Alle Ausgaben / 2015 Artikel von Christine Wunschik

Langes Fädchen, schlaues Mädchen

Anleitung für künftig fröhliche Müßiggängerinnen

Von Christine Wunschik

Das Ziel ist, Frauen ins Nachdenken über Vorstellungen zum Müßiggang, die uns überliefert wurden, zu bringen. Und sie einzuladen, dass sie sich – bei Bedarf – auf die Suche nach neuen Einstellungen machen.

Hinweis für die Leiterin: Entscheiden Sie, welche Teile des Textes für Ihre Gruppe geeignet sind. Sie können das Gruppengespräch auch in Ruhe ausdehnen und die Texte nur als Ihr Hintergrundwissen nutzen.

Kopiervorlagen sind für AbonnentInnen unter www.ahzw-online.de / Service zum Herunterladen vorbereitet.

In der Mitte der Sitzrunde liegen Sprüche (gut lesbar auf Papierstreifen geschrieben) und Bilder, etwa aus alten Fibeln oder Zeitschriften, auch aus ahzw 1/2008, S. 20 („Allzweckfrau“) und 23 („Weg nach draußen“); dazu ein kleiner Stapel schmutziges Geschirr, Strickzeug, ein bisschen ungelegte Wäsche oder ähnliches.

Sammlung von Sprüchen:
Wer rastet, rostet / Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen / Nach getaner Arbeit ist gut ruh'n / Arbeit macht das Leben süß / Morgenstund' hat Gold im Mund / Frisch gewagt ist halb gewonnen / Erst die Arbeit, dann das Vergnügen / Der frühe Vogel fängt den Wurm / Bete und arbeite / Den Letzten beißen die Hunde / Schnelle Hilfe ist doppelte Hilfe / Sage nie: Das kann ich nicht. Alles kannst du, will's die Pflicht / Fleiß bringt Brot, Faulheit Not / Langes Fädchen, faules Mädchen / Müßiggang ist aller Laster Anfang / Ohne Fleiß kein Preis / Wer zuerst kommt, mahlt zuerst

Hinführung
Damit das schon mal klar ist: Müßiggang ist aller Laster Anfang. Das wissen wir, seit wir kleine Mädchen waren. Wie ging es uns mit diesen Poesiealbumsprüchen und Weisheiten, die in Familien immer parat waren? – Lassen Sie uns Gruppen bilden und das besprechen.

Die sechs Gruppen bekommen je ein großes Plakat, auf dem bereits die Fragen und Impulse stehen. Sie können ihre Ergebnisse dazuschreiben bzw. Material aus der Mitte aufkleben.

Gruppe 1
Wie ging es unseren Müttern und Großmüttern wohl mit Müßiggang? Welche Ansprüche wurden an sie gestellt?

Impulse:
(1) In einer „Encyclopädie“ von 1783 steht unter „Ehe“: „Hat der Mann nun die Verpflegung über sich genommen, so hat er auch das Recht, seine Frau zur Händearbeit anzuweisen. Wenn der Mann auch noch so reich ist, so darf er doch seine Frau nicht müßig gehen lassen, damit der Müßiggang nicht zu allerley bösen Gedanken Anlaß gebe.“

(2) Louise Otto-Peters stellte 1866 fest: „Unter den Proletariern muß jeder arbeiten, der nicht verhungern will.“ (Sie musste übrigens unter männlichem Pseudonym schreiben.)

(3) Mein Großvater ging abends kegeln, während meine Großmutter die Wäsche im Waschhaus wusch.

– Gruppe 2
Wie kam ich als kleines Mädchen klar mit den überlieferten (An)Sprüchen bezüglich Fleiß und Müßiggang?

Impulse:
(1) Unsere Mütter gaben uns noch ­„Pucki“ und „Nesthäkchen“ zum Lesen – wir sollten brave, fromme, gehorsame kleine Mädchen sein.

(2) Immer diese Sprüche! In der Klasse traute ich mich nicht zu sagen, dass ich nicht so gut sehe, weil sie alle sagten: Eine mit Brille ist mein letzter Wille.

(3) Der liebe Gott sieht alles. – Das hat mir ziemlich Angst gemacht.

– Gruppe 3
Wie kam ich als junges Mädchen mit den Sprüchen bzw. Ansprüchen bezüglich Fleiß und Müßiggang klar?

Impulse:
(1) Oma hat gesagt, ein Mädchen muss immer was zu tun in der Hand haben.

(2) Ich musste mich zum Lesen verstecken, als Mädchen sollte ich Hausarbeit machen.

(3) Die Tante: Wo gibt's denn das – eine 15-Jährige, die zur Schule geht und vorher nicht ihr Bett gemacht hat!?

– Gruppe 4
Wie kam (komme) ich als junge Frau mit den überlieferten (An)Sprüchen bezüglich Fleiß und Müßig­gang klar?

Impulse:
(1) Meine Mutter legte mir ans Herz: Männer haben es gern, wenn Frauen das tun, was immer gerade nötig ist.

(2) Ich habe noch Windeln gewaschen und von Hand Geschirr gespült. Und ich habe mir so oft eine Rückzugspause gewünscht.

(3) Der Gatte: Du wirst sowieso nie fertig. Wieso soll ich da mithelfen?

– Gruppe 5
Wie kam (komme) ich als Frau mittleren Alters mit den (An)Sprüchen bezüglich Fleiß und Müßiggang klar?

Impulse:
(1) Glücklich werde ich erst sein, wenn keiner mehr Erwartungen an mich hat.

(2) Berufstätig war ich schon lange nicht mehr, habe mich für die große Familie krummgebuckelt. Und nun sagen sie: Sie hat nie gearbeitet.

(3) Pausen bringen mir gar keine Entspannung mehr. Ich komme mir vor wie ein Hamster im Laufrad.

(4) Die Leute sagen, jetzt als Arbeitslose habe ich Muße den ganzen Tag. Denken die wirklich, ich kann dieses „Nichtstun“ genießen?

– Gruppe 6
Wie komme ich (wohl später) als Rentnerin mit den (An)Sprüchen bezüglich Fleiß und Müßiggang klar?

Impulse:
(1) Müßiggang – um Gottes willen! Wer rastet, der rostet. Ich brauche Bewegung. Und in Ruhe komme ich nur ins Grübeln.

(2) Ich nehme mir jetzt endlich Zeit für das, was ich nicht tun muss.

(3) Meine Ärztin hat gesagt, dass ich immer noch im vierten Gang fahre. Aber die Ehrenämter …; jetzt habe ich eine ruhigere Gangart eingelegt, nun ist endlich auch der Blutdruck besser.

(4) Mit dem Rollstuhl komme ich kaum noch aus der Wohnung. Damit der Rollstuhl nicht immer an der gleichen Stelle steht, nehme ich mir immer etwas vor – sortiere meine Bücher, katalogisiere meine Videos oder was immer mir gerade Spaß macht.

Nach ca. 20 Minuten werden die Ergebnisblätter im Plenum vorgestellt; dabei auch jeweils die Impulse vorlesen.

Was uns die Begriffe sagen
Muße wird umschrieben mit Ruhe, Zeit, freier Zeit, Beschaulichkeit, Zeit ohne Pflichterfüllung. Von der griechischen Wurzel her bedeutet Muße: bedacht sein; das lateinische Wort bedeutet: über etwas nachdenken. Im Begriff der Muße schwingt aber oft ein negativer Ton mit. Dann meint müßig: faul, unbeschäftigt, untätig, unnütz, überflüssig; Müßiggang und Müßiggänger: Faulheit und Faulenzer.

In der Antike hatte Muße einen hohen Wert, nur durch Müßiggang gab es Erkenntnisgewinn, arbeiten mussten die Sklaven. Bis ins Mittelalter waren die Ansichten ähnlich. Bei Luther war das schon ganz anders. Müßiggang war Faulheit und Sünde. Redewendungen, die jahrhundertelang überliefert wurden, waren etwa: Müßiggang ist eine schwere Arbeit. Oder des Teufels Ruhebank, der Tugend Untergang. Oder hat Armut im Gefolge. – Kein Wunder in Zeiten, in denen das tägliche Brot mühsam herangebracht werden musste.
Und was wurde über die Frauen gesagt? Eine fleißige Hausfrau ist die beste Sparbüchse. Frauenrat und Rübensaat gerät alle sieben Jahre. Frauenfleisch ist leichter zu bekommen denn Kalbfleisch. Frauen haben langes Haar und kurzen Sinn. – So sah es aus. Frauen galten nicht viel, sollten Männern gehorchen und vor allem: immer etwas in den Händen haben statt nach Bildung zu streben. Für manche, besonders der Älteren von uns, ist das immer noch wie ein Panzer, der nur schwer abzulegen ist. Die Worte wirken weiter. Was ist zu tun, um diesen Panzer zu knacken? Ein Weg wäre: müßig gehen, in Bewegung bleiben, in einer Entwicklung sein.

Was sagen kluge Frauen dazu?
Auf die Frage nach unterschiedlichen Erkrankungen von Frauen und Männern sagt Regine Rapp-Engels, ehemalige Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes: „Hier ist insbesondere die Belastung durch geschlechtsspezifische Rollenverteilung zu nennen. Frauen leisten nach wie vor den größten Anteil an unbezahlter Familienarbeit. Insofern können Stress und Doppelbelastung zu Burn-out und entsprechenden seelischen und/oder körperlichen Erkrankungen führen.“
ahzw 1/2011, S. 81

Elisabeth Moltmann-Wendel schreibt: „Wenn ich an Selbstaufgabe denke, sehe ich vor mir die Generation meiner Mutter und meiner Großmutter. Eine sehr ausgeglichene, beherrschte, freund­liche, scheinbar sehr heile Generation. Wenn man sie fragt, ob sie noch eine Tasse Kaffee möchten, sagen sie: ‚Aber nur, wenn Du sowieso aufstehst', und wenn man eine Neigung, eine Lust bei ihnen ergründen möchte, heißt es häufig: ‚Ganz wie es am besten passt. Ich mache alles gleich gern mit.' … Selbstaufgabe, Selbstopfer ist für Staat und Kirche unumstritten höchste ethische Norm.“ ahzw 3/1998, S. 39
In Harriet Lerners Buch „Wohin mit meiner Wut?“ können wir lesen: „Nette Frauen haben kein großes Talent zum Wütend-Werden, dafür aber umso mehr Begabung, Schuldgefühle zu entwickeln … . Es ist schwierig und es erfordert Mut, auf die eigenen Schuldgefühle zu verzichten und uns mit Hilfe un­serer Aggressionen darüber klar zu werden, was für unser eigenes Leben richtig und angemessen ist. Gerade an dem Punkt, wo wir es mit der Veränderung ernst meinen, verdoppeln andere manch­mal ihre taktischen Anstrengungen, um unser Schuldbewusstsein wieder auf Trab zu bringen. Vielleicht nennt man uns ‚egoistisch', ‚unweiblich', ‚unbeschei­den', ‚penetrant', ‚neurotisch', ‚verantwortungslos', ‚uneinfühlsam' und ‚kalt'.“ ahzw 3/1998, S. 40

Ina Praetorius meint: „Der griechische Philosoph Aristoteles, der allgemein als ‚Erfinder' der philosophischen Disziplin Ethik gilt, hat definiert: Ethik ist Nachdenken über gutes Leben und über die Frage, wie wir uns durch unser Tun dem guten Leben annähern können. … Ich sage: Ethik ist Nachdenken und Sichverständigen über gutes Überleben und über die Frage, wie Frauen und Männer durch ihr Tun und ihr Lassen zum guten Überleben beitragen können. … Meine Erfahrungen im real existierenden akademischen Betrieb lehren mich, dass die akademisch-ethische Praxis zu annähernd 100 Prozent darin besteht, dass eine kleine Gruppe weißer, erwachsener, sogenannt gebildeter, nichtbehinderter, wohlhabender Männer allen anderen Menschen ihre Vorstellung vom guten Leben und vom Weg dorthin einzureden versucht. … Noch immer geben sich die ‚freien Männer' der Betrachtung der Welt hin, während andere Angehörige der Gattung ihnen den Freiraum für die Denktätigkeit schaffen, indem sie für sie kochen, putzen, emotionale Geborgenheit herstellen, Kinder hüten etc., kurz: indem sie diejenigen Funktionen erfüllen, die unabdingbar notwendig sind, damit theoretisches Denken überhaupt stattfinden kann.“ahzw 3/1998, S. 53f

Nun ja, werden Sie sagen, es sind Jahrzehnte vergangen, seit dies geschrieben wurde; alles längst überholt. Ist das so? Gisela Dischner und Gerlinde Knaus beschäftigen sich aktuell mit dem Thema Müßiggang. Dischner meint, dass ihrer Erfahrung nach Männer viel mehr zu Müßiggang neigen, während Frauen ihn erst lernen müssen. Knaus hat im Jahr 2002 ihre Diplomarbeit zum Thema „Muße – ein männliches Vorrecht?“ geschrieben. Glauben Sie mir, es hat sich noch nicht allzu viel bewegt …

Meine Suche nach meinem Weg
Das Pensum, das es zu erledigen gilt, ist für viele Frauen viel zu groß. Der Alltag deckt die eigenen Bedürfnisse zu, die Farbigkeit des Lebens geht verloren. Aber wie schrecklich wäre es, wenn wir uns erst altersmüde erinnern, was einmal unsere Träume waren – ohne dass wir sie jemals auch nur ein ganz kleines bisschen ausprobieren konnten. Wir brauchen Müßiggang, um uns wieder zu finden.

Dischner und Knaus geben dazu gute Hilfsangebote. Hier einige davon:
– Ich übe meinen Eigensinn, sage öfter Nein.
– Ich suche nach meinen eigenen, wirklich eigenen Bedürfnissen.
– Ich finde heraus, was mir Spaß macht und tue es.
– Ich übe spielerisch Gelassenheit.
– Ich gehe ziellos in die Natur, schaue mich um, konzentriere mich auf Kleinigkeiten oder trödele.
– Ich rechtfertige mich nicht für meinen Müßiggang.

Richtig Spaß macht es auch, die alten Sprüche auf den Kopf zu stellen, um sie endlich loszuwerden. Zum Beispiel mit einem Einkaufsbeutel losziehen, auf dem steht: Der frühe Vogel kann mich mal! Oder: Die Stoßstange ist aller Laster Anfang. Oder … – versuchen Sie es selbst einmal!

Ich sing dir mein Lied
Jede bekommt den Text des Liedes zum Mitnehmen und einen Stift.

Es geht in dem Lied um mein Leben, um das Leben jeder einzelnen von uns. Es ist Zuspruch, Gebet, Ermunterung, das Eigene zu finden. Lesen Sie alle Strophen für sich durch und unterstreichen Sie ein Wort oder eine Formulierung. – reihum vorlesen, was unterstrichen wurde, dann das Lied singen

Christine Wunschik, geb. 1948, hat bis zum Eintritt in den Ruhestand als Referentin bei den Ev. Frauen in Mitteldeutschland gearbeitet. Sie war viele Jahre Mitglied im Redaktionsbeirat ahzw.

Zum Weiterlesen
Gisela Dischner: Wörterbuch des Müßiggangers, Bielefeld und Basel (Edition Sirius) 2009
gknaus.blogspot.de

Ausgabenarchiv
Sie suchen eine Ausgabe?
Hier entlang
Suche
Sie suchen einen Artikel?
hier entlang