Ausgabe 1 / 2009 Frauen in Bewegung von Josefine Hallmann

Irene Williams

"Ich muss etwas für diese Frauen tun."

Von Josefine Hallmann


„Irene Madam sieht nach den Frauen wie nach ihrem Auge.“ So erzählen Frauen der TWEED-Gruppe im Dorf Thamarai – das heißt „Lotus“ – in der Nähe von Madras im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu. Zu Besuch bei ihnen ist eine kleine Delegation des Frauenwerks Hannover im Januar 2006.

Thamarai ist eines der ersten Dörfer, in dem eine Gruppe von 15 Frauen im Jahr 2002 mit dem TWEED-Projekt startete. TWEED steht für „Trust For Women Empowerment And Economic Development“ und ist ein Mikrokredit-Projekt für Frauen. Mit Hilfe des Kleinkredits sind nun alle Teilnehmerinnen des Projekts in der Lage, mit einer verwirklichten Geschäftsidee ihre Familien zu ernähren. Nach vier Jahren ist das Dorf verändert. Nicht nur der wirtschaftliche Einfluss der Frauen ist deutlich, eine Frau betreibt zum Beispiel einen kleinen Kiosk, sondern auch ihr Einfluss auf die Dorfgemeinschaft. Von ihren Verkaufserlösen bezahlen die Frauen eine Lehrerin, die in der Abendschule Kinder so unterrichtet, dass ihnen der Besuch eines normalen Schulunterrichts leichter fällt. Mit dem Bürgermeister haben sie hartnäckig so lange verhandelt, bis endlich die Straßenbeleuchtung repariert wurde.

Verändert haben sich auch die Frauen selbst. Sie erzählen, dass sie nun das Dorf zu Besorgungen verlassen, mit der Bank in der Stadt selbst über ihr Konto verhandeln, sich regelmäßig treffen und alles besprechen. Sie seien glücklicher und freier geworden, sagen sie.


Wie alles begann

Begonnen hat TWEED mit einer Bankerin: Irene Williams, 53 Jahre, verheiratet mit Dr. William Gnanasekaran, mit dem sie in Chennai/Madras wohnt. Geboren ist sie in Tranquebar – dort, wo der deutsche lutherische Missionar Bartholomäus Ziegenbalg 1706 landete und mit der christlichen Missionierung Südindiens begann. Nach dem Universitätsabschluss 1977 arbeitete Irene Williams 25 Jahre lang bei einer internationalen Bank in Indien. Oft erlebte sie dort, dass armen Menschen, besonders vom Land, jeder noch so kleine Kredit verweigert wurde, weil sie keine Sicherheiten bieten konnten.

Selbst sagt Irene Williams über ihren Weg zu TWEED: „In den zwölf Jahren, in denen ich in einer Filiale auf dem Land arbeitete, lernte ich so viele Frauen kennen, die mir ihre eigene Geschichte erzählten, wie sie in großer Armut leben und wie groß für sie die Not ist, einen kleinen Kredit zu erhalten, um sich wenigstens drei Mahlzeiten am Tag leisten zu können. Sie konnten weder lesen noch schreiben. Diese Erfahrungen mit den Leuten aus den Dörfern, besonders mit den Frauen, ließen mich sehr nachdenklich werden, und es endete schließlich mit der Entscheidung: ‚Ich muss etwas für diese Frauen tun.' Und dies war der kleine Funken in mir, der zum Licht der Hoffnung für viele ‚arme' Frauen werden sollte.“(1)

Also gab Irene Williams ihren Job und die Karriere bei der Bank auf und investierte ihr eigenes Kapital in den Start des Projektes. TWEED begann im Januar 2000. Ein Jahr später wurde es als ein Trust unter der indischen Regierung registriert. Irene Williams berichtet, dass es zunächst nicht leicht war, die Frauen zu erreichen und einen Zugang zu ihnen zu finden. Mehr als ein halbes Jahr habe es gebraucht, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Wie ein Alptraum sei es manchmal für sie gewesen. Sie habe sogar begonnen, von Frauen und Dörfern zu träumen. „Jetzt, nach diesem Kampf und harter Arbeit, bin ich für meine Frauen ‚Irene Madam', wie sie mich liebevoll nennen“, sagt Irene Williams. Und sie ist stolz, als Frau mit diesen Frauen zu arbeiten. „Sie sind sehr verantwortungsvoll, ehrlich und hart arbeitend. Auch in der Rückzahlung des Kredites sind sie sehr zuverlässig. Alles, was diese Frauen brauchen, ist das Bewusstsein, die Motivation und eine helfende Hand.“


Wie gearbeitet wird

TWEED vergibt Kleinkredite an Frauen, die sie sonst nicht bekämen, weil sie keine Sicherheiten bieten können. Der Betrag von ca. 40 Euro ist eine Anschubfinanzierung für ein kleines Geschäft. Das Geld muss in einem festgelegten Zeitraum zurückgezahlt werden. Die Finanzverwalterin der Gruppe sammelt die Rückzahlungen ein. Die Rückzahlungssumme schreibt die Bank dem Projekt gut. So können aus dem Guthaben neue Kredite als „revolving credit“ vergeben werden.

Die Ziele von TWEED lassen sich in fünf Punkten zusammenfassen:
– Frauen in den armen Dörfern soll ihre Lebenssituation bewusst gemacht werden.
– Frauen sollen bei der Entwicklung von Gruppensolidarität unterstützt werden, damit sie gegen die sozialen Missstände ankämpfen können.
– Frauen sollen wirtschaftlich gestärkt und ihre Entwicklung soll gefördert werden.
– Frauen sollen motiviert werden, neue Einkommensquellen für sich und ihre Familien zu erschließen.
– Frauen sollen dabei unterstützt werden, selbstständig und unabhängig zu werden und sich gegenüber Männern zu behaupten.

Als Christin ist es Irene dabei ein Anliegen, dass an den Projekten auch Frauen teilnehmen, die Hindus oder Musliminnen sind.(2)

Mit großem Geschick hat Irene Mitarbeiterinnen gesucht und gefunden. Ruby war eine der ersten. Sie arbeitet als Koordinatorin, die unter anderem eine Vorauswahl der Dörfer trifft und die Organisation der Selbsthilfegruppen betreut. Für Irene ist wichtig, dass TWEED regelmäßig Seminare für die Teilnehmerinnen der Selbsthilfegruppen anbietet. Dort werden die Frauen nicht nur in konkreten Tätigkeiten für ihre Kleinunternehmen ausgebildet. Sie werden auch fortgebildet etwa in Gesundheitsaufklärung oder lernen die eigene Lebenssituation zu reflektieren. Sie erfahren etwas über die gesellschaftlichen Mechanismen, die ihrer Situation zugrunde liegen, oder den Umgang mit Geld.

TWEED ist ein Erfolgsprojekt, das an vielen Beispielen belegen kann, wie eine solche Förderung von Frauen nicht nur ihre Situation und die der Kinder positiv beeinflusst, sondern auch auf die Dorfgemeinschaft wirkt. Dies ist dem Konzept zu verdanken, das Irene Williams an die Vergabe des Kredits gebunden hat und das sie mit Leben erfüllt. Ihre über die Jahre entwickelte Kompetenz hat den Lutherischen Weltbund (LWB) 2008 bewogen sie zu bitten, an einer internationalen Evaluation von Projekten teilzunehmen, die vom LWB in Indien unterstützt werden. Die Nominierung erfolgte durch die UELCI (United Evangelical Lutheran Churches in India), weil sie als Expertin Beratungen für Kleinkredite bei TWEED durchführt.

Bei unserem Besuch der Projekte beobachteten wir immer wieder, mit welch großer Freude und Hoffnung Irene empfangen wird. Und wir spürten Irenes Freude, wenn sie die Veränderungen bei den Frauen beobachtet. Irene Williams ist eine große Frau!


Josefine Hallmann, 65 Jahre, ist Studienrätin für Biologie und Chemie und war viele Jahre Personalrätin an einem Gymnasium. Bis zu ihrem Eintritt in den Ruhestand war sie Pädagogische Referentin im Frauenwerk des Ev.-Lutherischen Landeskirche Hannovers. Von 2000 bis 2007 war sie die Vorsitzende der Ev. Frauenarbeit Deutschlands e.V. (EFD) und danach, als Vorsitzende des Übergangspräsidiums, auch leitend verantwortlich für deren Zusammenschluss mit der Ev. Frauenhilfe in Deutschland e.V. (EFHiD) zum nunmehr gemeinsamen Dachverband Evangelische Frauen in Deutschland e.V. (EFiD).


Anmerkungen:

1 http://tweedprojekt.com/index.php?id=10
2 Ein Artikel von Irene Williams über ihre Erfahrungen mit Integration ist zu finden in der Zeitschrift DRITTE WELT Information 7-9/2007: Frauen im Spannungsfeld. Zwischen Globalisierung und Tradition.
Bezug: Redaktion „welt-sichten“, PF 50 05 50, 60394 Frankfurt/M.;
Tel.: 069 – 58 098138; E-Mail: redaktion@welt-sichten.org; Preis: 5 Ä

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