Ausgabe 1 / 2005 Material von Annette Standop

Im Rollstuhl – und dennoch mobil

Von Annette Standop

Seit meinem vierten Lebensjahr bewege ich mich im Rollstuhl durch die Welt. Mittlerweile bin ich 29 Jahre alt, habe Theologie studiert, in diesem Fach auch promoviert. Das Thema Mobilität stellt für mich als behinderte Frau eine Art Lebensfrage dar. Ich habe das große Glück, rund um die Uhr einen Assistenten bei mir zu haben, der mich in meinem Kleinbus transportiert und mich überall dorthin begleitet, wo ich auf fremde Hilfe angewiesen bin. Da ich mit meinem elektrischen Rollstuhl viele Unternehmungen auch alleine machen kann, steht es insgesamt – verglichen mit den meisten behinderten Menschen – sehr gut um meine Mobilität, sofern man diese nur als räumliche Beweglichkeit versteht.

Viel schwieriger aber wird es, wenn frau auf die Feinheiten sieht. Gerade war ich nach Bonn umgezogen. Ich hatte eben angefangen, mich in einer neuen Stadt zu orientieren, und das wirft Fragen auf: An welchen Straßenecken existieren abgeflachte Gehsteigkanten? Welches öffentliche Gebäude und welches Geschäft verfügt über einen rollstuhlgerechten Zugang? Welche öffentlichen Verkehrsmittel kann ich benutzen? Und wo finde ich Behindertenparkplätze?

Und doch gibt es noch eine ganz andere Ebene, die nicht nur für behinderte Menschen zum Problem wird: Was ist zu halten von jenem Mobilitätsideal, das unsere Gesellschaft zunehmend fraglos vervielfältigt? Nicht nur, dass in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen – Behinderte, Alte, Eltern mit kleinen Kindern – im wahrsten Sinne des Wortes auf der Strecke bleiben. Mit Blick auf die Nachhaltigkeit unserer Lebensweise bleibt die Frage nach ökologisch verantwortbarer Mobilität offen. Ich erkenne die ökologische Herausforderung, meine Wege besser zu rationalisieren und Fahrten so zu organisieren, dass möglichst wenige Kilometer gefahren werden müssen. Aber, ganz ehrlich: Ich bin dennoch nicht bereit, meine Beweglichkeit nur deshalb einzuschränken, weil mir keine passende Alternativen zum Auto zur Verfügung stehen.

Es gibt allerdings auch eine Form der Beweglichkeit, die sich weder in baulichen Gegebenheiten noch in Kilometern ausdrückt, sondern einzig in den Köpfen der Menschen. Es geht hier um die Fähigkeit, sich Ziele zu stecken und jene Wege zu suchen, die zu diesen Zielen führen.

Text (gekürzt) aus:
Ab heute für morgen. Frauen auf zukunftsfähigen Wegen
© Misereor Medienproduktion und Vertriebsgesellschaft, Aachen 1997

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