Ausgabe 2 / 2009 Andacht von Sabine Zoske

Ihren Geliebten gibt sie Schlaf

Andacht zu Psalm 127,1-2

Von Sabine Zoske


Votum zu Beginn
Einzig ist Gott und einzigartig,
Vater, Sohn und Heilige Geistkraft.
Im Namen Gottes sind wir beieinander.
Amen.

Psalm 127,1-2
Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache; gemeinsam gesprochen:
Wenn die Ewige das Haus nicht baut,
mühen sich vergeblich, die daran bauen.
Wenn die Ewige die Stadt nicht behütet,
wachen vergeblich, die sie behüten.
Vergeblich ist es für euch, dass ihr in aller Frühe aufsteht, euch erst spät zur Ruhe setzt, Brot der Mühsal esst.
Aber: Ihren Geliebten gibt sie Schlaf.

Lied
Gott ist gegenwärtig (EG 165,1.4.6)

Gebet
Aus der Unruhe unseres Lebens
kommen wir, Gott, zu dir.
Wir danken dir,
dass es Orte und Stunden gibt,
in denen Leib und Seele zur Ruhe kommen.
Lass uns jetzt aufatmen in deinem Frieden,
lehre uns hören, lehre uns beten.(1)

Stille und Lied
Laudate omnes gentes (EG 181.6)

Ansprache
Können Sie sich noch an Gummitwist erinnern? Ein typisches Mädchenspiel. Immer derselbe Ablauf: zwischen die Gummis springen, nach links raus, wieder rein, nach rechts raus. Füße unter das eine Gummi, es mitnehmen und auf das andere springen, wieder zurück. Füße wieder unter das eine Gummi, diesmal über das andere springen – Salino. Aus dem Salino raushopsen, zwischen den Gummis landen (Vorsicht: Schnallen von Sandalen sind sehr hinderlich!). Dreimal nach links übers Gummi hüpfen und wieder rein, dreimal nach rechts. Rausspringen, wieder die Füße unter das eine Gummi, es mitnehmen und über das andere springen und dann ganz nach draußen hopsen – fertig. Und wieder von vorne, diesmal das Gummi in Wadenhöhe. Und dann in Knie-, und dann in Hüfthöhe. Wie gesagt: immer derselbe Ablauf. Ein typisches Mädchenspiel. Nur Ballprellen ist noch öder…

Pflege ist (meistens) auch so ein typisches „Mädchenspiel“, nur sind die Mädchen jetzt erwachsene Frauen. Waschen, kämmen, Frühstück machen, füttern, Bett machen, abwaschen, kleine Spazierfahrt mit dem Rollstuhl, einkaufen. Mittagessen kochen, füttern, fertigmachen für Mittagsschlaf, abwaschen, aufwecken, Bett machen, Kaffee trinken, Zeitung vorlesen. Abendessen machen, füttern, abwaschen, Der große Abend der Volksmusik, bettfertig machen, gute Nacht. Immer derselbe Ablauf. Ein typisches Mädchenspiel, diesmal mit erwachsenen Frauen. Am liebsten natürlich ehrenamtlich, und wenn beruflich, dann schlecht bezahlt, vielleicht Teilzeit. In der Familie sowieso.

Anstrengend ist das. Und wenn dann noch all das dazukommt, was anstrengend ist in diesen Tagen: Finanzkrise, Wirtschaftskrise, Konjunkturprogramm, Abwrackprämie. Krieg in Afghanistan, Krieg im Irak, Krieg in Gaza. Angestrengt versuchen wir, unser Leben „auf die Reihe“ zu kriegen. Angestrengt verfolgen wir die Nachrichten in Zeitung, Internet, Radio und Fernsehen. Angestrengte, graue Gesichter können wir auch täglich in Bus und Bahn sehen; Gesichter derer, die keine Arbeit haben – oder zu viel davon.

Stille und Lied
Meine Seele sucht nach dir
(WortLaute 18(2) )

Zum Glück aber ist es in unserem Leben als Christinnen so eingerichtet, dass wir innehalten dürfen. Wir dürfen zur Ruhe kommen, indem wir zur Andacht zusammenkommen. Es gibt, wahrhaftig: Gott sei Dank! diese Momente, in denen wir uns sammeln dürfen, in denen wir die Augen schließen, uns konzentrieren und uns etwas Gutes tun können, indem wir auf Gottes Wort hören. Und das wunderbare Buch, das die Bibel ist, schenkt uns Texte, die zum Innehalten und Luftholen einladen.

Ein solcher biblischer Text findet sich in Eisenach am Portal des Hauses, in dem der ganz junge Martin Luther wahrscheinlich gewohnt hat, als er dort auf die Lateinschule ging. Es ist eine Inschrift, die zu beherzigen wichtig ist für alle, die sich anstrengen, also auch für uns. Es handelt sich um Psalm 127,1 – einen Vers, den ich für diese Andacht noch um den ihm folgenden erweitern möchte. Hören Sie also Psalm 127,1+2, jetzt in der – manch einer vielleicht vertrauteren – Version der Lutherbibel:

Wenn der Herr nicht das Haus baut,
so arbeiten umsonst, die daran bauen.
Wenn der Herr nicht die Stadt behütet, so wacht der Wächter umsonst.
Es ist umsonst, dass ihr früh aufsteht und hernach lange sitzet und esset euer Brot mit Sorgen; denn seinen Freunden gibt ER es im Schlaf.

Stille und Lied
Wie ist die Welt so stille (EG 482,2)

Zwei Texte habe ich zu den beiden Versen aus Psalm 127 gefunden, die ich uns heute gönnen möchte. Der eine ist von Martin Luther zum ersten Teil von Vers 1. Er nimmt sehr schön das „Wuselige“ dieses Verses auf, der ja viele ungemein beschäftigte Verben enthält: bauen, arbeiten, behüten, wachen. Aus dem Alltag einer Frau im Spagat zwischen Familie und Beruf könnten wir ergänzen: aufstehen, Kaffee kochen, Frühstück machen, Butterbrote schmieren, Kinder auf Trab bringen, zur Arbeit flitzen, telefonieren, Besprechungen, Termine organisieren, einkaufen, Abendbrot, Bettzeit, Tagesrückblick mit ebenfalls berufstätigem Mann, fernsehen, Wecker stellen, schlafen. Oder – siehe oben unter Pflege…

Da hinein spricht Martin Luthers Text. Er weist darauf hin, wen wir in all unserer Beschäftigung wirklich beschäftigt sein lassen sollen. Und auch, wenn Luther von so etwas wie gerechter Sprache nichts versteht, bleiben seine Worte doch schön:
„Lass also diesen Herrn Haus bauen und haushalten, greif ihm nicht in sein Werk; ihm gebührt, darüber zu sorgen, dir aber nicht. Denn wer Hausherr ist und haushält, den lass sorgen. Gehört viel in ein Haus, wohlan, so ist ja Gott größer als ein Haus. Der Himmel und Erde füllt, der wird ja auch ein Haus füllen können, besonders, weil er sich dessen annimmt und es gelingen lässt. Ist es ein Wunder, dass viel in einem Haus fehlt, wo Gott nicht Hausherr ist? Weil du den nicht siehst, der das Haus füllen soll, so müssen wahrlich alle Winkel leer scheinen. Wenn du ihn aber ansiehst, so wirst du nimmer gewahr, ob ein Winkel leer sei. Es dünkt dich, alles sei voll, und es ist auch alles voll.“

Stille und Lied
In allen meinen Taten (EG 368,1)

Ein anderer Text illustriert auf ganz wunderbare Weise den zweiten Vers, dieses „… den Seinen gibt er's im Schlaf“ beziehungsweise, fast noch schöner: „Ihren Geliebten gibt sie Schlaf“.

„Rabbi Schmelke pflegte, damit sein Lernen nicht allzu lange Unterbrechung erleide, nicht anders als sitzend zu schlafen, den Kopf auf dem Arm und zwischen den Fingern ein brennendes Licht, das ihn wecken sollte, sowie die Flamme seine Hand berührte. Als Rabbi Elimelech ihn besuchte und die noch eingesperrte Macht seiner Heiligkeit erkannte, bereitete er ihm sorgsam ein Ruhebett und bewog ihn mit viel Überredung, sich für ein Weilchen darauf auszustrecken. Dann schloss und verhüllte er das Fenster.
Rabbi Schmelke erwachte erst am hellen Morgen. Er merkte, wie lang er geschlafen hatte, aber es reute ihn nicht, denn er empfand eine unbekannte Klarheit. Er ging ins Bethaus und betete der Gemeinde vor, wie es sein Brauch war. Der Gemeinde schien es, als habe sie ihn noch nie gehört. Als er den Gesang vom Schilfmeer anstimmte, mussten sie den Saum ihrer Kaftane raffen, dass sie die rechts und links bäumenden Wellen nicht netzten. Später sagte Schmelke zu Elimelech: ‚Jetzt erst habe ich erfahren, dass man Gott auch mit dem Schlafe dienen kann.'“(3)

Stille und Lied
Nada te turbe (WortLaute Nr. 79)

„Die eingesperrte Macht seiner Heiligkeit…“ – Wahrscheinlich müssen viele von uns sich diesem Gedanken erst einmal behutsam nähern. Dass die hierzulande oft – und bezeichnenderweise in vielen Nachrufen – gerühmte „rastlose Tätigkeit“ ausgesprochen unheilig sein kann. Und unheilvoll obendrein, heillos geradezu. Im Wortsinne: ohne Heil. Weil sie unsere Heiligkeit einsperrt, gefangen setzt hinter Gittern unentwegten Herumwuselns, hinter Mauern ununterbrochener Aktivität. Und dass wir sie umgekehrt freisetzen – indem wir uns Ruhe gönnen. Uns etwas Gutes tun. Schlafen. Uns pflegen. Uns pflegen lassen. Muße, Müßiggang als Anfang – nicht aller Laster, sondern der Befreiung unserer Heiligkeit?

Der Ausgang der Geschichte von Rabbi Schmelke zeigt, dass da offenbar viel dran ist. Und tatsächlich haben ja schon viele die Erfahrung gemacht, dass eine Ruhephase gerade mitten im Trubel das, was eben noch furchtbar mühsam erschien, plötzlich leicht von der Hand gehen lässt. Dass auf einmal spielerisch wirkt, was eben noch so angestrengt daher kam. Dass Menschen Ausstrahlung gewinnen, die eben noch grau aussahen. Dass sich das Schilfmeer teilt, wo eben noch ein kleiner Bach zu breit und zu tief erschien…

Mach mal Pause, vielleicht auch mit einem Erfrischungsgetränk, vor allem aber mit Barmherzigkeit – dir selbst gegenüber. Rabbi Schmelke ermutigt uns dazu. Und dazu ermutigt uns auch die Bibel, Gottes gutes Wort für uns. Hören Sie nun noch einmal Psalm 127,1+2, diesmal in der Version, wie sie in „Der Gottesdienst in gerechter Sprache“(4) steht, gewissermaßen einem „Vorläufer“ der Bibel in gerechter Sprache. Sie bleibt nahe an der Lutherübersetzung, nuanciert diese aber sehr schön und nimmt auch den Gedanken auf, dass der erholsame Schlaf eben nicht eine Einladung zur Faulheit, sondern ein besonders schönes Geschenk Gottes ist, das ungeahnte Kräfte freisetzen kann:

Wenn Gott nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen. Wenn Gott nicht die Stadt behütet, so wachen umsonst, die da wachen.
Es ist umsonst, dass ihr überfrüh aufsteht und bis in die Nacht hinein aufsitzt und esst euer Brot mit Sorgen, nur mit Sorgen; denn denen, die Gott vertrauen, ihnen ist auch der Schlaf gegönnt.
Amen.

Stille und Lied
Lass dich, Herr Jesu Christ (EG 496)

Segensgebet
Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit,
segne Tun und Lassen,
Arbeit und Ruhe,
den besonderen Tag und den Alltag;
segne uns
mit deiner Kraft,
mit deiner Phantasie,
mit deiner Liebe
bis wir und alle anderen
heil und ganz sind
in deinem Reich.(5)
Amen.


Dr. Sabine Zoske, Jg. 1955, hat Geschichte und Theologie studiert und im Gemeindepfarramt gearbeitet. Heute ist sie im Landeskirchenamt der EKiR zuständig für den Arbeitsbereich Ehrenamt und die Geschäftsführung der
Ev. Frauenarbeit im Rheinland. Sie ist Mitglied im Präsidium der EFiD.


Anmerkungen

1 Aus: Der Gottesdienst. Liturgische Texte in gerechter Sprache. Herausgegeben von Erhard Domay und Hanne Köhler. Teil 1: Der Gottesdienst. Gütersloh 1997
2 WortLaute. Liederbuch zum 31. Deutschen Evangelischen Kirchentag, 6.-10. Juni 2007 in Köln
3 Martin Buber, Die Erzählungen der Chassidim. Zürich 111990, S. 309f
4 Der Gottesdienst. Liturgische Texte in gerechter Sprache. Herausgegeben von Erhard Domay und Hanne Köhler. Band 3: Die Psalmen. Gütersloh 1998
5 Aus: Der Gottesdienst. Liturgische Texte in gerechter Sprache. Herausgegeben von Erhard Domay und Hanne Köhler. Bd 1: Der Gottesdienst. Gütersloh 1997

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