AREGAI, ein Flüchtling aus Eritrea: Es geschah am 2. Oktober, vor der Dämmerung. Wir legten gegen 3 Uhr ab. Auch drei meiner Cousins waren dabei.
ERZÄHLERIN: Misrata, Libyen. In jener Nacht waren es 500, vielleicht auch mehr. 500 auf einem 15 Meter langen Fischerboot. Fast alle aus Eritrea, nur wenige aus Somalia, aus Äthiopien oder Syrien. Eine lange Reise durch die Wüste hatten sie schon hinter sich. Wochen des Wartens und manchmal der Angst, aber auch der Hoffnung.
ERZÄHLER: Viele berichten, dass es wenig zu essen gab, wirklich wenig zu essen. Und dass jemand Benzin ins Trinkwasser geschüttet hatte, damit man weniger Wasser trank. Die Schlepper taten wirklich alles, um ihren Profit zu maximieren.
KEBRAT, eine Flüchtlingsfrau aus Eritrea: Ich erinnere mich, dass wir lange auf dem Meer ausharrten. Viel Zeit. Zuviel Zeit. Der eine oder andere trank schon mal Meerwasser, weil wir unter der sengenden Sonne Durst hatten.
BERAKHE, ein Flüchtling aus Eritrea: Wir waren schon seit mindestens 24 Stunden auf See, als der Motor kaputt ging. Nur wenige Meilen vor der Küste sahen wir Lichter. Wir waren sicher, gerettet zu sein. Wir, auf unserem Boot, hatten kein Licht.
TESFAHIWET, ein Flüchtling aus Eritrea: Wir sahen die Boote der Fischer, doch sie sahen uns nicht. Wir fingen an zu schreien, doch es half nicht: Sie sahen und sie hörten uns nicht!
BERAKHE: Und so hat jemand eine Decke angezündet. Der, der es tat, wollte die Aufmerksamkeit der Boote auf uns lenken, die wir um uns herum sahen.
MORIAN, ein Flüchtling aus Eritrea: Auf unserem Boot war die Hölle los. Die Decke brannte, alle schrien und drängten sich aneinander!
BERAKHE: Die Flammen breiteten sich aus. Wir versuchten, sie mit anderen Decken zu ersticken, mit Wasser aus dem Meer, doch das alles nützte nichts.
KEBRAT: All das geschah ganz plötzlich. Die Flammen zerstörten das Boot, ich hatte Angst. Wir sprangen ins Wasser, um dem Tod zu entgehen. Einige verbrannten.
MORIAN: Das kalte Wasser, die Schreie … Die Frauen versuchten ihre Kinder über Wasser zu halten … und so gingen sie selbst unter. Die Dunkelheit verschluckte alle.
VITO, Kapitän des Fischerboots „Gamar“: Wir waren zu acht. Kurz vor zwei Uhr nachts sind wir rausgefahren, zum Fischen. Nach ein paar Stunden hat einer meiner Freunde Schreie gehört. Ich dachte zuerst, dass es Möwen waren …
MARCELLO, sizilianischer Tourist: Im ersten Morgenlicht sahen wir, wie Hunderte von Menschen um unser Boot trieben, die Arme aus dem Wasser hoben und um Hilfe flehten. Überall waren sie, sie klammerten sich an Wasserflaschen, an treibende Holzstücke.
ERZÄHLERIN: Nach und nach haben viele Boote den Schiffbrüchigen geholfen. Viele, aber nicht alle …
BÜRGERMEISTERIN VON LAMPEDUSA: Ja, drei Fischerboote haben sich vom Ort der Tragödie entfernt. Ihr fragt, warum? Weil unser Land schon so oft Fischer, die Leben retteten, vor Gericht stellte. Sie wurden wegen Begünstigung illegaler Einwanderung angeklagt.
ERZÄHLERIN: Sicher ist, dass an diesem Morgen viele Lampedusaner aufs Meer hinausgefahren sind, um zu helfen. Dreißig Boote und mehr.
RAFFAELE, Kapitän des Fischerboots „Angela“: Während wir dabei waren, den einen hochzuziehen, versank ein anderer daneben. Gab auf. Stumm. Wir schrien sie an, dass sie sich beeilen sollten, dass sie nicht aufgeben sollten. Sie starben uns einfach weg, versanken im Wasser mit offenen Augen.
ERZÄHLERIN: Sieben Tage später hatte man 311 Leichen geborgen. Mindestens 50 weitere waren noch im Meer. Am Ende zählte man 366 Tote. Unter ihnen auch das Kind, das eine Frau gerade geboren hatte, an Bord oder im Wasser, vielleicht während des schweren Unglücks. … Und was wird aus den Überlebenden? Wo sollen sie hin?
ERZÄHLER: Viele würden gerne Asyl in anderen Ländern beantragen. Das geht aber nicht. Nach der Dublin II-Verordnung müssen sie dort bleiben, wo sie angekommen sind. … Nach den Tränen vor den Särgen der Flüchtlinge schrieb die EU die Verordnung teilweise neu, ohne jedoch an den wichtigsten Prinzipien zu rütteln. Schon der ehemalige deutsche Bundesinnenminister Friedrich hatte kurz nach dem 3. Oktober genau das vorausgesagt. Er sagte: „Dublin II bleibt unverändert, selbstverständlich!“ Die Philosophie der europäischen Haltung hatte 2009 sein italienischer Kollege Maroni zusammengefasst: „Gegen die illegale Einwanderung müssen wir rabiater vorgehen“, betonte er.
Textauszüge mit freundlicher Genehmigung aus:
Szenische Lesung
„Lampedusa, 3. Oktober 2013″
auf der Grundlage von Zeugenaussagen
Text: Antonio Umberto Riccò
Musik: Francesco Impastanto Übersetzung aus dem Italienischen:
Francesca De Iuliis, Marcella und Hartwig Heine
weitere Informationen und Kontakt unter www.lampedusa-hannover.de
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