Ausgabe 2 / 2008 Material von Herbert Beckmann

Im Namen des Vaters

Von Herbert Beckmann


Die berühmteste Therapeutin des 20. Jahrhunderts, Anna Freud, musste mit dem Vorbehalt leben, dass sie letztlich nie aus dem Schatten ihres Vaters herausgetreten sei. Kaum jemand hat umgekehrt Sigmund Freud den Vorwurf gemacht, dass die von ihm begründete Psychoanalyse ohne seine Tochter wohl nicht annähernd die Bedeutung gehabt hätte, die sie sich bis heute bewahrt hat. Ähnliches lässt sich von Thomas Manns Tochter Erika sagen, deren ungemein großes eigenes kreatives Potential – als Schauspielerin, Kinderbuchautorin, Journalistin, Kabarettistin – sich in der Mitte ihres Lebens plötzlich erschöpft zu haben scheint. Und just zu diesem Zeitpunkt setzt sie der greise Großmeister der Literatur als Mädchen für alles sowie, weitblickend, als Treuhänderin seines Werkes ein. Mit dieser Sisyphusaufgabe im Dienst ihres Vaters ist Erika Mann den Rest ihres Lebens beschäftigt.
Doch es ist durchaus nicht notwendig, dass die Väter berühmt sind, damit Töchter sich für sie buchstäblich zerreißen. Wer sich nun aufmerksam umsieht, wird erkennen, dass dieses Muster der Selbstaufgabe von Frauen für „väterliche“ Männer vielfältig im Alltag wiederzufinden ist. Man denke beispielsweise nur an das Ärzten entgegen gebrachte idealisierte dienstbare Verhalten einer Krankenschwester, die der Psychoanalytiker Schmidbauer in seiner Analyse helfender Berufe als „eine entsexualisierte, Vätern und Brüdern unterworfene Helferin“ beschreibt, und das sich etwa auch in dem selbstlosen Gebaren einer Sekretärin gegenüber ihrem Chef äußern kann.
Zum Glück ist das nicht die ganze Wahrheit. Es gibt andere Erfahrungen (sagen jedenfalls die Väter, und ich rechne mich zu dieser Fraktion). Und auch Töchter kennen die uneigennützige, nicht ausbeutende, bereichernde, fördernde väterliche Liebe. Ein Vater, der an der Entwicklung seiner Tochter interessiert ist, muss wohl vor allem lernen, ihren Eigensinn, ihre Renitenz zu dulden, ja, (wenn das überhaupt möglich ist) er muss sie sogar zu fördern suchen. Das Erwarten von Opferbereitschaft jedenfalls oder gar das Erzeugen von altruistischen Tendenzen sind Gift für die Töchter. Das wenigstens lehrt uns jenes uralte, kulturell übermittelte und immer wieder bekräftigte Handlungsprinzip von Vätern gegenüber Töchtern, das ich griffig, wenngleich ein wenig vollmundig vielleicht, das Prinzip des Agamemnon genannt habe.


Herbert Beckmann

aus:
Das Prinzip des Agamemnon.
Töchterschicksale im Namen des Vaters

PapyRossa Verlags GmbH & Co. KG
Köln 1999

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