Ausgabe 1 / 2011 Andacht von Gisela Egler-Köksal

Ich bin wunderbar geschaffen

Andacht zu Psalm 139,14

Von Gisela Egler-Köksal


Votum:
Im Namen Gottes
sind wir zusammen:
Denn so verschieden, wie wir sind,
sind wir hier und fragen nach Gott.
Wir erinnern uns gemeinsam
an das Beispiel,
das Jesus uns gegeben hat.
Und wir vertrauen darauf,
dass Gottes Geist unter uns wirkt,
heute und in alle Ewigkeit.

Psalm 139,13-18
13  Ja, du hast meine Nieren gebildet,
hast mich gewebt im Leib meiner Mutter.
14  Ich danke dir, dass ich auf erstaunliche Weise wunderbar geschaffen bin.
Wunder sind deine Taten, meine Lebenskraft weiß darum.
15  Meine Knochen waren nicht vor dir verborgen, als ich im Verborgenen gemacht wurde,
als ich gebildet wurde in den Tiefen der Erde.
16  Noch unfertig erblickten mich
deine Augen.
In dein Buch waren sie alle geschrieben,
die Tage, die schon vorgebildet waren,
als noch nicht einer von ihnen war.
17  Wie kostbar sind mir deine Gedanken, Gott,
wie unermesslich ihre Summe!
18  Wollte ich sie zählen, sie wären mehr als der Sand.
Ich erwache und bin immer noch bei dir.

Lassen Sie uns in den Dank des Psalmbeters einstimmen und ein Loblied singen, denn Gott hat uns auf erstaunliche Weise wunderbar geschaffen.(1)

Du meine Seele singe,
wohlauf und singe schön
der, welcher alle Dinge
zu Dienst und Willen stehn.
Ich will die Weisheit droben
hier preisen auf der Erd,
ich will sie herzlich loben,
solang ich leben wird.
Ja, ich bin nicht zu wenig,
zu rühmen ihren Ruhm.
In ihrem großen Garten
bin ich ein blühend' Blum,
bin Spiegelbild und Schatten
der einen großen Kraft,
die durch mich lebt und atmet
und neues Leben schafft.

Du meine Seele singe – so haben wir es eben gesungen.

Seele – Was verbinden wir damit? Stellen wir uns dabei einen Gegensatz zwischen unserem sterblichen Körper und der unsterblichen Seele vor? Sehen wir die Seele als Gegensatz zu unserem oft leidgeplagten Körper, abgetrennt vom ihm?

Seele – in der hebräischen Sprache nefesch: Hier sind Körper, Denken und Fühlen miteinander verbunden. Im Körper ist nefesch in der Kehle verortet. Wie hängt das, was wir unter Seele verstehen, mit der Kehle zusammen?

Nefesch ist der durch die Kehle aus- und eingehender Atem, mit dem der erschaffende Gott alles belebt. 1. Mose 2,7: Gott gestaltete den Menschen aus Staub vom Ackerboden und blies in seine Nase Lebensatem, so wurde der Mensch eine lebendige nefesch – also eine lebendige Kehle, eine lebendige Seele.

Durch die Kehle fließt die Lebenskraft und der Lebensatem – dies wird bei nefesch immer mitgedacht, denn sie sind untrennbar miteinander verbunden. Die Kehle hat Hunger und Durst (Mi 7,1). Sie kann singen und so Gott segnen (Ps 104,1.35). Im biblischen Menschenbild verkörpert sie das Zentrum der Vitalität und Lebenskraft. „Sie kann schmerzen, frohlocken, hingerafft oder aus Todeszuständen errettet werden, sie lechzt nach der Nähe Gottes und wird am Ende nur bei Gott ganz ruhig“.(2)

Wenn wir also das Wort „Seele“ in den Psalmen lesen, hören wir dabei zugleich Kehle, Lebenskraft und Lebensatem mit.

Ich danke dir, dass ich auf erstaunliche Weise wunderbar geschaffen bin.
Wunder sind deine Taten, meine Lebenskraft – meine Seele, meine Kehle – weiß darum.

Die Kehle – Schauen wir sie uns genauer an. Fühlen wir, wo sie ist. Wer mag, kann sich an den Hals fassen und spüren, wie es sich anfühlt, wenn wir ein- und ausatmen. Die Luft fließt durch unsere Kehle.

Die Kehle – Alle Ängste, Sehnsüchte, Freuden, alles Lachen gehen durch sie hindurch. Wenn sie zugeschnürt ist, ist das Ausdruck von Angst und Bedrängnis. Wenn sie offen ist, können wir befreit ein- und ausatmen.

Durch die Kehle geht alles: die Luft, das Wasser, die Nahrung, auch Sprache und Töne. Kurz: was in den Menschen hineingeht und was aus ihm herauskommt. Durch die Kehle geht alles, was wir zum Leben brauchen: Luft zum Atmen, Wasser zum Trinken, Nahrung zum Essen. Wir brauchen Worte, Liebe und Begegnungen – unsere Kehle spiegelt uns, ob all das uns hilft, also der Atem frei durchgehen kann, oder ob dies uns zuschnürt.

Die Kehle – Sie zeigt uns unser Eingebundensein als Geschöpf, das atmet.
Als Mitmensch, der Bedürfnisse hat, die er oder sie nicht alleine stillen kann. Nefesch ist das Symbol des bedürftigen Menschen:
von Anfang an in Beziehung geschaffen zu Gott, der Lebensatem in des Menschen Nase bläst;
von Anfang an in Beziehung geschaffen zu den Mitmenschen.

Wir hängen in verschiedener Weise und unterschiedlichem Maße voneinander ab. Das Neugeborene ist darauf angewiesen, dass es umsorgt wird, um überhaupt leben zu können. Das gilt in einem anderen Maße auch für Erwachsene. Auch sie sind angewiesen darauf, dass andere Menschen für sie sorgen, vieles bezahlt oder unbezahlt für sie tun. Für alle gilt: Abhängigkeit gehört, wie Geburt und Tod, unausweichlich zum Menschsein.

Wunder sind deine Taten, meine Lebenskraft weiß darum.

Als von Gott Geschaffene sind wir wunderbar – das Leben aus dieser Verbundenheit, aus dieser Geborgenheit heraus ist das Entscheidende.

Meine Seele, meine Lebenskraft, weiß von den wunderbaren Taten Gottes. Meine Bedürftigkeit, meine Abhängigkeit, mein Ich weiß von dem, was Gott getan hat.

Hier sind wir „heil“, hier sind wir ganz, hier sehen wir uns als gesegnet an, darum:

Ich danke dir, dass ich auf so erstaunliche Weise wunderbar geschaffen bin.

Auf die Frage: Wer bin ich? folgt die Antwort: Du. „Du hast mich wunderbar geschaffen.“ Das „Ich“ bleibt nicht bei sich, um diese Frage zu beantworten. Das „Ich“ kreist nicht um sich selbst – nicht um die Selbstbehauptung, nicht um den Vergleich mit anderen, nicht um die eigenen Stärken und Schwächen. Es rechnet nicht Fähigkeiten und Unzulänglichkeiten miteinander auf.

Ich danke dir, dass ich auf erstaunliche Weise wunderbar geschaffen bin.
Wunder sind deine Taten, meine Lebenskraft weiß darum.

Es ist das dankbare Staunen, als ein wunderbarer Mensch geschaffen zu sein. Mir dabei selbst auf die Spur zu kommen, indem ich mein Leben als verdanktes wahrnehme.


Jürgen Knop (1937-2008) hat dies eindrücklich zum Ausdruck gebracht. Er schrieb Bücher und hielt Andachten im Norddeutschen Rundfunk. Seit seiner Geburt war er spastisch gelähmt. Er schrieb:

„Die Menschen nennen mich behindert,
und sie haben recht, das bin ich auch.
Die Menschen nennen mein Leben kostspielig,
und sie haben recht, das ist es auch.
Die Menschen nennen mich unproduktiv,
und sie haben recht, das bin ich auch.
Nur Gott nennt mich seine gute Schöpfung,
und ER hat recht, das bin ich auch.

Draußen auf der Straße spüre ich die Hilflosigkeit der Menschen, die mir begegnen. Mein dauerndes Zappeln auf Grund der spastischen Lähmung ist ihnen fremd und macht sie unsicher. Da ist zum Beispiel der Verkäufer, der mich trotz meines fortgeschrittenen Alters mit ‚Du' anspricht. Oder die alte Dame, die mir ein Bonbon in den Mund steckt und mir die Wangen streichelt.

Ich wünsche mir, dass wir einander so sehen, wie Gott uns sieht: Denn ER kennt weder Nichtbehinderte noch Behinderte, sondern nur Menschen, angetan mit dem Mantel seiner unverletzlichen Würde.“

Gebet:
Ich danke dir Gott, dass ich so wunderbar gemacht bin.
Oft kommt uns das gar nicht in den Sinn.
Jetzt wollen wir es annehmen und uns freuen an uns selbst.
Wir danken dir, dass du uns den Dank geschenkt hast.
Wir danken dir, dass wir so, wie wir sind, zu dir kommen dürfen:
mit allem, was uns bewegt, ärgert, freut, traurig macht.
Wir kommen mit unseren Schmerzen, Verlusten, Einschränkungen und Behinderungen.
Wir kommen zu dir mit unseren Hoffnungen und unseren Träumen.
Wir danken dir für alle Begabungen.
Bitte hilf uns, dass wir sie gebrauchen.
Guter Gott, du hast uns und unsere Welt wunderbar geschaffen.
So, wie wir sind, liebst du uns.
Zu dir kommen wir mit unserer Sehnsucht nach Anerkennung und Annahme.
Hilf uns, einander mit Achtung und Verständnis zu begegnen.
Gott, wir danken dir, dass du uns wunderbar geschaffen hast.
Amen

Gemeinsam beten wir:
Vater unser …

Segen
Gott, segne die Zeit,
die wir miteinander verbringen,
segne unsere Gemeinschaft und unsere Gespräche.
Gott segne und behüte uns und sei du bei uns.
Gott, der du uns wunderbar geschaffen hast,
lege du uns den Mantel deiner unverletzlichen Würde an,
schenke uns ein tiefes Gefühl
von Geborgenheit in dir.
Gib uns Frieden.
Amen

Lied: Bewahre uns Gott (EG 171)


Gisela Egler-Köksal, Jg. 1960, ist Pfarrerin in Frankfurt am Main und Mitglied im Redaktionsbeirat ahzw.


Anmerkungen
1
Text: Esther Schmid nach Paul Gerhardt; Melodie: EG 302
2 Schroer/Staubli, S. 49


Zum Weiterlesen
Silvia Schroer, Thomas Staubli: Die Körpersymbolik der Bibel, Gütersloh 2005
Magdalene L. Frettlöh: Wer ich bin, entscheidet sich daran, zu wem ich gehöre.
Predigt zu Psalm 139, in: Junge Kirche 02/2006, S. 66-69
Jürgen Knop: Ich lebe gern. Bekenntnisse eines Menschen mit einer schweren Behinderung, hg. von Jan von Lingen, 2009

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