Alle Ausgaben / 2012 Artikel von Angelika Kollacks

Ich schwinge, also bin ich

Heilende Klänge und Spiritualität

Von Angelika Kollacks

Weil ich in der Welt der Klänge zuhause bin, kann ich Menschen mit Musik erreichen. Und in meiner Arbeit als Musiktherapeutin erlebe ich die Wirkung, die Musik hat – manchmal geschieht dadurch Heilsames.

Von einer solchen Begebenheit erzählt auch die Bibel: „Die Geistkraft Gottes hatte sich aber von Saul zurückgezogen und eine zerstörerische Geistkraft von Gott überfiel ihn plötzlich. Da sagten die Leute Sauls zu ihm: ‚… soll doch unser Herr sagen: Sucht jemanden, der auf der Leier spielen kann! Dann wird es so sein: Wenn die zerstörerische Geistkraft Gottes dich überfällt, soll er spielen; das wird gut für dich sein.' Da sagte Saul zu seinen Leuten: ‚Seht euch doch für mich nach jemandem um, der gut spielen kann, und bringt ihn zu mir.' Einer seiner jungen Männer antwortete und sagte: ‚Sieh! Ich habe einen Sohn Isais aus Betlehem gesehen, der kann spielen, ein starker Soldat, ein Kriegsmann, klug mit Worten, ein schöner Mann, und Gott ist mit ihm.' Da schickte Saul Botschaft zu Isai und sagte: ‚Schick deinen Sohn David, der bei den Schafen ist, zu mir.' … Und so kam es: Wenn die Geistkraft Gottes über Saul kam, nahm David die Leier und spielte auf ihr. Das erleichterte Saul und es war gut für ihn: Die zerstörerische Geistkraft zog sich dann von ihm zurück.“ 1 Samuel 16,14-23 (BigS)

Was ist da passiert? David spielt auf einem Instrument, das hier als Leier bezeichnet wird: ein einfacher Holzkasten als Resonanzkörper, über den mehrere Därme als Saiten gespannt sind. Er spielt darauf und Sauls Zustand – wir würden ihn heute vermutlich als Depression bezeichnen – verbessert sich. Musik ist eine wichtige Hilfe, um die Schwermut zu vertreiben. Sie erfasst Menschen ganzheitlich, sie spricht Emotionen, Wahrnehmung, Phantasie und Ausdruckskraft an. Musik berührt Menschen in der Tiefe.

Oft wird Musik auch als „Gabe Gottes“ bezeichnet. Die biblische Erzählung spricht davon, dass die gute Geistkraft mehr Raum in Saul gewinnt und die böse zurückweicht. Martin Luther sagte in einer seiner Tischreden dazu: „Die Musik ist die beste Gottesgabe – und dem Satan sehr verhasst.“ Musik weckt also unsere positiven Kräfte und Energien und hilft uns dabei, uns an unsere Lebensquelle anzuschließen.

Klang-Körper

In der Begleitung von Frauen spiele ich oft während oder nach einer Therapiesitzung auf der Körpertambura, einem Saiteninstrument, das Töne spielt, die Menschen in Schwingung bringen können. Der sehr leicht gebaute Korpus ist mit einer körpergerecht konkav gewölbten Oberfläche ausgestattet und auf der Rückseite mit 7 x 4 Saiten in der Stimmung der indischen Tambura (A – d – d – D) bezogen. Durch behutsame Auflage in bestimmten Körperregionen (wie Rücken, Brust oder Becken) wird diesen intensiv Energie zugeführt. Beim Anstreichen der 28 Saiten durch die Therapeutin entstehen für die Bespielte eine feine Vibration und ein zart einhüllender Klangraum. Durchlässigkeit, Atmung und Körperwahrnehmung werden gefördert. Die Wirkung des zarten Klangs kann auf eine sehr sanfte Weise entspannend und stimulierend zugleich sein. Eine Klientin sagte mir: „Es ist wie bei Mechthild von Magdeburg, die das Fließen des Gotteslichtes erbittet: Jetzt habe ich es erlebt, ich spüre das Fließen des Gotteslichtes durch die Schwingungen, die vom Instrument auf meinen Körper übergehen!“ Sie hatte eine spirituelle Erfahrung gemacht.

Sr. Thekla Schönfeld, Lehrerin für Sonderpädagogik, hat in der Musiktherapie Kinder mit Behinderungen in eine Klangwiege gelegt. Sie erzählt: „Den Klang zu spüren und ihn mit ihrem ganzen Körper wahrzunehmen, war den meisten Kindern bislang unbekannt. Besonders eindrucksvoll wurde dies, als die Kinder in der Klangwiege lagen. Von beiden Seiten werden Saiten gespielt. Melina*(1), ein hyperaktives und sehr impulsives Mädchen, konnte ganz still in der Wiege liegen, das Schaukeln spüren und die leisen Töne hören. Als ich nachfragte, konnte sie nicht genau sagen, was sie empfunden hat, aber die Ruhe, die sie in dem Moment gespürt haben musste, war sichtbar. Felix* ist elf Jahre alt und durch eine Spastik mit plötzlichen ausfahrenden Bewegungen stark in seiner Beweglichkeit eingeschränkt. Als er in der Klangwiege lag, hat sich nach einigen Momenten sein Körper entspannt, und er lag für einige Augenblicke ganz ruhig und ohne plötzliche Muskelbewegungen. Felix hatte die Augen geschlossen und hat, wie er nachher sagte, einfach seine Gedanken schweifen lassen.“

Klang-Spiele

Sound-Creation-Gongs haben verschiedene Tonhöhen und können ganz unterschiedlich gespielt werden. Oft sind sie nach Planeten benannt, heißen Mondgong, Sonnengong, Feuer- oder Erdgong. Der größte im Raum ist der Universalgong, der die Schwingungen der anderen Gongs insgesamt wiedergibt. Wenn man sich hinter den Gong stellt, während er gespielt wird, kann man auch hier die Schwingungen spüren und die Energie aufnehmen. Wenn man sich dabei gut erdet, werden durch Klangwellen und Schwingungen neue Energien spürbar: frau wird durch-energetisiert. Wenn eine Klientin traurig oder deprimiert in die Therapiestunde kommt, kann das Sprechen manchmal nichts mehr ausrichten. Eine „Gongarbeit“ aber kann ihr helfen zu spüren, wie es ist, wenn sie steht und sich aufrichtet und wenn ihr neue Energien zuwachsen. So ist die Arbeit mit den Gongs ein Schritt auf einem Heilungsweg – sie eignen sich aber auch gut dafür, in die Stille und ins Schweigen zu kommen, ihre Klänge führen dorthin.

Sr. Thekla Schönfeld hat diese Erfahrung der Kinder eingefangen: „Instrumente üben auf die meisten Kinder eine besondere Faszination aus, besonders, wenn es sich um ungewöhnliche, ihnen nicht bekannte Instrumente handelt. Wir konnten in einer Gruppe von Kindern mit körperlichen Beeinträchtigungen beobachten, dass gerade die Kinder, die in ihrer (Fein-) Motorik eingeschränkt waren, große Freude daran hatten, mit Gongs oder Big Bom (große Holzschlitztrommel) Töne und Schwingungen zu erzeugen, die sie nicht nur mit dem Ohr sondern ganzheitlich mit ihren Sinnen erfahren konnten. So hat Niklas*, der mit zwölf Jahren noch keine Schleife binden kann, sich kaum von dem Universal-Gong lösen können, so fasziniert war er von dem großen Klang des Gongs“.

Die Trommeln sind aus verschiedenen Kontinenten: die Djemben aus West-Afrika und die Congas aus Lateinamerika. Mit ihnen kann nicht nur rhythmisch gespielt werden. Sie können auch eingesetzt werden, um an die eigene Kraft zu kommen, diese zu spüren und zum Beispiel in einer Gruppenimprovisation mit anderen gemeinsam einen Rhythmus zu spielen.

Sr. Monika Ballani, Seelsorgerin für Menschen mit Behinderungen, schildert aus ihrer Arbeit: „Martina*, eine 62-jährige Frau mit einer Lernbehinderung, die unter vielen Zwängen leidet, geht zielstrebig auf die Djembe zu:
‚Das ist ja klasse!' Dann bleibt sie stehen, berührt die Trommel zunächst nur zaghaft. Aber im Probieren und mit Ermutigung der Begleiterin kommt sie dazu, ihre innere Energie frei zu spielen und selbst wahrzunehmen, was sie mit begeisterten Rufen über ihre aufgestaute erfahrene Enttäuschung und Wut sogar verbal zum Ausdruck bringen kann.
In einem zweiten Schritt wird es dann möglich, dass sie in Gemeinschaft mit anderen zusammen einen tragenden Rhythmus spielen kann, der sie so erdet, dass sie froh und wie befreit wirkt“.

Die buddhistischen Tempelglocken sind Klangschalen, die in verschiedenen Tonhöhen wie Glocken aus der Ferne klingen … – Im Hören der Instrumente und im Nachspüren ihrer Klänge wird im Körper Verdrängtes hörbar, spürbar und sichtbar. Mit Klängen, die sehr direkt wirken, können wir uns auch an frühe Atmosphären und Gefühle erinnern.
Sie sind in unserem „Leibgedächtnis“ gespeichert und können durch Klänge wieder „spürbar“ gemacht werden.

Klang-Bilder

Über Klänge kommen wir mit inneren Bildern in Kontakt und können diese in Klangbilder umsetzen. Die neuen Klänge in diesen Klangbildern eröffnen einen Raum, in dem neue Aspekte deutlich werden können. Wer tiefer hinein hört, kann immer mehr dahinter liegende Räume erspüren – bis dahin, Transzendenz oder Gott zu erleben. Blasinstrumente etwa ermöglichen es uns, mit dem eigenen Atem in Kontakt zu kommen, aber auch mit der Vorstellung, dass der Atem Gottes uns durchströmt und un-sere eigene Melodie zum Klingen bringt.

Bei einer erlebnisorientierten Arbeit mit Frauen wurde deutlich: beim Bild des Baumes gibt es die Möglichkeit, diesen Baum zum Klingen zu bringen. Die Frauen suchen die Klänge dazu selbst aus – von den Wurzeln bis zur Baumkrone kommt dann ihr Baum zum Klingen. Dabei können sich auch lähmende Erfahrungen der eigenen Biographie bemerkbar machen. Sie werden durch abgebrochene Äste oder einen Baumstumpf dargestellt und entsprechend gespielt. Die Improvisation ist eine Hilfe, die verschiedenen Teile des Baumes (der Lebenserfahrungen) zu integrieren. So können auch Ohnmacht und Lähmung emotional ihren Ort bekommen und müssen die weitere Entwicklung nicht mehr hemmen. Damit wird Potenzial für eine neue Entwicklung frei, die Fähigkeit, eine Vision für mein Leben oder für eine Aufgabe oder für Gott zu haben, ist da. Das ist die Sache mit dem ‚Senfkorn'. Aber es beginnt genau da: am Boden.

Klang-Therapien

Ein Vortrag aus der Fachklinik Enzensberg erläutert, warum Musiktherapie im Bereich Orthopädie, Sportmedizin, Schmerztherapie und Psychosomatik eingesetzt wird: „Musik in Kombination mit Entspannungstechniken erzielt eine hochsignifikante Reduktion von Schmerz, Angst und Depression. Durch die Entspannung ergibt sich eine Reduktion der Herzfrequenz, des Blutdrucks, des Muskeltonus und der Aktivität der Schweißdrüsen. Eine gleichmäßige, tiefe Atmung setzt ein. Eine deutliche Schmerzlinderung, begleitet von einem höheren Optimismus-Level ist nachweisbar. Die Musiktherapie hat eine hervorragende Wirkung bei Stressabbau und Angstlinderung.“(2)

Eine Frau, die nach mehreren Verkehrsunfällen ihren Körper nicht mehr annehmen konnte, begann bei der Arbeit mit der Körpertambura erstmalig wieder ihren Körper zu spüren. Bis dahin hatte sie Angst das zuzulassen, weil Schmerz das einzige Gefühl war, das sie noch kannte. Mit dieser Entdeckung war es ihr auch möglich, neue Perspektiven für ihr Leben zu erkennen.

Klang und Kontemplation

Von einem „Heiler“ auf der Insel Java bekam ich einen indonesischen Buckelgong, der so heißt, weil er in der Mitte einen Buckel oder eine Nase hat. Weil er helfen kann sich zu zentrieren, spricht man ihm heilende Eigenschaften zu. Die Teilnehmerin einer Musiktherapiegruppe hat beim Spielen festgestellt: „Sein Klang erweckt in mir das Bild eines Waldes, in dem es ganz still ist. Ich kann diesem Klang in die Stille folgen. Mich beeindruckt, wie sich mir die Welt der Bilder auftut als ein kreativer Raum. Von dieser Welt wusste ich bisher nichts. Es ist ein Raum, in dem ich Leben spüre.“ Es war ein weiterer Schritt, dies als (Weg zu einer) kontemplative(n) Erfahrung zu verstehen.

Wie kaum ein anderes Medium ist die Musik geeignet, Menschen unmittelbar in ihrer Tiefe anzusprechen und zu berühren. Zeiten der Stille und die in ihnen geübte Achtsamkeit zielen auf die Erfahrung des Augenblicks und bereiten für ein tieferes Erfahren der Musik vor. Umgekehrt können verschiedene musikalische Aktivitäten wie Singen, aber auch das Hören, in die Stille führen.
Sr. Monika Ballani hat beobachtet: „In Gruppen mit Menschen mit geistigen und Mehrfachbehinderungen ist es möglich, dass eine kleine Klangschale rundgereicht wird und jeder seinen Klang spielt, zum Beispiel als Dank für den gemeinsamen Tag. Manchmal braucht es lediglich Assistenz zum Halten der Schale. Selbst Anna*, einer jungen schwerstbehinderten Frau im Rollstuhl, ist es möglich, aus ihrer Schulter einen Impuls zum Erklingen der Schale zu geben. Ihre Augen leuchten, als ihr Klang ertönt und alle in der Gruppe lauschen, einige hören tief in sich hinein. Ich erlebe, dass hier in Achtsamkeit und Kostbarkeit ein ‚heiliger Raum' entsteht, in dem eine Gruppe in Aufmerksamkeit aufeinander hört und den jeweiligen Klang ganz lange nachhallen lässt. Ein Gebet ohne Worte“. „Durch den Klang ist das Schweigen für uns zugänglich und nutzbar geworden“, sagt Paul Claudel. Das gilt für uns alle.

Für die Arbeit in der Gruppe

Eine Frauengruppe ist keine Therapiegruppe – aber auch hier können mit einfachen Mitteln „heilende Klänge“ erlebt werden. Die Leiterin besorgt eine Reihe einfacher Instrumente: Flöten, Trommeln, Xylophone, Zimbeln, Rasseln … und legt sie in die Mitte.

Die Frauen stellen sich um die Instrumente herum. Sie werden gebeten, sich zu „erden“ – guten Kontakt zum Boden aufzunehmen und nach innen zu hören, welchen Klang sie vernehmen. Dann wählt jede ein Instrument aus, um den Klang wiederzugeben. Was verbinde ich mit diesem Klang? In welcher Weise hat er für mich eine heilende Wirkung?

Dann bilden sich 4 Gruppen – ohne zu sprechen spielt eine Gruppe nach der anderen mit den ausgewählten Instrumenten 4 Klänge für Wasser, Feuer, Luft und Erde. Wenn die vierte Gruppe gespielt hat, hören wir auf die Stille danach. Was nehmen wir wahr?
Es können auch Bilder zu den 4 Elementen gemalt werden, die dann wieder in Musik umgesetzt werden.

Wenn keine Instrumente zur Verfügung sind, können auch Lieder gesungen werden, die für die Frauen an einem bestimmten Punkt auf ihrem Lebensweg eine wichtige Rolle gespielt haben. Die Erinnerung wird geweckt und es kann eine heilsame Erfahrung sein, dabei zu verweilen …

Sr. Angelika Kollacks, 63 Jahre, ist Sängerin und Musiktherapeutin. Sie gehört zur Gemeinschaft der Missionsärztlichen Schwestern in Berlin. – mehr unter www.mms-de.org

Anmerkungen:
1 Alle mit * gekennzeichneten Namen sind geändert.
2 http://www.musik-therapie.info/Erfahrungsberichte/schmerztherapie.pdf

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