Alle Ausgaben / 2016 Andacht von Margarete Pauschert

ich kann ändern leben

Andacht zur Jahreslosung 2017

Von Margarete Pauschert

Das neue Jahr beginnt: Um Mitternacht schließt sich die Tür und öffnet sich zugleich: Januar, der Monat mit zwei Gesichtern: Erinnerung und Zu­kunftsträume gehen ineinander über.

Gebet
So versammeln wir uns im Namen der Lebendigen und gehen auseinander mit dem Segen der Ewigen.
Wir verbinden uns mit der Geistkraft, die uns im Alltag Schutz und Schirm gibt
und lösen uns voneinander in der Gewissheit, dass wir uns wiederfinden.

Wo war ich im vergangenen Jahr und wo bin ich jetzt, dieser Gedanke begleitet uns – und wir wünschen uns:
Es soll sein – Frieden und Gemeinschaft und Verständigung und Versöhnung …

Lied: Sister carry on, sister carry on …

„Die Lebendige spricht, ich will euch ein neues Herz geben und euer Inneres mit neuer Geistkraft erfüllen.“ Ez 36,26

Mit diesen Worten kommen sie auf uns zu – alle beide – mein Inneres und das, was von außen kommt. Mein Herz wird mit allem, was es ausmacht – Güte und Bosheit, Intelligenz und Dummheit, Mut und Feigheit – der Geistkraft begegnen, davon ist Ezechiel überzeugt und wie soll das aussehen, wenn mein „alte­s“ Herz (so bin ich und so bleibe ich …) der „neuen“ Geistkraft begegnet?

Einladung, eine Geste (wortlos) mitzuvollziehen: Hand aufs Herz

Wir legen die Hand auf unser Herz und bedenken unsere Möglichkeiten. Unser Herz, mit uns gewachsen von Anfang an und in jedem Augenblick unseres Lebens der Uhrzeiger unserer Existenz; bleibt er stehen, ist unser Leben zu Ende. Unser Herz schlägt den Takt zu unserem Verhalten. Es begleitet uns in den gewohnten Alltagssituationen genauso wie in den schönsten Momenten unseres Lebens. Unser Herz schlägt im Mutterleib vor unserer Geburt und erst mit dem letzten Atemzug endet auch der Herzschlag. Das war doch immer so, was soll denn da „neu“ werden?

Im Juni fand ich auf einer Plakatwand am Jakobsweg die Worte „du musst ändern leben“.
Ich blieb stehen und musste mir den Satz mehrmals vorsprechen, bis ich den Unterschied begriffen hatte zu dem Satz, der mir geläufig war: „du musst dein Leben ändern“. Tatsächlich bin ich erleichtert weiter gegangen. – „du musst ändern leben“ – klingt so viel ­freier und ermuntert, wieder und wieder etwas Neues zu wagen. So gesagt bin ich nicht darauf festgelegt, an einer einmal eingeschlagenen Lebenszielrichtung festzuhalten, für die ich mich vielleicht unter ganz anderen Umständen entschieden hatte. Und vorsichtig probierte ich den nächsten Satz aus – du kannst dein Ändern leben, und das klang noch viel schöner.

Hand aufs Herz – wann haben wir uns zuletzt für etwas wirklich Neues entschieden? Für eine andere Einstellung zum Leben, z.B. Zutrauen statt Misstrauen, Güte statt Bosheit, ach – und Liebe statt Verachtung? Erinnern wir diesen Augenblick, als uns das Herz bis zum Hals geschlagen hat, weil uns so radikal neue Gedanken gekommen sind?
Mein Herz schlägt bis zum Hals.

Einladung, eine Geste (wortlos) mitzuvollziehen: den Herzschlag in die Hand klopfen

Doch das Herz zögert, der Geistkraft zu begegnen, diesem Neuen, was mir Angst macht und mich herausreißen will aus dem Gewohnten, dort hatte ich mich so schön eingerichtet – und nun kommt es ganz anders. Alles was ich eingeübt hatte, um Kränkungen und Schmerzen zu vermeiden, alle angelernten Widerstände sind kraftlos geworden, meine Abwehr versagt. Die Geistkraft lässt meine schönen Worte verstummen, diesem Ansturm gegenüber fühle ich mich wehrlos, verwundet und ausgesetzt – so wie – „ausgesetzt auf den Bergen des Herzens“1 und wirklich auf einem Gipfel gibt es kein Versteck. Schon die geringste Erhebung ist weithin sichtbar – und – wir glauben, dass ein Mensch auf einem Berg Gott, der Lebendigen, nahe ist. Gott schenkt die „neuen“ Anweisungen zum Leben auf dem Berg Sinai2, nachdem alle „alten“ Gewissheiten wertlos geworden sind. Und wie geht es mit uns und diesem neuen Anspruch weiter: Zutrauen statt Misstrauen, Güte statt Bosheit, Liebe statt Verachtung – allein, auf uns selbst gestellt „ausgesetzt auf den Bergen des Herzens“ … Will ich, dass es so weitergeht wie immer (ich will mein vertrautes Umfeld nicht verlassen, ich kann meine Gewohnheiten nicht aufgeben …) – oder kann ich ändern leben?
Kann ich die Menschen in meiner Umgebung „neu“ ansehen kann ich aufhören sie einzuteilen in Alteingesessene und Zugereiste, Einheimische und Flüchtlinge?

Ezechiel spricht aus, was die Lebendige sagt „ich will euch ein neues Herz geben und euer Inneres mit neuer Geistkraft erfüllen.“
Die neue Geistkraft ist stark genug unser Inneres „neu“ zu füllen?

In unserer Mitte, im Herzraum treffen sie aufeinander – mein „altes“ Herz und die „neue“ Geistkraft. Sie begegnen einander, starke Kräfte werden frei gesetzt, und die Begegnung verwandelt sich in Bewegung.

Lied: „Danos un corazon, grande para amar, danos un corazon, fuerte para luchar …)3

In diesem „neuen“ Inneren trifft die Zeit der Erinnerungen (wie alles gekommen ist) auf den Raum, in dem sich Visionen entwickeln. Aus diesem „neuen“ Herz kommt die „neue“ Sprache, die Worte findet für echte Probleme von Einheimischen und Zugereisten, für die echte Not der Flüchtlinge und für unsere eigenen echten Probleme.

Der neue Wein sprengt die alten Schläuche4, die neue Geistkraft schwemmt die alten Gewohnheiten aus, treibt die Mühlen der Visionen5 an, lässt das Wasser des Mitgefühls steigen und macht das Herz mutig, das Zittern und Beben vor diesem Ansturm des Neuen auszuhalten. Geistkraft erfüllt mein Inneres und die Angst vor der Veränderung weicht der Sehnsucht nach dem Neuen. Die neue Geistkraft bringt das Herz in Bewegung. ich kann ändern leben.

Gebet und Segen
Du, Lebendige,
du Gott unserer zahlreichen
Verständnisse
in diesem Leben kommen wir an und reisen wieder ab
auf deiner Erde sind wir unterwegs,
auf deine Geistkraft sind wir
angewiesen
während wir reisen von gestern nach morgen und Atem holen für heute.

Du, Atem und Ausdauer, Wasser des Lebens und Kraft am Berg, wenn wir unterwegs sind –
wenn wir Heimweh haben, tröstest du uns –
wenn wir nach Hause kommen
möchten, zündest du ein Licht an –
so finden wir den Weg
allein oder gemeinsam, vielleicht sogar mit Einheimischen und Fremden.
Du, Lebendige, Ewige, mit dir leben wir unser Ändern
Dank sei dir.

Amen

Margarete Pauschert, geb. 1941, war Gemeindepfarrerin in Berlin Kreuzberg und Moabit, an sog. „sozialen Brennpunkten“. Ihre Schwerpunkte waren die Ausbildung von Vikarinnen, Rundfunkandachten sowie Gottesdienste im Rundfunk und Fernsehen. Seit 2000 ist sie im Ruhestand und leitet das Tagungshaus Laase an der Elbe zusammen mit Pfarrerin Leony Renk.

Anmerkungen
1) Rainer Maria Rilke, Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens, it98, 1980,4. Aufl., S.89.
2) 2.Mose 20.
3) Gib uns ein Herz, um großzügig zu lieben, gib uns ein Herz, stark genug um zu kämpfen. (Brasilien)
4) Matthäus 9,17.
5) Mühlenaltar im Münster von Bad Doberan.

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