Ausgabe 2 / 2008 Material von Ursula Ott

Kindergeburtstag

Von Ursula Ott


Das kleine rote Vokabelheft, es liegt noch in meinem  Mädchenzimmer in der obersten Nachttischschublade. „Konfirmation Ursula“ steht drauf. In dem Heft, links vom Vokabelstrich, stehen Namen. Meier, Wagner, Moll. Rechts stehen Geschenke. Hanni-Nanni-Band 2, Beatles-Songbook, Armband rot. Und ganz am Rand stehen Preise. Selten geschätzte, meist exakt recherchierte, notfalls im Laden nachgefragte Preise. DM 6,99 steht da oder DM 11,20 – im Jahr 1976 gab es zumindest in Oberschwaben noch keine Luxusgeschenke.

Mein Vater managte die Gabenbuchhaltung, und er war perfekt: Kam das Kind der Meiers zur Konfirmation, der kleine Wagner zur Kommunion oder die Tochter der Molls in die Schule – wir wussten, wie viel wir ausgeben mussten. Manchmal lagen ja Jahre zwischen der Einnahme und der Ausgabe. Wie sonst hätte man sich die Größenordnung  merken sollen?

Aber ich weiß noch, dass ich schon als Kind diese Kleinkrämerei hasste. Wen lädst Du zum Geburtstag ein, wirst Du auch mal eingeladen? Ich fahre heute Abend die Silvia nach Hause, aber deren Vater könnte ja auch mal fahren. Nur einmal, da war es anders: Nach einem Kindergeburtstag meiner großen Schwester kam mein Vater überraschend mit einem Omnibus angefahren. Mit einem echten Bus, denn er hatte als junger Mann den Busführerschein gemacht, war aber später in einem Bürojob gelandet. Jetzt stiegen zehn kreischende Mädchen in diesen alten Bus, jede wurde mit großem Tamtam bis vor die Haustür gefahren. Und endlich fragten wir uns nicht, ob wir diese Investition jemals zurückkriegen – wer außer meinem Papa hatte schon einen Busführerschein? So glücklich sind wir nie wieder nach einem Kindergeburtstag eingeschlafen.


Ursula Ott

aus:
Genug kann nie genügen
in:
chrismon
Ausg. 01.2008
Hansisches Druck-und Verlagshaus GmbH
Frankfurt am Main

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