Ausgabe 1 / 2017 Bibelarbeit von Bettina Rehbein

Jesus hat die Wahl – Teuflische Versuchungen

Bibelarbeit über Matthäus 4,1-11

Von Bettina Rehbein

1Dann wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, um vom Teufel versucht zu werden.
2Vierzig Tage und vierzig Nächte fastete er, danach hungerte ihn.
3Da trat der Versucher an ihn heran und sagte zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, dann sag diesen Steinen da, sie sollen zu Brot werden.
4Er entgegnete: Es steht geschrieben: Nicht vom Brot allein lebt der Mensch, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt. (Dtn 8,3)
5Dann nahm ihn der Teufel mit in die heilige Stadt, und er stellte ihn auf die Zinne des Tempels.
6Und er sagte zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, dann stürze dich hinab. Denn es steht geschrieben: Seine Engel ruft er für dich herbei, und sie werden dich auf Händen tragen, damit dein Fuss nicht an einen Stein stosse. (Ps 91,11)
7Da sagte Jesus zu ihm: Wiederum steht geschrieben: Du sollst dem Herrn, dienen Gott nicht versuchen. (Dtn 6,6)
8Wieder nimmt ihn der Teufel mit auf einen sehr hohen Berg und zeigt ihm alle Königreiche der Welt und ihre Pracht.
9Und er sagt zu ihm: Dies alles werde ich dir geben, wenn du dich niederwirfst und mich anbetest.
10Da sagte Jesus zu ihm: Fort mit dir Satan. Denn es steht geschrieben: Zum Herrn, deinem Gott, sollst du beten und ihm allein dienen (Dtn 6,13; 10,20).
11Da lässt der Teufel von ihm ab. Und es kamen Engel und dienten ihm. Zürcher Bibel (Parallelen: Mk 1,12f.; Lk 4,1-3)

In der sogenannten Versuchungsgeschichte wird Jesus vor die Wahl gestellt. Nur – vor welche? Geht es um die Alternative: Gott oder Teufel? Oder wählt Jesus zwischen Materialismus und Askese, Macht und Ohnmacht, Politik und Religion, Weltlichem oder Spirituellem, Egoismus contra Demut – gar zwischen der Bedeutungshoheit bestimmter Bibelworte? Der Interpretation dieses Textes sind kaum Grenzen gesetzt.
Nähern wir uns an:

„Und führe uns nicht in Versuchung“ – die sechste Bitte des Vaterunsers ist an Gott gerichtet. Die meisten Menschen denken über diese erstaunliche Aussage kaum nach. Eher überlegen sie, was ihre momentane Versuchung sein könnte:
Materialismus, ein(e) Liebhaber(in), Schmeicheleien, Süßigkeiten …? Theologisch wird in dieser Bitte ausgesagt, dass Gott das Böse, welche Macht es auch immer in unserem Leben bekommt, wieder in seine Hand nehmen kann und überwindet. Er kann uns in Versuchung führen und auch von ihr erlösen. Auffällig ist jedenfalls, dass offenbar Gott selbst mit seiner Geistkraft Jesus in die Wüste führt. Steht der Teufel in seinem Dienst und ist wie im ersten Kapitel des Buches Hiob quasi mit Gott auf Du und Du?

Was ist das Ziel der Versuchung?
Zunächst: Jesus wird als erwählter Sohn/Kind Gottes in die Versuchung ­geführt. Dem gerade aus dem Taufwasser Aufgetauchten, erklärt Gott bei geöffnetem Himmel: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ (Mt 3,17) – Geschenkte Identität und Zugehörigkeit. Will der Evangelist nun der Frage nachgehen, was diese Gotteskindschaft Jesu ausmacht? Oder will er in Vorwegnahme späterer dogmatischer Diskussionen klären, ob nun Jesus mehr göttlich oder mehr menschlich zu verstehen ist? Was ist das Ziel der teuflischen Versuchung?

Anders als in der lukanischen Parallele wird Jesus nicht während der ganzen
40 Tage in der Wüste vom Teufel versucht, sondern erst am Ende der Fastenzeit (V. 2). Jesus kommt an seine Grenzen. Leiblich und seelisch. Sein Hunger muss gestillt werden. Diesen Moment wartet der Teufel ab. Ein hungernder Mensch, der wird doch alles tun, um einen Laib Brot zu bekommen. Hunger macht wütend. Hunger ist eine der größten Anfragen an Gottes Gerechtigkeit und Fürsorge. Was – wenn das „täglich Brot“ nicht gegeben wird? Entsteht da nicht der Wunsch, selber Gott zu sein und der Not ein Ende zu bereiten? Der Teufel knüpft an Gottes Liebeserklärung an: Wenn du wirklich Gottes Sohn bist, dann kannst du alles, dann kannst du aus Steinen Brot machen. Plastisch steht jedem Menschen, der bereits in der Wüste war, die Szenerie vor Augen: In der Wüste gib es so viele Steine wie Sandkörner im Sand. Ein leichtes wäre es, mit diesem Brot den Hunger der Welt zu stillen. Ein guter Vorschlag, denkt die Leserin und wundert sich über Jesu Antwort.

Es werden nicht alle Menschen satt
Liest sie die zitierte Stelle aus Dtn 8,3 nach, ist festzustellen: Jesus bezieht sich auf Mose, der nicht 40 Tage, sondern 40 Jahre mit dem Volk Israel in der Wüste verbracht hat. Das Manna aber, das Gott den hungernden Menschen gegeben hat, war tatsächlich tägliche Speise, keine zum Horten, mit der man alle Probleme dieser Welt hätte lösen können. Eine Gabe verbunden mit dem Gebot des rechten Umgangs, eine Absage an Habgier und Überfluss. Jesus weiß: Selbst wenn das Brot in den Regalen der westlichen Welt überquillt, können wir „den Tod am Brot allein“ (Sölle) sterben. Und: es werden nicht alle Menschen satt. In der nachhaltigen Fürsorge Gottes kommt zum Brot noch wesentlich etwas anderes hinzu: seine Worte, seine Gebote, seine Weisung. Lebensmittel. Jesus widersteht der Versuchung der Autonomie. Seine Stärke ist seine Menschlichkeit. Er erklärt sich selbst als bleibend angewiesen auf Gott und auf Worte aus seinem Mund.

Im Bibelwettstreit
Der Teufel wiederum, schlau wie er ist, erkennt sofort: Gegen diesen Jesus kannst du nur gewinnen, wenn du selber die Schrift im Munde führst und ­einen Bibelwettstreit beginnst. Und so nimmt er ihn mit und führt ihn höher hinaus, nach Jerusalem und auf die ­Zinne des Tempels. Hier nun soll dieser doch Gott so vertrauende Wundermann sich selbst hinabstürzen. Psalm 91: So ein schönes Bild, wie die Engel ihn auf den Händen tragen werden … Eltern von Taufkindern lieben sie, diese Zusage. Doch gerade seine Schriftkundigkeit macht den Wider­sacher so gefährlich! Jesus wiederum entmachtet diesen mit einem weiteren ­Tora-Zitat aus dem 5. Buch Mose (Dtn 6,16) – und damit mit dem Hinweis auf Gottes Souveränität und Freiheit. Auf seine Bewahrung zu vertrauen, kann nicht dazu ­führen, ihn herauszufordern. Unser Bibelwort wird zum Teufelswort, wenn wir damit versuchen, über Gott zu verfügen. Schriftwort kann nur Gotteswort sein, wenn wir es nicht gegen Gott verwenden! Und auch hier bettet sich Jesus wieder ein in die Erfahrungen Moses und seines Volkes Israel während der Wüstenwanderung.

Der noch immer nicht resignierte Versucher wiederum will noch höher hinaus mit Jesus. Von einem sehr hohen Berg lässt er ihn alle Königreiche, alle Reichtümer, alle Pracht sehen. Alles will er ihm geben. Doch diese Machtfülle hat wie jede irdische Herrschaft einen Preis: Daran musst du dein Herz hängen und dies zu deinem Gott erklären. Der Teufel (griech. diabolos) offenbart endlich sein eigentliches Ziel. Nicht ­helfen will er, nicht sein Gegenüber auf einen Sockel stellen, nein trennen, wegbringen will er ihn von Gott, sich dazwischen werfen gegen diese Koali­tion, selber Gott sein. Seine wahre ­Mission ist es, Menschen zu Verrätern Gottes und ­seiner Gerechtigkeit zu ­machen, so wie es ihm später wieder nach lukanischer Überlieferung mit der Indienstnahme des Judas gelingt. (Lk 22,3) Jesus schleudert nun mit seinem „Fort mit dir, ­Satan“ seine Aggression und Wut heraus. „Der böse Feind hat keine Macht über ihn“ (Luther), denn Jesus kennt das Schma Israel, das Glau­bens­bekennt­nis Israels (Dtn 6,4ff): Gott allein, Gott einzig, einzig­artig, nur ihn gilt es anzubeten.

In Wahlkampfzeiten
Zurück zur eingangs gestellten Frage: Vor welche Wahl wird Jesus gestellt und wofür entscheidet er sich? Ich selber möchte diese Geschichte nicht so gerne verstanden wissen, als ginge es hier um die Unterscheidung von Macht und Ohnmacht, um Absage an Politik und Weltlichkeit. Jesus wählt als schriftgehorsamer Jude und Gottes Sohn: Die Treue zur Tora. Die Kraft des Gotteswortes. Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch.

Die Versuchungsgeschichte kommt mir in Wahlkampfzeiten in den Sinn. Wenn Menschen zur Wahl aufgefordert werden, wird ihnen in der Regel etwas versprochen. Dabei zielen viele Politiker/innen über das Maß hinaus. Da verspricht ein amerikanischer Präsidentschaftskandidat, dass „nur durch ihn Amerika gerettet werden kann.“ Den meisten von uns sind demütige, realis­tische Menschen lieber und solche, die Fehler zugeben können.

Was tun wir, wenn wir in unserem Leben die Wahl haben? Welche Kriterien und Werte haben wir, was ist unaufgebbar – auch in Kirche und Theologie? ­Jesus fordert uns heraus, unsere Richtschnur zu kennen und zu lieben. Sie macht uns frei und hindert uns daran, uns verführen zu lassen. Die Richtschnur heißt: Treue zu Gott. Treue zur Tora (vgl.Rm 3,31!). Treue zum höchsten Gebot. Das alles ist unaufgebbar. Denn wenn ich aufhöre, Gott zu lieben und im Fremden mich selbst zu erkennen, dann bin ich verloren.

Am Schluss (V.11) heißt es: Da lässt der Teufel von ihm ab. Und es kamen Engel und dienten ihm. Wenn wir den Kniefall vor den Mächten und Gewalten in un­serem Leben verweigern, nimmt Gott seinen Platz ein und befiehlt seinen Engeln.

Jesus selber kam mehrmals wieder dorthin zum Jeru­salemer Tempel, zuletzt ohnmächtig, sich hingebend, kurz vor seinem Tod. Ab und zu stieg er auch wieder auf einen Berg. Dort predigte er. Manche seiner Worte wollte keine/r ­hören. Aber wir haben ja die Wahl.

Fragen für die Arbeit in der Gruppe:

– Von welchen „teuflischen Versuchungen“ fühle ich mich herausgefordert?
– Was ist unaufgebbar – bezogen auf meinen Glauben, meine Theologie und gesellschaftliche Werte?
– Welches Menschen- und Gottesbild transportiert die sogenannte Versuchungsgeschichte?

Bettina Rehbein, Theologische Referentin im Frauenwerk der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers.

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