Alle Ausgaben / 2009 Andacht von Lore Schultz-Hamster

Jesus, meine Zuversicht

Andacht zum Trost angesichts des Todes

Von Lore Schultz-Hamster


Vorbereitung:
-1 große, dicke dunkle oder weiße Kerze; einige feine Tücher, die Hälfte schwarz bis grau, dunkellila; die anderen farbig aufgehellt zum Regenbogenspektrum; sternförmig oder spiralig um die Kerzenmitte legen

– Falls möglich, bringen die TN je ein Foto/Bild von ihrem Elternhaus, Geburtshaus, ihrer Heimatkirche o.ä. mit. Oder die Leiterin besorgt Bilder verschiedener Haustypen (Mehr- und Einfamilienhaus, Bungalow, Baracke, Plattenbau, Gartenhaus, Ruine…)

– farbige Karten (Postkartengröße) mit je einem Begriff für Gefühle in Trauerprozessen, z.B.: Zorn, Verzweiflung, Depression, Anklage, Einsamkeit, Leere, Erbitterung, Angst, -Ergebung, Widerstand, Erleichterung, Verwirrung; einige leere Karten für evtl. weitere Vorschläge der Frauen


Votum:
Wir feiern diese Andacht
   im Namen des ewigen Gottes, dem Ursprung der Welt und ihrer Räume, dem Ziel aller Wege;
   im Namen seines Erwählten Jesus, dem Christus, unserem Bruder, der uns Zuversicht gibt, in der Stunde unseres Todes von Gott aufgenommen zu werden und Heimat zu finden;
   im Namen der Heiligen Geistkraft, die uns tröstet und beisteht, wenn wir verstört, verwirrt oder zweifelnd sind auf unserem Lebensweg.

Lied: Heilig bist du, Ursprung der Welt (dreimal singen)?oder: Agios o Theos (EG 185.4)

Hinführung:
„Trost angesichts des Todes“ – Wie soll das gehen? Ist der Gedanke nicht absurd, ein Widerspruch in sich? Hospizhelferinnen sagen, dass sie angesichts des Todes vieles erleben, bei den Sterbenden selbst und bei den Angehörigen: hartnäckiges Leugnen, Nichtakzeptieren-Können, Angst, unbeirrbare Hoffnung auf Heilung, endgültige Kapitulation oder Resignation. Vielleicht manchmal Frieden – aber Trost? Trost, der mehr und anderes ist als das Ausharren einer anteilnehmenden Begleitperson bis zum Ende oder die Erleichterung über die „Erlösung“ nach schwerem, schmerzhaftem Leiden?


Trost und Heimat

Versuchen wir, uns unserem Thema zu nähern über die Eingangsverse von einem unserer ältesten Gesangbuchlieder (EG 517):
Ich wollt, dass ich daheime wär
und aller Welte Trost entbehr.
Ich mein, daheim im Himmelreich,
da ich Gott schaue ewiglich.

In diesen Versen von 1430 ist die Aussage eindeutig: Die Welt ist der vorläufige Bereich, der zwar viele Tröstungen bereithält, aber nicht den endgültigen Trost, der das, was „alle Welt“ bietet, überflüssig macht – das Zuhause, die Heimat. Was für eine unglaublich einfache und glaubensgewisse Aussage. Heimat, Himmelreich und Gott werden in eins gesehen. Ein anderer Trost ist nicht nötig.

Aber so einfach kann das für uns nicht mehr sein. Wir leben in einer ganz anderen Zeit als der Verfasser des Liedes, haben andere Lebens- und Sterbeerwartungen. Wir verwenden große Mühe darauf, Individualität zu entwickeln, ein „eigener Mensch“ zu werden. Wir tun viel dafür, gesund und fit zu bleiben, versichern uns gegen Krankheit und Unfall, trainieren unseren Verstand, unser Gedächtnis bis ins Alter, um möglichst den Durchblick zu behalten – und müssen doch irgendwann klein beigeben angesichts des Todes, sei es des eigenen oder eines geliebten Menschen. Was also kann in dieser existentiellen Situation Trost sein, wenn uns die alte Sicht der Erde als Jammertal und des Himmelreichs als Ziel aller Wege mit unserem Fortschrittsglauben nicht mehr ohne weiteres vereinbar scheint?

Mit der Heimat haben wir ein ähnliches Problem. Wenn heute ein Mensch stirbt, dann geschieht das nur noch -selten in seiner angestammten Heimat als dem Ort seiner Geburt. Das hängt ebenso mit dem durch Gewalt geprägten 20. Jahrhundert zusammen, das so viele Menschen zur Flucht vor Kriegen und Hunger zwang, wie mit den Forderungen der modernen Arbeitswelt nach Mobilität. „Wo kommst du eigentlich her?“ Diese oft gestellte Frage ist für manche schmerzlich, weil sie es gar nicht mehr so recht sagen können. Die Sicherheit der Herkunft ging verloren im Laufe eines bewegten Lebens. Manche werden traurig in der Erinnerung an eine verloren gegangene Zufluchtsstätte. Möglicherweise wird manchen aber auch bewusst: An einem bestimmten Ort sind meine Wurzeln, das ist mein innerer Besitz – ein Stück Leben, das gut und schön war, ein Schatz, den mir niemand nehmen kann.

Nach einer kurzen Stille werden die TN gebeten, sich anhand der mitgebrachten (oder ausgesuchten) Bilder in Murmelgruppen über die Bedeutung dieser Heimat-Abbildungen auszutauschen. (ca. 15 Minuten)

Lied: Ich wollt, dass ich daheime wär
oder: Sende dein Licht und deine Wahrheit (EG 172)


Trost und Zuversicht

Lassen Sie uns die Frage, was trösten könnte angesichts des Todes, noch einmal von einem anderen Zugang aus betrachten. Trost ist ein sehr altes, in vielen europäischen Sprachen verbreitetes Wort. Irgendwann teilte es sich in althochdeutsch troost / Zuversicht und englisch trust / Vertrauen. Im Gotischen bezeichnete es sogar einen Vertrag, ein Bündnis, also eine Beziehung in Rechtsform. Zur Wortfamilie Trost gehören auch noch „trauen“ und „treu“. Im deutschsprachigen Raum hat sich seit der Reformationszeit die Bedeutung „Zuversicht“ durchgesetzt. Zuversicht und Vertrauen also angesichts des Todes.

„Euer Herz erschrecke nicht. Glaubt an Gott und glaubt an mich.“ Die Jahreslosung für 2010 steht im Johannesevangelium in den langen, so genannten Abschiedsreden, mit denen Jesus seine Jünger und Jüngerinnen auf seinen nahen Tod vorbereiten will. Euer Herz erschrecke nicht, übersetzt Luther, lasse sich nicht verwirren die Einheitsübersetzung. Und in der Bibel in gerechter Sprache (BigS) lesen wir: Seid nicht aufgewühlt und erschrocken. Erschrecken – verwirrt sein – aufgewühlt sein: Da sind verschiedene Nuancen in der Deutung möglich. Wenn wir uns klar machen, dass „Herz“ in jüdischem Verständnis nicht das zentrale Organ als Sitz des Gefühls allein meint, sondern ebenso Verstand, Einsicht und Willen, wird jedenfalls deutlich, dass es um mehr geht als um ein vorübergehendes Erschrecken, dass Jesus seine Gefährtinnen und Gefährten in ihrer ganzen Existenz anspricht. Er sagt nicht: „Seid nicht traurig“ – das wäre unrealistisch. Und er vermeidet die Worte Tod und Sterben. Er spricht davon zu gehen, unbegleitet, für die Jüngerinnen und Jünger zunächst ins Ungewisse – und fordert doch ihren Glauben ein.

Kann dieser Glaube tragen? Ist der Zeitpunkt für ein solches Ansinnen nicht denkbar ungeeignet? Da ist eine Gruppe von Menschen, die alles, besonders ihre angestammten Räume, ihre früheren Lebensbezüge aufgegeben haben zugunsten dieser besonderen Existenzform, dieser Nachfolgegemeinschaft. Jesus ist der geliebte und verehrte Mittelpunkt, an ihm orientieren sie sich, mit ihm identifizieren sie sich, auf ihn hoffen sie. Und dieser Rabbi Jesus sagt ihnen jetzt: Ich gehe – zunächst ohne euch. Wohin, bleibt vorerst auch unklar. Er will seine Leute verlassen, scheinbar ohne für sie vorzusorgen, ohne praktische Handlungsanweisungen für später – etwa, dass sie nach Hause zu ihren Arbeitsplätzen und Familien zurück gehen sollen. Das kann er doch nicht so einfach machen!


Die Zeit vor dem Tod

Viele unter uns kennen die Situation und die Gefühle kurz vor dem Verlust eines nahestehenden Menschen. Das Wechselbad der Empfindungen: tiefe Verzweiflung, Hoffnung, die nicht sterben mag, Erschöpfung. Oder auch den Schock, wenn der Tod ganz überraschend kommt, wie durch einen Herzinfarkt oder Unfall.

Die Realisierung eines Todes ist – vorher und nachher – immer ein innerer Prozess, der viel Kraft kostet, zu vergleichen mit einer langen Wanderung. Der Bibeltext in seiner verdichteten Sprache führt uns vor, dass Jesus seine Gemeinschaft regelrecht auf diesen Prozess -verpflichtet – obwohl die Jüngerinnen und Jünger nach seinem Sterben noch lange nicht aufhören zu hadern und auch zu streiten.

Falls zeitlich und von der Vertrautheit in der Gruppe her möglich, kann an dieser Stelle noch einmal innegehalten werden, um den Frauen Raum zu geben für eigene Erinnerungen. Evtl. können die Karten mit den Begriffen über Gefühlszustände hier hilfreich sein. Die Leiterin achtet ggf. darauf, dass kein Druck ausgeübt wird und frisch Trauernden mit Achtsamkeit begegnet wird.


Die Zeit nach dem Tod

Jesus setzt seine Abschiedsrede fort mit dem Satz: „In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen. Wenn's nicht so wäre, wie wollte ich zu euch sagen: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten.“ (Luther) Die BigS übersetzt: „Im Haus Gottes, meiner Heimat, sind viele Wohnungen. Hätte ich euch sonst gesagt: Ich gehe, um für euch einen Platz vorzubereiten?“

Diese Verheißung gibt Jesus allen Menschen um ihn mit auf den schweren Weg. Er sichert ihnen zu, dass sie alle Raum bei Gott, seinem Vater haben werden. Ihr Glaube mag schwach oder einfältig oder selbstgerecht sein – dort gibt es unterschiedliche Wohnungen, für jede und jeden eine. Sie alle sollen aufgenommen werden, auch mit der nicht zu Ende gekommenen Trauer, mit ihren Rückfällen und Zweifeln.

Zuversicht und Vertrauen, hart erkämpft, dem Leid abgerungen, werden sie schließlich begleiten. Aber auch damit sind wir noch nicht am Ende mit der Frage nach dem Trost. Es ist eine Sache, angesichts eines bevorstehenden Todes Stellung zu beziehen, Angst auszuhalten – und eine andere, die Rückschau zu wagen, Erinnerung als Kraftquelle zu entdecken. Trauerarbeit zu leisten, wie der moderne Ausdruck lautet. Das bedeutet, auf das mit dem oder der Verstorbenen gelebte Leben zu blicken, alle widerstreitenden Gefühle wahrzunehmen, zuzulassen, zu ordnen und am Ende Frieden zu finden, sogar wieder Lebensfreude.


Der Auftrag

Den Jüngerinnen und Jüngern wird genau das abverlangt: Jesus in verwandelter Gestalt zu bewahren, nicht sofort, aber spätestens dann, wenn sie – nach der Katastrophe der Kreuzigung – ihres Glaubens an ihn als den Christus sicher sind und beginnen, Zeugnis abzulegen für ihren Herrn.

Ein Beispiel für diese Aufgabe erzählt die Emmaus-Geschichte: Zwei Jünger wandern wenige Tage nach Jesu Tod von Jerusalem ins nahegelegene Dorf Emmaus. Im Gehen reden sie über das, was Jesus ihnen gesagt hat, über die Umstände seines Sterbens, über ihre Verzweiflung und Enttäuschung, konfrontieren sich mit ihrer inneren Befindlichkeit und gewinnen ein Stück Abstand und Boden unter den Füßen. Indem sie sich ihrem Rabbi erinnernd wieder nähern, nähert er sich ihnen und offenbart sich schließlich am Abend durch die Geste des Brotbrechens. Später dann heißt es von den beiden: „Brannte nicht unser Herz, als er uns die Schrift erklärte?“ Eine wunderbare Aussage für eine wunderbare Erfahrung, die nun wirklich Trost bedeutete für die beiden Jünger. Das starke Gefühl, das sie entflammte, die Liebe, die neuen Einsichten, das alles konnte nicht einfach wieder verschwinden, sondern bewirkte neue Zuversicht und Vertrauen in die Zukunft.

Und noch eine Hilfe hatte Jesus seiner Gemeinschaft zugesagt, damit sie ihren mühsamen Weg eine Strecke weit ohne ihn gehen konnten. Bei Johannes 14,26 heißt es: „Der Trost – nämlich die Heilige Geistkraft, die Gott in meinem Namen schicken wird – wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“ – bis ihr im Hause Gottes Wohnung haben könnt.

Lied: Bewahre uns Gott (EG 171)


Abschluss:

Bitte

Wir werden eingetaucht
und mit dem Wasser der Sintflut gewaschen,
wir werden duchnäßt
bis auf die Herzhaut.

Der Wunsch nach der Landschaft
diesseits der Tränengrenze
taugt nicht,
der Wunsch, den Blütenfrühling zu halten,
der Wunsch, verschont zu bleiben,
taugt nicht.

Es taugt die Bitte,
daß bei Sonnenaufgang die Taube
den Zweig vom Ölbaum bringe.
Daß die Frucht so bunt wie die Blüte sei,
daß noch die Blätter der Rose am Boden
eine leuchtende Krone bilden.

Und daß wir aus der Flut,
daß wir aus der Löwengrube und dem feurigen Ofen
immer versehrter und immer heiler
stets von neuem
zu uns selbst entlassen werden.

Hilde Domin

Hilde Domin, Bitte. Aus: Dies., Gesammelte Gedichte
© S.Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1987


Lied: Ausgang und Eingang (EG 175)


Lore Schultz-Hamster, geb. 1938, hat Germanistik, Pädagogik und Philosophie studiert und ist Dipl.-Bibliothekarin. Sie ist ausgebildet in personenzentrierter Gesprächsführung nach Rogers und hat am Fernstudium Feministische Theologie im Frauenwerk der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers teilgenommen. Ehrenamtlich war sie Kreisbeauftragte für die Frauenarbeit im Kirchenkreis Springe und seit 2003 Sterbe- und Trauerbegleiterin im Hospizverein Springe e.V.

Ausgabenarchiv
Sie suchen eine Ausgabe?
Hier entlang
Suche
Sie suchen einen Artikel?
hier entlang