Ausgabe 1 / 2016 Artikel von Gertrud Falk, Regine Kretschmer und Roman Herre

Landraub

Unrecht mit deutscher Beteiligung

Von Gertrud Falk, Regine Kretschmer und Roman Herre

„Land kann niemandem gehören. Mutter Erde schenkt uns alles Nötige zum Leben.“ So fassen Indigene ihren Zugang zu Land, Natur und Umwelt zusammen.

Das sieht La Via Campesina, der internationale Verband kleinbäuerlicher Organisationen, etwas anders und fordert: „Das Land den Gemeinschaften derer, die es bearbeiten!“ Doch in unserer globalisierten Welt wird Land zunehmend zum Spekulationsobjekt von Banken, multinationalen Unternehmen und Pensionsfonds. Die Investitionen in Land sollen Profit bringen. So wird Land zur Ware, die auf internationalen Märkten verschoben und an Börsen gehandelt wird. Aber dieses Land wird in der Regel von Menschen bewohnt und bearbeitet. Und die werden vertrieben, um Platz für die Großinvestoren zu machen. Seit der weltweiten Finanzkrise 2008 sind die Finanzgeschäfte mit Land rasant angestiegen – und die Anzahl der von Landraub1 vertriebenen Menschen hat gewaltig zugenommen.

Land ist Leben

Für BäuerInnen und Indigene des globalen Südens bedeutet Land weit mehr als ein Stück Boden, auf dem sie Lebensmittel anpflanzen, Tiere halten und ein Dach über dem Kopf haben. „Hier sind meine Eltern begraben und hier ist meine Heimat, warum sollte ich gehen? Ich will hier sterben“, sagt die 80-jährige Na China aus Casado, einem Dorf im äußersten Norden Paraguays, das seit fünfzehn Jahren gegen die Vertreibung durch die Moon-Sekte kämpft. Die hatte dort über 300.000 Hektar Land gekauft, inklusive der Stadt und der Ländereien, auf denen die Bevölkerung seit hundert Jahren lebt.2 „Land ist unser Leben“, sagen die Bauern und Bäuerinnen in Paraguay auch angesichts der Bedrohung durch Landgrabbing für den industriellen Sojaanbau. „Es ist alles zu Ende. Ohne Land und Wald und ohne die Tiere ist das Leben des Indigenen traurig und sinnlos“, sagte ein Indigener der Kaiowa-Guarani in Brasilien, als er von seinem traditionellen Land vertrieben wurde.

Landnutzung und -besitz

Individueller Landbesitz, wie wir ihn ­kennen, ist nur eine von vielen Formen von Landbesitz. Je nach Kultur, ökologischer Region und politischen Rahmenbedingungen regeln Gesellschaften und Staaten den Zugang und die Nutzung von Land unterschiedlich. Indigene Gruppen verwalten in der Regel Gemeinschaftsbesitz, da Land ihrer Auffassung nach keinen Besitzer haben kann und nur in Gemeinschaft und in Einklang mit den kulturellen und religiösen Regeln genutzt werden darf. Diese Form der Nutzung von Land ist völkerrechtlich anerkannt3 und auch in vielen nationalen Verfassungen festgeschrieben. Andere soziale Gruppen wie die KleinbäuerInnen haben eher eine Mischform von individueller und kollektiver Landnutzung: Jede Familie bearbeitet ein Stück Land selbst; diese Nutzung wird oft durch lokale Vereinbarungen zwischen Gemeindemitgliedern organsiert. Daneben gibt es gemeinschaftlich verwaltete Flächen wie Wald, Feuchtgebiete, Wasserquellen, Flüsse und Bäche oder Viehweiden.4 Auch andere Ressourcen können kein persönliches Eigentum sein, sondern werden als Gemeingut anerkannt; so sagen die BäuerInnen in Paraguay nie „mein Wasser“, sondern „unser Wasser“.

In einigen Ländern befindet sich das meiste Land in Besitz des Staates. Die jeweiligen Regierungen sehen diese Gebiete oft als nicht „erschlossene“ Gebiete an, auch wenn sie von Gemeinden genutzt werden. Oft sind es diese Gebiete, die an Unternehmen oder Privatpersonen verpachtet oder verkauft werden. Dabei werden traditionelle Nutzungsrechte ignoriert, auch wenn dies zu Menschenrechtsverletzungen führt. In Äthiopien ist der Staat laut Verfassung Eigentümer der gesamten Flächen des Landes. KleinbäuerInnen und HirtInnen dürfen das Land kostenlos besiedeln und nutzen, und sie genießen laut Verfassung Schutz vor Vertreibung. Die Verpachtung von Land an Investoren darf nicht zum Nachteil der äthiopischen Völker gereichen. Tatsächlich hat die Regierung aber bereits eine Million Hektar Agrarland an Unternehmen vergeben.5 Die örtliche Bevölkerung wurde zwangsumgesiedelt oder vertrieben.

Man kann also unterscheiden zwischen gesellschaftlich definierten Zugängen zu Land und den juristischen Formen von Landbesitz. Letztere wurden oft auf Druck von Industrieländern in Ländern des Globalen Südens eingeführt und in Gesetze gegossen. Existieren unterschiedliche Verständnisse und Besitzformen von Land gleichzeitig, sind Konflikte vorprogrammiert.

Landraub

In Ländern des Globalen Südens haben viele Menschen keine Eintragungen im Grundbuch, leben aber seit Generationen auf demselben Land. Dies wird gern als ein Mangel dargestellt, da ­angeblich nur individuelle Landtitel Rechtssicherheit gewähren können. Dabei haben diese traditionellen Formen sich über Jahrhunderte bewährt und für die lokale Bevölkerung ­Zugang zu Land gesichert. Sie werden jedoch oft von Regierungen und der expandierenden Agrarindustrie systematisch missachtet. So können GroßgrundbesitzerInnen, Konzerne und Banken mit ihrer Finanzmacht und ihrem formal-recht­lichen Wissen indigenen und kleinbäuerlichen Gemeinschaften Land rauben – „ganz legal“ und unter dem Schutz von Regierungen, Justiz und Polizei. Die Konzerne und Banken haben ihren Hauptsitz meist in Industrieländern, auch deutsche Unternehmen sind darunter. Die folgenden Beispiele zeigen, wie Landraub konkret geschieht.

Rente raubt Land
Pensionskassen verwalten weltweit unglaubliche 32 Billionen US-Dollar und sind damit die größten Finanzanleger weltweit – etwa zehnmal so groß wie die Hedge-Fonds. Ihre Anlagestrategien haben daher gewaltigen Einfluss auf Wirtschaft und Gesellschaft. Seit der ­Finanzkrise legen sie die Beiträge ihrer Mitglieder zunehmend im Agrarsektor an. Denn als begrenzte Ressource verspricht Agrarland stabile und steigende Renditen.

TIAA CREF ist eins der größten Versorgungswerke weltweit und verwaltet in den USA Rentengelder für Personal von Universitäten. Es verfügt über ein Vermögen von 487 Milliarden US-Dollar und ist ein Vorreiter bei den Investitionen in Agrarland und industrielle Agrarproduktion. Allein zwischen 2008 und 2009 hat TIAA CREF über 120 neue Finanzinstrumente für Investitionen in Agrarland entwickelt. Unter dem Dach der Investmentfirma TIAA CREF Global Agriculture, LLC (TCGA) hat das Versorgungswerk weltweit fünf Milliarden US-Dollar gesammelt, um Agrarland aufzukaufen. Das Geld kommt vor allem von Pensionskassen der reichen Industrienationen – 100 Millionen US-Dollar im Jahr 2011 auch von der deutschen Ärzteversorgung Westfalen-Lippe (ÄVWL), einer berufsständischen Pflichtversicherung für ÄrztInnen. Anders als die staatliche Rentenversicherung zahlt sie die Beiträge nicht direkt an die RentnerInnen aus, sondern vermehrt sie auf dem Kapitalmarkt. ÄVWL begründet dies auch damit, dass sie einen Beitrag zum wachsenden Bedarf an Lebensmitteln der global wachsenden Bevölkerung leisten wolle.

Bis heute hat TCGA etwa eine halbe Millionen Hektar Land gekauft. Fast die Hälfte des Agrarlandes wurde in Brasilien erworben – auch in Gegenden, in denen blutige Landkonflikte zwischen der Agrarindustrie und KleinbäuerInnen und Indigenen an der Tagesordnung sind. Gekauft wird das Land über ein kaum durchschaubares Firmengeflecht von Agrarfinanzspezialisten und Zuckerkonzernen. Auf den riesigen Flächen wird industrielle Landwirtschaft betrieben: viel Agrarchemie und Gentechnik, wenig Menschen. In Brasilien spricht man auch von „grünen Wüsten“. Angebaut werden Soja, Mais, Baum­wolle und Zuckerrohr in großflächiger Monokultur. Die Produktion von Agrar­treibstoffen und Futtermitteln steht im Zentrum der Interessen der Finanzinvestoren. Nahrung für die lokale Bevölkerung spielt keine Rolle.

In Deutschland kontrolliert der Staat bei der Anlage von Pensions- und Rentenbeiträgen zwar finanzielle Risiken – menschenrechtliche Risiken wie Vertreibungen, hohe Landkonzentration oder Vergiftung von Mensch und Umwelt durch Pestizide werden dagegen nicht überwacht. Die Öffentlichkeit oder gar die PensionärInnen selbst können ebenfalls nicht prüfen, denn auch die Pensionskassen verschweigen, wo genau das Land aufgekauft wurde.6


An Zucker aus Kambodscha klebt Blut
150.000 Hektar Land hat die kambodschanische Regierung seit 2008 für riesige Zuckerrohrplantagen vergeben. Tausende Bauernfamilien wurden gewaltsam vertrieben, Häuser, Reisfelder und Wälder zerstört. Die Betroffenen kämpfen bis heute für ihre Rechte, ihr Land, ihre Lebensgrundlage – im Gerichtssaal, vor den Zuckerfabriken, in der Hauptstadt Phnom Penh und sogar in Brüssel.

Die zentrale Verantwortung für die unrechtmäßige Vergabe der Landflächen und die Missachtung von Menschenrechten, auf die sie sich mit der Ratifizierung internationaler Menschenrechtspakte verpflichtet hat, trägt die kambodschanische Regierung. Aber auch andere AkteurInnen spielen wichtige Rollen. Die Deutsche Bank war fünftgrößte Anteilseignerin des thailändischen Zuckerkonzerns KSL, der in Vertreibungen für Zuckerplantagen in der Provinz Koh Kong verwickelt ist. Aufgrund interna­tionaler Kritik hat die Bank ihre Investi­tionen zurückgezogen. Aber von Entschädigungszahlungen will sie nichts wissen, obwohl sie über Jahre mit diesen Investitionen Geld verdient hat. Ein anderer Zuckerkonzern, der sich riesige Flächen in der Provinz Oddar Meanchey angeeignet hat, ist einer der größten Zulieferer von Coca Cola. Zudem verhilft die Handelsinitiative Everything but arms („Alles außer Waffen“) der Europäischen Union durch den Wegfall von Importzöllen den Zuckerkonzernen zu satten Zusatzgewinnen. Daher wird auch der gesamte Zucker von den geraubten Flächen in die EU importiert – womit die Unternehmen allein 2013 mit etwa 16 Millionen Euro an zusätzlichen Gewinnen „belohnt“ wurden.7


Entwicklungszusammenarbeit fördert auch Landgrabbing
Unter der Überschrift „Hungerbekämpfung“ fördert das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) die industrielle Landwirtschaft, um die Produktion von Nahrungsmitteln zu steigern – auch wenn inzwischen anerkannt ist, dass Hunger vor allem eine Folge mangelnden Zugangs zu Lebensmitteln und Anbaumöglichkeiten ist und nicht des Mangels an Lebensmitteln selbst. Im Zuge dieser Strategie fördert das BMZ Investitionen in Agrarland in Ländern des Globalen Südens. Der Vorwurf, dass dafür kleinbäuerliche Gemeinden verdrängt oder sogar vertrieben werden, wird mit dem Hinweis auf die „recht­mäßigen Landtitel“ der Unternehmen vom Tisch gefegt. In Luxemburg beispielsweise hat das BMZ gemeinsam mit der Deutschen Bank den Agrarfonds aatif gegründet und mit 141 Millionen Euro ausgestattet. Zweck des Fonds sind Investitionen in den Agrarsektor im Globalen Süden. Ein Profiteur ist der multinationale Konzern Chayton, der mit Hilfe des aatif seinen Landbesitz in Sambia auf 17.000 Hektar ausgeweitet hat. Auf dem Land wird Getreide für den Export angebaut. Beschäftigt werden nur rund 150 ArbeiterInnen. Weder die Gewinne noch die Produkte bleiben im Land. Sambia ist eines der Länder, in denen der Hunger in den letzten Jahren zugenommen hat.8

Wie in diesem Beispiel sind beim Landgrabbing oft verschiedene AkteurInnen in Menschenrechtsverletzungen verwickelt. Es ist unsere Verantwortung, uns bei jenen, die aus Deutschland und ­Europa kommen, zu Wort zu melden.

Für die Arbeit in der Gruppe

Kopiervor­lagen sind für AbonnentInnen unter www.ahzw-online.de / Service zum Herunterladen vorbereitet.

Einstieg
– Was bedeutet „Land“ und „Land besitzen“ für mich persönlich? – kurzer Austausch
– Neben individuellem Besitz von Land gibt es auch gemeinschaftlichen Besitz (und gemeinschaftliche Nutzung) von Land. Welche Vor- und Nachteile hat die jeweilige Form? – in Murmelgruppen besprechen, Ergebnisse in Stichworten auf je einem großen Blatt in zwei Spalten festhalten; Kapitel Landnutzung und -besitz (s.o. S. 70) gemeinsam lesen

Kirchenland
– Wie nutzt die Kirche ihren Landbesitz? Nach welchen Kriterien verpachtet sie Ackerland? – kurzer Austausch zu Wissen oder Vermutungen
– Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) fordert „Kirchenland in Bauernhand“ und macht Vorschläge, nach welchen Kriterien Kirchen ihr Agrarland verpachten sollten (Download unter: www.abl-ev.de/fileadmin/Dokumente/AbL_ev/Agrarpolitik/Vorschlag_Pachtkriterien_EKM.pdf).
– Wie verhalten wir uns dazu? – den für alle kopierten Kriterienkatalog gemeinsam lesen und spontane Reaktionen austauschen; in drei Kleingruppen arbeitsteilig je drei (vier) der Kriterien diskutieren; bei größerem Interesse die/den Zu­stän­dige/n der eigenen Kirchengemeinde zum Gespräch einladen

Bitterer Zucker
– In welchen verarbeiteten Nahrungsmitteln und Fertiggerichten ist Zucker enthalten? – TN vorab bitten, das in ihren persönlichen Vorräten anhand der Angaben auf den Verpackungen zu prüfen und jedes Produkt mit Zucker auf einem eigenen Zettel zu notieren; Info-Zettel in der Gruppe zusammentragen
– Wie kommt Zucker in unsere Supermärkte? – Abschnitt „An Zucker aus Kambodscha klebt Blut“ gemeinsam lesen
– Wenn die Gruppe tiefer in das Thema einsteigen will: FIAN-Studie (siehe FN 7) anschauen und sich mit den Folgen der EU-Agrar- und Importpolitik (auch in Deutschland9) auseinandersetzen

Aktionsmöglichkeiten
– Konfrontieren Sie Ihre Bundestags- und EU-Abgeordneten mit den Folgen der EU-Agrar- und Import-Politik und fragen Sie sie, was sie dagegen tun und tun können.
– Fragen Sie Ihre Pensionskasse und Ihre Bank, ob sie in Agrarland investieren und wenn ja, wie und wo genau – einen Musterbrief finden Sie unter www.fian.de/mitmachen/aktionen/pensionskassen/. Informieren Sie Organisationen wie FIAN, die zum Thema arbeiten, über die Ergebnisse.

Gertrud Falk ist Sozialwissenschaftlerin,
Regine Kretschmer Sozialanthropologin und Roman Herre Geograf. Alle drei arbeiten als ReferentInnen bei FIAN Deutschland.

Anmerkungen
1) Obwohl mit dem Begriff „Landraub“ eine unrechtmäßige, kriminelle Vorgehensweise verbunden wird, geschehen diese Vertreibungen oft im Rahmen von Investitionsgesetzen formal legal. In der politischen Debatte hat sich daher der englische Begriff „Landgrabbing“ durchgesetzt, der weiter gefasst ist.
2) news.bbc.co.uk/2/hi/americas/970712.stm (Zugriff, 22.10.15)
3) Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorga­nisation ILO
4) Solche gemeinschaftlichen Nutzungen werden als Allmende bezeichnet. Den Dorfanger als gemeinschaftlich genutzte Viehweide gab es früher auch in Deutschland.
5) landmatrix.org (Zugriff 22.10.15)
6) Eine anschauliche grafische Darstellung des Beispiels finden Sie hier: www.fian.de/publikationen/mediathek/infographics/
7)
FIANs Studie zum Beispiel Kambodscha finden Sie hier: www.fian.de/themen/landgrabbing/
8)
Ausführliche Darstellungen dieses Beispiels finden Sie unter www.fian.de/publikationen/mediathek/infographics/ und hier: www.fian.de/themen/landgrabbing/
9)
Informationen dazu bieten die Internetseiten der Kampagne „Meine Landwirtschaft“ www.meine-landwirtschaft.de/information/hintergruende.html und des Bündnis Junge Landwirtschaft www.stopp-landgrabbing.de

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