Ausgabe 2 / 2006 Material von Andreas Gebbink

Ich will auch nett aussehen

Von Andreas Gebbink


Peetjie wollte nicht mehr angestarrt werden. Sie hasst das Gefühl, wenn sie im Bus oder im Zug sitzt, wenn die Leute tuscheln: „Schau, ein Mongo“. Unerträglich, wenn Mitmenschen sie behandeln, als sei sie ein Kleinkind. Peetjie Engels ist kein Baby, sie ist 26 Jahre alt. Sie hat Down-Syndrom. Eine Behinderung, die ihr ins Gesicht geschrieben steht, die sie schutzlos macht und ausliefert. „Das konnte ich nicht mehr ertragen“, sagt sie und hat sich an der Düsseldorfer Klinik für Plastische Chirurgie einer Schönheitsoperation unterzogen: „Ich will auch nett aussehen.“
Peetjie sitzt im Wohnzimmer ihrer Eltern im niederländischen Schinnen, ein kleiner Ort nahe Aachen. Sie trägt eine blaue Latzhose, einen roten Pullover, hat kurzes braunes Haar. Ihr Körper verrät, dass sie Down-Syndrom hat: Ihre Gestalt ist gedrungen, kleine Hände und Beine, das Gesicht weist auch nach der Operation die Merkmale der Krankheit auf, etwa das zurückstehende Kinn. Sie fühlt sich jetzt aber viel wohler: „Über mich wird nicht mehr geläs tert“, sagt sie. „Der Unterschied zu vorher ist gar nicht so groß, aber ich stehe nicht mehr im Mittelpunkt.“
Vorher, das war vor vier Jahren, als ihr im Supermarkt das Portmonee aus der Hand genommen wurde, wenn sie bezahlen wollte. Dann hat sie sich von Professor Rolf Olbrisch ein neues Gesicht machen lassen. Der Arzt hat ihre Nase mit einem Plastikimplantat angehoben. An ihren Schläfen setzt er weiche Implantate ein und straffte die Wangen. Peetjies Mundwinkel hoben sich, ihr Gesicht wirkt jetzt freundlicher: „Ich sah immer so aus, als hätte ich schlechte Laune.“ Dabei ist Peetjie ein fröhlicher Mensch, betont Mutter Netty. Es war eine schwere Entscheidung, denn das Thema ist ein Tabu. Peetjie ist vermutlich einer der ersten Menschen in Europa, bei dem so ein Eingriff aus kosmetischen Gründen gemacht wurde. Es gab viel Kritik: „So etwas macht man nicht.“ Und erst die Risiken. „Man muss abwägen“, sagt Netty Engels. „Unsere Tochter war unglücklich. Es war ihr Wunsch.“
Der Eingriff hat 3000 Euro gekostet. Das ist nicht viel, trotzdem war es ein Kampf. Die Krankenkassen zahlen nur, wenn eine medizinische Indikation vorliegt, und in Peetjies Fall war dies nicht eindeutig gegeben. Familie Engels musste für die Kostenübernahme kämpfen, prozessierte gegen die Kasse und gewann schließlich im Berufungsverfahren.

Peetjie muss los. Sie fährt mit ihrem Auto zum Bahnhof, um den Zug nach Eindhoven zu nehmen. Dort erwartet sie ein Augentraining. Vor der Operation konnte sie nur mit einem Auge sehen. Die 26-Jährige verabschiedet sich und fährt los. 

in: Westdeutsche Allgemeine Zeitung Nr. 85 vom 13. April 2005

Ausgabenarchiv
Sie suchen eine Ausgabe?
Hier entlang
Suche
Sie suchen einen Artikel?
hier entlang