Ausgabe 2 / 2004 Frauen in Bewegung von Antje Schrupp

Karin Pfeiffer

Unkompliziert sein und sich kümmern

Von Antje Schrupp

„Den ersten Muslim“, erzählt Karin Pfeiffer, „habe ich getroffen, als ich noch ein Kind war.“ Eines Tages brachte ihr Vater einen türkischen Arbeitskollegen mit nach Hause. „Den Ali“, sagt Pfeiffer schmunzelnd, „aber ob er wirklich Ali hieß, da bin ich mir heute nicht so sicher. Zu der Zeit hießen ja alle Ausländer Ali.“ Schon damals war sie von dem Fremden fasziniert: „Ich sehe das Bild noch genau vor mir, wie er da auf dem Sofa saß, und wir konnten nicht mit ihm reden, weil er unsere Sprache nicht verstand und wir nicht seine.“

Die Anziehungskraft, die fremde Kulturen und andere Religionen auf Karin Pfeiffer ausüben, ist der 62 Jahre alten Sachbearbeiterin bis heute geblieben. Sie engagierte sich lange Zeit im Ökumenischen Zentrum Christuskirche in Frankfurt, einer Kirche, die Gemeinden aus unterschiedlichen Ländern und Konfessionen beherbergt. Dort lernte sie auch den großen Ökumeniker Philipp Potter kennen, der mit dem damaligen Gemeindepfarrer befreundet war und sie sehr beeindruckt hat.

Auch beruflich orientierte sich Pfeiffer in Richtung Ökumene. Seit 23 Jahren arbeitet sie im Sekretariat eines Kirchenamtes, das für den Kontakt der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau mit ausländischen Gemeinden und anderen Religionen zuständig ist. Da hat sie es vor allem mit Anträgen der Partnergemeinden für Zuschüsse und andere Unterstützung zu tun. „Aber irgendwann wollte ich nicht mehr immer nur Zahlen sehen, sondern auch die Menschen, die dahinter stecken.“ Also fing sie an, die Sonntagsgottesdienste der Gemeinden zu besuchen, der koptischen, der indonesischen, der afrikanischen und so weiter. Oft ist sie dort die einzige Deutsche, und inzwischen ein gern gesehener Gast.

Berufliches und Privates fein säuberlich zu trennen, das ist sowieso nicht ihre Sache. Das gilt auch für den Dialog mit dem Islam. Der begann für Karin Pfeiffer an einem Tag vor vielen Jahren, als sie in ihrem Frankfurter Stadtteil Bornheim eine Frau mit Kopftuch sah, die auf einer Bank saß und weinte. Karin Pfeiffer setzte sich daneben und suchte das Gespräch. Bald stellte sich heraus, dass die Türkin verzweifelt war: Der erste Sohn, den sie nach einer Reihe Töchtern zur Welt brachte, war behindert – und daraufhin ließ ihr Mann sie sitzen, ohne Geld und ohne Perspektive. Karin Pfeiffer nahm die Frau mit in ihre Kirchengemeinde, wo Hilfe und Unterstützung organisiert wurde.

Dass da eine ist, die unkompliziert ist und sich kümmert, sprach sich herum. „Bald konnte es passieren, dass ich aus der U-Bahn kam und dann schon einige Frauen da standen und mit Papieren wedelten“, erzählt Pfeiffer. Behördenbescheide, Schreiben von Vermietern, von der Schule der Kinder – die Frauen aus der Türkei, aber auch aus anderen muslimischen Ländern fragten die Frau von der Straße um Rat, wenn die Hemmschwelle zu offiziellen Beratungsstellen zu hoch war. „Ich habe dann schon mal mit Ämtern telefoniert oder eine Antwort auf dem Umschlag vorformuliert, manchmal habe ich aber auch selbst nicht verstanden, was in den Briefen stand.“ Behördendeutsch ist eben nicht nur für Ausländerinnen oft ein Buch mit sieben Siegeln. Auch heute noch wird sie häufig von Musliminnen angesprochen, „ungefähr fünf, sechs Mal im Monat“ schätzt sie. „Manchmal, wenn ich gar keine Lust habe, steige ich sogar eine Station früher aus“, sagt Karin Pfeiffer, und es klingt fast, als hätte sie ein schlechtes Gewissen, dass sie sich nicht noch mehr engagiert.

Eine Sache hat sie von Anfang an irritiert: Keine der Frauen hat je eine Einladung zu ihr nach Hause akzeptiert. „Ich wohne doch gleich um die Ecke“, wunderte sie sich, doch offenbar gab es da Barrieren und Hürden, die sie nicht verstand. Auch in der Gemeinde-Kindergruppe, die sie in ihrer Freizeit leitete, begegnete ihr das Thema Islam – denn immer mehr Kinder, die dort teilnahmen, kamen aus muslimischen Familien. „Der größte Klops, der mir mal passiert ist,“ erzählt sie, „war, als ich mit den Kindern ein Krippenspiel einübte, und einen muslimischen Jungen den Josef spielen ließ.“ Der Kleine war begeistert, aber als dann die Aufführung vor der Tür stand, stellte sich heraus, dass sein Vater es ihm nicht erlauben würde, in einer christlichen Kirche aufzutreten. „Da gab es natürlich ein großes Heulen.“ Um das Kind zu trösten, gab es dann noch mal eine Extra-Aufführung im Gemeindehaus, ohne Kreuz. Der Junge strahlte, und auch die Mütter der muslimischen Kinder waren froh.

Doch solche Erlebnisse machten Karin Pfeiffer klar, dass sie sich mehr über diese fremde Kultur, diese andere Religion, informieren müsste. Bei der Evangelischen Familienbildung besuchte sie eine Gesprächsgruppe von deutschen und muslimischen Frauen, bei der es nicht immer nur harmonisch zuging. Im offenen Dialog muss man auch Konflikte aushalten können. „Einmal war ich angefragt, etwas über das christliche Weihnachten zu berichten“, erinnert sie sich, „aber als ich einen Jesus in die Krippe legte, wurden die muslimischen Frauen wütend, weil sie nicht an Jesus glauben. Aber da hab ich auf den Tisch gehauen und gesagt: Ihr habt mich doch gefragt, ihr wolltet das doch wissen. Jetzt müsst Ihr auch zuhören.“ Zum Glück ermöglichte Maria, über die es auch im Koran eine Sure gibt und die oft mit Schleier dargestellt wird, dann wieder eine Annäherung. Aber seither ist Karin Pfeiffer klar: Die Begegnung zwischen den Kulturen ist oft eine heikle Sache, und es sind manchmal die kleinen Dinge, an denen die Verständigung scheitern kann.

Dabei bleibt auch die Ambivalenz, dass sich oft die Frauenrolle anderer Kulturen nicht mit dem westlichen Verständnis von Emanzipation verträgt. So mancher orthodoxe Priester, mit dem Pfeiffer in ihrem Beruf zu tun hat, weigert sich strikt, ihr, einer Frau, die Hand zu geben. Und mit dem türkischen Pizzabäcker um die Ecke führt sie einen kleinen Dauerzwist um die Rolle der Frau, freundschaftlich, aber offen. Dabei hat sie inzwischen verstanden, dass so manches, was für westliche Vorstellungen diskriminierend ist, auch eine Kehrseite haben kann. „Ich verstehe schon, dass manche Frauen von dem muslimischen Familienideal, das der Frau Sicherheit und Schutz, aber auch Respekt verspricht, fasziniert sind.“ Ebenso wie von der Verbundenheit, der Freundschaft, die in anderen Kulturen oft viel selbstverständlicher angeboten wird, als im eher distanzierten Deutschland. „Wenn ich überlege, wen von meinen deutschen Bekannten ich anrufen würde, wenn ich einmal überraschend in Not gerate, fallen mir nicht viele ein. Bei meinen ausländischen Freunden habe ich aber das Gefühl, ich könnte jederzeit an ihre Tür klopfen.“

Doch trotz aller Faszination bleibt Karin Pfeiffer auch kritisch. So findet sie es sehr ärgerlich, dass es bis heute kaum islamische Hilfsangebote für Musliminnen in Not gibt, obwohl die Zahl der Moscheen in Frankfurt ständig wächst. „Es ist doch komisch, dass ich die Frauen immer in christliche Einrichtungen vermitteln soll. Da müssten sich doch mal ihre eigenen Gemeinden drum kümmern.“ Sie schrieb sogar einen entsprechenden Brief an alle Imame, muslimische Gemeindeleiter, in Frankfurt und fragte nach. Kein einziger antwortete ihr. „Ich finde es schlimm, dass sie sich nicht um so etwas kümmern“, sagt Pfeiffer. Vielleicht werden sie ja bald nicht anders können. Denn inzwischen hat sie einfach eine Liste mit Adressen und Telefonnummern von Moscheen angefertigt, die sie muslimischen Frauen mitgibt, die bei ihr Rat suchen.

Dr. Antje Schrupp ist Politologin und arbeitet als Journalistin und Redakteurin, unter anderem für die Mitgliederzeitung „Evangelisches Frankfurt“ und für Frauen unterwegs. Darüber hinaus ist sie Publizistin und Referentin zu Themen aus feministischer Philosophie und Politik. Sie ist zu erreichen unter Ihrer homepage: www.antjeschrupp.de

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