Alle Ausgaben / 2013 Frauen in Bewegung von Simone Kluge

Ich tanze, Gott, wenn du mich führst

Gottes Nähe leibhaftig erfahren

Von Simone Kluge

Da bin ich einmal ins Schwärmen gekommen – und schon ist es passiert: Ich soll, sagen die Kolleginnen, das Porträt für die Rubrik „Frauen in Bewegung“ liefern.

Und das alles nur, weil ich im Redaktionsbeirat beim Brainstorming zur Jahreslosung „Gott nahe zu sein ist mein Glück“ von meinen Tanzerfahrungen erzählt habe. Erzählt habe von den beglückenden Momenten und dem wunderbaren Gefühl, Gott ganz nahe zu sein. Erzählen ist das eine. Aber wie darüber schreiben? Vor einiger Zeit habe ich es schon einmal versucht, diese Erfahrung in Worte zu fassen, die doch eigentlich ein Spüren und Erleben ist.

einswerden mit dem Moment
aufgehen und eingehen ins große Ganze
sich der Musik überlassen
im Prozess des Wachsens und Werdens

sich überraschen lassen von dem
was in mir entsteht
wie es durch mich hindurch fließt
in der Begegnung neu empfangen
der anderen begegnen
dem Innersten dem Göttlichen
der inspirierenden Kreativität
die in jeder von uns schlummert

in der sich verändernden und
erneuernden Begegnung
sich selbst verschenken
erfahrbare Liebe
Geschenk des Augenblicks

Ich blicke auf mein Selbst-Geschriebenes. Ja – es trifft die Erfahrung. Und doch bleibt das Gefühl, nur annähernd beschreiben zu können, welche Welten sich mir öffnen, wenn ich mich im Tanz verliere. Nie und nirgendwo stärker
als dann habe ich das Gefühl, ganz ich selbst zu sein. Wenn die Grenzen zwischen ich und du verschwimmen …

Wie das mit mystischen Erfahrungen, mit der Spürbarkeit von Gottes Begegnung und Nähe so ist – das lässt sich nur bedingt in Worte fassen. Die Mystikerinnen des Mittelalters haben es versucht, und dabei sind auch sie „auf den Tanz gekommen“. So schreibt Mechthild von Magdeburg:

Die Seele spricht zu Christus:
„Ich tanze, Herr, wenn du mich führst!
Soll ich sehr springen,
Mußt du selber vorsingen.
Dann springe ich in die Minne,
Von der Minne in die Erkenntnis,
Von der Erkenntnis in den Genuß,
Vom Genuß über alle menschlichen Sinne.
Dort will ich verbleiben und doch höher kreisen.“1

Mechthild von Magdeburg beschreibt hier, wie sie die Einheit von Seele und Christus erlebt. Beschreibt, wie die Seele sich der Führung Gottes überlässt – so, wie sich eine Tanzende der Musik hingibt. Für Mechthild ist die göttliche Sphäre gekennzeichnet von Dynamik und Leichtigkeit, was sich schon im Titel ihres Werks „Das fließende Licht der Gottheit“ zeigt. Das Werk Mechthilds von Magdeburg zeichnet sich durch einen immensen Reichtum an Metaphern aus und ist geprägt von leidenschaftlicher innerer Dynamik. Die Haupthandlung vollzieht sich im wechselseitigen Auf- und Abstieg der Seele zu Gott. Das ganze Werk atmet den Charakter des Spontanen und Assoziativen, so als vollzöge sich im Schreiben das Erleben erneut, einer inneren Melodie, dem göttlichen Gesang folgend.

Ich tanze, Herr, wenn du mich führst!
Soll ich sehr springen,
Mußt du selber vorsingen.

Margot Schmidt schreibt zu Mechthilds Werk: „Der Tanz ist in Gestik und Rhythmik der körperliche Ausdruck der Schwingungen, die als göttliches schöpferisches Prinzip dem Kosmos eingegeben sind.“2 Diese Erfahrung machten und machen Menschen nicht nur in der christlichen Religion. Auch im Sufismus zum Beispiel, einer Form der islamischen Mystik, tanzt(e) man sich in Gottes Nähe. Der ekstatische Trance-Tanz (sema), der im Mevlevi-Orden ausgeübt wird, gilt als eine der körperlichen Methoden, in religiöse Ekstase (majdhb, fana) zu verfallen und mit Allah in Kontakt zu kommen.3

Es ist also nicht allzu verwunderlich, dass auch heute Frauen und Männer diese bewegte Form religiöser Erfahrung für sich entdecken, dieses Gebet jenseits der Worte. So hat sich 1997 im Kloster Aldersbach bei Passau die Christliche Arbeitsgemeinschaft Tanz in Liturgie und Spiritualität e.V. gegründet. Das zentrale Anliegen ihrer Mitglieder ist, Tanz und Gebärde als wichtige Erfahrungs- und Ausdrucksweise in den verschiedenen Formen von Liturgie und christlicher Spiritualität zu entfalten und weiter zu verbreiten. Ihre Motivation ist die „Hoffnung, durch unser Engagement dazu beizutragen, Menschen leibhaftig und damit intensiver als zuvor die Nähe Gottes erfahren zu lassen.“

Und genau darauf kommt es an. Selbst etwas zu erfahren. Selbst zu spüren, wie es ist, bewegt zu werden. Dazu laden verschiedene Kirchentanz-Festivals und -Symposien ein, auf denen verschiedene Ausformungen des Kirchentanzes zum Miterleben angeboten werden. Die vielfältigen Ausdrucksweisen umfassen Gebetsgebärde und leibliche Präsenz im (liturgischen) Raum, gemeinschaftlicher Kreistanz und Solo-Performance, Improvisation und Choreographie und ihre theologische Reflexion. Im Gespräch mit der Liturgiewissenschaft und mit der Religionspädagogik werden Wege erforscht, die Dimension des Leiblichen in die christlichen Vollzüge zu integrieren.

„Gott nahe zu sein ist mein Glück.“ Diese Erfahrung durfte ich selbst machen und wünsche sie auch anderen: zu erleben, wie der Glaube bewegt und innerlich etwas zum Klingen und Schwingen bringt …

Und wer weiß – vielleicht sehen wir uns ja auf dem nächsten Kirchentanz-Festival auf dem Hesselberg oder im Zentrum für Tanz und Performance auf einem der nächsten Kirchentage. Ich würde mich freuen!

Simone Kluge ist Referentin bei den Evangelischen Frauen in Mitteldeutschland und Mitglied im Redaktionsbeirat ahzw. Sie ist Theologin und Tanzanleiterin und als solche Mitglied in der Christlichen Arbeitsgemeinschaft Tanz in Liturgie
und Spiritualität e.V. – www.christliche-ag-tanz.de

Anmerkungen
1) Nach Margot Schmidts Übersetzung, zitiert in: Mechthild von Magdeburg, „Ich tanze, wenn du mich führst.“ Ein Höhepunkt deutscher Mystik, Herder, Texte zum Nachdenken Bd.1549, Freiburg i.Br. 1988. Ausgewählt, übersetzt und eingeleitet von Dr. Margot Schmidt, Eichstätt
2) Ebd., S. 21
3) Die sich schnell und schneller um die eigene Achse drehenden „tanzenden Derwische“ sind besonders in der Türkei zu einer touristischen Attraktion geworden, der Heimat des im 13. Jahrhundert von Rumi gegründeten Derwisch-Ordens der Mevlevi aus Konya. Mustafa Kemâl Pascha (genannt Atatürk), der Gründer der Türkischen Republik, ließ die Rituale der Mevlevi-Derwische mit dem Gesetz Nr. 677 verbieten. Heute werden ihre Sema-Zeremonien allein aus touristischen Gründen veranstaltet. Seit 1954 darf der Sema anlässlich des Jahrestages von Rumis Tod am 17. Dezember wieder vollzogen werden, allerdings nicht im Mutterhaus der Tariqa, sondern in einer Sporthalle.

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