Alle Ausgaben / 2001 Bibelarbeit von Ute Sauerbrey

Ja, Gott ist meine Rettung. Ihm will ich vertrauen und niemals verzagen.

Von Ute Sauerbrey

(Auszug)

Eine Jahreslosung muss kurz und griffig sein – das ist einsehbar. Bei der Jahreslosung 2002 ist es aber besonders schwierig, sie losgelöst aus ihrem Kontext im Jesajabuch zu sehen. Nur zu leicht können so Missverständnisse entstehen. Isoliert klingt der Satz leicht nach dem selbstsicheren Glaubenszeugnis eines völlig unangefochtenen Menschen. Wer würde schon vermuten, dass es sich hierbei um die Verheißung handelt, dass “an jenem Tag“ das Volk Israel so singen wird? Das schließt doch ein, dass zu der Zeit, da Jesaja 12 geschrieben wurde, die AdressatInnen des Textes weit davon entfernt waren, so unangefochten und glaubensstark zu loben und zu danken. Aus dem Kontext gerissen, scheint die Jahreslosung ein Motto für Glaubensheldinnen und -helden zu sein. Eingebettet in den Kontext, ist sie ein Trostwort für die, die gerade ganz unten sind. Noch ist nichts gut, aber einer kommt und sagt, dass es anders kommen wird. Ob das ein echter Trost ist, hängt von der Glaubwürdigkeit des Menschen ab, der das sagt: Es wird noch anders kommen, dies ist nicht das Ziel, das Gott für dich bestimmt hat – das darf nicht herablassend, überheblich gesagt werden. Die Glaubwürdigkeit des Verfassers von Jesaja 12 hing wahrscheinlich daran, dass er niemand war, der von außen auf das Schicksal der IsraelitInnen herabblickte. Er war einer von ihnen. Deshalb konnte er es sich auch leisten, den Mund so voll zu nehmen. Das war kein billiger Trost, leicht dahingesagt und niemandem eine Hilfe. Sondern wenn einer aus dem geschlagenen Volk im Elend des Exils die Kraft fand, solch ein Lied zu singen, solche Hoffnung zu predigen, dann war das schon ein Wunder, ein Zeichen dafür, dass Gott nicht das Elend will, sondern die freudige Heimkehr. Kein wohlmeinendes “Kopf hoch“ also, und auch keine eitle Zurschaustellung der eigenen Glaubensstärke.

Gemeinsam zur Sprache finden

Das Exil war für das Volk Israel der größte anzunehmende Unglücksfall. Fern von Jerusalem, vom Berg Zion mit dem Tempel waren sie abgeschnitten von der Wurzel, die sie bis dahin getragen und erhalten hatte. Sie hatten eine traumatische Geschichte von Scheitern und Demütigungen hinter sich. Das Exil als Tal der Tränen – die Psalmen, die in dieser Situation entstanden sind, gehen uns auch heute noch an Herz und Nieren: “An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten…“ (Psalm 137,1). Gerade in diesem Psalm kommt etwas zur Sprache, das auch heute für den Umgang mit Scheitern bestimmend ist: die Sprachlosigkeit. “Unsere Harfen hängten wir an Weiden dort im Lande… Wie könnten wir des Herrn Lied singen in fremdem Lande?“ (Psalm 137,2.4) In Jesaja 12 hat einer zur Sprache gefunden, zur Sprache der Hoffnung. Zwischen diesen beiden Texten liegen Welten – zwischen diesen beiden Texten liegen vor allem viele Erzählungen, Gespräche, in denen die Exilierten gemeinsam ihr Schicksal immer wieder bedachten, beweinten, beklagten, sich und bestimmt auch Gott anklagten, bevor einer von ihnen aus dem gemeinsamen Sprechen über das traumatische Geschehen wieder einen Blick nach vorn entwickeln konnte. Dass Psalm 137 und Jesaja 12 beide aufbewahrt wurden, zeigt, wie wertvoll der ganze Prozess ist: Vom Schweigen über das gemeinsame Klagen hin zu einem Lied der Hoffnung. Alles an diesem Prozess hat seinen Wert, und das Lied, das am Ende steht, wäre ohne das vorangegangene nicht entstanden.

“Ja, Gott ist meine Rettung, ihm will ich vertrauen und niemals verzagen“ – so reden zu können ist die große Hoffnung derer, die noch auf der Suche sind nach Gott, nach dem Leben in Einklang mit ihm und mit den Menschen. Aber wo immer Menschen trotz vielfältiger Erfahrungen des Scheiterns die Kraft finden, diese Hoffnung zur Sprache zu bringen, da geht eine Kraft aus, die auch andere ansteckt.

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