Alle Ausgaben / 2003 Artikel von Anja Vollendorf

Kein Schnäppchen um jeden Preis

Eine Gruppenstunde für nachhaltige Entwicklung

Von Anja Vollendorf

(gekürzt)

Nachhaltig ist eine Entwicklung, „die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“ (Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung)

„Die Menschheit steht an einem entscheidenden Punkt in ihrer Geschichte. Wir erleben eine zunehmende Ungleichheit zwischen Völkern und innerhalb von Völkern, eine immer größere Armut, immer mehr Hunger, Krankheit und Analphabetentum sowie eine fortschreitende Schädigung der Ökosysteme, von denen unser Wohlergehen abhängt.“ (Präambel der Agenda 21, dem Aktionsprogramm der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung Rio 1992. Damit die Menschen und die Umwelt besser geschützt werden, plädiert die Agenda 21 für eine „globale Partnerschaft, die auf eine nachhaltige Entwicklung ausgerichtet ist“.)

Ziel: Die Gruppenstunde soll den Teilnehmerinnen deutlich machen, dass sie zur Bewahrung der Schöpfung herausgefordert sind, und sie für entsprechend verantwortliches Handeln als Verbraucherinnen sensibilisieren.

Zeit: ca. 60 Minuten

Lesen Sie folgenden Artikel von Heike Moldenhauer vor (evtl. Kopie für jede Teilnehmerin) oder lassen Sie die Informationen in das Gespräch einfließen (10 min):

„Zentraler Akteur der Agrarwende sollten sie sein. Sollten dazu beitragen, durch den Kauf umwelt- und tiergerecht produzierter Lebensmittel den Anteil ökologisch bewirtschafteter Fläche in Deutschland bis 2010 auf 20 Prozent zu steigern: die Verbraucher.
Doch was tun sie? Sie rennen mehrheitlich zum Discounter und verschaffen Aldi und Co im vergangenen Jahr einen Anstieg ihres Marktanteils von 33,6 auf 37,8 Prozent. Dagegen dümpelt der Ökoanteil am deutschen Lebensmittelmarkt nach bescheidenen Zuwächsen im vergangenen Jahr bei 2-3 Prozent dahin.

Wie der Verbraucher derzeit Politik mit dem Einkaufskorb macht, dafür findet Gourmet-Papst Wolfram Siebeck in der ‚Zeit' drastische Worte: ‚Wie ein Abhängiger bettelt er um Rabatt auf zusammengeleimten Schinken. Die Tomaten können ihm nicht wässerig genug sein, wenn sie nur 10 Cent billiger sind als gestern. Und was das Schnitzel enthält, das er für die Lieben daheim hastig in den Einkaufswagen wirft – was zum Teufel geht ihn das an. Hauptsache, es ist billig!' Dass die sprichwörtliche ‚Umweltsau' nicht allein der Bauer ist, der Tiere in Agrarfabriken quält und Pestizide und Gülle in die Natur kippt, sondern auch der Verbraucher, der diese Form der Landwirtschaft Tag für Tag mit seinen Kaufentscheidungen unterstützt – das ist die unangenehme Erkenntnis, mit der sich Renate Künast im dritten Jahr ihrer Amtszeit herumschlagen muss. Hatte sie doch die durch BSE zutiefst verunsicherten und über den ‚Supergau der industriellen Landwirtschaft' (so Ex – Ministerin Andrea Fischer) empörten Verbraucher zunächst als natürliche Verbündete betrachtet. Hatte sie doch zunächst gehofft, dass diese lieber ‚bio' statt billig kaufen und damit ihre auf Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz ausgerichtete Agrarpolitik unterstützen. Aber jetzt stellt sich heraus: Besonders in wirtschaftlich schwierigen Zeiten gilt Geiz offenbar auch beim Lebensmittelkauf als geil.
Agrarwende – bis auf Weiteres – ade? Hoffentlich nicht, denn die Billigangebote der Discounter fordern einen volkswirtschaftlich hohen Preis: Die bei den Billigketten konzentrierte Marktmacht hat im Lebensmittelhandel und in der Ernährungsindustrie zu Verlusten, Pleiten und einem teilweise massiven Abbau von Arbeitsplätzen geführt. Allein im Backgewerbe gingen letztes Jahr 6,5 Prozent der Jobs verloren, in der Fleischverarbeitung waren es 5,2 Prozent. Der fortwährende Druck auf die Einkaufspreise wirkt sich auch direkt auf die Qualitäts- und Produktionsstandards der landwirtschaftlichen Erzeugung aus. Indem die Bauern versuchen, die schlechten Erzeugerpreise durch Massenproduktion auszugleichen, stellen sie Tier- und Umweltschutz noch weiter hintan und zementieren damit das Prinzip ‚Masse statt Klasse'.

Was also tun? Renate Künast kündigte auf der Grünen Woche an, gegen das Dumping im Lebensmittelhandel gesetzlich vorzugehen und so der Abwärtsspirale bei Preisen für Agrarprodukte einen Riegel vorzuschieben. Ist das ein Ausweg aus dem Dilemma?
Für den Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes ja, für die Mehrheit der Deutschen offenbar nicht. ‚Nach Dosen-Jürgen nun Teuer–Renate', brachte eine große Berliner Boulevard-Zeitung Volkes Stimmung auf den Punkt: Der Preis habe sich über den Markt zu regeln, und eine grüne (!) Landwirtschaftsministerin dem Verbraucher gefälligst seine Schnäppchen nicht zu verhageln. Anders sah es allerdings der Bundesgerichtshof: Er bestätigte unlängst in einem Urteil, dass das Bundeskartellamt den Großhandelsketten verbieten kann, Einkaufspreise unter die Produktionskosten zu drücken und stützte so ausdrücklich den Vorstoß der Ministerin.
Geht die von Künast versuchte Annäherung an die Bauern auf Kosten ihres Verhältnisses zur Mehrheit der Konsumenten – da diese notorisch zu Billiglebensmitteln greifen und sich Argumenten wie Genuss und moralischem Mehrwert von umwelt- und tiergerechten Produkten verschließen? Nicht zwangsläufig. Denn Konsumenten sind gleichzeitig auch Steuerzahler. Und hier bietet die anstehende Reform der EU – Agrarpolitik eine Chance, die rund 47 Milliarden Euro jährlicher europäischer Agrarsubventionen an ökologische, tierethische und soziale Kriterien zu knüpfen. Der von der Politik – in Person von Renate Künast und ihren Agrarministerkollegen – zu gestaltende Handel zwischen Gesellschaft und Landwirtschaft ist so einfach wie logisch: Nur wenn die Bauern bestimmte Standards erfüllen, erhalten sie weiterhin das vom Steuerzahler aufgebrachte Geld für ihre Produkte.“

(Heike Moldenhauer, Renitente Konsumenten, in: BUND-Magazin 2/2003, S. 16)

Frage: Billigeinkäufe befördern also Arbeitslosigkeit und landwirtschaftliche Massenproduktion. Welche Vorschläge werden im Text genannt, um die Probleme aufzulösen?

Schreiben Sie die Antworten, d.h. die im Text genannten Vorschläge, auf einen Flipchart (5min):

  • gesetzliche Mindestpreise für Agrarprodukte
  • Verbot des Bundeskartellamts, Einkaufspreise unter die Produktionskosten zu drücken
  • europäische Agrarsubventionen an ökologische, tierethische und soziale Kriterien knüpfen

Gruppenarbeit (20min): Bilden Sie zu den drei Vorschlägen Kleingruppen. Sie haben die Aufgabe, die Vorschläge näher auszuführen:
Gruppe 1: Legen Sie gesetzliche Mindestpreise für die gängigsten Agrarprodukte wie Kartoffeln, Fleisch, Gemüse fest.
Gruppe 2: Schreiben Sie einen fiktiven Text, nämlich die Begründung zum Verbot, die Einkaufspreise unter die Produktionskosten zu drücken.
Gruppe 3: Legen Sie die ökologischen, tierethischen und sozialen Kriterien fest, an die sie die europäischen Agrarsubventionen knüpfen würden.

Plenum (20min): Stellen Sie die Ergebnisse aus den Gruppen vor.

Die Schlussfrage als Gewissensfrage im Plenum: Sind Sie persönlich bereit, höhere Preise für eine nachhaltige Agrarwirtschaft zu zahlen? Falls nicht: Unter welchen Umständen wären Sie dazu bereit?

Beschließen Sie das Plenum mit einem Lied aus dem Evangelischen Gesangbuch aus dem Bereich Schöpfungsbewahrung, z.B. „Gott gab uns Atem, damit wir leben“ (EG 432).

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