Alle Ausgaben / 2004 Artikel von Gisela Matthiae

Ich mach’ mich doch nicht zur Clownin!

Oder vielleicht doch?

Von Gisela Matthiae

(Auszug)

Clowninnen sind Grenzwesen schlechthin, weder eindeutig männlich noch weiblich, weder nur jung noch nur alt. Sie verkörpern meist das Andere, das Ausgeschlossene in Gesellschaften, die verdrängten und ungeliebten Seiten. Daher ist ihr Blick auf die Verhältnisse immer schon ein kritischer, der die Machenschaften durchschaut und sie spielerisch unterläuft. Clowninnen sind keine sarkastischen Figuren, ihr Handeln ist vielmehr von Liebe für die Welt und ihre Menschen geprägt. Es ist immer so, als würde die Clownin sagen: „Seht, so geht es zu, aber so muss es nicht bleiben, es ist auch alles ganz anders möglich!“ Insofern sind Clowninnen auch Verkörperungen von Hoffnung, sie halten unseren Möglichkeitssinn wach. Kein Wunder, dass sie dabei auch schnell an Grenzen stoßen können. Denn wer will schon wirkliche Veränderung? Nur, wenn es einem richtig schlecht geht, ansonsten erscheint sie zu unsicher, das Vertraute handhabbarer.

Hanna, die Waschfrau

Die Schweizer Clownin Gardi Hutter hat eine ganz wunderbare Figur entwickelt: Hanna, die so gerne einmal Johanna von Orléans wäre! Mal eine richtige Heldin sein, das wäre was. Aber Hanna ist nur eine einfache Waschfrau, ganz furchtbar dick, noch recht jung, aber sicherlich keine Heldin. Ganz im Gegenteil: Frühmorgens nähert sie sich ihrem riesigen Wäscheberg, die Füße einwärts gedreht schlurft sie „zum Waschtrog, graust sich vor dem Wasser, steckt zaghaft einen Finger hinein, schleudert das Wasser ab, betupft sich mit der Fingerspitze erst das eine, dann das andere Augenlid – eine Katzenwäsche ist dagegen ein Vollbad.“ Dann nimmt sie das Buch, lässt sich schwer seufzend auf ihrem Wäscheberg nieder und beginnt zu blättern: „Jeanne d’Arc und andere große Heldinnen.“ „Sie liest mit allen Fasern ihres Körpers, ihre Füße zucken, Blicke über den Buchrand hinaus signalisieren Spannung, Angst, Erleichterung, Freude. Hanna steht auf, stellt sich in Positur, greift mit der Rechten an die linke Seite, zieht das imaginäre Schwert, beginnt zu fechten.“ Und wendet sich schließlich seufzend wieder ihrer Wäsche zu. Im Nu wechselt hier die Szenerie von Waschküche zu Schlachtfeld, allein durch die Art der Darstellung, völlig ohne Worte und fast ohne Requisiten.

Was sind denn Ihre Wünsche und Sehnsüchte? Im alltäglichen „Dasein-für-Andere“ geraten die eigenen Phantasien oft völlig aus dem Sinn. Nur beim Bügeln oder bei einem schönen Film tauchen sie vielleicht wieder auf. Aber sie wollen nicht verdrängt werden, zu sehr spricht aus ihnen Lebendigkeit, Hoffnung und Kreativität. Sehnsüchte können ungeheure Kräfte mobilisieren, wenn wir sie lassen.

Anregung: Führen Sie ein Tagebuch für ihre persönlichen Visionen. Vielleicht merken Sie bald, dass der Alltag weniger festgezimmert ist, als er erscheint. Veränderungen sind an vielen Stellen möglich, die anderen warten vielleicht schon darauf.
Das Treffen mit anderen Frauen kann der richtige Ort sein, sich über solche Visionen auszutauschen. Frauen können dazu – wie Hanna – ein Buch mitbringen, einen Gegenstand, ein Photo oder gleich Kostüme, um in eine Rolle zu schlüpfen und Dinge zu tun, die sie immer schon einmal tun wollten. Das kann sehr spaßig und lustvoll sein, wenn dieses „typisch weibliche“ Wenn-es-nur-nach-mir-ginge-aber… mal außen vor gelassen wird.

Hannas Spiel ist alles andere als von hehren Idealen geprägt. Es ist ein Spiel des Scheiterns, wie meist bei der Clownerie. Ist sie deshalb eher schlecht und gerade für Frauen abzulehnen, wo wir doch auch endlich erfolgreich sein sollen? Trotz aller Bemühungen, eine Heldin zu werden, bleibt sie doch Hanna, die Waschfrau, und erleidet allerlei Widriges: Sie fällt kopfüber in den Waschzuber, den Allerwertesten hochgereckt. Um sich zu befreien, tritt sie in eine Pfanne, versucht sich mit der Kelle herauszuhebeln, dann hämmert sie beide Füße mit der Kelle noch tiefer in den Zuber und steht endlich auf. Sie bekommt die Flecken nicht aus dem Kleid, bis sie schließlich zur Schere greift. Das nächste Kleid, das sie aus dem Zuber zieht, ist bereits mit dieser Methode behandelt: es besteht fast nur noch aus Löchern. Die Wäscheleine hängt zu hoch, und als Hanna sie unter das Kinn klemmt, um die Socken festzustecken, erhängt sie sich beinahe. Aber schließlich ist auch das egal und sie balanciert auf dem Seil. Lauter kleine Siege, aber im Grunde doch das große Scheitern. Das Stück endet mit ihr im Waschtrog, ertrunken. Wenn sie da wieder raussteigt, hat sie Flügelchen auf ihrem Rücken, das Schwert, umgekehrt aufgestellt, ist zu ihrem Grabkreuz geworden…

Das alles sieht so lustig aus, dass man einfach lachen muss. Erst hinterher merkt man, dass es gar nicht so lustig ist. Es ist die Fähigkeit der Clowns, aus Tragik Komik zu machen, blinzelnd über die Wirklichkeit zu stolpern. Der eigene Schmerz wird zum Gelächter des Publikums – bis es merkt, dass es soeben über den eigenen Schmerz gelacht hat. Und das ist der Beginn einer Verwandlung: Dieser eigene Schmerz hat auch seine Berechtigung. Die eigenen Hässlichkeiten gehören ebenso dazu wie die Sehnsüchte und alles Unerfüllte. Da kann vieles nicht gelebt werden in unserem Leben. So manche Sehnsucht findet keinen Ort. Vieles scheitert daran, dass man dies oder das nicht tut, andere Pflichten hat, ein anderes Image zu zeigen hat, nur unter bestimmten Bedingungen Aussicht auf Erfolg. Clownerie zeigt uns die Welt des Faktischen, der Ordnungen und Regeln ebenso wie die verdrängten Seiten menschlicher Existenz. Aus dem dualistischen Gegenüber treten die Zwiespältigkeiten hervor: etwas ist nicht nur gut oder böse, lustig oder traurig, unterhaltsam oder nachdenklich, tot oder lebendig, sondern das eine genau so wie das andere. Das Verdrängte wird uns neu zur Verfügung gestellt, es wird wieder verhandelbar, produktiver Teil des Lebens.

Das macht das Subversive am Clownsspiel aus. Clowninnen lassen sich nicht festlegen auf herrschende Rollen- und Verhaltensmuster, eher spielen sie damit und entwickeln daraus eine Freiheit im Umgang mit diesen Mustern. Nicht das „wahre“, das authentische, das ideale Frausein wird dann gesucht, sondern das kreative Spiel mit dem gesellschaftlich Gegebenen. Frausein ist dann so etwas wie eine ständige (Neu-)Findung. Zu anstrengend? I wo, wenn erst einmal erkannt ist, wie einengend die schönsten Ideale wirken können.

Literatur: Susann und Hansueli W. Moser-Ehingern: Gardi Hutter. Die Clownin, Altstätten / München 1986, Seite 9

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