Die Schülerin, die mir im Bus gegenübersitzt, lässt ihr Lateinbuch sinken. Jetzt kann ich die Aufschrift auf ihrem T-Shirt lesen. In Strass-Buchstaben steht dort „Bitch“. Also „Hündin“ – umgangssprachlich auch „Miststück“, „Schlampe“ oder „Hure“.
Ich grüble, ob man Menschen oder sich selbst Tiernamen geben sollte, und schaue vielleicht zu auffällig auf das glitzernde Statement, denn jetzt mustert sie mich. Vermutlich werde ich als Altfeministin einsortiert, als Spaßbremse, die gerade denkt: „Also früher …“.
Stimmt, das denke ich gerade. Früher, also im 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung ereignete sich nämlich folgende Geschichte:
Von dort zog sich Jesus in das Gebiet von Tyrus und Sidon zurück. Da kam eine kanaanäische Frau aus jener Gegend zu ihm und rief: Hab Erbarmen mit mir, Herr, du Sohn Davids! Meine Tochter wird von einem Dämon gequält. Jesus aber gab ihr keine Antwort. Da traten seine Jünger zu ihm und baten: Befrei sie (von ihrer Sorge), denn sie schreit hinter uns her. Er antwortete: Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt. Doch die Frau kam, fiel vor ihm nieder und sagte: Herr, hilf mir! Er erwiderte: Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen. Da entgegnete sie: Ja, du hast recht, Herr! Aber selbst die Hunde bekommen von den Brotresten, die vom Tisch ihrer Herren fallen. Darauf antwortete ihr Jesus: Frau, dein Glaube ist groß. Was du willst, soll geschehen. Und von dieser Stunde an war ihre Tochter geheilt. (Mt 15,21-28)
Ein Skandal! Eine Frau läuft Jesus und den Jüngern, also einer Gruppe von Männern, auf offener Straße hinterher. Die Jünger sind peinlichst berührt. Männer beherrschen die Straße und somit den öffentlichen Raum – die Frau „auf der Straße“ ist die öffentliche Frau, die benutzbare, die Hündin. Zugleich ist die „syrophönizische Frau“ privilegiert, die reichen Küstenstädte, so der Neutestamentler Gerd Theißen, bezogen ihr Getreide aus Judäa. Das Argument Jesu, dass man den Kindern nicht das Brot wegnehmen solle, spielt also auf diese Form von Kolonialismus an. Eine vermutlich nicht unvermögende Städterin bittet arme Männer vom Land um Hilfe. Wer ist hier privilegiert, wer unterprivilegiert? Wiegt Geschlecht schwerer als finanzielle und kulturelle Macht oder umgekehrt?
Jesus und die Jünger entscheiden diese Machtfrage zunächst einmal verbal für sich. Gegenüber den Abrahamskindern sind die Fremden „draußen“. Aber die Frau lässt nicht locker und greift das beleidigende Wortspiel auf, indem sie sich symbolisch mit den Underdogs identifiziert. Die Strategie geht auf – zumal Jesus nicht ihre Demut, sondern ihre kluge Schlagfertigkeit anerkennt. Trotzdem: Die „Hunde“ sind ein starkes Wort. Es wertet Fremde ab, und dass die Frau in der männlichen Form „mitgemeint“ ist, macht es nicht besser. Manche Kommentare versuchen eine rührende Abmilderung, indem sie vermuten, dass mit den kynarioi ja niedliche Haushündchen gemeint seien – als ob „Bitch“ auf rosa T-Shirtstoff harmloser wäre. Nein, die Hundemetapher ist hart.
„Harter Tobak“ ist diese Geschichte auch aus einem anderen Grund. Denn es ist die einzige neutestamentliche Geschichte, in der Jesus nicht souverän agiert, sondern nach einer kurzen Diskussion seine Meinung ändert. Dieser Sinneswandel kommt nicht allein der Frau und ihrer kranken Tochter zugute; hier deutet sich der spätere Übergang von der innerjüdischen zur grenzüberschreitenden Mission an. Die grobe erste Abfuhr mag die widersprüchlichen Gedanken, die Abwehr der jüdischen Leserinnen und Leser antizipieren. Auch in Apg 10,9-16 sieht Petrus in einer Vision unreine, d.h. nicht koschere Tiere, die ihm zum Mahl angeboten werden, was meine Kinderbibel eindrücklich mit Schlangen, Füchsen und Kranichen illustrierte. Petrus vergeht der Appetit, bis eine himmlische Stimme die Tiere für „rein“ erklärt – im weiteren Verlauf der Geschichte die Begründung, auch mit „Heiden“ an einem Tisch zu sitzen.
Den Auftakt zu dieser Gemeinschaft machte aber die Syrophönizerin. Die Geschichte folgt bei Markus wie bei Matthäus auf eine längere Unterweisung Jesu, in der eine kultische Scheidung von „rein“ und „unrein“ aufgehoben wird. (Mk 7,14-23; Mt 15,10-20) Es gibt letztlich keine unreinen Gegenstände, keine unreinen Tiere – und vor allem keine „dreckigen“ Menschen. Und diese Einsicht, diese Weisung ist so neu, so revolutionär, dass sie mit der krassen Abfuhr an die ausländische Frau und deren geschicktem Konter geradezu eingebläut werden muss. Kluge Worte vergisst man mitunter – das Beispiel von der Syrophönizerin so schnell nicht.
Deshalb noch einmal: Der Skandal, dass eine Frau mitten auf der Straße Männern hinterher lief, sie ansprach und ihnen zuletzt widersprach, hat laut biblischer Chronologie mit dazu geführt, dass es in unserer Religion keine Unterscheidung von „rein“ und „unrein“ gibt, und das heißt letztlich: keine Trennung zwischen Männern und Frauen, zwischen Hautfarben, Kulturen, Nationalitäten. Und wo Jesus selbst von der eigenen Kühnheit erschreckt und ihrer nicht ganz sicher war, hat eine Frau ihn ermutigt, bestätigt und bestärkt. Daran sollten sich alle Frauen erinnern, die sich aus welchen Gründen auch immer als „Bitch“ titulieren.
Mit der Annahme der Hundemetapher spielte die Syrophönizerin ein gewagtes Spiel. Denn die Assoziation von Frau und Hündin ist nicht ungefährlich, was zwei andere biblische Beispiele beweisen mögen. Die allzu mutige, selbst- und auch machtbewusste Königin Jezebel, Gegnerin des Propheten Elias, wird aus dem Fenster ihres Palastes gestürzt, ihr Leichnam zertrampelt und von Hunden gefressen (2 Kön 9,36-37). Hier wird nicht die Frau als „Hündin“ bezeichnet, aber die auch verbal sadistische Vernichtung eines Menschen, von dem nur noch Dreck übrig bleibt (2 Kön 9,36) in Verbindung mit den Hunden entmenschlicht die Frau, an der stellvertretend ein politisches Exempel statuiert wird.
Populärer, aber nicht harmloser bringt es die apokryphe Spruchsammlung Jesus Sirach in einer Aufzählung „guter“ weiblicher Eigenschaften (schön, häuslich und vor allem schweigsam) und „schlechter“ (beredt, eifersüchtig, trinkfreudig, Männern auf der Straße ins Gesicht schauend) auf den Punkt. „Eine unverschämte Frau wird wie ein Hund geachtet, eine schamhafte fürchtet den Herrn.“ (Sir 26,25) Ein schwer verdaulicher Mix aus Männermacht und religiöser Begründung.
Auch Männer können abwertend als „Hunde“ bezeichnet werden, und da wilde Hunde auch beißen, vorwiegend als „tote Hunde“. (1 Sam 24,15; 1 Sam 9,8; 2 Kön 8,13) Die „toten Hunde“ begegnen in der Macho-Welt des Krieges – so werden politische Gegner verspottet oder unterwerfen sich unterlegene Aufständische selbst, um auf ihre Harmlosigkeit hinzuweisen. Bei Männern drückt die Hundemetapher die Gefährlichkeit eines kleinen, unschädlich gemachten Raubtiers aus, bei Frauen ist der Vergleichspunkt eher das „Streunen“ des Hundes auf der Straße. Denn das „metaphernspende Feld“, heißt: die realen Hunde, wie die Bibel sie schildert, sind keine verwöhnten Möpse, sondern in der Regel Straßenhunde. Sie streunen, fressen alles, was sie kriegen können, benagen sogar Leichen (Spr 26,11; 2 Kön 9,36). Deshalb wird auch das neue Jerusalem peinlich sauber gehalten – und Hunde müssen draußen bleiben (Offb 22,15). Es sei dahingestellt, welches menschliche Vergehen die Hundemetapher hier bezeichnen mag. Klar ist: Der „Hund“ ist marginalisiert, ausgeschlossen. Auch die Hunde, die dem armen Lazarus die Wunden lecken (Lk 16,21) werden in der Literatur abwechselnd als letzte Stufe menschlicher Erniedrigung gedeutet oder als treue Tröster. Ein beneidenswertes Schicksal haben sie nicht.
Es gibt eine Reihe in islamischen Quellen überlieferter Jesus-Worte, ein Zeugnis aus einem untergegangenen frühen arabischen Christentum. Die arabischen Überlieferungen zeichnen das Bild eines Jesus, wie er von Pasolini sofort verfilmt worden wäre: streng asketisch, konsequent arm und kompromisslos – und ebenso kompromisslos gütig und warmherzig. Und diese Güte bezieht auch Tiere mit ein: „Jesus ging mit seinen Aposteln an einem toten Hund vorbei, der schon stank. Die Apostel sagten: Wie schrecklich stinkt dieser Hund! Jesus erwiderte: was für schöne weiße Zähne er hat.“ Hier praktiziert Jesus nicht „positives Denken“, sondern die Episode ist ein Hinweis darauf, auch in Sündern und Sünderinnen noch einen guten Kern zu sehen.
Ein schwacher Trost für Hundefreundinnen? Es kommt noch besser. Für die antike Philosophieschule der Kyniker, entstanden im 5. Jh. v.Chr., war die Selbstbezeichnung als „Hund“, kynos, eine Ehre. Die kynischen Wanderphilosophen verachteten Besitz als Belastung und provozierten durch freches Verhalten und Fragen auf der Straße. Wie von Jesus sind von den Kynikern und Kynikerinnen keine Schriften überliefert, sondern Worte und Geschichten aus der Sicht und Hand anderer. Nach dem stoischen Philosophen Epiktet (1. Jh.) soll der Kyniker Diogenes gesagt haben: „Seht mich an, ich habe kein Haus, keine Heimat, besitze nichts, habe keinen, der mir dient; ich schlafe auf bloßer Erde, habe weder Frau noch Kinder, nicht einmal ein Zelt, sondern nur die Erde und den Himmel und einen alten Mantel. Was fehlt mir? Ich kenne weder Trauer noch Furcht, ich bin ganz frei.“ (Handbüchlein der Moral). Wegen Entsprechungen in der asketischen Lebensführung hält der Theologe Bernhard Lang Jesus deshalb auch für einen „jüdischen Kyniker“.
Ob Jesus wirklich die kynische Philosophie kannte, sei dahin gestellt. Einer kannte sie, zumindest in ihrer Adaption durch andere hellenistische Philosophien: Paulus. Seine Ausführungen über Ehe und Ehelosigkeit im ersten Korintherbrief sind ein Befreiungsmanifest in bester kynischer Manier: „Ich möchte, dass ihr frei seid von falschen Sorgen. Wenn einer unverheiratet ist, sorgt er sich, so zu leben, wie es dem Herrn gefällt. … Ebenso ist es mit der Frau: wenn sie unverheiratet ist, ist sie darum besorgt, mit ihrem ganzen Tun und Denken dem Herrn zu gehören. Wenn sie dagegen verheiratet ist, sorgt sie sich um die Dinge der Welt, nämlich, wie sie ihrem Mann gefällt.“ (1 Kor 7,32-34)
Das Gefallenwollen macht Männern, aber vor allem auch Frauen merimna – das ist die Art von Sorge und „Kümmern“, die vom eigenen Kern wegführt, die wertvolle Lebenszeit kostet. Wer jemals drei Abende ohne sinnvolle Beschäftigung in der Nähe des Telefons oder in Gesellschaft des immer wieder auf SMS-Eingang überprüften Handys verbracht hat, weil er sich ja melden könnte, weiß, wovon die Rede ist. Auch die Kyniker lehnten diese Form von „Sorge“ ab – sie meinten damit die Belastung durch Besitz, Haushaltung, ja Familie. Männliche Philosophen sicherten sich seit jeher die Zeit für das Wesentliche durch Übertragung aller lästigen Arbeiten an Sklaven und Frauen, die Kyniker setzen dagegen auf Verzicht. Gegen deren Bedürfnislosigkeit ist Paulus' Weltabkehr geradezu luxuriös. Paulus geht es auch nicht – wie manchmal immer noch angenommen – um „Leibfeindlichkeit“, sondern um Freiheit. Und die gesteht er auch Frauen zu.
Die Kyniker hielten Frauen – befreit von häuslichen Lasten – für ebenso des Philosophierens fähig wie Männer. Und so gab es sie denn auch, die „Hündinnen“, Frauen die es wagten, zu denken, zu fragen, zu diskutieren und noch dazu den privaten Bereich zugunsten der „Straße“, also der Öffentlichkeit aufzugeben. Gerade dies, Öffentlichkeit für sich zu beanspruchen und auch noch etwas zu sagen, ist in einer männerdominierten Welt für Frauen verpönt. Noch Kirchenvater Augustinus regte sich, nach immerhin 800 Jahren, über die Kynikerin Hipparchia (4. Jh. v.Chr.) auf, die angeblich Sex in der Öffentlichkeit gehabt habe. Da ist sie wieder – die Bitch.
Es gibt nur ein Tier, das einen noch schlechteren Ruf hat: das Schwein. „Gebt das Heilige nicht den Hunden und werft eure Perlen nicht den Schweinen vor.“ (Mt 7,6) Da sind beide Underdogs vereint. Das „Schwein“ galt als kultisch unrein und stand für „Heiden“ und Abtrünnige, also solche, die Schweinefleisch essen. Größte Erniedrigung ist es für den „verlorenen Sohn“, Schweine hüten zu müssen und nicht einmal von deren Futter essen zu können. Ihren größten Auftritt haben die Schweine aber in der Geschichte vom „Besessenen von Gerasa“:
Sie kamen an das andere Ufer des Sees, in das Gebiet von Gerasa. Als er aus dem Boot stieg, lief ihm ein Mann entgegen, der von einem unreinen Geist besessen war. … Bei Tag und Nacht schrie er unaufhörlich in den Grabhöhlen und auf den Bergen und schlug sich mit Steinen. Als er Jesus von weitem sah, lief er zu ihm hin, warf sich vor ihm nieder und schrie laut: Was habe ich mit dir zu tun, Jesus, Sohn des höchsten Gottes? Ich beschwöre dich bei Gott, quäle mich nicht! Jesus hatte nämlich zu ihm gesagt: Verlass diesen Mann, du unreiner Geist! Jesus fragte ihn: Wie heißt du? Er antwortete: Mein Name ist Legion; denn wir sind viele. Und er flehte Jesus an, sie nicht aus dieser Gegend zu verbannen. Nun weidete dort an einem Berghang gerade eine große Schweineherde. Da baten ihn die Dämonen: Lass uns doch in die Schweine hineinfahren! Jesus erlaubte es ihnen. Darauf verließen die unreinen Geister den Menschen und fuhren in die Schweine und die Herde stürzte sich den Abhang hinab in den See. Es waren etwa zweitausend Tiere und alle ertranken. Die Hirten flohen und erzählten alles in der Stadt und in den Dörfern. Darauf eilten die Leute herbei, um zu sehen, was geschehen war. Sie kamen zu Jesus und sahen bei ihm den Mann, der von der Legion Dämonen besessen gewesen war. Er saß ordentlich gekleidet da und war wieder bei Verstand. Da fürchteten sie sich. Die, die alles gesehen hatten, berichteten ihnen, was mit dem Besessenen und mit den Schweinen geschehen war. Darauf baten die Leute Jesus, ihr Gebiet zu verlassen. (Mk 5,1-17)
Es gibt viele Heilungsgeschichten, aber diese bleibt in Erinnerung – wegen der Schweine! Rosig und prall stürzen sie kopfüber ins Wasser, etwa auf dem herrlichen Fresko in der St. Georgskirche auf der Reichenau, deren Besuch ich nur deshalb nicht empfehle, weil Besucherströme die Konsistenz und Existenz der Fresken gefährden. Die bei allem Mitleid doch auch faszinierende Schweinestampede lässt leicht übersehen, dass etwas in der Logik der Geschichte nicht stimmt. Gerade noch haben die Dämonen herzergreifend um ihr Leben gefleht, und da gefährden
sie ihre eigene Existenz, indem sie ihre Wirte im See ersäufen?
Noch etwas anderes ist dem Neutestamentler Gerd Theißen aufgefallen. Im griechischen Text stürzen die Schweine nicht in den See, sondern ins „Meer“ – eine deutlich übertriebene Bezeichnung für den See Genezareth. Damit nicht genug, spricht der Dämon Latein, zumindest ein Wort, und nennt sich „Legion“, also nach einer militärischen Einheit. Theißen vermutet hier eine Art Geheimcode: Die römische Besatzung hat einen Mann buchstäblich verrückt gemacht. Dass römische Soldaten oder eine große Zahl Menschen nicht-jüdischer Konfession in der Gegend ansässig sind, zeigt auch die Existenz der zu ihrer Versorgung gemästeten riesigen Schweineherde. „Legion“, also römische Besatzer, heißen die Dämonen, die Menschen verrückt machen, und es wäre das Beste, sie stürzten ins Meer, nämlich ins (oder freundlicher: übers) Mittelmeer. Die Tradenten der Wundergeschichte, wie sie das Markusevangelium überliefert, wird, gaben somit vorsichtig ihrer politischen Überzeugung Ausdruck und ebenso ihrer Antipathie gegen Profiteure des Besatzungszustandes wie die Schweinehirten. Die Parallelüberlieferung Mt 8,28-34 dagegen ist „politisch korrekt“ – hier jagen namenlose Dämonen die Schweine ins Wasser. Bei Markus entspricht sogar die Anzahl der Tiere einer kleinen römischen Legion. Hier spricht wohl die grimmige Wut der „kleinen Leute“, die unter fremder Besatzung leiden. Verständlich – aber wir wissen aus der Geschichte, wie schnell Tiermetaphern für Menschen, von der Bitch bis zum Bullenschwein, diese entmenschlichen und zur Abschlachtung frei geben.
Auch unsere biblische Tradition ist von solchen Gleichsetzungen von Mensch und Tier nicht frei. Der 2. Petrusbrief urteilt über theologische Gegner: „Wie das Sprichwort sagt: Der Hund frisst wieder, was er erbrochen hat. Oder wie ein anderes Sprichwort sagt: Die gebadete Sau wälzt sich wieder im Dreck.“ (2 Petr 2,22). Wo Hund und Schwein so traut vereint sind, ist auch die Strafe nicht fern: „Aber diese falschen Lehrer handeln unvernünftig wie die wilden Tiere, die nur geboren werden, damit man sie fängt und tötet.“ (2 Petr 2,12) Einerseits beruhigend: Auch die Bibel ist nicht immer menschlich ganz korrekt, man und frau darf sich schon mal im Ton vergreifen. Andererseits wird deutlich, dass abfällige Tiermetaphern Menschen unter das Maß des Menschlichen drücken. Bestimmte Tiere schlägt, tritt oder schlachtet man halt. Auf diesem Hintergrund gilt Jesu Gleichsetzung von Mord und Wort (Mt 5,21-22) einmal mehr – auch in Hinsicht auf Bitches, Zicken, alte Böcke. Daher ein letztes Wort, ebenfalls aus der arabischen Jesus-Überlieferung: „Es wird berichtet, Jesus sei an einem Schwein vorbeigegangen. Jesus sagte zu ihm: Geh hin in Frieden. Man warf ihm vor: Beim Heiligen Geist! So redest du mit einem Schwein? Jesus erwiderte: Ich mag meine Zunge keine unanständigen Ausdrücke lehren.“
Einstieg
Welches Tier gehört zu mir? Die Leiterin legt ausreichend (Anzahl der TN plus 5) Kopien von Fotos oder (besser noch) Zeichnungen verschiedener Tiere in die Mitte: Hund, Katze, Pferd, Eule, Wolf, Adler, Maus, Ratte, Schlange, Spatz, Hase, Reh, Kuh, Bär, Igel, Hamster, Maulwurf, Fuchs, Affe, Elefant, Löwe, Schwein, Känguru, Wal, Hering, Hai, Pfau, Esel, Kamel …; alternativ können Kärtchen mit je einem Tiernamen genommen werden.
Die Frauen werden eingeladen, „ihr“ persönliches Tier auszusuchen, mit dem sie sich vergleichen wollen, das sie als Kind sein wollten, das ihnen „seelenverwandt“ ist. –
Vorstellung im Plenum
Stark wie eine Löwin
Tiere werden immer wieder gerne zur Charakterisierung von Menschen und menschlichen Eigenschaften benutzt, manchmal anerkennend, manchmal abwertend. Welche positiven Tiermetaphern kennen Sie? (Flink wie ein Wiesel, fleißig wie eine Biene …) –
Metaphern auf Flipchart oder Plakat in der Mitte sammeln
Dreckig wie ein Schwein
Sehr oft werden Tiermetaphern aber ausgrenzend und abwertend gebraucht. Die Geschichte von der „syrophönizischen Frau“ (Mt 15,21-28) wird vorgelesen. Nach einem kurzen Austausch über spontane Gedanken dazu liest die Leiterin die dem biblischen Text oben folgenden zwei Absätze der Erläuterungen (oder referiert sie in eigenen Worten) – kurzer Gedankenaustausch
Die Syrophönizerin erhält nicht nur persönliche Hilfe für ihre Tochter, sie bewirkt auch ein Umdenken, das religionsgeschichtliche Bedeutung hat: Die Aufhebung kultischer Reinheit und Unreinheit. Sie bewirkt dies durch Annahme der Hundemetaphern.
Viele gesellschaftliche Bewegungen unserer Tage haben abfällige, ausgrenzende Bezeichnungen bewusst angenommen, um Selbstbewusstsein angesichts von Diskriminierung auszudrücken, z.B. „Black Power“, die Bürgerrechtsbewegung der AfroamerikanerInnen ab der 1960er Jahren, die Bewegung der Lesben und Schwulen oder die Krüppelbewegung der 1990er Jahre. Auch Frauen nutzen diese Methode, die sehr kontrovers diskutiert wird: die Rapperin Lady Bitch Ray versteht sich als Verfechterin von Frauenrechten, Slut Walks bzw. Schlampenmärsche richten sich gegen Belästigung, Femen protestieren mit nacktem Busen gegen sexuelle Ausbeutung und Unfreiheit. Ist dies ein möglicher politischer Weg, gar eine neue Form des Feminismus?
Die Leiterin bittet um ein erstes Meinungsbild: Wer würde spontan eher „ja“, wer eher „nein“ sagen? Die „Jasagerinnen“ und die „Neinsagerinnen“ bilden zwei Gruppen, in denen sie zunächst untereinander die gewählte Position diskutieren.
Wenn die Leiterin das für hilfreich hält, um die Diskussion in Gang zu bringen, bekommen die Gruppen die folgenden Argumente für ihre jeweilige Position:
NEIN: Frauen bedienen männliche Wertungen und männliche Zuschreibungen, wenn sie sich Schlampen oder ähnlich nennen. Nackte Busen ersetzen keine kluge Argumentation. Solche Aktionen schaden eher, als dass sie Frauen nutzen. Das ist auch nicht viel besser, als wenn sich Frauen dümmlich als „Luder“ oder „Bitch“ („Hündin“) bezeichnen. Frauen müssen eine neue Sprache für sich finden. Eine Frau, die gern ausgeht, sich nicht viel aus Haushalt macht und das Recht für sich beansprucht, auch zu „ungewöhnlichen“ Zeiten auf der Straße und in der Öffentlichkeit zu sein, hat eine andere Bezeichnung verdient als das von Männern (und einigen Frauen!) gebrauchte „Schlampe“.
JA: Homosexuelle Männer und Frauen können heute stolz „schwul“ bzw. „lesbisch“ sein. Frauen sollten das Recht für sich in Anspruch nehmen, bekleidet zu sein, wie sie sich gefallen, ohne belästigt zu werden. Sie sollten sich in Bars, Kneipen, auf die Straße trauen, dem Klischee des züchtigen Weibchens entgegen handeln. Und stolz sein, wenn man sie „Schlampe“ nennt. Die Femen haben durch ihre Aktionen mehr Aufmerksamkeit erreicht, als wenn sie journalistisch oder rein argumentativ in Erscheinung getreten wären. Im Zweifel lieber selbstbewusste „Schlampe“ als kicherndes „Mädel“, „freche Frau“ oder „Zicke“. Politische Korrektheit in der Sprache verschleiert oft nur Missstände, die einfach da sind. Lieber politisch inkorrekt piepsen, als beschwichtigend Ungleichheiten leugnen.
Austausch der Gruppenergebnisse und Diskussion im Plenum
Abschluss
Die Leiterin liest das arabische Logion vom Schwein (Kap. „Kein Herz für Hunde?“, erster Absatz) vor.
Sprache schafft Wirklichkeit. – Jede Teilnehmerin schreibt auf, in welchem Zusammenhang (Familie, Beziehungen, Beruf, Freizeit, Verkehr usw.) sie eine Woche lang auf ihre Sprache achten will: Was ist despektierlich, herabsetzend, was heilsam oder bewusst provozierend? Es geht dabei nicht um politische Korrektheit, sondern um Achtsamkeit und Selbstachtung!
Dr. Urte Bejick, geb. 1958, ist Theologin. Ihre Promotion hat sie über „Basileia. Vorstellungen vom Königtum Gottes in der Umwelt des Neuen Testaments“ geschrieben. Sie arbeitet als Referentin für Theologie und Seelsorge und Altenheimseelsorge im Diakonischen Werk Baden.
Verwendete Literatur
Die arabischen Jesusworte gesammelt und übersetzt in: Klaus Berger, Christiane Nord: Das Neue Testament und frühchristliche Schriften. Ffm./Leipzig 1999
Bernhard Lang: Jesus der Hund: Leben und Lehre eines jüdischen Kynikers. München 2010
Gerd Theißen: Lokalkolorit und Zeitgeschichte in den Evangelien. Ein Beitrag zur Geschichte der synoptischen Tradition, Freiburg (CH) / Göttingen 1992.
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