Alle Ausgaben / 2014 Material von Harald-Alexander Korp

Lachen – angesichts des Todes?

Von Harald-Alexander Korp


Auch wenn die meisten Bewohner das Hospiz mit den Füßen voran verlassen, geben sie ihren Humor beim Betreten nicht an der Tür ab. Doch wie und worüber wird gelacht, und was lässt sich daraus lernen?

Lachen und Humor sind Kraftquellen, die im Hospiz auf ganz unterschiedliche Weise helfen können: Zum einen den Bewohnern, die in den meisten Fällen unheilbar erkrankt sind und versuchen, mit Schmerzen und Ängsten umzugehen. In gewisser Weise entwickelt der Sterbende, gezwungenermaßen, eine Kompetenz in Sachen „Galgenhumor“. Aus der Situation des nahenden Todes heraus, vom Tabu befreit, fällt es ihm oftmals leichter, Witze über Krankheit und Sterben zu machen, als beispielsweise den Angehörigen.
Dieser Gruppe scheint es am schlechtesten zu gelingen, angesichts des Leidens eines lieben Menschen auch nur zu lächeln. Es wird als pietätlos empfunden, schnell entstehen Schuldgefühle aus der Angst, den Angehörigen zu verletzen, gefühllos und kalt zu sein.
Der dritten Gruppe von Menschen, denen, die in einem Hospiz arbeiten, Pfleger, Ärzte, Verwaltungsangestellte, Köche, Therapeuten, Ehrenamtliche, ermöglicht der Humor, Stress abzubauen. Aus einem Lachen können sie Kraft in dem oft anstrengenden Arbeitsalltag schöpfen sowie Aggressionen, die durch Überforderung entstehen, abbauen.

„Das Leben hört nicht auf komisch zu sein, wenn wir sterben“, schrieb George Bernard Shaw. Sterben ist in vielen Fällen nicht sanft, sondern kann laut, dreckig, nass, zeitweise entwürdigend und manchmal komisch sein – wie das Lachen. Man kann sich vor Lachen sprichwörtlich in die Hosen machen, sich wegschmeißen, man kann sich krank- oder sogar totlachen. Dieses wilde, ungezügelte Lachen lässt sich ebenso wie das Sterben nur schwer kontrollieren, sie entziehen sich dem Zugriff in einem Gesellschaftssystem, das die Kontrolle behalten will. Entfesseltes Lachen und Weinen geschieht häufig in absurden Situationen: Eine Hospizhelferin begleitete einen Mann, dessen Frau gerade zuhause gestorben und vom Bestatter abgeholt worden war. Wütend riss der Ehemann das Kissen vom Bett, so kräftig, dass es durch den Raum flog, direkt aus dem Fenster im zwölften Stock. Erschrocken über seinen Ausbruch, lehnten sich der Mann und die Hospizhelferin hinaus und sahen, wie das Polster in den Ästen eines Baumes landete. Die Hospizhelferin eilte hinunter, Jugendliche kletterten auf den Baum und angelten das Kissen aus den Zweigen. Wieder oben angelangt, brachen Hospizhelferin und Ehemann in erlösendes Gelächter aus, Tränen des Lachens und des Weinens flossen. „Darüber hätte meine Frau bestimmt auch sehr gelacht!“, konstatierte der Ehemann.

Im Gegensatz zum körperlichen Vorgang des Lachens kann Humor als der mentale Prozess gesehen werden, einen Widerspruch zu erkennen und diesen als komisch zu bewerten. Henri Bergson wies darauf hin, dass der Betrachter aber unter diesem Widerspruch nicht leiden dürfe. Dies erklärt, warum Angehörige manchmal über den Humor eines Sterbenden den Kopf schütteln. So sagte ein Bewohner im Hospiz: „Ich bilde meine Angehörigen gerade zu Hinterbliebenen aus!“ Er konnte darüber lachen, seine erwachsenen Kinder allerdings nicht. Sie litten viel zu sehr unter der momentanen Situation. Der Bewohner hingegen verschaffte sich damit Luft. …
Häufig lässt sich bei den Hospizbewohnern ein Nachlassen der geistigen Kräfte und der logischen Denkfähigkeit beobachten. Viele Patienten sind in ihren Reaktionen trotzdem erstaunlich schlagfertig. Einer Anekdote zufolge grüßte eine schwer demenzkranke Bewohnerin den Arzt mit den Worten: „Guten Tag, Herr Pastor.“ „Guten Tag“, antwortete dieser, „eigentlich bin ich Arzt.“ „Alle Achtung“, entgegnete die Dame, „Sie sind aber vielseitig!“

Der Autor ist Dozent für Religionswissenschaften und hat zahlreiche Beiträge über Witz und Humor in den Religionen veröffentlicht. – Im Sept. 2014 erscheint im Gütersloher Verlagshaus: Am Ende ist nicht Schluss mit lustig. Humor angesichts von Sterben und Tod


Auszüge aus:
Lachen – angesichts des Todes?
in:
Psychologie heute Compact 32
© beim Autor
vollständiger Artikel unter: www.hakorp.de

Ausgabenarchiv
Sie suchen eine Ausgabe?
Hier entlang
Suche
Sie suchen einen Artikel?
hier entlang