„Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad …“ – das Lied haben wir als Kinder gern gesungen und dabei sehr gelacht. (Kinderhumor ist auch so eine Sache.) Es stammt aus einer Zeit, als Großmütter noch nicht nach Mallorca fuhren, und schon gar nicht auf dem Motorrad. Da meine Großeltern vor meiner Geburt verstorben waren, hatte ich gar keine nahen Anschauungen. Die Bilderbücher zeigten: „Omas“ waren gebeugte schrumpelige schwarzgekleidete Alte in Lehnsesseln, die es aus irgendeinem Grund auf dieser Welt auch gab. Sie sich auf einem Motorrad zu denken, war lustig.
Indes, bevor ich mich und die anderen vergangenen Kinder in ihren Belustigungen zu sehr verachte, führe ich mir vor Augen, dass es auch in der Jetztzeit zu den Anstrengungen einer Versöhnung mit dem Alter gehört, den Alten eine listige Lustigkeit zuzuschreiben: Filme über Rentnergangs, die aus den Altersheimen, die jetzt Seniorenheime heißen, ausbrechen und Regelverstöße begehen. Die Schauspielerin Inge Meysel wurde auf ihre alten Tage für solche Rollen gerne eingesetzt. Allerdings – und das unterscheidet das Altersverständnis doch von
den Vorstellungen zu meiner Kinderzeit – wird ihnen, den Alten, jetzt mehr Leistungsbereitschaft abverlangt.
Wollen Sie uns Ihr Alter verraten? Fragt der ölige junge Moderator mit dem durch nichts gerechtfertigten massiven Selbstbewusstsein eine vitale listig blinzelnde Alte, die soeben Enormes vollbrachte. (Lassen wir sie in einem Schlauchboot einen Wasserfall heruntergefahren sein.) „Neunundachtzig“, lautet triumphierend die Antwort. Das Publikum klatscht. Und schon sind alle Achtzigjährigen und auch jüngere Alte mit einem kleinen Hang zu Lehnstühlen, jene, die nicht mehr Berge besteigen und Wasserfälle hinunterrauschen können und das auch nicht wollen, blamiert …
Das ist bekannt: eine ältere Frau ist jünger als eine alte Frau. Wie groß muss doch die Angst vor dem Alter sein, dass sie sogar die Grammatik vergewaltigt.
Textauszüge aus:
Älter werden
© 2006
S.Fischer Verlag GmbH
Frankfurt am Main
