Ausgabe 1 / 2014 Artikel von Birgit Meyer

Können’s Frauen doch?

Politikerinnen in der bundesdeutschen Presse

Von Birgit Meyer


Die Presseberichterstattung über Politikerinnen, insbesondere die über Angela Merkel, erfährt über die vergangenen zehn Jahre einen erstaunlichen Wandel, allerdings stets begleitet von traditionellen Geschlechterklischees. Vom „Ossi-Dornröschen“ zur „Königin der deutschen Demokratie“ habe sie sich entwickelt.1 Es scheint, als könnten sich die bundesdeutschen Medien immer noch nicht an das Ungewöhnliche einer Frau an der Spitze des Staates gewöhnen.

Die Parteivorsitzende und Kanzlerin Angela Merkel ist die politisch mächtigste Frau im Land, in Europa und vielleicht sogar in der Welt. Doch das ist immer noch außergewöhnlich für eine Politikerin in Deutschland. Man könnte auch sagen, es ist spektakulär, denn das Bild, das Medien von Politikerinnen zeichnen, ist – freundlich ausgedrückt – deren politischen Karrieren nicht hilfreich. Es ist nach wie vor geprägt von konventionellen Geschlechterklischees und fern von journalistisch aufklärerischen Impulsen und fairer sachlicher Berichterstattung. Interessant ist dabei die Wiederkehr der Bezeichnung „Mutti“ für die mächtigste Frau Europas, weil durch diesen Begriff schon die ersten Nachkriegspolitikerinnen – wenn man sie überhaupt wahrnahm – bezeichnet wurden.

Mich interessiert die Darstellung von Politikerinnen in der bundesdeutschen Presse. Dabei geht es nicht um einen Vergleich zwischen männlichen und weiblichen PolitikerInnen, sondern um die Muster der Darstellung in den vergangenen sechs Jahrzehnten: Gab es einen Wandel zu mehr Sachlichkeit und weniger geschlechtsbezogener Berichterstattung?

Doch fangen wir ein wenig grundsätzlicher an: Bilder in unseren Köpfen sind nicht einfach da, und sie gehören uns nicht allein. Sie sind hergestellte, produzierte und werden geschaffen in einer Art Wettbewerb der professionellen BeeinflusserInnen. Das, was wir glauben, und die Art, wie wir etwas sehen und interpretieren, ist vielfach fremdbestimmt. Um die Oberhoheit über politische Orientierungen und letztlich über Wahlentscheidungen wird in einer pluralistischen Demokratie hart gekämpft, ob mit fairen oder weniger fairen Mitteln. Medien spielen dabei die zentrale Rolle.

Die Beschäftigung mit der Darstellung von Politikerinnen in den Medien setzt daher voraus, dass es in der Macht der Medien liegt, gesellschaftliche Realität nicht nur abzubilden und zu interpretieren, sondern darüber hinaus auch Bilder von Weiblichkeit und Männlichkeit zu konstruieren – sicher abhängig von der politischen Grundausrichtung des jeweiligen Presseorgans und der Medien-NutzerInnen.

Meine These lautet: Die in der Medien- und Wahlkampflogik zentrale Strategie der Personalisierung und Banalisierung sitzt durchgängig vermeintlich „natürlichen“ Geschlechter-Stereotypen auf. Aber es gibt auch einen interessanten Wandel in den mehr als sechs Jahrzehnten bundesrepublikanischer Berichterstattung über Politikerinnen. Dieser Wandel lässt sich in fünf Phasen einteilen.

In der ersten Phase oszilliert die Presseberichterstattung zwischen Nichtbeachtung und Geringschätzung und dem Lob der „guten Mutter“ in der Politik. Die zweite Phase der 70er Jahre ist geprägt von Trivialisierung und Stilisierung als fleißige Ausnahmefrau oder zickige Emanze. In der dritten Phase der 80er Jahre findet die „neue“ Generation von Politikerinnen mehr Aufmerksamkeit. Die Berichterstattung changiert zwischen Anerkennung und Spott. Ab den 90er Jahren scheint sie gekennzeichnet durch eine symbolische Akzeptanz von Politikerinnen. Ab der Jahrtausendwende, Phase 5, erkennen wir einen Wandel.


Zwischen Nichtbeachtung,
Geringschätzung und dem Lob der „guten Mutter“ in der Politik

In der ersten Phase der Berichterstattung, in den 50er und 60er Jahren, wurden Politikerinnen in der bundesdeutschen Presse überwiegend beschwiegen. Diese Nichtbeachtung ist umso verblüffender, als es zahlreiche prominente Politikerinnen auch auf höchster Ebene gegeben hat. Wenn diese allerdings in die Medien gerieten, dann wurden sie gerne nach dem Klischee „die gute Mutter“ charakterisiert. In der Nachkriegszeit galten die Pflichten der Ehefrau und Mutter als wesentliche „weibliche Bestimmung“. Dieses Leitbild wurde teilweise von den Politikerinnen selbst akzeptiert – nicht immer gelebt – und weithin nicht in Frage gestellt. „Meine Familie ist mir wichtiger als alle Politik“, so drückt es eine Politikerin im Nachhinein aus.2 Das Lob der „guten Mutter“ und „glücklichen Hausfrau“, die „zufällig“ Politik machte, war natürlich abhängig von der politischen Ausrichtung des jeweiligen Presseorgans, und besonders deutlich in den christlich-konservativen Medien.

Durch den Bezug auf die Mutterrolle wird die Politikerin vergeschlechtlicht, und dies wirkt immer zweischneidig: einerseits positiv, denn die Mutter sorgt für das Land genauso selbstlos wie für ihre Familie. Andererseits kann man natürlich der „guten Mutter“ bei Gelegenheit wieder empfehlen, sich um die eigenen Kinder zu kümmern statt ihre Zeit im Bundestag zu verbringen. Und Politikerinnen ohne Kinder wurden rasch mütterlich-sorgende Fähigkeiten abgesprochen. Alleinlebende wurden als frustriert oder unweiblich dargestellt. Ohne Mann und Kinder zu sein, war ein Defizit.3

Die Kolumnistin Sibylle Krause-Burger vermutet, dass die älteren Politikerinnen „vom Schlage der warmherzigen, hilfsbereiten politischen Mutter“ von den Medien in diese Rolle gedrängt wurden. „Nur wenige unter den Älteren haben diese Rolle abzuschütteln vermocht… So blieb ihnen kaum anderes, als die Mutterrolle anzunehmen, ja sie geradezu wie eine Monstranz vor sich herzutragen und eben damit die eigene Partei und die Wählerschaft in die Knie zu zwingen.“4


Fleißige Ausnahmefrauen und zickige Emanzen

1975 war das „Jahr der Frau“ der Vereinten Nationen und das der sogenannten Küchenhoff-Studie im Auftrag der Bundesregierung, die erste große Studie über „Die Darstellung der Frau im Deutschen Fernsehen.“ Das Fazit war eindeutig: „Männer handeln, Frauen kommen vor.“ Dem entsprechend konzentrierte sich die Aufmerksamkeit in der zweiten Phase der 70er/80er Jahre auf klischeehafte Darstellungen von Nebensächlichkeiten und Äußerlichkeiten. Statt der Analyse und Kritik von Politikkonzepten konzentrierte man sich auf Kleiderordnungen, Gesichtsfalten oder Charakterzüge und vernachlässigte darüber die Sachanalyse. Der Pressewirbel, den die Abgeordnete Lenelotte von Bothmer (SPD) 1970 auslöste, als sie als erste Parlamentarierin im Hosenanzug ans RednerInnenpult im Bundestag ging, ist dafür symptomatisch.5

Ab Mitte der 80er Jahre zeichnet sich eine Veränderung ab. Eine jüngere, besser ausgebildete und rebellischere Frauengeneration tritt an. Auch diese Politikerinnen werden anfangs, vor allem wenn sie feministisch auftreten wie die ersten Parlamentarierinnen der Grünen, verhöhnt, verspottet, nicht ernst genommen und an Äußerlichkeiten statt an Inhalten gemessen. Alte Klischees über die Untauglichkeit von Frauen für das Politische bleiben. Ihnen haftet quasi naturhaft das Defizit an: „Sie können es nicht!“ Und richtig ernst nehmen muss man sie nicht.


Widersprüchliche symbolische Akzeptanz – Skepsis bleibt

Je zahlreicher Politikerinnen in die Parlamente zogen, je lautstarker Forderungen nach Veränderungen in der Geschlechterhierarchie wurden, desto weniger beherrschten die offenen Feindseligkeiten aus den Zeiten des Schocks der frühen 80er die Berichterstattung. Aber Häme und Besserwisserei prägten auch in den 90er Jahren Berichte über die zunehmende Präsenz und Erfolge von Politikerinnen; man denke nur an die Kommentare zur Rüschenbluse von Claudia Nolte.

Politikerinnen, die keine frauenpolitischen Forderungen erhoben, wurden eher akzeptiert als bekennende Feministinnen. Dies galt auch für die links-liberale Presse. „Für die Presse war ich das rote Tuch. Und in meiner Partei kann man sich mit keiner Politik so unbeliebt machen wie mit Frauenpolitik“.6 Feministisch orientierte Politikerinnen mussten also immer die doppelte Hürde nehmen: per se bereits als das „andere“ Geschlecht „stören“ und zudem für dieses sprechen beziehungsweise fordern.


Das Phänomen Merkel

Erst die KanzlerInkandidatur einer Frau hat die herrschende Männlichkeit von Politik in einem bisher unbekannten Ausmaß öffentlich thematisiert. Anhand von „Kohls Mädchen“ aus dem Osten können wir einen grundsätzlichen Wandel in der Berichterstattung und in Fotos zwischen 2000/2001 und 2005 feststellen. Dies hängt zusammen
– mit der Zeitspanne, in der man sich an Merkels Machtanspruch gewöhnen konnte;
– mit den innerparteilichen Krisen in der CDU, auch was unverbrauchte männliche Kandidaten anbelangte;
– mit Merkel selbst, mit den markanten Fähigkeiten, über die sie verfügt: Geduld, Nervenstärke, Abwarten, Aussitzen, ihre unspektakuläre und wenig eitle Selbstpräsentation sowie ihr machtbewusstes, aber wenig offensichtliches Fäden-Ziehen hinter den Kulissen. Es hängt aber auch zusammen
– mit den Phänomen Macht.

Seit ihrer gewonnenen Kanzlerinschaft 2005 erleben wir eine mediale Inszenierung von Merkel als Superstar. „Die deutsche Queen“7 gilt als „geheimnisvoll, anders und authentisch“. Im Januar 2002 forderte DIE ZEIT Angela Merkel noch unverblümt auf, die KanzlerInnenkandidatur an Edmund Stoiber abzugeben: „Treten Sie zurück, Frau Merkel, noch ist es Zeit!“ Angela Merkel habe „kaum etwas vorzuweisen“, sie zeige „Ehrgeiz, Machtbewusstsein, Realitätsferne und keinerlei ökonomische Kompetenz“. Sie ist Freiwild – zum Abschuss frei gegeben. Heute feiert die Wochenzeitung den neuen Stil, das neue Gesicht Deutschlands in der Welt …

Von Anfang an – und immer noch – dreht die Berichterstattung über Angela Merkel sich stets auch um ihre Geschlechtszugehörigkeit. Sie ist schließlich: „Die erste Frau im Kanzleramt!“ Andererseits zeigten sich Irritationen und Widersprüchlichkeiten in den Zuschreibungen, die um das Phänomen „Macht“ oszillieren. Vor 2005 zeigte sich die strukturelle Unfähigkeit der Medien, mit Frauen in politischen Führungspositionen umzugehen, in Spott und Häme. Man könnte heute von einer temporären Zähmung durch Frauen mit Macht sprechen. Allerdings wird an vielen Berichten auch deutlich: Nur wenn Politikerinnen ihre Weiblichkeit abgesprochen wird, scheint ihre Macht erträglich.


Und heute?

Das lange vorherrschende Stereotyp von entweder zu weichen („weiblichen“) oder zu zickigen, „machtgeilen“ („vermännlichten“) Politikerinnen ist aufgeweicht. Ursula von der Leyen, Hannelore Kraft, Madeleine Albright, Condoleezza Rice, Senatorin Dianne Feinstein und IWF-Chefin Christine Lagarde: Sie alle werden – vor allem, sobald sie Macht haben – als Mitspielerinnen in dem Spiel um Dominanz und Einfluss respektiert und zunehmend ernst genommen.

Und doch sind die alten Klischees nicht einfach verschwunden. Angela Merkel wird – besonders im Wahljahr 2013 – oft als „Mutter der Nation“ oder als „Mutti“ bezeichnet. Sie wird dadurch vermenschlicht, familiarisiert und zum „Muttertier“ gemacht: „Zu Hause ist sie ganz Ehefrau“ (Stern), und: „Eine Mutter kann nicht abgewählt werden“ (Handelsblatt).

Durch die Bezeichnung als „Mutti“ wird Merkel vergeschlechtlicht – und damit zugleich auch handhabbar gemacht. Sibylle Berg meint, mächtige Politikerinnen würden „muttisiert“ und damit „klein gemacht“, um ihre Macht oder internationale Anerkennung besser ertragen zu können. Im Unterschied zu der Stilisierung zur „guten Mutter“ in der Nachkriegszeit liegt in der „Muttisierung“ (Berg) Angela Merkels natürlich zunächst eine Anerkennung und eine Akzeptanz des Unvermeidlichen. Sie ist halt da und passt auf uns auf. Sie steht für ein solides Sachwalten im Amt, und mündige Bürgerinnen und Bürger sind entlastet und brauchen sich selber um Politik nicht zu kümmern. Ähnlich wie in den 50er Jahren steht hinter der aktuellen Berichterstattung aber tendenziell auch eine Art Ent-mächtigung Merkels.

Doch Kanzlerin Merkel weiß, wann sie ihr „Anderssein“ strategisch einsetzen kann: Bei der Eröffnung der Oper in Oslo 2008 zog sie ein tief ausgeschnittenes Abendkleid an und stahl der anwesenden Kronprinzessin wie der versammelten Prominenz die Medienshow. Auf allen Titelseiten, selbst in London, Ankara oder Tokio, wurde in den folgenden Tagen die selbst inszenierte Weiblichkeit Merkels gezeigt, bewundert und anerkannt. Das Thema entwickelte sich in allen Tages- und Wochenzeitungen, Magazinen, Sendungen, Online- und Printbeiträgen zum viel diskutierten Hit: „Merkel zeigt Dekolleté“.9 Ich denke, dass es Merkels Strategie gewesen ist, den voyeuristischen Blick der Medien auf den weiblichen Körper bewusst auszunutzen: Sie war sich der Wirkung der Bildersprache sicher. Lange Zeit hatten die Medien ihre biedere, unmodische Garderobe und ihre wenig weibliche Ausstrahlung kritisiert. Nun aber schlägt sie zurück. Sie agiert, sie hat den Zeitpunkt gewählt, an dem ihr Auftritt größtmögliche Resonanz haben muss. Sie hat auf die Vergeschlechtlichung und Sexualisierung ihres Auftretens gesetzt, aber selbstbewusst, selbst-inszeniert und strategisch erfolgreich. Auffällig ist, dass in der Presse weder ihr Geschmack noch ihr Körper negativ bewertet wurde. Offen sexistische Polemik fehlte ganz oder gab es allenfalls in Online-Blogs.10

Meine Schlüsse aus diesem notwendigerweise oberflächlichen Parforce-Ritt sind vorsichtig: Ich denke, es nützt Politikerinnen nichts, wenn sie ihr Frausein negieren oder nicht thematisieren wollen. Der Versuch, ihren Körper oder ihre Weiblichkeit zu verbergen, muss scheitern. Politikerinnen sollten vielmehr mit Geschlechterstereotypen bewusst umgehen und sie punktuell strategisch einsetzen, sonst verschenken sie wichtige Potenziale. Sie sollten die Gunst des -Augenblicks nutzen und mit ihrem Anderssein punkten. Denn: Die Logik
der Ununterscheidbarkeit ist trügerisch:
Die Frau im grauen Nadelstreifen fällt nicht nur nicht weiter auf – man sieht sie gar nicht! Anders gesagt: In der Geschlechterdifferenz liegt eine Chance. Aber öffentliche Präsenz muss gecoacht werden. Politikerinnen müssen lernen, mit den paradoxen Erwartungen und dem männlich inszenierten Spiel in Politik und Medien professionell umzugehen. Und keinesfalls dürfen sie dabei vergessen: Was für die Kanzlerin möglich ist, könnte hoch riskant werden für eine SPD-Generalsekretärin oder eine beliebige Abgeordnete, gleich welcher Partei. Denn die mediale Beißhemmung, die offensichtlich mit Merkels unerwarteter Machtposition zu tun hat, kann auch wieder nachlassen. Zudem ist sie sowieso nicht allgemein gültig, sondern speziell auf „Magic Merkel“ 11 gemünzt.

Davon abgesehen gibt es natürlich bei der öffentlichen Präsenz Fallen, die für Politikerinnen wie für Politiker gleichermaßen gefährlich sind – besonders durch die neuen Medien. Interessanterweise konstatieren wir nämlich in der Presse eine Versachlichung der Berichterstattung just in dem Moment, in dem die Bedeutung seriöser Tages- und Wochenzeitungen für die politische Informationsvermittlung abnimmt. Die Auflagenverluste sind, nicht nur in Deutschland, eklatant. Und: Es sind vor allem junge Leser und Leserinnen, deren Köpfe und Herzen von konventionellen und anspruchsvollen (Print-) Medien nicht mehr erreicht werden. Nur noch jede/r zehnte Jugendliche nutzt eine konventionelle Tageszeitung, um sich zu informieren. Privatfernsehen, Internet, Twitter und Blogs haben Printmedien besonders bei jungen Menschen verdrängt. Deshalb lautet meine pessimistische Prognose: In dem Maße, wie eine trivialisierte Mediennutzung in Chatforen & Co steigt, werden möglicherweise traditionelle Rollenzuschreibungen und Vorurteile gegenüber Politikerinnen wieder an Bedeutung gewinnen.12

Andererseits: Wir MediennutzerInnen, wir Wählenden haben Macht. Wir könnten die Medienbilder „gegen den Strich bürsten“ (dekonstruieren), die suggerieren, dass Frausein und politische Kompetenz sich grundsätzlich ausschlössen. Dieses Klischee ist im 21. Jahrhundert überholt.


Für die Arbeit in der Gruppe

Kopiervorlagen für AbonnentInnen unter www.ahzw-online.de / Service zum Herunterladen vorbereitet


Bilder in unseren Köpfen
Frauen sind … – Männer sind …: Ob wir es wollen oder nicht, in unser aller Köpfen sitzen Bilder davon, wie Männer und wie Frauen sind oder sein sollten. Was Frauen können, was Männer können. Diese Bilder haben wir auch im Kopf, wenn wir Politikerinnen und Politiker anschauen, ihren Reden zuhören, ihre Arbeit bewerten. Wetten, dass?

2 Gruppen bilden – eine erhält eine aus Pappe geschnittene (möglichst lebensgroße) weibliche, die andere eine männliche Figur mit der Aufschrift: Eine Politikerin (bzw. ein Politiker), die (den) ich wählen würde, braucht … und an einer anderen Stelle: … darf auf keinen Fall haben …; Klebestift, Filzstift und Kärtchen mit folgenden Aufschriften:
ansehnliches Äußeres / Verhandlungsgeschick / Lust auf Macht / Machtbewusstsein / Kompromissfähigkeit / Familiensinn / eine mütterliche Ausstrahlung / eine väterliche Ausstrahlung / überragendes rhetorisches Talent / Siegeswillen / Stehvermögen / Biss / eine männliche Ausstrahlung / eine weibliche Ausstrahlung / eine offene, freundliche Art, auf Menschen zuzugehen / modische Kleidung / schicke Frisur / „Ellbogen“ / Herzenswärme / Durchsetzungsvermögen / Redlichkeit / Glaubwürdigkeit / eine gewisse Härte / dezente Kleidung / Politik ist ihr (ihm) das Wichtigste im Leben / eine feste Überzeugung / diplomatisches Geschick / Berufserfahrung / ein gepflegtes Äußeres / angenehme Umgangsformen / Intelligenz / Scharfsinn
Beide Gruppen sollen sich auf die aus ihrer Sicht je 5 wichtigsten positiven und negativen Merkmale einigen und diese Kärtchen auf die Figur kleben. – Austausch im Plenum: Wo sind Übereinstimmungen und Unterschiede in der Auswahl? Haben diese mit geschlechterstereotypen Bildern zu tun?

Bilder in der Presse
Geschlechterstereotype Bilder prägen auch die Presseberichterstattung über Politikerinnen (und Politiker). Schauen wir uns das einmal näher an …

Kopien „Nachts, wenn der Generalsekretär weint“ (siehe S. 35; ohne die Erklärung, dass dieser Text über eine Frau geschrieben wurde!) verteilen – laut lesen – spontane Reaktionen austauschen

Information: Der Text erschien 1988 in der „Bunten“, nachdem Cornelia Schmalz-Jacobsen zur Generalsekretärin der FDP gewählt worden war. – Text erneut laut lesen, jetzt mit dem richtigen Namen und an den entsprechenden Stellen in der weiblichen Form – Reaktionen und Gedanken austauschen

Die Berichterstattung in der bundesdeutschen Presse hat sich von den 50er Jahren bis heute erkennbar geändert
– aus dem Beitrag oben von Kap. „Zwischen Nichtbeachtung, Geringschätzung und dem Lob der ‚guten Mutter' in der Politik“ bis „… Offen sexistische Polemik fehlte ganz oder gab es allenfalls in Online-Blogs.“ gemeinsam lesen

Impulse für den Austausch: Welche Erinnerungen haben wir selbst an Darstellungen von Politikerinnen in den vergangenen Jahrzehnten? Teilen wir die Einschätzung der Autorin, dass erfolgreiche Politikerinnen zwar akzeptiert sind, aber trotzdem in der Berichterstattung weiterhin Geschlechterklischees eine Rolle spielen?

Was tun?
Die Autorin vertritt die These: Es nützt den Politikerinnen nichts, ihr Frausein zu verbergen. Sie sollten daher mit Geschlechterstereotypen bewusst umgehen und sie hin und wieder strategisch einsetzen und mit ihrem Anderssein punkten. – Beispiele sammeln, wo Politikerinnen das getan haben (und wie das für sie ausgegangen ist)  -Austausch: Wo sehen wir Chancen und Gefahren einer solchen Strategie?


Dr. phil., habil. Birgit Meyer ist Professorin für Politikwissenschaft und Sozialpädagogik an der Hochschule Esslingen. An der Fakultät Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege bearbeitet sie den Schwerpunkt Familienpolitik, Geschlechterverhältnisse und Soziale Arbeit.

Vorschlag für die Gruppe: Margot Papenheim, Redakteurin ahzw


Anmerkungen
1) So etwa DER SPIEGEL vom 25.09.2013, S. 17
2) Vgl. Birgit Meyer, Frauen im Männerbund,
Frankfurt/New York 1997, S. 294
3) Als „ausgetrocknete und unbefriedigte Krampfhenne“ wurde zum Beispiel laut Spiegel 9/1989 (Rubrik „Zitate“) die CDU-Bundestagsabgeordnete Renate Hellwig 1989 von einem ihrer damaligen Fraktionskollegen tituliert.
4) FAZ, 22.11.1975
5) WDR, Rebellion im Hosenanzug, April 1970
6) Renate Hellwig, CDU in: Meyer 1997
7) Alexander Osang im Spiegel 20/2009, S. 41
8) Mathias Geis, Die Zeit 10.1.2002
9) BILD, 14.04.2008
10) Vgl. auch Margreth Lünenborg u.a.: Merkels Dekollete als Mediendiskurs. Eine Bild-, Text- und Rezeptionsanalyse zur Vergeschlechtlichung einer Kanzlerin, in: Dies., Hgg., Politik auf dem Boulevard? Die Neuordnung der Geschlechter in der Politik der Mediengesellschaft, Bielefeld 2009, S. 73-103
11) DER SPIEGEL, 25.09.2013
12) Meyer 2009

Zum Weiterlesen
Margreth Lünenborg (Hg.): Politik auf dem Boulevard? Die Neuordnung der Geschlechter in der Politik der Mediengesellschaft, Bielefeld 2009
Birgit Meyer: „Nachts, wenn der Generalsekretär weint“ – Politikerinnen in der Presse, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“, Heft 50/2009, S. 9-16; zugänglich unter:
www.bpb.de/apuz/31546/nachts-wenn-der-generalsekretaer-weint-politikerinnen-in-der-presse?p=all
Birgit Meyer: Frauen im Männerbund. Politikerinnen in der Nachkriegszeit, Frankfurt/ New York 1997
Sylka Scholz (Hg.): „Kann die das?“ Angela Merkels Kampf um die Macht. Geschlechterbilder und Geschlechterpolitiken im Bundestagswahlkampf 2005, Berlin 2007

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