Abfahrt am 7. August 1965, am frühen Nachmittag. Der Atlantikliner „United States“ bewegte sich langsam den Hudson abwärts. Das Ziel: Bremerhaven. In der Masse der Passagiere, die sich an der Reling drängten, stand Katharina Holdreich, eine Amerikanerin. Ihre hohe, etwas beleibte Erscheinung ermöglichte es ihr, über die Köpfe der Passagiere auf die Freiheitsstatue, auf Ellis Island und Manhattan zurückzublicken. Nachdem sich die Aufregung gelegt hatte und die Passagiere sich verliefen, stand die alte Dame immer noch draußen an Deck. In Gedanken verabschiedete sie sich von ihrem bisherigen Leben und diesem Land, das ihr vertraut geworden war und jetzt allmählich am Horizont verschwand.
Die neue Welt
52 Jahre zuvor war sie an einem kalten und windigen Februartag mit der „Prinz Friedrich Wilhelm“ zusammen mit Kati, ihrer Freundin aus ihrem gemeinsamen siebenbürgischen Heimatort Großprobstdorf im damaligen Österreich-Ungarn, hier angekommen. Cleveland wurde ihr neuer Lebensmittelpunkt. Damals in jungen Jahren, hatte sie sich von den alten Bindungen freigemacht. Sie hatte ihren älteren Sohn Georg bei ihrem geschiedenen Ehemann zurückgelassen, ihren jüngeren Sohn Johann ihrer Mutter in Obhut gegeben. In Cleveland gestaltete sie ihr Leben nach den Möglichkeiten, die sich für sie, eine Frau ohne Berufsausbildung – aber mit großem Durchsetzungsvermögen – ergaben. Katharina führte den Haushalt wohlhabender Familien und kümmerte sich um die Erziehung der Kinder.
Sie war fest entschlossen, ihren Sohn Johann so schnell wie möglich aus Siebenbürgen nachkommen zu lassen. Er war ein Kind der Liebe. Gezeugt jenseits aller Konventionen mit einem zwanzig Jahre älteren Arzt. Der erste große Krieg schob sich zwischen sie und ihr jüngstes Kind. Die Verbindungen brachen ab. Als Katharina ihm 1920 Pass und Geld für die Überfahrt schickte, wollte der Sohn nichts mehr von seiner Mutter wissen. Ihre Briefe kamen ungeöffnet zurück. In jenem Jahr entschloss sie sich, Martin Holdreich zu heiraten und die Vergangenheit ruhen zu lassen. 1933 scheiterte ein letzter Versuch anlässlich ihres einzigen Besuches in Europa, den Sohn zu sich zu holen.
Ein zweiter Aufbruch
Viele Jahre später, nach dem Tod ihres Ehemannes, wuchs unmerklich eine Sehnsucht in ihr. In der lebensfrohen Amerikanerin rührte sich das Heimweh nach dem Ort, wo alles begonnen hatte. Ihre Bekannten und Freundinnen aus dem siebenbürgisch-sächsischen Gesangsverein in Cleveland rieten ihr dringend ab, zurück zu fahren.
Ihre alte Heimat war ein vom Kommunismus heruntergewirtschaftetes Land geworden. Und wieder hörte sie auf ihr Herz, packte die großen Überseekoffer und stellte sich als Achtzigjährige dem wohl größten Abenteuer ihres Lebens: der Begegnung mit ihren Söhnen, deren Familien, ihrer eigenen Vergangenheit.
Zwei Jahre noch lebte die „Amerika-Großmutter“ in dem kleinen Dorf im Osten Europas. Am 21. November 1967 verstarb sie.
aus: Birgit Hamrich/ Astrid Herrmann/ Gertraud Ladner (Hrsg.), Frauenkirchenkalender 2017. aufbrechen
© 2016 Patmos Verlag der Schwabenverlag AG, Ostfildern, www.verlagsgruppe-patmos.de
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