Über mein Lesbischsein zu schweigen hat nichts mit Scham oder dem Schweigen
über Sexualität zu tun. Denn Lesbischsein ist viel mehr als eine Frage der Sexualität. Als Lesbe zu leben prägt mein Handeln und Kommunizieren in dieser Gesellschaft. Tag für Tag, am Arbeitsplatz, im Privatleben und im Verband. Trotz der öffentlichen Thematisierung ist es heute in Deutschland nicht egal, ob eine lesbisch ist oder heterosexuell. Oute ich mich als Lesbe, werde ich mit Fantasien konfrontiert, die völlig unabhängig von meiner Person entstehen, zu plötzlichen Distanzierungen führen oder zu Infragestellungen meiner Motivation für Frauenrechte einzutreten. Offen lesbisch zu sein kann meine Karriere zerstören und mich meinen Arbeitsplatz kosten. Oute ich mich nicht explizit als Lesbe, wird grundsätzlich angenommen, ich sei heterosexuell. Dies ist oft die bessere der schlechten Lösungen, denn sie bietet den Schutz der „Normalität“. Zwar werde ich so mit meinen Kompetenzen und persönlichen Eigenheiten wahrgenommen und akzeptiert, aber dieser Schutz geht auf Kosten der Authentizität. Denn lesbisch bin ich trotzdem, und das ist nicht irgendein Teil von mir, sondern der Kern, um den alle Teile sich gruppieren. Trotzdem verschweige ich mein Lesbischsein häufig.
Die Gründe für dieses Schweigen sind vielfältig. Einen zentralen Grund will ich näher erläutern: Ist die Rede von Lesbischsein, so wird sogleich Sexualität assoziiert. Ungezügelte Sexualität und das Bestreben, auch andere zu Lesben zu machen. Viele Lesben haben die begründete Sorge, dass das Bekanntwerden ihrer Lebensweise ihnen beruflich schaden würde. Besonders ausgeprägt ist diese Sorge bei Lesben, die im pädagogischen Bereich tätig sind. Denn in der Arbeit mit Kindern fokussiert sich die Zweischneidigkeit der selbstverständlichen Annahme, es sei heute völlig problemlos, offen als Lesbe zu leben.
Lesben, die in sozialen und pädagogischen Berufen tätig sind, wird sexuelle Belästigung der Kinder und Jugendlichen unterstellt. Über die lesbische Lehrerin
existiert in vielen Köpfen die Vorstellung, sie verführe ihre Schülerinnen. Bitte weisen Sie diese Vorstellung nicht gleich ganz weit von sich. Auch im Deutschen Frauenrat sind solche Vorstellungen noch von unterschwelliger Bedeutung. Sie manifestieren sich in der Diskussion um das Adoptionsrecht für Lesben, wie es auf der Mitgliederversammlung im vergangenen Jahr zur Debatte stand. Warum sonst wird gegen das Adoptionsrecht mit dem Kindeswohl argumentiert? Warum entsteht beim Gedanken an ein Kinder erziehendes Lesbenpaar nicht prompt das Bild von einem durch zwei liebevoll sorgende Frauen gestalteten harmonischen Zuhause für ein Kind? Statt dessen gehen die Gedanken sehr schnell zu Fragen der Sexualität und zu der Annahme, das Aufwachsen bei einer Mutter, die Frauen liebt, müsse negative Einflüsse auf die männliche Identitätsentwicklung eines Jungen haben und Mädchen unter Druck setzen, selbst lesbisch zu werden. Forschungsergebnisse belegen, dass diese Befürchtungen unbegründet sind, sich aber als Vorurteile tradieren. Es kommt mir so vor, als würde es eher ernst genommen, wenn ich solche Forschungsergebnisse zitiere, solange ich nicht als Lesbe spreche. Sonst gelten meine Argumente plötzlich weniger und werden mir als Eigeninteresse ausgelegt.
Dieser Situation mag ich mich nicht ständig aussetzen. Ein Schutz davor ist das Verschweigen meines Lesbischseins.
Nachdruck in Auszügen mit freundlicher Genehmigung aus: FRAUENRAT 3/2003; Name und Adresse der Autorin sind der Redaktion bekannt.
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