Ausgabe 2 / 2009 Material von Christel Ludewig

Ja sagen

Von Christel Ludewig


Eine Aufgabe der Pflege ist es, Menschen in Krankheits- und/oder Altersprozessen in der Annahme ihrer inneren und äußeren Veränderungen und den damit verbundenen Gefühlen zu unterstützen, denn Pflegebedürftigkeit stellt einen hohen Anspruch an das Selbstbild desjenigen, der damit leben muss. Die Leistungsfähigkeit nimmt ab, der Körper wird unansehnlich und seine Funktionen geraten teilweise außer Kontrolle wie z.B. bei Inkontinenz oder einer Gehbehinderung. Es stellt sich die Frage nach dem eigenen Wert und damit dem Lebenswert.

Im Falle einer Erkrankung und damit verbundener Pflegebedürftigkeit geraten die Betroffenen einschließlich ihrer Familien insbesondere in der Anfangsphase zwischen die beiden Pole der Annahme und Verweigerung. Ein vorschnelles „Ja“ nach dem Motto „Es ist Gottes Wille“ verhindert eine echte Auseinandersetzung mit der Problematik. Das anfängliche Verneinen, Verleugnen und das Zulassen negativer Gefühle wie Trauer, Zorn und Hass sind wichtige Phasen auf dem Weg zur Annahme des vermeintlich Unmöglichen.

Der Prozess der Annahme ist eng gekoppelt an die Suche nach Sinnfindung. Viktor Frankl, der Begründer der Logotherapie (Logos = Sinn) behauptet, dass keine Lebenssituation wirklich sinnlos ist. Er geht davon aus, dass auch scheinbar hoffnungslose Situationen gemeistert und zum Positiven gewandelt werden können, wenn Menschen ihnen mit der rechten Einstellung und Haltung begegnen. Unzweifelhaft erfordert dieser Prozess von allen Beteiligten viel Zeit und Geduld. Manche Probleme lassen sich einfach lösen, indem entsprechende praktische Maßnahmen eingeleitet werden. Insgesamt aber brauchen Pflegebedürftige und ihre Begleiter viel Ausdauer, um Hoffnung zu behalten oder wiederzuerlangen.

Menschen, die sich für Pflege entscheiden, gleichgültig ob professionell, ehrenamtlich oder privat in der Familie, … geraten auch selbst immer wieder zwischen die Pole der Verweigerung und der Annahme. Orientierung in solchen Situationen kann z.B. durch Beratung, Supervision oder den Besuch von Selbsthilfegruppen stattfinden.


Christel Ludewig

aus:
Pflege und Spiritualität
© 2008
Gütersloher Verlagshaus
Gütersloh
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
München

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