Alle Ausgaben / 2009 Artikel von Katrin Stückrath

Jakobsleiter und Mariendistel

Spaziergang durch einen Bibelgarten

Von Katrin Stückrath


„Hängt da eine Bibel vom Baum?“ Oft sorgt der Begriff „Bibelgarten“ erst einmal für Verwirrung. Manche denken sofort an biblische Gärten, zum Beispiel den Garten Eden. Andere haben Erfahrungen mit Klostergärten gemacht, die sich in jüngster Zeit großer Beliebtheit erfreuen.

Viele Menschen haben auch noch nie etwas von einem Bibelgarten gehört, obwohl es inzwischen ungefähr 100 Bibelgärten in ganz Deutschland gibt. Die meisten davon liegen im nordwestdeutschen Raum, was wohl daran liegt, dass die Bibelgartenidee dort am längsten verbreitet ist.

Schon im Jahr 1979 wurde im Botanischen Garten Hamburg aufgrund einer Partnerschaft mit Jerusalem ein erster kleiner Bibelgarten angelegt. Weiter verbreitete sich die Idee durch die Bundesgartenschau in Cottbus 1995. So entstanden ab Mitte der 90er Jahre die ersten Bibelgärten bei katholischen und evangelischen Kirchengemeinden, zum Beispiel am Bremer Dom und in Schöningen.

Weiteren Auftrieb erfuhr die Idee im Jahr 2003, dem ökumenischen „Jahr der Bibel“. Viele Kirchengemeinden ließen sich von der Idee begeistern, mit Pflanzen die Bibel nahe zu bringen.
Pflanzen der Bibel sind die wichtigsten Gestaltungsmittel von Bibelgärten. Vielen fällt spontan der Apfelbaum ein, von dem Adam und Eva aßen. Aber war es wirklich ein Apfelbaum?


Apfel, Traube oder Feige?

In der Bibel ist nur von einer „Frucht“ die Rede. Die ersten Christinnen und Christen lehnten sich an die jüdische Tradition an, dass der Baum der Erkenntnis ein Weinstock gewesen sein musste: „Es wird nämlich gelehrt: Der Baum, von welchem Adam der Urmensch gegessen hatte, war, wie Rabbi Meìr sagt, ein Weinstock, denn du hast nichts, was über den Menschen mehr Wehklage bringt, als den Wein.“ Vermutlich setzte sich die Identifizierung mit dem Weinstock nicht durch, weil man dieses Symbol Christi nicht abwerten wollte.

Die christliche Kunst griff daher eine andere jüdische Tradition auf. In der Schrift „Leben Adams und Evas“ aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. spricht Eva: „Ich aber suchte in meinem Bezirk Blätter, um meine Scham zu bedecken, und nicht fand ich. Denn alle Gewächse meines Bezirks warfen die Blätter ab, ausgenommen allein der Feigenbaum. Ich aber nahm Blätter von ihm und machte für mich selbst einen Schurz.“ Einige Handschriften ergänzen: „Und gerade von diesem Baum hatte ich gegessen.“

Obwohl Dürer den Baum der Erkenntnis im Jahr 1504 mit Feigenblättern und Apfelfrüchten malte, setzte sich in Nordeuropa mehr und mehr der Apfel durch. Vermutlich waren dafür die sogenannten Adamsspiele bedeutsam, bei denen das Geschehen im Garten Eden als Theaterstück vor den Türen der Kathedralen aufgeführt wurde. Man brauchte eine Frucht als Requisit – und der Apfel war am einfachsten verfügbar.

Die erste namentlich in der Bibel erwähnte Pflanze ist also der Feigenbaum, eine bedeutende Kulturpflanze des Alten Orients. Eine Besonderheit der Feige ist, dass man keine Blüten an ihr sieht. Aus der einen Knospe entwickeln sich Blätter, aus der anderen bricht eine kleine Frucht hervor. Das ist die Frühfeige, die abfällt, bevor sie groß wird. Danach erst entwickeln sich die Sommerfeigen. Wegen ihres hohen Zuckergehaltes konnten sie getrocknet oder – zu Fladen gepresst – gelagert oder auf Reisen als Proviant mitgenommen werden. Die Feige ist eine der wenigen in der Bibel beschriebenen Heilpflanzen: Jesaja legte dem König Hiskija einen Verband aus gepressten Feigen auf sein Geschwür (2 Kön 20,4-7).


Weizen, Oliven und Datteln

Eine Zusammenstellung der wichtigsten Kulturpflanzen finden wir in 5. Mose 8,7-8: „Ja, Adonaj, Gott für dich, bringt dich in ein gutes Land, mit Flussläufen, Quellen und Grundwasser, das in den Tälern und im Gebirge hervorquillt, ein Land voller Weizen und Gerste, voller Weinstöcke, Feigen- und Granatäpfel, ein Land der Olivenbäume und des Honigs.“ (BigS) Unter dem „Honig“ verbirgt sich vermutlich die Dattelpalme, denn es geht ja um die Früchte des wasserreichen Landes Israel. Aus Datteln bereitete man einen Sirup, der „Honig“ (hebräisch dewasch) genannt wurde; wird er vergärt, erhält man einen „Arrak“.
Zu den genannten Pflanzen fallen biblisch Bewanderten viele Geschichten ein. In der Jothamsfabel preisen Ölbaum, Feige und Weinstock ihre Vorzüge (Ri 9,8-15). König Ahab eignet sich den Weinberg von Nabot mit Gewalt an (1 Kön 21). Wer unter Weinstock und Feigenbaum – die Minimalausstattung eines israelitischen Hausgartens – sitzen kann, der lebt in Frieden (Mi 4,4).


Kürbis, Efeu oder Rizinus?

Eine interessante Pflanze, deren Identifizierung lange umstritten war, wird in Jona 4,6 erwähnt, hebräisch heißt sie Qîqàyôn (sprich: Kikajon). Gott ließ sie wachsen, damit der Prophet Schatten hätte.
Zwischen den Kirchenvätern Augustinus und Hieronymus gab es Anfang des
5. Jahrhunderts einen Briefwechsel über diese Bibelstelle. Hieronymus hatte Qîqàyôn mit „Efeu“ übersetzt, die lateinischen Übersetzungen vor ihm mit „Kürbis“. Als die neue Übersetzung im nordafrikanischen Oea, dem heutigen Tripolis, vorgelesen wurde, gab es einen solchen Aufruhr, dass der Bischof beinahe hätte zurücktreten müssen. Hör-Gewohnheiten dürfen eben nicht unterschätzt werden. Noch in der von Cranach und seiner Schule illustrierten Lutherbibel liegt auf dem Dach der Hütte des Jona ein dicker Flaschenkürbis und spendet mit seinen breiten Blättern Schatten.

Breite Blätter hat auch der Rizinus, der in den Bibelgärten als Baum des Jona wächst. Von Qîqàyôn zu Rizinus gibt es eine Brücke über das griechische Fremdwort kiki. Viele deutsche Bibelübersetzungen haben heute in Jona 4,6 „Rizinus“, nur die Lutherübersetzung hält sich mit „Staude“ bei der Identifizierung zurück. Der Rizinus wächst bei Wärme schnell, bleibt aber ein labiles Gewächs. Er hat sehr dekorative Samenstände, deren wasserlösliche Anteile giftig sind. Das Öl hingegen wurde als Abführmittel verabreicht.


Biblisches „Unkraut“

Jesus hat viele Gleichnisse aus der Landwirtschaft erzählt. Besonders schön ist das nur bei Lukas überlieferte Gleichnis von der Chance für den unfruchtbaren Feigenbaum (Lk 13,6-9).

Jesu Gleichnis „Vom Unkraut unter dem Weizen“ (Mt 13,24-30) wird verständlicher, wenn man sich die Pflanzen, von denen die Rede ist, einmal in einem Bibelgarten anschaut. Im Gleichnis fragen Knechte, ob sie das Unkraut ausjäten sollen, das sich zwischen dem aufwachsenden Weizen zeigt. Ihr Herr verweist auf die Gefahr, dass der Weizen mit dem Unkraut ausgerauft werden könnte; beides soll daher gemeinsam bis zur Ernte stehen bleiben.

Eines der in Betracht kommenden Ackerunkräuter ist der Taumel-Lolch Lolium temulentum, dessen Körner bis zur Zeit der modernen Landwirtschaft in ganz Europa das Brot vergifteten und so Schwindel und Erbrechen verursachten. Ein anderes ist der Syrische Schuppenkopf Cephalaria syriaca. Beide haben dem Weizen ähnliche Halme. Durch das Sieben der Körner wurden Lolch und Schuppenkopf dem Weizenkorn immer ähnlicher gezüchtet und die Aussaat so verunreinigt. Bei genauerem Hinsehen lassen sich die Halme aber unterscheiden.

Es war vermutlich besonders die Aufgabe der Frauen und Mädchen, das Unkraut vor der Körnerbildung auszujäten. Jesu Gleichnis widerspricht dem Alltag – und dadurch bekommt eine Aussage ein besonderes Gewicht: Jesus untersagt jeden menschlichen Versuch, in Gut und Böse zu trennen, und verweist auf Gott als endgültigen Richter. Der Evangelist Matthäus bewahrte diese Weisung für das Zusammenleben in einer christlichen Gemeinde.


Aronstab und Judasbaum

In vielen Bibelgärten wachsen neben Pflanzen, die in der Bibel erwähnt werden, auch Pflanzen mit einem christlichen Bezug im weiten Sinn.

Da ist der Judasbaum mit seinen leuchtend dunkelrosafarbenen Blüten und den weißen Samenhüllen, die an die Silbertaler, den Judaslohn, erinnern. Er ist in Palästina heimisch. Auch das Gottesgnadenkraut und andere Klostergartenpflanzen passen gut in einen Bibelgarten. Manche heimische Pflanzen erinnerten die Menschen früher aufgrund ihres Aussehens an biblische Motive, etwa der Aronstab, die Jakobsleiter und das Salomonsiegel. Pflanzen, die zu bestimmten Festtagen des Kirchenjahres blühen wie Christrose, Osterglocke und Pfingstrose, kennt fast jeder, ebenso das Johanniskraut und andere nach Heiligen benannte Kräuter. In katholischen und ökumenischen Bibelgärten findet man auch einige der vielen an Maria erinnernden Blumen wie Frauenmantel, Mariendistel und Madonnenlilie.

Besonders ausgeprägt ist die christliche Symbolik bei der Passionsblume Passiflora caerulea, Inbegriff des Leidens Christi. Die drei Narben der auffälligen Blüte symbolisieren die Nägel bei der Kreuzigung Jesu und die Trinität, die fünf Staubblätter die Wundmerkmale, der fransige blauviolette Strahlenkranz die Dornenkrone und die Farbe der Passion, die hellen Deckblätter die zehn treuen Jünger. Eine feministische Neuinterpretation steht noch aus…


Gartenwege des Glaubens

Aber nicht nur mit Pflanzen kann man einen Bibelgarten gestalten. „Wir wollten, dass alles aus der Bibel erzählt: Wege, Wasser, Symbole und Zahlen“, sagt eine Gartengestalterin im Bibelgarten Werlte. Entstanden ist dort ein Garten des „biblisch-heilsgeschichtlichen“ Typs. Hier wurden bestimmte Texte und Themen ausgewählt, die als wichtige Stationen des Weges Gottes mit den Menschen in der Bibel erzählt werden.

In Werlte führt der Weg zuerst in den „Schöpfungsgarten“. Hier wachsen viele wunderschöne Stauden, die die Gemeindeglieder aus ihren eigenen Gärten mitgebracht haben. Sie sollen von der Schönheit der Schöpfung erzählen. Im nächsten Gartenteil begegnet ein Steinlabyrinth inmitten einer Geröllfläche: Gott befreite das Volk Israel aus der Sklaverei in Ägypten und führte es durch die Wüste und von da aus in das Gelobte Land. In diesem Gartenteil wachsen biblische Kulturpflanzen wie Flachs, Linsen und Bohnen, Zwiebeln und Knoblauch, Gurken und Melonen, Weizen, Gerste und Hirse sowie Gewürzkräuter wie Schwarzkümmel, Dill, Minze und Raute. Der vierte Gartenteil deutet die Vollendung der Welt an, die wir erhoffen. Eine Laube und ein Davidstern-Ornament erinnern an das Neue Jerusalem, das vom Himmel herabkommt. Ein Teich symbolisiert das Wasser des Lebens. Ein Springbrunnen zerstäubt das Wasser so fein, dass oft ein Regenbogen zu sehen ist.

Ein anderes Bibelgartenkonzept zeigt die Pflanzen der Bibel als „ökologische Artengruppen“, das sind zum Beispiel Waldbäume und Büsche, Wasserpflanzen, Wüstenpflanzen, Feldblumen. Damit gelingt ein Anklang an die Landschaft Israels, was durch Materialien wie Steine und Kies oft noch verstärkt wird. Oder die Bibelpflanzen werden entsprechend ihrer Nutzung durch die Menschen zusammengefasst. In solchen Gärten gibt es dann Bereiche für Feldfrüchte und Gartenpflanzen, Obstbäume, Heilkräuter, Färbekräuter, Duftstoffe und Räucherwerk. Hierher passen besonders gut die Klostergartenpflanzen, deren Anbau ein Stück europäischer Kulturgeschichte darstellt.

Schließlich gibt es auch Bibelgärten, in denen mit den Mitteln eines Gartens – Gewächse, aber auch Wegeformen, Skulpturen und Mosaike – zentrale Symbole des christlichen Glaubens -versinnbildlicht werden. In Oyten steht ein Apfelbaum in einem Kräuterkreis, eine Skulptur zeigt ein Menschenpaar, weiße Tauben fliegen in einen Schlag und wieder heraus. Damit erinnert dieser Garten zugleich an Eden und das endzeitliche Paradies. In Amelunxen gibt es Gartenbereiche zu Lebens-Themen: Versöhnung wird durch ein ungleiches Baumpaar sinnbildlich, dessen Äste ineinander reichen; eine Kräuterschnecke steht für Heil und Heilung; ein Kreis aus zwölf Apfelbäumen um eine Linde symbolisiert die Gemeinschaft des Glaubens. Bei christlichen Symbolen ist der Phantasie im Bibelgarten keine Grenze gesetzt.

Manch ein alter Pfarrgarten bekam durch die Bibelgarten-Bewegung wieder mehr Zuwendung. Zur Pflege sind Bibelgärten von Kirchengemeinden auf ehrenamtliche Enthusiast/-innen angewiesen. Inzwischen wird die Idee aber auch von Bibelmuseen, Klöstern, Schulen und Krankenhäusern aufgegriffen (vgl. die Deutschland-Übersicht auf www.bibelgarten.info). Die Werk- und Betreuungsstätte für Körperbehinderte in Kiel-Ottendorf versendet Pakete mit Samen und Pflanzen und hält auf ihrer Internetseite interessantes Material zu Bibelgärten bereit (www.bibelgarten-im-karton.de).


Für die Arbeit in der Gruppe

– Machen Sie ein Brainstorming zum Stichwort „Bibelgarten“: Welche Erwartungen weckt das Stichwort?

– Kleingruppen treten in einen Wettbewerb: Welcher Gruppe fallen die meisten „Pflanzen und Bäume der Bibel“ und „christlichen Symbolpflanzen“ ein?

– Kleingruppen planen ihren eigenen Bibelgarten und stellen ihn vor. Verteilen Sie dazu Grundrisse eines Gartengrundstücks ihrer Kirchengemeinde (Din A 3) oder lassen Sie frei planen. Geben Sie als Hilfsmittel eine Bibelkonkordanz, Lineal und Buntstifte. Einbezogen werden können Pflanzen der Bibel mit ihren Erwähnungen in der Bibel. Außerdem könnte sich eine christliche Grundsymbolik des Gartens, die möglichst einen Bezug zum Ort haben sollte, in Wege- und Pflasterformen oder Ähnlichem ausdrücken.

Ich würde mich freuen, wenn Sie mir Kopien zur Ansicht zuschicken würden! (Blumenstr. 15, 32427 Minden)


Katrin Stückrath, geboren 1975, hat als Jugendliche in ihrem Garten nur Gemüse angepflanzt. Nach ihrem Theologiestudium entdeckte sie Bibelgärten als Phänomene, die ihre Interessen verbinden. Zurzeit arbeitet sie als Vikarin in Minden.


Zum Weiterlesen:

Michael Zohary: Pflanzen der Bibel. Vollständiges Handbuch, Stuttgart (Calwer) 21986
F. Nigel Hepper: Pflanzenwelt der Bibel. Eine illustrierte Enzyklopädie, Stuttgart (Deutsche Bibelgesellschaft) 1992
Poster mit Pflanzen der Bibel oder das ganze Heft „Bibel heute – Gartenträume“ (2/2008) kann bestellt werden beim Katholischen Bibelwerk Stuttgart; Tel.: 0711-619 20 50; E-Mail: bibelinfo@bibelwerk.de

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