So, jetzt nicht erschrecken, es ist gleich vorbei! Gleich tut es nicht mehr weh! Ich erinnere die Stimme der Mutter, erinnere wie ich vor ihr sitze, die Lippen zusammen gepresst, auf den Schmerz wartend. Ein Ruck, und schon ist das Pflaster ab. Die Mutter streichelt mich, nennt mich tapfer und tröstet mich über den Schmerz meiner abgeschürften Haut vom Sturz mit dem Roller hinweg. Erschrecke nicht, ich bin ja da.
Mit der Zeit wurden die Schürfwunden an Armen und Beinen weniger, dafür kam der Liebeskummer, das Erschrecken, die Großmutter könnte sterben, ich würde nicht bestehen im Leben. Wenn das Herz erschrak, dann dauerte der Schmerz länger. Aber das Vertrauen blieb. Fürchte dich nicht, ich bin da.
Es ist nicht nur diese Schrecksekunde, wenn wir – völlig unerwartet den Halt verlierend – ins Bodenlose fallen. Wie betäubt liegen wir da, unfähig, uns zu retten. Wie ein Vogeljunges, das aus dem Nest fällt. Ohne Schutz, ohne vertraute Wärme, ausgeliefert, verloren. Starr vor Schreck wollen wir aufgehoben, geborgen sein, wollen, dass alles wieder gut wird, dass da eine oder einer sagt: Fürchte dich nicht, ich bin da.
Unsere Sehnsucht nach Geborgenheit, nach Nestwärme, nach liebenden Armen begleitet uns durch das Leben. Weil wir nicht bewahrt sind vor einem abgeschürften Knie, vor verletzter Seele, vor dem Verlassenwerden, vor Abschieden. Das war in biblischen Zeiten nicht anders. Jesus wusste es wohl: Seine Zeit ist gekommen, er wird seine Jüngerinnen und Jünger verlassen. Er verschweigt nichts, nicht sein Sterben, nicht den Verrat, nicht die Verleumdung. Vielleicht können wir das Entsetzen im Gesicht des Petrus mit lesen, die Fragen der anderen nach dem Warum.
Jesus redet von seinem Abschied. Er wird bald nicht mehr bei ihnen sein. Das sagt er ihnen. Ihr werdet ohne mich weiterleben, ohne meine Stimme, meine Blicke, ohne meine Zuwendung. Warum denn Abschied? Jetzt, nein, zu früh. Was wird mit unseren Plänen? Wie soll Gerechtigkeit werden ohne dich, Meister?
Jesus will sie nicht ängstigen. Habt keine Angst, erschreckt nicht, sagt er ihnen. Immer wieder leuchtet es auf, dieses „Fürchte dich nicht!“ Wenn ich auch nicht mehr bei euch bin, so lasse ich euch doch nicht allein. Geht den begonnenen Weg weiter, bleibt in der Gemeinschaft, in der Liebe untereinander, dann bin auch ich da.
Die Abschiedsreden sind ein Reden mit der Angst vor Augen. Schaut her! Macht die Augen auf! Das Leben verläuft nicht nur nach Wunsch. Manches tut unserer Seele weh, aber der Schmerz bleibt nicht.
Weil ihr nie allein seid.
Weil wir eingebunden sind in die Liebe Gottes.
Weil ihr euer Leben in Hände legen könnt, die größer sind als euer ängstliches Herz.
Menschen vor euch haben es erfahren und Menschen nach euch werden es erfahren.
Ja, so ist es. Wie oft hat uns unser Glaube an Gottes Barmherzigkeit in hoffnungslos scheinenden Situationen zuversichtlich sein lassen? Wie oft durften wir schon unter seinen Flügeln Zuflucht finden, uns geborgen fühlen, von seinen Engeln getragen, behütet, beschützt, vertrauensvoll abwartend, dass uns die Kraft zuwächst und wir wieder aufsteigen wie ein Adler?
Wir stimmen in die Psalmen ein und wissen, Gott ist da, auch für uns.
Jesus hat uns den Weg zu ihm erschlossen. Und deshalb ist uns dieser Vers auch heute noch Zumutung und Trost: Euer Herz erschrecke nicht. Glaubt an Gott und glaubt an mich.
Aus dem nest gefallen
ins bodenlose
nichts
unerwartet
gefunden
aufgehoben
geborgen
pochenden herzens
spüren
und fühlen
was trägt
zerzauste federn
glätten
und los
ins leben
zurück
vertrauend
auf sein
fürchte dich nicht.
Marlies Siegert ist ehrenamtliche Redakteurin des Gemeindebriefs der Ev. Kirchengemeinden in der Lübbenauer Region und Beauftragte für die Frauen- und Familienarbeit des Kirchenkreises.
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