Ausgabe 2 / 2004 Bibelarbeit von Ursula Sieg

Im Mehl versteckt

Bibelarbeit zum Gleichnis vom Sauerteig

Von Ursula Sieg

 

Ein anderes Gleichnis sagte er ihnen: Das Himmelreich gleicht einem Sauerteig, den eine Frau nahm und unter einen halben Zentner Mehl mengte, bis es ganz durchsäuert war.
Matthäus 13,33 par Lukas 13,20-21

Annäherung und Kontext

1993 kam ich als Pastorin aus einer von den globalen Veränderungen kaum heimgesuchten Kleinstadt in die Großstadt Hamburg, um Lehrerfortbildung für Religion in der Grundschule zu machen. Nach ein paar Schulbesuchen war schnell klar: Hier kommen wir nur noch voran, wenn die Religionen miteinander kooperieren. Ich hatte bis dahin selten Kontakt zu Gläubigen anderer Religionen und von interreligiösem Dialog keine Ahnung. Um Klärung bemüht, blätterte ich die Bibel durch. Mir fiel auf, dass Altes wie Neues Testament ein Wechsel, eine Spannung durchzieht zwischen Öffnung bzw. Offenheit und Abgrenzung bzw. Geschlossenheit: mit Abraham und Sara wird eine einzelne Sippe erwählt, aber zum Segen für alle Völker; das Buch Jona im Vergleich zu Esra/Nehemia; in der Bergpredigt geht es sowohl um Konzentration auf das Vertrauen auf Gott, als auch mit den Bildern vom Licht und Salz um Verströmen, um Aufgehen, um Allen-Nützen.

Tragend wurde für mich das Gleichnis vom Sauerteig. Das Reich Gottes hat keine Berührungsängste, es ist in seiner Wirkung darauf angewiesen, unter das Mehl zu geraten. Was letztlich dabei heraus kommt ist Brot, Lebensmöglichkeit. Ziel ist nicht, dass alles Sauerteig wird! Aber man darf nicht alles verbacken. Etwas Sauerteig muss bleiben – um erneut untergemischt zu werden. Beschrieben wird ein dynamischer Wechsel zwischen Offenheit und Kontaktfähigkeit, Auseinandersetzung einerseits und Konzentration, Stärkung des Eigenen, Erholung andererseits.

So habe ich mich in den Dialog begeben. Bei der gemeinsamen Weiterentwicklung des Religionsunterrichtes (1) ergaben sich neue Herausforderungen: Wie einen Unterricht gestalten, in dem Kinder verschiedener Religionen und Weltanschauungen gemeinsam lernen und dabei ihre eigene Tradition existentiell förderlich (besser) kennen lernen und zugleich einander mitsamt den fremden Traditionen (besser) verstehen und akzeptieren lernen? Die Lösung kam aus der Psychologie und dem Dialog.
Die im Grundschulalter anstehende Autonomieentwicklung vollzieht sich im Pendeln zwischen äußeren Anforderungen und eigenen Wünschen und Vorstellungen. (2) Die Muslime wollen ihre Themen als eine Perspektive neben den anderen einbringen: die gleiche Sache aus verschiedenen Perspektiven. So ergibt sich ein bewegter Unterricht, in dem die Kinder zwischen gemeinsamem Thema im Stuhlkreis und selbstgewählten Aufgaben aus ihrer jeweiligen Religion in einer Klassenecke hin- und herpendeln.
So findet sich die Bewegung des Sauerteiggleichnisses in anderen menschlich grundlegenden Bezügen wieder. Die Skizze oben (ahzw 2-04, S. 14) zeigt das Prinzip am Thema Feste (3) auf.

Das Pendelkonzept im Rückgriff auf Mt 13,33 berührt sich auch mit Formulierungen des Lutherischen Weltbundes zur Missio Dei (4):
„Die Mitglieder von Ortsgemeinden, Pastoren und kirchliche Führungskräfte müssen dringend dazu angeregt und dabei unterstützt werden, in ihrer Mitte lebenden Menschen anderer Glaubensrichtungen oder Ideologien zu begegnen. Kontakte mit ihnen sind notwendig, um falsche Vorstellungen auszuräumen … (und) … weil nur so aufrichtige Achtung für Menschen anderer Überzeugungen sich entwickeln und ein Gespür für die Traditionen und Werte wachsen kann, selbst wenn diese im Widerspruch zu christlichen Überzeugungen stehen. Bei einem Gedankenaustausch mit Menschen anderer Glaubensrichtungen und Ideologien werden die Christen erkennen, wie wichtig es ist, sich für einen solchen Dialog ein tiefergehendes Verständnis des eigenen Glaubens und eine solide Kenntnis des Glaubens und der Traditionen anderer zu verschaffen. Darüber hinaus werden sie so den Dialogcharakter der christlichen Botschaft und den Dialog selbst als eine Form missionarischer Verkündigung neu schätzen lernen.“

„Missionarische Verkündigung“ meint im Kontext der Missio Dei aber nicht Bekehrungseifer, sondern Dienst: „Jüngerschaft Christi, Demut, selbstaufopfernde Liebe, der Wunsch, andere zu verstehen, mit ihnen zusammenzuarbeiten und ihnen zu dienen, sowie die Bereitschaft, um des Evangeliums willen zu leiden, sollen die Haltung der Kirche gegenüber Menschen anderer Glaubensrichtungen und Ideologien bestimmen.“ Diese Haltung beinhaltet per se „die Einladung, Christi Jünger zu werden“, so wie das Leben und Zeugnis von Muslimen die Einladung enthält, Muslim – Gott Hingegebene/r – zu werden.

Exegetische Konkretionen und Irritationen

Der Ackerbau wurde vor elftausend Jahren zwischen Euphrat und Totem Meer erfunden, breitete sich von dort mitsamt der dazugehörigen Kultur und den Techniken aus und erreichte etwa 5000 v.Chr. Mitteleuropa. Aus der Zeit stammt die in Bayern gefundene Skulptur der Frau mit der Schüssel (siehe Abb. S. 21). Brot und alles, was damit zusammenhängt, ist ein tief verwurzeltes Symbol, das Menschen über alle seitdem entstanden Grenzen der Politik, Kultur oder Religion verbindet. Getreideanbau und Backen sind auf Ruhe und Frieden angewiesen. Darum verbinden sich mit Brot Rituale der Gemeinschaft, des Friedensschlusses und der Versöhnung sowie das Gastrecht.

In Israel wurde mit Sauerteig gebacken, außer in der Ernte, wenn überraschend Besuch kam, für die (Pilger-)Reise oder gar Flucht, zu Pessach (Fluchtmotiv) oder für den Tempel: dann wurde nur Wasser und Mehl zusammengeknetet. Denn die Zubereitung mit Sauerteig (5) braucht Zeit und Ruhe. Sauerteig entsteht, wenn man z.B. 200 g Weizen-oder Roggenmehl mit 120 ml Wasser mischt und alle 24 Stunden diese Mengen nochmals dazugibt. Dabei entstehen Milch- und Essigsäuren. Letztere sorgen für die Lockerung. Zum Backen werden erneut Sauerteig, Mehl und Wasser geknetet. Der Teig muss vier Stunden warm stehen. Vor dem Backen muss etwas Sauerteig zurückbehalten und – für orientalische Verhältnisse kühl – bei bis zu 20°C aufbewahrt werden. Er kann endlos weiterverarbeitet werden. Nur wenn zu viel Essigsäure entsteht (zu warm, zu viel Wasser), kippt der Sauerteig. Sauerteig sorgt für weiches, herzhaftes und gutverdauliches Brot. Allein von Wasser und Mehl gebacken besteht das Brot nur aus Kruste. Mehl ganz ohne Backvorgang ist sehr schwer verdaulich. (6)

Die Zubereitung ist ein Wechsel von Bearbeitung/Arbeit und Ruhenlassen/ Ruhe. Sie bestimmte den Tages- bzw. Nachtrhythmus. Geknetet wurde abends, gebacken früh am Morgen auf einer Steinplatte über Feuer oder in einem zylinderförmigen Ofen der Bedarf einer Großfamilie für einen Tag: große, dünne, runde Fladen. Sumaya Farhat-Naser hat beschrieben, wie sehr diese Arbeit mit Müdigkeit und Erschöpfung verbunden war. (7) Kneten und Backen erfolgte, während die anderen schon oder noch schliefen. Aber während der Teig ruhte, konnten auch die Frauen schlafen.

Jesus greift mit dem Gleichnis also einen erfahrungstiefen, sich in die Kultur wie in die menschliche Seele weit verzweigenden Alltagsvorgang auf, bleibt aber nicht dabei. Das Reich der Himmel (Reich Gottes) gleicht einem Sauerteig, den eine Frau packt – das griechische Wort hat etwas sehr Couragiertes, fast Gewalttätiges – und unter einer Unmenge Mehl, knapp 40 kg, versteckt. Viele übersetzen mit „untermengen“ – tatsächlich steht da „verstecken“ (8) – als würde sie es nur hineintauchen, zudecken und stehen lassen. „Die feministische Diskussion hebt den Anteil der Frau am Gelingen des Ganzen hervor. Sie knetet den Sauerteig mit etwas Wasser unter die 40 kg Mehl, deckt diesen Ansatz zu, ‚versteckt' ihn, und lässt ihn über Nacht ruhen. Am nächsten Morgen dann wird sie weitere 80 kg Mehl mit den entsprechenden Wassermengen zum Ansatz dazukneten.

Eine harte Arbeit… – Brot in Fülle.“ (9) An dem Versuch von Gnadt, das Gleichnis innerhalb alltäglicher Vorgänge plausibel zu machen, habe ich Zweifel: Die Menge übersteigt den täglichen Bedarf; für ein Fest würden mehrere Frauen backen. Ich habe es ausprobiert: nur 750 g Mehl zehn Minuten mit den Händen zu kneten, ist schon anstrengend. Der Teig ist eine zähe, klebrige, widerständige Masse mit Eigenleben. 40 kg kann eine Frau alleine unmöglich schaffen, geschweige denn 120 kg.

Die Alltagsvorgänge sind für das Gleichnis zunächst konstitutiv, dann aber hebt es sich wunderbar, überraschend-witzig vom Alltagsgeschehen ab. Entweder: Die Frau hat angesichts einer Aufgabe, die hoffnungslos überfordert, Mut, Geschick und sehr viel mehr Kraft, als sie haben kann. Zu aller Verblüffung wird das Mehl durchsäuert. Oder: Das Reich Gottes hat eine Kraft wie ein wenig Sauerteig, der entgegen aller Erfahrung imstande ist, ohne Kneten selbst 40 kg Mehl zu durchsäuern. Dem entspricht ein couragiert zupackendes, freches, über die Alltagserfahrung hinauswachsendes Vertrauen der Frau, die ihn heimlich im Mehl verschwinden lässt. In unerhörter Autonomie widersetzt sie sich den Alltagszwängen, Geschlechterregeln und ökonomischen Notwendigkeiten und gibt ihren eigenen, wohlgehüteten Sauerteig dran. In dieser Akzentuierung steht es den beiden folgenden Gleichnissen vom Schatz im Acker und der Perle nahe.


Biblischer Kontext

Diese drei Gleichnisse bilden den Abschluss der Gleichnisreden. Jesus verkündete mit den Gleichnissen das anbrechende Reich Gottes mit der Bergpredigt als Tora. Die judenchristliche Gemeinde verkündete mit den Gleichnissen Jesus, mit dem das Reich Gottes anbricht. Ihn gilt es entschlossen zu ergreifen, während sich sein Weg dann zusehends dramatisiert: Verwerfung in Nazaret, Ende des Täufers (13,53-58; 14,1-12). Anschließend wird das Motiv der Brotfülle mit der Speisung der Fünftausend sofort wieder aufgenommen (14,13-21 erneut 15,32-39). Er selbst ist in die Welt geworfen wie eine Handvoll Sauerteig in einen Bottich voll Mehl. Er wird darin unter- und aufgehen, aber es durchsäuern. Jesu Lebensweg und die Wirkweise des Reiches Gottes – und unsere Wirkungsmöglichkeiten – entsprechen sich (Missio Dei).

Auf dieser Linie verweist Mt 13,33 mit der Fülle von Brot neben dem Brotwunder auf die Mahlgemeinschaften Jesu mit den Randständigen der Gesellschaft und das Abendmahl. Sauerteig wird sonst durchweg negativ erwähnt, so 2. Mose 12,15ff; Mt 16,6ff; Gal 5,9 und 1 Kor 5,6-8: „Darum lasst uns das Fest feiern nicht im alten Sauerteig, auch nicht im Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit, sondern im ungesäuerten Teig der Lauterkeit und Wahrheit.“ Obwohl Nahrung stiftend, wird Sauerteig zum Symbol für verdorbene Lebensweise. Ähnlich ergeht es den Frauen. Sie waren kultisch unrein, wenn sie menstruierten und bei der Blutung nach der Geburt. Das Blut als Träger des Lebens stirbt ab. Totes darf dem überaus lebendigen Gott nicht nahen. Statt die Kraft Leben wachsen zu lassen zu würdigen, umgibt ein diffuser Schleier von Unreinheit ihr ganzes Leben – entgegen der Intention der Reinheitsregeln.

Jesus rückt die Verhältnisse zurecht. Frau und Sauerteig, in ihren Leben erhaltendenden und fördernden Eigenschaften, gleichen dem Reich Gottes. Beides wird irritierend und ärgerlich gewesen sein. Es liest sich als Berufungsgeschichte: Frauen sind berufen zum Dienst am Reich Gottes. Wie aus einem Fischer ein Menschenfischer wird, wird aus der Bäckerin die Reich-Gottes-Einmischerin. Sie ist berufen in ihrer Alltagskompetenz – ohne sich erst zu qualifizieren, zu reinigen, zu läutern.


Zusammenfassende Interpretation

Wer den Kontakt mit Muslimen ganz neu anfangen will, verlässt vertrauten Boden und wird begleitet von Ängsten und Unsicherheit, zumal ein solches Engagement in der Umgebung nicht immer wohlgelitten ist.
Heute wie zur Zeit Jesu braucht es Mut und Entschlossenheit, der Missio Dei zu folgen. Das Gleichnis Mt 13,33 strotzt nur so von Mut, Entschlossenheit und Kraft. Es steckt uns damit an. Das Reich Gottes kennt keine Angst, mit der Umwelt in aller-intensivsten, nicht wieder aufzulösenden Kontakt zu kommen, keine Sorge, darin unterzugehen.
Der Kontakt potenziert die schon bestehenden Lebensmöglichkeiten zu Fülle, Genuss, Wohlergehen und Frieden. Der Kontakt entsteht nur durch ein über die Alltagserfahrungen und –zwänge hinausglaubendes Denken und Handeln. Die Frau entschließt sich zu autonomen Handeln. Viele Menschen, viele Frauen sind in ihrer Autonomieentwicklung eingeschränkt. Ihnen fehlt oft der Raum, eigene Wünsche und Vorstellungen zu entwickeln, zu vertreten und durchzuhalten. Das Reich Gottes befreit zu einer beziehungsfähigen reifen Autonomie. Der Alltagszusammenhang wird dabei nicht aufgehoben. Die tatkräftige Frau braucht – wie der Sauerteig – Zeit der Ruhe: Stärkung, Gemeinschaft mit sich, Gott, den Glaubensgeschwistern.

Für die Arbeit in der Gruppe

Zeit: jeweils 2-3 Zeitstunden

Pendeln wie der Sauerteig

Benötigt werden zwei Räume, Sauerteig aus dem Reformhaus, größere Menge Mehl, Wasser. Es beginnt im Ruheraum…

Ruheraum: Gleichnis vorlesen; Assoziationen sammeln
Küche: Frauen kneten ohne Rührgerät abwechselnd Sauerteig mit Wasser und Mehl; Beobachtungen und Gefühle benennen
Ruheraum: Text von Farhat-Naser (siehe unten: „Arbeitsmaterial“) lesen; besprechen
Küche: wie oben
Ruheraum: Bild von Halbfas (ahzw 2-2004, S. 16) betrachten; Situation von Frauen zur Zeit Jesu erschließen; auf den Bibeltext beziehen;
Küche: wie oben
Ruheraum: Abschließend den Text auf die eigene Situation und den evtl. bevorstehenden Dialog beziehen: Wo mischen wir uns ein? Was bringen wir ein? Was ist es heute, was die Frau des Gleichnisses packt und im Mehl versenkt? Wann finden wir Ruhe? Was gibt uns Kraft? Nehmen wir uns dafür genug Zeit – oder zuviel? Wie soll sich der Dialog gestalten? (Verabredungen treffen) Wer mag, nimmt Teig mit nach Hause zur Weiterverarbeitung.

Sauerteigwerfen

Vorbereitung: vier Tische mit Papier belegen; in die Mitte der Tische jeweils ein Symbol legen: ein Schälchen mit Sauerteig, eine Schale mit Mehl; das Bild der Frau mit Schüssel (siehe ahzw 2-2004, S. 21) ein Brot als Symbol für das Reich Gottes; von den Symbolen aus Cluster (aufgezeichnete Felder) vorgeben, dicke Stifte bereitlegen.

Die Leiterin geht, das Gleichnis lesend und auf die Symbole beziehend, von  Tisch zu Tisch. Die Gruppe füllt die Cluster mit Assoziationen. Anschließend diskutiert die Gruppe die Sammlung und bezieht sie in die Deutung des Gleichnisses ein. Informationen aus der Exegese fließen ein. Die Besonderheit des Handelns der Frau wird herausgearbeitet.

Pause – Die Leiterin(nen) schreibt (schreiben) einige der Begriffe vom „Brot-Tisch“ auf große Altpapierbögen. Wenn in der Gruppe möglich, mit einer Körperübung mit raumgreifenden Bewegungen wieder beginnen.

Die Frauen wählen aus den Begriffen oder beschriften weitere Bögen unter der Fragestellung: Was möchte ich packen und einwerfen – in die Welt, in die Gesellschaft, in den Dialog? Anknüpfend an das ungewöhnliche Handeln der Frau im Gleichnis knüllt jede ihren Wortbogen und alle zusammen machen ein kraftvolles Zielwerfen auf eine große Schüssel, wobei sie die von ihnen gewählten Worte laut aussprechen.

Abschließend: Austausch

Die autonome Frau

Bildbetrachtung der Frau mit der Schüssel (ahzw 2-2004, S. 21) – nach einiger Zeit Information über Herkunft und Alter der Skulptur sowie über Herkunft und Bedeutung von Ackerbau und Brot einbringen.

Bild und Gleichnistext (Das Reich Gottes gleicht einem Sauerteig, den eine Frau packt und unter 40 Kilo Mehl versteckt.) nebeneinander stellen: Beides auf DIN A 4 Querformat kopieren und zunächst falten, dann dazuklappen. Mögliche Interpretationen herausarbeiten.

Text „Innere Autonomie“ (siehe „Arbeitsmaterial“ unten) lesen, darüber austauschen: Erkenne ich mich mit meiner eigenen Persönlichkeit darin wieder? Was macht Autonomie einer Frau aus? Passt es zum Handeln der Frau im Gleichnis? Wie waren und sind meine Möglichkeiten, Autonomie zu entwickeln? Was könnte ich ändern? Was bedeutet Autonomie im Hinblick auf den Dialog?

Abschließend sucht sich jede Frau allein einen ihr angenehmen Platz und notiert ihre Wünsche, Vorstellungen und Bedürfnisse in Bezug auf den bevorstehenden Dialog. Diese bringt sie in die Gruppe wieder ein; ggf. gemeinsame Ziele formulieren.

Anmerkungen:
(1) Doedens/Weiße 1997; Sieg 1997 und 2003b
(2) Vgl. unten den Text „Innere Autonomie“
(3) Gestaltungsanregungen bei Sieg 2003a und Bechmann u.a. 2000, 145-154. Da sich Feste für erste Begegnungen zwischen Frauengruppen eignen, sind die Beispiele daraufhin formuliert.
(4) Gottes Mission als gemeinsame Aufgabe – ein Beitrag des LWB zum Verständnis von Mission 1988, Wietzke 115-149, Zitate 131
(5) Das in Mt 13,33 gebrauchte griechische Wort ist unser Enzym.
(6) Die fachlichen Hinweise verdanke ich der Bäckermeisterin Wiltraud Ohrt aus Segeberg.
(7) Siehe Text unten (Arbeitsmaterial)
(8) Dem griechischen Wort entsprechen im Deutschen: kryptisch, Krypta.
(9) Gnadt S. 494

Literatur:
Ulrike Bechmann, Sevda Demir, Gisela Egler: Frauenkulturen. Christliche und Muslimische Frauen im Gespräch, Düsseldorf 2000
Folkert Doedens, Wolfram Weiße (Hg.): Religionsunterricht für alle. Hamburger Perspektiven zur Religionsdidaktik, Münster 1997
Sumaya Farhat-Naser: Thymian und Steine. Eine palästinensische Lebensgeschichte, Basel 1995
Hubertus Halbfas: Die Bibel. Erschlossen und kommentiert von Hubertus Halbfas, Düsseldorf 2001
Ulrich Becker, Friedrich Johannsen, Harry Noormann (Hg.): Neutestamentliches Arbeitsbuch für Religionspädagogen, Stuttgart 1997
Ariane Garlichs: Aufwachsen in schwieriger Zeit – Die Entwicklung von Autonomie und Beziehungsfähigkeit als Aufgabe der Schule. In: Comenius-Institut (Hg.): Aufwachsen in der Pluralität. Münster 1994, 31-45
Martina S. Gnadt: Das Evangelium nach Matthäus. Judenchristliche Gemeinden im Widerstand gegen die Pax Romana. In: Luise Schottroff u.a.: Kompendium Feministische Bibelauslegung, Darmstadt 2003
Ursula Sieg: Die gleiche Sache aus verschiedenen Perspektiven – Interreligiöses Lernen in der Grundschule. In: Doedens, Weiße, 130-135.
Ursula Sieg: Feste der Religionen. Werkbuch für Schule und Gemeinde. Mit Festkreisen und Freiarbeitsmaterial, Düsseldorf 2003(a)
Ursula Sieg: Interreligiöses Lernen als Pendeln zwischen Eigenem und Gemeinsamem. In: Christa Dommel (Hg.): Werte schätzen. Religiöse Vielfalt und öffentliche Bildung, Frankfurt 2003(b)
Joachim Wietzke (Hg.): Mission erklärt. Ökumenische Dokumente von 1972-1992, Leipzig 1993

Arbeitsmaterial: Innere Autonomie

… dass es bei der inneren Autonomie um basale Entwicklungsprozesse geht, die die Grundlage für den in der Adoleszenz im Vordergrund stehenden Identitätsbildungsprozess darstellen und ein ständiges Pendeln zwischen eigenen inneren Vorstellungen (Wünschen, Ansprüchen u. dgl.) und von außen gestellten, fremden Anforderungen notwendig machen. Die Autonomie entwickelt sich im sozialen Beziehungsgeflecht und hat sich dort auch zu bewähren.

Phänomenologische Kriterien für „reife Autonomie“:

  • Fähigkeit und Bereitschaft, differenzierende innere und äußere Grenzen zu bilden (sichere Selbst-/Objektgrenzen)
  • Fähigkeit und Bereitschaft, eigene Ziele zu definieren und durchzusetzen; Fähigkeit und Bereitschaft, Verantwortung für eigenes Verhalten zu übernehmen, auch wenn dies zu Konflikten führt
  • Fähigkeit und Bereitschaft, Widersprüche in der eigenen Selbst- und Selbstidealwahrnehmung zuzulassen und die dadurch entstehende psychische Spannung zu ertragen
  • Fähigkeit und Bereitschaft, auf Wünsche, Bedürfnisse, Einschätzungen, Werte etc. eines anderen empathisch eingehen zu können, seine Grenzen zu akzeptieren und in einen „gleichwertigen Dialog“ mit ihm zu treten
  • Fähigkeit und Bereitschaft, sich bei Konflikten im sozialen Bereich flexibel bzw. kompromissbereit und wandlungsfähig zu verhalten und in einen für die Beteiligten fruchtbaren Dialog zu treten (evtl. auch in „harter Abgrenzung“ voneinander)

Ariane Garlichs: Aufwachsen in schwieriger Zeit – Die Entwicklung von Autonomie und Beziehungsfähigkeit als Aufgabe der Schule. In: Comenius-Institut (Hg.): Aufwachsen in der Pluralität, Münster 1994, 31-45, S. 32

Arbeitsmaterial:

Ich half meiner Mutter bei ihrer täglichen Arbeit. Bevor die Sonne aufging, war sie bereits sechsmal den Weg zur Quelle gegangen und hatte jedes Mal zwanzig Liter Wasser auf dem Kopf heimgetragen. Das Wasser wurde auf dem Holzfeuer gekocht; fließendes Wasser gab es ebenso wenig wie Elektrizität. Nach der Hausarbeit ging die Mutter in die Hügel hinaus, sammelte Holz und Dorngestrüpp zum Kochen und im Winter auch zum Heizen…

Zur Reifezeit der Trauben musste im Weinberg Wache gehalten werden. Meine kranke Großmutter und wir Mädchen schliefen dann auf dem Wachturm, den noch der Urgroßvater errichtete hatte. Er war aus Feldsteinen aufgeschichtet, ringförmig angelegt und drei Meter hoch. Darauf bauten wir aus Ästen ein Dach, um uns vor der Sonne und vor dem Tau zu schützen. Die Männer schliefen unter einem Feigenbaum. Tagsüber gingen sie auf die Jagd. Wir Frauen holten Wasser von den Quellen und warteten auf die Beute. Unsere Aufgabe war es, Feigen und Rosinen zu trocknen und den Wein herzustellen. Wir warfen die Trauben in ein Felsbecken und stampften sie mit den Füßen. Danach wurde die Masse auf ein ebenes Felsstück geschoben, von wo der Traubensaft langsam in ein weiteres Felsbecken hinunterlief. Dort wurde er zugedeckt, damit er vor Tau und Staub geschützt war, nach einer Woche filtriert und zur weiteren Gärung in Tonkrüge gefüllt.

Die Eltern meiner Mutter waren richtige Bauern, die das ganze Jahr in der Landwirtschaft arbeiteten. Es war immer eine Freude, sie auf dem Feld oder im Weinberg zu besuchen. Großmutter bereitete jeweils einen Käse aus frisch gemolkener Schafsmilch zu. Mit einem Stückchen Lamm-Magen brachte sie die Milch zu Gären. Dieser Käse war für meine Mutter bestimmt. Am schönsten war es, abends nach einem langen Arbeitstag mit den Tieren der Großeltern heimzukehren. Ein Maultier, zwei Esel und viele Schafe und Ziegen begleiteten uns. Ihre Glocken klangen harmonisch und gaben uns das Gefühl, vor wilden Tieren geschützt zu sein. Wir Kinder setzten uns abwechselnd auf den Rücken der Tragtiere und naschten von den Köstlichkeiten, die Großmutter in die Taschen des Esels gepackt hatte: Äpfel, Birnen, Feigen und Rosinen. Mutter, die uns zu Hause erwartete, hörte die Glocken der Tiere näherkommen. Voller Freude nahm sie die Gaben ihrer Mutter in Empfang.

Nachts, wenn alle schliefen, knetete meine Mutter drei Kilo Teig; sie schaukelte dabei mit ihrem Fuß die Wiege, die nie leer war. Wie oft wachte ich auf und sah sie schlafend, ihre Hände im Teig versunken! Früh am nächsten Morgen ging sie mit der Teigschüssel auf dem Kopf zum Tab_n, dem runden Backofen aus Lehm und Stroh, den fünf Frauen aus dem Dorf abwechslungsweise mit Brennmaterial versorgten. Oft durfte ich Mutter auf ihrem Gang zum Ofen begleiten. Ich trug die Öllampe in der anderen Hand, um die Hunde zu vertreiben.

Sumaya Farhat-Naser, aus: Thymian und Steine. Eine palästinensische Lebensgeschichte, Basel 1995, S. 31-33

Ursula Sieg, Jg. 1960, ist verheiratet und hat ein Kind. Sie studierte Erziehungswissenschaften, Soziologie und Psychologie und wurde Pastorin der Nordelbischen Kirche. Sie hält Vorträge und veröffentlicht Beiträge mit den Schwerpunkten Religionspädagogik und Interreligiöses Lernen. Weitere Informationen und Kontakt unter: www.ursula-sieg.de.

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