Ausgabe 1 / 2004 Material von Franz Steinmaßl

Im Himmel kein Platz?

Von Franz Steinmaßl


Ein Sommertag war es gewesen. Er hatte ganz arglos begonnen, und war ruhig und sorglos verlaufen bis zu jenem Anruf.
Eine Stimme von weit her: „Ich möchte Ihren Sohn Gregor sprechen.“ „Er ist da“,  hatte sie gesagt, „einen Augenblick bitte.“ Ein Anruf aus Frankfurt! Gregor war  förmlich ans Telefon gestürzt, was sie mit leichter Verwunderung erfüllte, denn sonst war er eher gelassen und ruhig.

Und dann sieht sie sich stehen wie angenagelt.
Sie hatte nicht die Absicht gehabt zu lauschen, nun war jedoch alles an ihr gespannt, sodass sie gar nicht daran dachte, gar nicht fähig war, daran zu denken, den Staubsauger in Gang zu setzen. Sie lauschte nicht den Worten, sondern der Stimme ihres Sohnes, die warm und weich und in ihrer Verhaltenheit übervoll war. Sie horchte auf die langen Pausen zwischen den Worten, auf sein Lachen. In jedem Ja und Nein schwang ein ihr nie vorher gehörter Klang. Ein Gespräch aus Frankfurt, so lange dauernd. – Nur zwei Verliebte reden so miteinander.
Ein Gespräch zwischen zwei jungen Männern.
Als ihr Sohn den Hörer auflegte, wurde ihr bewusst, dass ihre Knie ganz weich waren und dass sie den Staubsauger brauchte, um ihren zitternden Händen einen Halt zu geben. Als hätte sie der Blitz getroffen wusste sie: Gregor ist homosexuell. Mein Gott, er ist homosexuell, und sie war erschrocken über ihre eigene Stimme in der Stille des Raumes. Der Boden des Zimmers bewegte sich in Wellen. Nur jetzt keinen Schritt tun, hatte sie gedacht, sonst falle ich hin.
Dann war Gregor ins Zimmer gekommen und hatte dieses verzauberte Gesicht eines Liebenden mitgebracht. Doch dann war er stehen geblieben, mitten im Schritt.
Sie sieht jetzt noch seine fragenden Augen auf sich gerichtet.
Die Wände sind dünn, und er war nicht eben leise gewesen. Gregor wusste sofort, dass sie begriffen hatte. Später hätte keiner von beiden sagen können, wie lange sie wortlos einander gegenüber gestanden waren, verharrend auf dem halben Weg, und jeder im Gesicht des anderen zu lesen versucht hatte. Was sollte nun geschehen mit diesem Abstand, der zwischen ihnen war, mit den Schritten, die getan werden mussten auf diesem schwanken Boden? „Du bist homosexuell?“ Sie sagte es wie eine Frage, obwohl es keine war, und doch hielt sie sich noch an der schwachen Hoffnung, sie könnte sich vielleicht geirrt haben. „Ja, Mama“, hatte Gregor geantwortet, „ich bin schwul, und ich bin froh, dass du es jetzt endlich weißt.“ Der Halm der Hoffnung war fort! …

Sie kann sich an Witze erinnern über Schwule, warme Brüder, und sie kennt das landläufige Klischee aus Filmen …
Und nun sollte ihr Sohn so einer sein! Und es hatte so einer mit ihm telefoniert! Verliebt telefoniert. Fast eine halbe Stunde. Aus Frankfurt. Von so weit her.
Sie hatte sich noch nie richtig Gedanken gemacht über Homosexuelle, denn es war bisher keine Veranlassung dazu gewesen. — Man kennt es ihm nicht an, hatte sie erleichtert gedacht. Er sieht wirklich ganz normal aus, und sie hatte gehofft, er wäre eben nur ein bisschen homosexuell, auf keinen Fall so wie diese anderen!
Dann war Gregors Stimme wieder da: „Kannst du dir eigentlich vorstellen, wie mühsam und entwürdigend es ist, sich dauernd verstellen zu müssen, ständig zu wissen, dass ich nur akzeptiert werde, wenn ich mir nur ja nicht anmerken lasse, wer ich wirklich bin!“ „Wer du bist?“ „Ja, wer ich bin! Wie oft schon hatte ich das Bedürfnis, euch die Wahrheit zu sagen. …
Der Religionsunterricht in der Mittelschule! Grauenhaft war das! Lustmörder, Zuhälter, jede Art von Kriminellen und Perversen, und dazu gehörten natürlich ganz besonders wir Homosexuellen. Alles wurde mit frommer Überheblichkeit und Besserwisserei durcheinandergemixt und geschüttelt und dabei schaute der Herr Professor lauernd in die Runde, in der genüsslichen Hoffnung, einen der Schüler beim Erröten zu ertappen. … Und da er annehmen konnte, dass Zuhälter und Lustmörder doch nicht unter uns waren, so blieb er an den Homosexuellen hängen. … Wir sind sozusagen ein Pfusch Gottes! — Stell dir doch bitte vor, wie blamabel unsere Existenz für Gott sein muss, wo er selbst doch gemeint hat, seine  Schöpfung in ihrer Vielfalt wäre gut.“
Was da aus ihm herausbrach, überschwemmte sie wie ein Sturzbach.
Von all dieser Not hatte sie nichts geahnt. Wie hatte das geschehen können? War sie denn blind und taub? Es muss doch Zeichen gegeben haben, Signale, Botschaften, die sie hätte erkennen müssen!
Gerade noch voller Abwehr, begann sich in dieser Stunde in ihr eine Wandlung vorzubereiten hin zum Muttertier, das bereit ist, zu fauchen und zu beißen und ihr Junges zu verteidigen, obwohl sie vom Verstehen der ganzen Problematik
noch sehr weit weg war und von den Konsequenzen keine Ahnung hatte.


Auszug aus: Maria Hauser, Im Himmel kein Platz? Lebensgeschichten homosexuell Liebender, edition sandkorn.
© Franz Steinmaßl, A-4264 Grünbach

 

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