Alle Ausgaben / 2010 Bibelarbeit von Rainer Kessler

Leben um Leben, Zahn um Zahn

Das hohe Rechtsgut Angemessenheit

Von Rainer Kessler


Es gibt ein Rechtsempfinden, das uns sagt: Es ist nicht recht, wenn auf der einen Seite eine Kassiererin nach 31 Jahren ohne Beanstandung fristlos entlassen wird, weil sie zwei liegen gebliebene Leergut-Bons im Wert von 1,30 Euro eingelöst hat, während einem Bankvorstand, der die eigene Bank, die Anlagen vieler gutgläubiger AnlegerInnen und dazu noch eine halbe Volkswirtschaft ruiniert hat, der Übergang in die nächste Tätigkeit mit einer millionenschweren Abfindung versüßt wird.


Solche Probleme sind nicht neu. Die Frage des Rechts ist immer auch eine Frage der Macht, und ein gutes Recht muss Regeln finden, die allen zum Recht verhelfen, wie mächtig oder ohnmächtig sie auch sein mögen.

Eine dieser Regeln ist die so genannte Talion, die Vergeltung von Gleichem mit Gleichem. In der Hebräischen Bibel kommt sie ausdrücklich dreimal vor (Ex 21,23-25; Lev 24,18-20; Dtn 19,21). Daneben gibt es noch einige Anspielungen.

Die Talionsformulierungen bestehen aus der Reihung von Tatbeständen der Körperverletzung, wobei durch die Wiederholung die Angemessenheit der Vergeltung zum Ausdruck gebracht wird. Allen drei Reihen ist gemeinsam, dass „Leben um Leben“ am Anfang steht und dann – neben anderem, das unterschiedlich formuliert ist – „Auge um Auge“ und „Zahn um Zahn“ vorkommt.

Nicht mehr, nicht weniger

Mit der Talion soll also festgehalten werden, dass das Verhältnis zwischen dem Vergehen und seiner Sanktionierung angemessen ist. Das richtet sich gegen zwei Abweichungen. Die eine ist die übermäßige Sanktionierung für ein vergleichsweise geringes Vergehen. Die biblische Erzählung bringt dafür gleich in der Urgeschichte ein Beispiel. Lamech, ein Nachfahre Kains, brüstet sich seinen Frauen gegenüber: „Einen Mann töte ich für meine Wunde, ein Kind für meine Strieme. Wenn Kain siebenmal gerächt wird, so Lamech siebenundsiebzigmal“ (Gen 4,23f).

Ein Kind für meine Strieme. Das ist, wie wenn einer Altenpflegerin fristlos gekündigt wird, die nach der Essensausgabe einige übrig gebliebene Maultaschen mitgenommen hat – ein weiterer Fall der jüngeren deutschen Rechtsgeschichte. Vielleicht könnte man die Talion hier umformulieren in „Maultasche um Maultasche“. Lamech jedenfalls, der für eine Wunde oder Strieme einen Menschen umbringen will, müsste man Ex 21,25 entgegenhalten: „Wunde um Wunde, Strieme um Strieme“ – und nicht mehr.

Es kommt aber auch vor, dass die Sanktionierung unangemessen in die andere Richtung abweicht. Wer Macht und Geld hat, kann bewirken, dass ein überaus folgenschweres Vergehen kaum sanktioniert und eher noch belohnt wird. Die aktuellen Beispiele aus dem Top-Management von Banken sind allgemein bekannt. Auch im alten Israel kam solches vor. Es ist sogar in die Gesetzgebung der Bibel eingegangen. Ex 21,20f nennt so einen Fall. Da prügelt ein Herr seinen Sklaven oder seine Sklavin mit dem Stock derart, dass er oder sie noch ein, zwei Tage lebt, bevor er oder sie stirbt. In diesem Fall bleibt der Herr straffrei. Die Begründung ist geradezu zynisch: „… denn es ging um sein Geld“. Das Leben der Sklavin und des Sklaven ist nichts wert, der Herr hat sich selbst geschädigt, wenn er sie totschlägt. Nur wenige Zeilen danach steht die Talion (Ex 21,23-25): „Du sollst geben Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß.“ Auf den Herrn angewendet, käme er nicht so billig davon. In der Tat protestiert hier die Talionsformel „gegen die Klassenjustiz mit ihrer Differenz zwischen Freien und Sklaven“.(1)

Prinzip und Praxis

Man muss wohl davon ausgehen, dass das Prinzip „Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn“ ursprünglich einmal durchaus wörtlich gemeint war. So heißt es im Falle eines falschen Zeugen, der jemandem etwas anhängen wollte, das er nicht getan hatte: „Ihr sollt ihm antun, was er seinem Bruder anzutun gedachte! … Da sollst du kein Mitleid haben: Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn …“ (Dtn 19,19.21). Und in 1 Kön 20,39 wird als Alternative – allerdings nicht bei einem Gerichtsverfahren, sondern bei der Bewachung eines Kriegsgefangenen für den Fall, dass er entkommt – hingestellt: „dann soll dein Leben für sein Leben einstehen oder du musst ein Talent Silber bezahlen“. Das „Leben um Leben“ ist hier also sehr ernst gemeint.

Eine wörtliche Ausführung des Talionsprinzips hätte also den Sinn, die Angemessenheit der Sanktionierung in beiderlei Richtung sicherzustellen. Allerdings besteht dabei die Gefahr, dass aus der Talion dann eine Vergeltungsmaschinerie wird, die niemandem nützt und letztlich nur noch dazu dient, das Prinzip um seiner selbst willen aufrecht zu erhalten. Diese Karikatur der Talion wird in der Presse immer wieder herangezogen, wenn es im politischen Bereich um Vergeltungsschläge eines Staates gegen terroristische Angriffe geht. Es fällt allerdings auf, dass es sich dabei fast immer um den Staat Israel handelt. Da steht dann zu lesen, dass dessen Politik dem Prinzip des „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ folge – und gemeint ist eine unerbittliche Vergeltung, die sich angeblich auf das Alte Testament stützt. Der Philosoph Jürgen Habermas hat sich nach den Anschlägen vom
11. September 2001 gar zu dem Satz verstiegen: „Und die Sprache der Vergeltung, in der nicht nur der amerikanische Präsident auf das Unfassbare reagierte, erhielt einen alttestamentarischen Klang.“(2)

Im Alten Testament selbst steht es freilich anders. Nehmen wir noch einmal das Beispiel des Sklaven und der Sklavin, die einem prügelnden Herrn ausgesetzt sind. Gesetzt den Fall, er schlägt dem Sklaven ein Auge oder der Sklavin einen Zahn aus: Was hätten sie davon, wenn nun dem Herrn seinerseits ein Auge oder ein Zahn ausgeschlagen würde? Im schlimmsten Falle wären am Ende alle Beteiligten blind oder zahnlos. Deshalb heißt es in Ex 21 unmittelbar nach dem „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ von V. 24 in V. 26f: „Wenn jemand ins Auge seines Sklaven oder ins Auge seiner Sklavin schlägt und es zerstört, soll er sie für das Auge freilassen. Schlägt er einen Zahn seines Sklaven oder einen Zahn seiner Sklavin aus, soll er sie für den Zahn freilassen.“ Zwar folgt die Talion dem Wortlaut ihrer Formulierung nach dem Prinzip der Vergeltung von Gleichem mit Gleichem. Aber in der faktischen Anwendung wird aus ihr im Kontext von Ex 21 das Prinzip der – angemessenen! – Ersatzleistung bzw. Wiedergutmachung. „In dem in V. 26.27 behandelten Fall der Körperverletzung an einem Sklaven oder einer Sklavin ist jedenfalls eine Ersatzleistung vorgesehen; denn die geforderte Freilassung bedeutet praktisch eine Zahlung in Höhe des Sklavenkaufpreises.“(3)

Mit dem Prinzip „Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn“ wird eine Grundregel aufgestellt. Sie besagt, dass die Sanktionierung für ein Vergehen angemessen sein muss und weder in maßloser Rache noch in billigem Freikauf bestehen darf. Im Prinzip gilt vor allem bei der Tötung eines Menschen: „Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll durch Menschen vergossen werden“ (Gen 9,6), oder: „Wer einen Menschen schlägt, sodass er stirbt, muss unbedingt getötet werden“ (Ex 21,12). Aber aus dem Prinzip entspringt keineswegs unmittelbar eine entsprechende Praxis. Zwar gilt bei Tötung eines Menschen die göttliche Sanktionsdrohung, aber sie kann „selbstverständlich im konkreten Gerichtsverfahren wegen der Differenziertheit der Einzelfälle in verschiedene Strafen ausmünden“.(4)

Eine umfangreiche Studie zum Thema „Das Alte Testament und die Todesstrafe“ kommt denn auch zu vorsichtigen Schlussfolgerungen: „Die hier in Betracht gezogenen biblischen Texte erlauben keinen konkreten Rückschluss auf eine tatsächliche Rechtspraxis hinsichtlich der Todesstrafe zu irgendeiner Zeit. … Sicher hat es Hinrichtungen gegeben … Spuren einer ausgeprägten Todesgerichtsbarkeit mit einer präzisen Strafprozessordnung sind jedoch nicht zu finden“.(5) Entsprechendes gilt für Verstümmlungsstrafen, wie man sie aus dem „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ ableiten könnte. Sie sind als ausgeführte Strafen im ganzen Alten Testament nicht belegt.

Will man den alttestamentlichen Rechtstexten kein Unrecht tun, muss man zwischen den Rechtsprinzipien, die in ihnen enthalten sind, und der Rechtspraxis, die aus ihnen folgt, durchaus unterscheiden.

Liebesgebot und Talion

Viele Menschen, nicht nur Journalisten und „religiös unmusikalische“ Philosophen,(6) auch aufrechte Christenmenschen meinen, das „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ im Sinne eines unerbittlichen Vergeltungsdenkens sei der Kern des alttestamentlichen Gesetzes. Jesus war da anderer Meinung, und die Evangelien überliefern das gleich dreimal.

Auf die Frage schriftgelehrter Gesetzeskundiger, welches seiner Meinung nach das höchste Gebot der Tora sei, antwortet Jesus mit dem Zitat von Dtn 6,4f und Lev 19,18: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen …“ und: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Mt 22,34-40; Mk 12,28-34; Lk 10,25-28). Dieses Doppelgebot der Liebe ist für ihn der Kern seiner Bibel, unseres Alten Testaments, und nicht die Talion „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Seine gesetzeskundigen Gesprächspartner, Juden wie er, stimmen ihm im Übrigen ausdrücklich zu.

Noch absurder wird es, wenn behauptet wird, der „Gott des Alten Testaments“ sei ein „Gott der Vergeltung“, der nach dem Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ richte. Sehen wir einmal davon ab, dass es ohnehin keine zwei Götter gibt, einen des Alten und einen des Neuen Testaments, sondern dass der Gott Jesu und des Neuen Testaments der Gott Israels ist und keiner sonst: Im gesamten Alten Testament wird die Talion nie auf Gott übertragen. Sie kommt, wie schon gesagt, nur dreimal in der Hebräischen Bibel vor. Sie steht, wie ein Ausleger schreibt, „bekanntlich im Alten Testament sehr einsam da“.(7) Und an allen drei Stellen ist sie eine Forderung an Menschen im Rechtsverfahren.

Wenn von Gott und Vergeltung geredet wird, klingt es dagegen ganz anders. Grundlegend ist eine geradezu formelhafte Selbstvorstellung Gottes, die in Ex 34,6f steht und im Alten Testament vielfach variiert wiederholt wird: „Adonaj, Adonaj, ein barmherziger und gnädiger Gott, langsam zum Zorn und groß an Güte und Treue, der tausenden Generationen Güte bewahrt, der Schuld, Frevel und Sünde vergibt; aber gewiss lässt er nicht einfach ungestraft, da er die Schuld der Väter bei den Söhnen und den Enkeln prüft, bei der dritten und vierten Generation.“

Auffällig ist zunächst das Ungleichgewicht zwischen Barmherzigkeit und Strafbereitschaft. Die Barmherzigkeit steht nicht nur am Anfang, sie gilt tausenden Generationen. Wenn vom Zorn die Rede ist, dann nur in der einschränkenden Form, dass Gott „langsam zum Zorn“ ist. Und selbst im Strafen, das um der Gerechtigkeit für die Opfer von „Schuld, Frevel und Sünde“ willen nötig ist, ist Gott noch langsam. Er prüft bei der zweiten und dritten Generation, ob es nicht besser geworden ist. Erst dann, wenn sich hartnäckig nichts ändert, „lässt er nicht einfach ungestraft“.

Leider suggeriert die traditionelle Übersetzung das genaue Gegenteil, etwa in der Fassung der revidierten Lutherbibel von 1984: „… sondern sucht die Missetat der Väter heim an Kindern und Kindeskindern bis ins dritte und vierte Glied“. Das klingt verdächtig nach dem Rachegott, der noch nachfolgende Generationen, die selbst unschuldig sind, bestraft. Demgegenüber ist festzuhalten, dass es „nicht – wie durch viele Übersetzungen unterstellt wird – um ein Bestrafen der nachfolgenden Generation für die Vergehen der vorausgehenden geht, sondern um ein Prüfen, ob die Sünden der einen Generation bei den Nachgeborenen wieder begegnen“.(8)

Gott ist kein Gott, der nach dem „Leben um Leben, Auge um Auge“ handelt. Jesus sieht dieses Prinzip nicht als den Kern des Alten Testaments an, sondern das Doppelgebot der Liebe. Gleichwohl zitiert Jesus in der Bergpredigt die Talion. Ich gebe die Stelle in der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache wieder: „Ihr habt gehört, dass Gott gesagt hat: Auge um Auge und Zahn um Zahn. Ich lege euch das heute so aus: Leistet dem Bösen nicht mit gleichen Mitteln Widerstand. Vielmehr, wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, halte ihm auch die andere Backe hin. … Wenn dich jemand zur Zwangsarbeit für eine Meile Weg nötigt, gehe mit ihm zwei“ (Mt 5,38-41).

Jesus interpretiert die Regel der Angemessenheit auf dem Hintergrund seiner zeitgenössischen Situation, in der die jüdische Bevölkerung der Willkür des römischen Militärs nahezu rechtlos ausgeliefert war. Das zeigt am deutlichsten das Beispiel der Requirierung zur Zwangsarbeit, wozu römische Soldaten das Recht hatten. Das Böse, um dessen Überwindung es geht, ist also die Unterdrückungsstruktur des Imperium Romanum. Dieses Böse kann nicht mit gleichen Mitteln überwunden werden, wie die blutig unterdrückten jüdischen Aufstände im 1. und 2. Jh. n. Chr. gezeigt haben. Jesus empfiehlt eine subversive Strategie: dem Bösen die Legitimation nehmen.

Die erfolgreichste Anwendung dieses Prinzips in jüngerer Zeit hat Nelson Mandela während seiner jahrzehntelangen Haft auf Robben Island praktiziert. Er hat das weiße Wachpersonal immer mit menschlichem Respekt behandelt, und er hat seine Mitgefangenen angehalten, das auch zu tun. Allen Neigungen der Wärter, ihre Gefangenen sadistisch zu schikanieren, hat er so die Legitimation entzogen. Mandela konnte die Machtverhältnisse nicht aufheben. Aber er konnte sie ein Stück weit unterlaufen – und damit verhindern, dass die Macht bis zum Letzten ausgespielt wurde. So etwa hat Jesus sich das wohl gedacht.

Wenn es um die Überwindung von Gewalt geht, ist das Prinzip der Angemessenheit, das sich in der Talion niederschlägt, ein Mittel. Es kann aber nur zum Tragen kommen, wenn gesicherte Rechtsverhältnisse herrschen. Gegen diktatorisches Unrecht hilft es nicht. Das „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ ist also nicht alles. Deshalb steht es im Alten Testament auch nur am Rand und keineswegs im Zentrum. Trotzdem, ohne Angemessenheit ist auch das gerechteste Recht nichts wert. Unangemessenes Recht verletzt unser Rechtsempfinden. Siehe die Kassiererin mit dem Kassenbon und den Banker mit seiner Bonuszahlung.

Für die Arbeit in der Gruppe


Ziel
Die TN erkennen, dass es bei der Talion um die Angemessenheit einer Sanktion und nicht um die Unerbittlichkeit der Vergeltung geht. Sie erkennen, dass die Talion nicht den Kern der Tora ausmacht und zur Überwindung des Bösen einen wichtigen, aber nur bedingten Beitrag leisten kann.

Material
– Gesangbücher
– Kopie von Ex 21,20-27 mit Leitfragen (s. S. 12; für AbonnentInnen unter www.ahzw.de / Service zum Herunterladen)
– Kopie der Jahreslosung 2011
– großer Papierbogen zum Anheften

Ablauf
– Lied: Wohl denen, die da wandeln (EG 295)
– Gesprächsrunde: Wie stehen wir zu Kündigungen aus Bagatellgründen? Die Leiterin erinnert kurz an einen allgemein bekannten Fall – z.B. „Emmely“, die nach 31 Jahren fristlos entlassen wird, weil sie zwei liegen gebliebene Getränkebons im Wert von 1,30 Euro eingelöst hat. Die Teilnehmerinnen tragen weitere Fälle zusammen, bei denen sie das Gefühl haben, ihr Rechtsempfinden werde verletzt. Dann formulieren die Teilnehmerinnen ein allgemeines Rechtsprinzip, das ihrem Rechtsempfinden entspricht, und halten dies auf dem Papierbogen fest.
– Ex 21,20-27 wird in Gruppen gelesen. Die Gruppen setzen sich mit den Leitfragen auseinander. Die Ergebnisse werden im Plenum diskutiert.
– Vergleich der Talion mit der Jahreslosung 2011: Die Leiterin zeigt anhand des Textes oben Leistungsfähigkeit und Grenzen der Talion auf (siehe bes. die Interpretation Jesu in der Bergpredigt angesichts der damaligen Situation der römischen Herrschaft und die Aktualisierung am Beispiel Nelson Mandelas).
– Lied: Brich mit den Hungrigen dein Brot (EG 420)

Prof. Dr. Rainer Kessler, geb. 1944, hat nach dem Studium der Ev. Theologie und Promotion als Pfarrer sowie als Assistent an der Kirchlichen Hochschule Bethel in Bielefeld gearbeitet. Von 1993 bis 2010 war er Professor für Altes Testament in Marburg. Seitdem befindet er sich im Ruhestand. Für die Bibel in gerechter Sprache hat er die Bücher Samuel (zusammen mit Dr. Uta Schmidt) sowie die Propheten Micha und Maleachi übersetzt.

Verwendete Literatur:
Albrecht Alt: Zur Talionsformel, in: Ders., Kleine Schriften zur Geschichte des Volkes Israel. Erster Band, Mün-chen 41968, 341-344
Frank Crüsemann: Die Tora. Theologie und Sozialgeschichte des alttestamentlichen Gesetzes, München 1992
Christoph Dohmen: Exodus 19-40 (HThKAT), Freiburg u.a. 2004
Erhard S. Gerstenberger: Das dritte Buch Mose. Leviticus (ATD 6), Göttingen 1993
Jürgen Habermas: Glauben und Wissen. Friedenspreisrede 2001, in: Ders., Zeitdiagnosen. Zwölf Essays 1980-2001 (es 2439), Frankfurt am Main 2003, 249-262
Thomas Hieke: Das Alte Testament und die Todesstrafe, in: Biblica 85 (2004) 349-374
Martin Noth: Das zweite Buch Mose. Exodus (ATD 5), Göttingen 1968

Arbeitsmaterial: Ex 21,20-27 mit Leitfragen
Das Prinzip „Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn …“ heißt nach dem römischen Recht auch Talion. Die ausdrückliche Talionsformel kommt in der Bibel in drei Rechtstexten vor, in Ex 21,23-25; Lev 24,18-20 und Dtn 19,21. Im Folgenden ist der Kontext von Ex 21,20-27 mit abgedruckt. Lesen Sie diesen Text gemeinsam:
20 Wenn jemand seinen Sklaven oder seine Sklavin mit dem Stock schlägt, so dass sie unter seiner Hand sterben, muss es gerächt werden.
21 Bleiben sie noch einen oder zwei Tage am Leben, so verfällt er nicht der Rache, denn es ging um sein Geld.
22 Wenn Männer miteinander raufen und dabei eine schwangere Frau stoßen, sodass sie vorzeitig gebiert, sonst aber kein Schaden entsteht, wird der Schuldige mit einer Geldbuße bestraft, so wie der Ehemann der Frau sie ihm auferlegt, und er soll sie vor Richtern bezahlen.
23 Entsteht aber weiterer Schaden, so sollst du geben Leben um Leben,
24 Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß,
25 Brandmal um Brandmal, Wunde um Wunde, Strieme um Strieme.
26 Wenn jemand ins Auge seines Sklaven oder ins Auge seiner Sklavin schlägt und es zerstört, soll er sie für das Auge freilassen.
27 Schlägt er einen Zahn seines Sklaven oder einen Zahn seiner Sklavin aus, soll er sie für den Zahn freilassen.
Beantworten Sie im gemeinsamen Gespräch die folgenden Fragen:
– Wie müsste die Talion auf den ersten Fall (V. 20-21) angewen-det werden?
– Wie müsste die Talion auf den letzten Fall angewendet werden (V. 26-27)?
– Wie erklären Sie sich die Abweichung zwischen dem Rechts-prinzip (Talion) und der Rechtspraxis (Straffreiheit bzw. Ersatzleistung)?
– Wenn noch Zeit ist: Lässt sich mit der Talion „das Böse über-winden“, wie es in der Jahreslosung 2011 heißt?

Anmerkungen:
1 Crüsemann, 191
2 Habermas, 249
3 Noth, 147
4 Gerstenberger, 337
5 Hieke, 368f
6 Habermas, 261
7 Alt, 341
8 Dohmen, 355

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