Alle Ausgaben / 2015 Material von Katharina Staritz

Kleine Blumen der Freude

Von Katharina Staritz

Der politische Gegner, der zum Gefangenen wird, hat seine Menschenwürde verloren. Nichts liegt mehr an seinem Leben, seiner Gesundheit, seinem Schicksal. Er ist in das Rädergetriebe einer für ihn undurchschaubaren, unerbittlichen Vernichtungsmaschine geraten. Jeder solche Gefangene bekommt bald nach dem Eintritt durch die erste Gefängnistür das niederschmetternde Bewußtsein, einer bösen Macht ausgeliefert zu sein. Es ist ihm, als stünde unsichtbar über seiner Gefängniszelle das Wort geschrieben: „Der du hier eintrittst, laß alle Hoffnung auf Freiheit fahren, … auf menschliche Hilfe und Gerechtigkeit.“
Wer aber darauf vertraut, daß über seinem menschlichem Schicksal nicht menschliche Willkür, sondern der Herr Himmels und der Erde zuerst und zuletzt entscheidet, für den beginnt ein Zeitabschnitt, in dem ihm Nähe und Kraft Gottes in nie gekannter Unmittelbarkeit zuteil wird. Für den bleibt wohl die Zukunft das „nebelverhüllt unkenntliche Land.“ Aber diese Erkenntnis bedrängt ihn nicht, weil sie ja in Gottes Hand liegt. Für ihn wird jede irdische Hoffnung wesentlich, weil er anfängt, sein Zutrauen von der ewigen Hoffnung zu nähren. Er schiebt die Sorge um „morgen“ beiseite, das „Heute“ wird ihm wichtig: „Er hat nicht gewollt, daß wir sorgen und klagen, nein, täglich von neuem auf ihn es wagen.“
Und dann geschieht es: Er erfährt, wie Gott sein Herz in dem großen Gram behütet und ihm das Gemüt offen wird für die kleinen Freuden, die Gott an seinem aussichtslosen Weg als Trost und Kraftspende bereitet. Für mich war die Zahl dieser täglichen Tröste-Freuden unzählbar groß und vielfältig. Von einigen möchte ich erzählen. … Als ich ins KZ-Lager kam, fand ich auch dort Hilfe. Sie geschah durch die Häftlinge, die schon jahrelang dort waren. Sie warnten den Neuling vor Gefahren, in die man unversehens geraten konnte. Sie lehrten ihn, die Gesundheit zu schützen, soweit es möglich war. Ja, sie sorgten in den ärgsten Hungerzeiten für zusätzliche Nahrungsmittel.
Als ich nahe daran war, in der Tag- und Nachtarbeit der Pelznäherei zusammenzubrechen, waren es die Kommunistinnen, die in der Selbstverwaltung des Lagers den Arbeitseinsatz ordneten, die mir eine Stelle im Büro verschafften. Das bedeutete zugleich die Versetzung in den Eliteblock, wo ich unter viel menschlicheren Bedingungen leben konnte als bisher. …
Ja, erst wenn man ganz verstoßen, verachtet und verlassen ist, bekommt man Augen für die Güte, die einem widerfährt, und wird dankbar für jede kleine Freude am Weg. Voller Staunen mußte ich immer wieder feststellen, daß sie mir von Menschen kamen, die dem Christentum fernstehen. Sind die Tugenden der Heiden wirklich „glänzende Laster“, wie Augustin gesagt hat? Ich glaube vielmehr, daß auch unsere christlichen „guten Taten“ nicht unser Werk, sondern Gnadengaben Gottes sind.

aus: Des großen Lichtes Widerschein
hgg. von der EFHiD
Münster, Berlin 1953
© EFiD

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