Alle Ausgaben / 2008 Andacht von Luise Metzler

Kleines Mädchen Hoffnung

Andacht zu 2 Könige 5,1-14

Von Luise Metzler


Es klingt wie ein Märchen, was die Bibel im 2. Buch der Königinnen und Könige erzählt. Wie dort finden wir uns und unsere Realität eingezeichnet.

Es war einmal ein kleines Mädchen. Das lebte vor mehr als 2000 Jahren in Israel und war etwa sechs Jahre alt.(1) Den Namen der Kleinen erfahren wir nicht. Ich nenne sie Batja (hebräisch: Tochter Gottes). Denn trotz ihres hoffnungslosen Schicksals hält diese kleine Tochter Gottes am Vertrauen auf den Gott ihrer Mütter und Väter fest. Batjas Eltern scheinen ernst genommen zu haben, was das Schma Israel lehrt: „Wenn dein Kind dich morgen fragt: Was sind das für Weisungen, die Gott euch gegeben hat? dann sollst Du sagen…“(2) Sie scheinen ihrer kleinen Tochter viel vom Gott Israels erzählt zu haben: welch wunderbare Geschichte das Volk mit Gott erlebt hat, dass es richtig ist, Gott zu vertrauen, selbst in aussichtsloser Zeit. Vielleicht hat Batjas Mutter abends mit ihr gebetet: „Vertrau Gott dein Leben an. Gott wird dir geben, was dein Herz bittet.“(3) oder „Mit meinem Gott spring ich über Mauern.“(4) Batja scheint mit der Muttermilch aufgesogen zu haben, worauf auch Jesus später  vertraut: „Was bei Menschen unmöglich ist, ist bei Gott möglich.“(5) Gott befreit aus der Sklaverei – diese frohe Botschaft wird Batjas Familie zu Pessach gefeiert haben. Gott heilt – dieses  Vertrauen scheint Batja tief verinnerlicht zu haben. So tief, dass sie selbst als versklavtes kleines Mädchen daran festhält. Und es andere lehrt.


Gott befreit

Batjas Schicksal ist grausam. Sie ist als Kriegsgefangene von Aramäern geraubt worden und lebt als Kindersklavin im Haus des Feldherrn Naaman. Sechs Jahre alt! Mit sechs Jahren sollten Jungen und Mädchen in einer Familie behütet sein, bei ihrer Mutter und/oder ihrem Vater. Sie sollten dort leben, wo sie sich geliebt und geborgen fühlen, statt – wie weltweit so viele Kinder bis heute – in Sklaverei ausgebeutet zu werden.

Batja war Sklavin von Naamans Frau. Wurde sie misshandelt? Wurde sie sexuell missbraucht? Beides drohte  Sklavinnen, egal, wie alt sie waren. War ihre Herrschaft wenigstens freundlich zu ihr? Die Bibel erzählt es nicht. Hatte Batja Heimweh? Weinte sie nachts? Oder verdrängte sie die Sehnsucht nach ihrer Familie, weil sie es sonst nicht ertrug? Auch darüber schweigt die Bibel. Aber wir erfahren, dass es dieser kleinen Tochter Gottes nicht egal ist, wenn Menschen in ihrer Umgebung  leiden, selbst wenn sie ihr Leid angetan und gegen ihr Volk Krieg geführt haben. Batja erbarmt sich. Sie beginnt, was der Prophet Elischa später vollenden wird.


Gott heilt

Batja wird zur Prophetin, die ihr Vertrauen in Gott weitergibt: Gott heilt. Sie folgt dem Zentralgebot der Tora, dem Jesus sich in der Bergpredigt anschließt: „Du sollst deine Nächsten lieben wie dich selbst.“(6) Der Feldherr Naaman leidet unter einer schweren, vielleicht Ekel erregenden Hautkrankheit, und das erst sechsjährige Mädchen lässt ihm raten: „Ach wäre mein Herr doch bei dem Propheten in Samaria – dann würde er ihn von seinem Hautausschlag befreien.“(7) Was für eine verrückte Idee! Der große Mann soll auf den Rat dieses kleinen Mädchens hören? Soll sich zu dem Propheten des kleinen besiegten Volkes aufmachen? Das Wunder geschieht: Naaman hört auf die kleine Batja. Darum wird seine Haut später „wie die Haut eines kleinen Jungen“(8) sein.

Ausgerüstet mit Prunk und militärischer Macht – Streitwagen, Streitrösser, Bedienstete, Schatztruhe, Prachtkleider – reist der General des mächtigen Staates Aram zum König von Israel. Ihm präsentiert er den Befehl des Königs von Aram: „Wenn dieser Brief zu dir kommt, siehe, dann habe ich Naaman, meinen Getreuen, zu dir gesandt, und du sollst ihn von seinem Hautausschlag befreien!“(9) Israels König ist entsetzt. Er wittert Kriegslist. Denn Arams König fordert Unmögliches: „Bin ich etwa die Gottheit, die töten und lebendig machen kann? Da schickt einer doch zu mir, um jemanden vom Hautausschlag zu befreien! Ja, nun erkennt und seht ihr, dass dieser nur etwas als Vorwand gegen mich sucht!“(10) Doch Israels Prophet Elischa – sein Name bedeutet: Gott heilt – bewahrt Ruhe und Gott vertrauen. Er lässt seinem König ausrichten: „Warum hast du deine Kleider zerrissen? Er soll zu mir kommen, damit er erkennt, dass es in Israel einen  Propheten gibt!“(11)

Welche Provokation! Ein Prophet im kleinen Israel wagt es, dem General Arams Paroli zu bieten? Naaman scheint so sehr in Not zu sein, dass er diese Respektlosigkeit duldet. Mit seiner ganzen Delegation hält er vor Elischas Haus. Wird der Prophet herauskommen und den hohen Herrn ehren? Mächtige erwarten das. Aber Elischa lässt einfach nur durch einen Boten ausrichten: „Geh und wasch dich siebenmal im Jordan, dann wird deine Haut heil!“ Standes gemäß und zu erwarten wäre ein ausführliches Gespräch, sorgfältige Behand lung und speziell ausgesuchte Medizin. Statt dessen diese erneute Provokation. Naaman tobt: „Ich habe mir gedacht: Er wird auf jeden Fall zu mir herauskommen, stehen bleiben und den Namen der Ewigen, seiner Gottheit, anrufen, seine Hand über der Stelle hin und her bewegen und mich dann vom Hautausschlag befreien. Sind nicht Abana und Parpar, die Flüsse von Damaskus, besser als alle Wasser Israels? Kann ich mich etwa nicht in ihnen waschen und rein werden?“(12)

Naaman will auf der Stelle kehrt machen. Eine brandgefährliche Situation: Naaman ist Kriegsherr! Wieder sind es „die  Kleinen“, deren Klugheit die Situation rettet und zu Naamans Heilung führt. Seine Dienstleute appellieren an seinen Verstand – ein diplomatisches Meisterstück: Auf das kleine Mädchen hatte Naaman gehört – das Wort des Propheten will er nicht befolgen, weil es ihm zu simpel erscheint? Seine Dienstleute lehren ihn, dass er sich nicht klein macht, wenn er den kleinen Schritt ins Jordanwasser geht: „Mein Vater, angenommen der Prophet hätte von dir etwas Großes verlangt – hättest du es nicht getan? Um wie viel mehr nun, da er zu dir lediglich gesagt hat: ‚Wasch dich und du wirst rein!'“(13) Jetzt kann Naaman ohne Gesichtsverlust untertauchen, „siebenmal gemäß dem Wort des Gottesmannes. Und seine Haut kehrte heil zurück wie die Haut eines kleinen Jungen, und er war rein.“(14) Dem hebräischen „nacar qatan“ – kleiner Junge – entspricht als weibliche Form „nacarah qatanah“: „kleines Mädchen“. Der  große Feldherr Naaman ist tief herab gestiegen. Jetzt befindet er sich auf gleicher Ebene wie Batja, das kleine Mädchen. Naaman ist nicht erniedrigt, sondern geheilt.


Gott sei Lob und Dank

Mitleid und Gottvertrauen des kleinen Mädchens Batja brachten Naaman auf den Weg zum Heilwerden. Dennoch glaubten er und die anderen Großen, nur Könige hätten dazu die Macht. Wegen dieser Großmannssucht hätte Naaman seine Heilung beinah verspielt – wenn sich nicht wieder „kleine Leute“ engagiert hätten. Seine Dienstleute werden zur Hand Gottes. Sie lehren Naaman, dass es manchmal nötig ist, vom hohen Ross zu steigen. Siebenmal wird er ganz klein. Krank taucht er unter im Wasser des Jordan. Heraus kommt ein neuer, geheilter Mensch, der nicht mehr „von oben herab“, sondern auf Augenhöhe mit dem Propheten Gott lobt: „Da kehrte er mit seinem ganzen Gefolge zum Gottesmann zurück. Er ging hinein, stand vor ihm und sprach: Ja! Ich habe nun erkannt, dass es keine Gottheit auf der ganzen Erde außer in Israel gibt!“(15) Gott sei Dank! – und den kleinen Leuten, die Gott vertrauen und dieses Vertrauen teilen. So, wie Paulus es von Gott sagt: „Gerade in den Schwachen lebt meine Kraft.“(16) Diese Gewissheit gilt für alle, für große und kleine Leute. Selbst aussichtslose Situationen wie die der kleinen namenlosen Kindersklavin tragen Möglichkeiten in sich: Batja, die trotz eigener Gewalterfahrungen Gott vertraut und im Feind den Menschen sieht, der Hilfe braucht. Die Dienstleute, die dem tobenden Machtmenschen ins Wort fallen und seine Füße auf den Weg des Friedens richten. Jetzt kann Gott heilen.

Die Geschichte der kleinen Batja und des großen Naaman ist eine Hoffnungsgeschichte. Sie zeigt Spuren der Welt Gottes, in der Wunderbares geschehen kann, auf das auch wir vertrauen dürfen: „Was bei Menschen unmöglich ist, ist bei Gott möglich.“ Lassen Sie uns einstimmen in die Erfahrung Naamans und in das Vertrauen Batjas: „Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt. – Ehre sei Gott und den Menschen Frieden.“(17) Amen.


Vorschläge zur Gestaltung

– Impuls zum Gespräch: Wann haben wir erlebt, dass Kleine und Machtlose über sich hinauswachsen und anderen zum Segen werden?

– Text 2 Kön 5,1-15 vorlesen –  möglichst in der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache (für AbonnentInnen unter www.ahzw.de / Service zum  Herunterladen vorbereitet)

– Liedvorschläge: Ich lobe meinen Gott (EG 673); Und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens (EG 679); Ich kenne Gottes Ruf (ahzw 4/2007, S. 48)

– Zuspruch zum Segen:

Auch Du
bist Prophetin
in dir tanzt das Licht
und machtvoll
erklingt uns dein Lied

Aus dir singt der Traum
vom Sturz aller Täter
vom Aufstand aller Opfer
zur Freundschaft und Lebenslust

Auch du bist Prophetin
ausgespannt
zwischen Himmel und Erde
in deinen Händen
liegt Licht und Wahrheit
und du erzählst
von Unrecht und Schmerz
und von kommendem Leben
das leise
unaufhaltsam
unter uns
Gestalt annimmt.

Lisiane Enderli(18)


Luise Metzler, 58 Jahre, ist Mitglied im  Redaktionsbeirat und zuständig für das Marketing der ahzw.


Anmerkungen:

1 Viele Bibelübersetzungen sagen „junges Mädchen“, und wir denken an Pubertät. Aber im Hebräischen steht ein Wort für „kleines Mädchen“, und gemeint ist ein Alter von etwa sechs Jahren. „Junges Mädchen“ macht unhörbar, dass die Bibel hier mit dem Gegensatz „kleines Mädchen“ – „großer Feldherr“ spielt.
2 Dtn 6,20
3 Ps 37,4-5
4 Ps 18,30
5 Lk 18,26-27 (Jahreslosung 2009)
6 Lev 19,18
7 2 Kön 5,3
8 2 Kön 5,14
9 2 Kön 5,6
10 2 Kön 5,7
11 2 Kön 5,8
12 2 Kön 5,11f.
13 2 Kön 5,13
14 2 Kön 5,14
15 2 Kön 5,15
16 2 Kor 12,9
17 EG 673
18 in: Bechmann, S. 60


Verwendete Literatur:

Ulrike Bechmann, Die Sklavin des Naaman. Kriegsgefangene – Prophetin – Friedensfrau, Katholisches Bibelwerk Stuttgart, 2004

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