete für dich.“ Die Frauen tauschen ihre Erfahrungen mit diesem Satz aus und notieren in Stichpunkten, was ihnen wichtig ist. Beim Austausch im Plenum werden die Erfahrungen in den Gruppen besonders hervorgehoben (evtl. stichwortartig auf einem Plakat festhalten); sie können in einem nächsten Schritt noch einmal gesondert betrachtet werden.

Vertiefung:

„Ich bete für dich“ ist die Ankündigung einer Fürbitte. In der Vertiefung kann die Gruppe sich nun mit verschiedenen Fürbittgebeten beschäftigen.
Die Bibel ist voll von solchen Gebeten. Bieten Sie verschiedene Texte an und lassen Sie die Teilnehmerinnen einen Text wählen. Ich schlage vor: 1. Mose 18,20-33 (Abrahams Fürbitte für Sodom, wo Lot wohnt); 2. Mose 17,8- 13 (Mose betet für die Israeliten im Kampf gegen die Amalekiter); Lk 22,32 (Jahreslosung 2005); Lk 23,33-34 (Jesu Bitte um Vergebung für seine Peiniger). Die Teilnehmerinnen können sich mit den Frauen, die den gleichen Text gewählt haben, über folgende Fragen auszutauschen: Wer betet für wen, um was und warum? Wissen wir, ob die Bitte erhört wurde?
Im Plenum werden die Ergebnisse vorgestellt.

Fürbitte heißt in diesen Texten: für andere beten, für ihr Seelenheil, ihr Leben, ihren Sieg, ihren Glauben. Für was beten wir, wenn wir Fürbitte halten? Um was beten andere für uns in ihrer Fürbitte?

Auseinandersetzung:

Drei große Plakate werden aufgehängt; auf jedem steht eine Frage: 1 Worum bitte ich, wenn ich für andere bete? 2 Was möchte ich, das andere für mich erbitten? 3 Was sollen andere nicht für mich erbitten?

Jede TN wird gebeten, ihre Antwort unter die Fragen zu schreiben. Geben Sie dafür genügend Zeit (evtl. Musik im Hintergrund)! Bitten Sie die Frauen, nicht miteinander zu sprechen, damit jede bei sich bleiben kann, und wieder Platz zu nehmen, wenn sie nichts (mehr) aufschreiben möchten. Anschließend kann jede Frau für sich die Antworten lesen oder die Plakate werden reihum vorgelesen. Auch hier bietet sich im Anschluss ein kurzes Gespräch über Erleben und Befindlichkeit der Teilnehmerinnen an.

Abschluss:

Lied: Wir strecken uns nach dir (EG Thür. und Bayern, 642); Meine engen Grenzen

Schlussgebet:

Gott, schenke uns
gesundes, behütetes Leben.
Gib gute Zeiten
und Tage mit klaren Zielen.
Wir bitten dich darum für uns
und alle, die du uns zu
unseren Nächsten gemacht hast.
Wir bitten dich um Augen,
die hellsichtig sind für Zeichen der Not,
für Winke zum Helfen;
um offene Ohren,
die uns auch die halblauten Bitten
anderer hören lassen.
Wir bitten dich um Fingerspitzengefühl
im Umgang mit anderen Menschen,
um ein gutes Gedächtnis für die Sorgen,
die uns jemand anvertraut hat,
und für die Dinge,
die wir zu tun versprochen haben.
Wir bitten dich um gute Nerven,
damit wir uns nicht um Kleinigkeiten
gegenseitig zerreiben,
denn du willst keine verärgerten Leute.
Wir bitten dich
um ein freundliches Gesicht
und um ein Lächeln,
das aus dem Herzen kommt,
denn andere sollen sich an uns freuen
können.
Du, Gott, bist uns zugetan,
wie eine Freundin, wie ein Freund.
Lass uns zu einer Freundin,
einem Freund für andere werden.
Amen. So sei es.
(Quelle unbekannt)

Literatur:
Die Bibel nach der Übersetzung von M. Luther, Deutsche Bibelgesellschaft
Calwer Bibellexikon, Calwer Verlag Stuttgart, 1989
Der Brockhaus in fünfzehn Bänden, F. A. Brockhaus GmbH, Leipzig Mannheim 1997

Ilona Helena Eisner, 38 Jahre, ist gelernte Buchhändlerin und ausgebildet als Gemeindepädagogin sowie als Spiel- und Theaterpädagogin. Sie arbeitet als Referentin im Frauenwerk der Ev.-luth. Kirche in Thüringen. Im Vorstand der EFHiD ist sie verantwortlich für die Publikationen.

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