Gestaltung der Mitte:
– Sand oder ein weiches gelbes Tuch (Wüstensand)
– einige Symbole für „Zeit“, z.B. Metronom, Tisch-Standuhr, Taschenuhr, Sanduhr, Glocke, Zeitung, Fahrplan, alter Geldschein, Sichel, Jahreszeitenstrauß
– lange farbige Papierstreifen, sternförmig von der Mitte her ausgelegt, mit
je einem „Zeit-Wort“, z.B.: Zeitarbeit, Auszeit, Bedenkzeit, Zeitlosigkeit, Zeitfenster, Endzeit, Zeitvertreib, Zeitverlust
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Ablauf
Die Leiterin begrüßt die Teilnehmerinnen und führt kurz zum Thema hin:
Liebe Frauen, wir haben heute die Zeit gefunden, uns miteinander einen Bereich bewusst zu machen, in dem wir alle uns ganz selbstverständlich bewegen – in der Zeit. Wir erfahren sie im gegenwärtigen Erleben, im Erinnern an Vergangenes, im Hoffen und Wünschen für die Zukunft.
Aber selten fragen wir: Was ist das eigentlich – die Zeit? Der Philosoph Immanuel Kant lehrte im 18. Jahrhundert, die Zeit sei eine der beiden Bedingungen der Möglichkeit, auf dieser Erde zu denken und zu handeln. Die hebräische Bibel belehrt uns, scheinbar schlichter, unsere Zeit sei aufgehoben in Gottes Händen.
Votum
So beginnen wir denn unsere
Besinnung
im Namen Gottes,
des Herrn über Leben und Tod,
der uns unsere Zeit zugeteilt hat,
jeder und jedem von uns,
und sich erhofft, dass wir sie dankbar auskosten;
im Namen Jesu Christi,
Gottes Erwähltem,
der uns vorgelebt hat, wie wir die Zeit mit Sinn erfüllen können für uns selbst und andere;
im Namen der Heiligen Geistkraft, die uns stärkt, wenn wir in Gefahr sind,
nachlässig und leichtsinnig Gottes
gute Gabe nicht zu würdigen oder zu missbrauchen.
Amen
Lied
Ausgang und Eingang (EG 175)
Die Teilnehmerinnen werden gebeten, sich einen der Papierstreifen aus der Mitte zu wählen, der sie in diesem Moment anspricht, und kurz zu sagen, was dieses Zeit-Wort mit ihrem derzeitigen Leben zu tun hat. Die Aussagen werden nicht kommentiert.
Begrenzte Zeit
Beim Zuhören haben wir gemerkt, wie vielfältig Zeiterfahrungen sind. „Auszeit“ ist qualitativ etwas ganz anderes als „Zeitverlust“ und „Bedenkzeit“ etwas anderes als „Zeitdruck“.
Ein einziges Merkmal der Zeit dürfte für die Menschen aller Völker und Epochen gleichermaßen unabweisbar gewesen sein: der Schnitt, den der Tod setzt, am Ende jeder kreatürlichen Existenz.
Die Menschen haben sich nicht einfach damit abfinden können. Und so entwickelten sie ganz unterschiedliche Auffassungen von der Bedeutung des Todes, seiner Vorläufigkeit oder Endgültigkeit:
– Eingehen in die ewige Herrlichkeit
– Auferstehung
– Existenz im Schattenreich
– Wiedergeburt in anderer Gestalt
– Verwandlung in Energie
Und doch wissen wir alle: Vor uns liegt ein Ereignis, dem wir nicht entgehen können. Und es gelingt mehr oder weniger, sich darauf einzustellen.
Lauf der Zeit
Jahrtausende lang gab die Natur den Rhythmus des Lebens vor. Orientiert an den Gestirnen, an Saat und Ernte, an Wachstum und Vergehen, Geburt und Tod lernten die Menschen, die Zeit als eine Folge von Ereignissen zu verstehen, die sich regelmäßig wiederholen. Trat eine „Abweichung“ auf, eine Dürre oder Überschwemmung, ein Vulkanausbruch oder eine Insektenplage, so wurde dies Unerklärliche als Eingreifen der Gottheit verstanden, das Beschwichtigungsmaßnahmen von Seiten der Menschen erforderte.
Im alten Israel war Ansprechpartner JHWH, der/die Ewige, als Schöpfergott auch Gott der Zeit. Im Zuge der allmählichen Volkwerdung der Stämme Israels lernt das Volk Gottes sich selbst als geschichtlich zu verstehen. Das Zeiterleben ist nun geprägt durch die Vorstellung von Herkunft, Richtung und Ziel des Lebens. Die Zeit wird nicht länger durch zyklische Wiederholungen bestimmt, sondern durch Ereignisse und Prozesse, durch gefahrvolles Unterwegssein, durch Wunder und Rettungen, durch Sesshaftwerden und erneuten Aufbruch. Und doch gilt nach wie vor: „Meine Zeit in deinen Händen“ – auch und gerade als Ereigniszeit.
Erst im 14./15. Jahrhundert, mit dem Aufkommen des Humanismus und einer neuen Bewertung der menschlichen Vernunft, entwickeln sich im Abendland schwerwiegende Veränderungen des Zeiterlebens und der Zeitbewertung. Das Wörterbuch der Feministischen Theologie beschreibt diese neue Dimension des Zeitverständnisses als lineare Zeit. Der Fortschrittsgedanke färbt und prägt sie; parallel dazu, untrennbar verbunden mit der Entwicklung der modernen Naturwissenschaften, geschieht die Einsetzung der abstrakten Zeit, die gleichförmig gedacht wird, fassbar nur im Messen und Zählen.
Die gemessene, gezählte Zeit bestimmt unsere Gegenwart, in der der Zeitwert vor allem dem Geldwert entsprechen soll. Und doch sind die früheren Erlebnisformen der Zeit nicht einfach verschwunden. Manchmal werden sie ganz plötzlich wieder erfahrbar in den unerwarteten, nicht beherrschbaren Ereignissen des persönlichen und auch des öffentlichen Lebens. Ein Unfall, ein Tod, eine neue Liebe, der Verlust der Arbeit, ein fremdes Land, ein Börsenkrach – und auf einmal gehen die Uhren anders.
Der Philosoph Henri Bergson (1859 – 1941) entwickelte in der Tradition der Mystik ein spirituelles Konzept der Zeit gegen das moderne abstrakte Zeitverständnis. Ein Grundbegriff seiner Philosophie ist die „Dauer“, die Vorstellung eines subjektiven, unwiederholbaren Zeitablaufs, nicht vergleichbar, nicht messbar. Wir alle haben Erfahrungen damit: Minuten, die sich endlos dehnen, rauschhaftes Erleben ohne Zeitgefühl, Schockstarre, meditative Leere. Unsere Sprache hat einige Ausdrücke für solche Phänomene: „erfüllter Augenblick“, „aus der Zeit fallen“, „ganz im Hier und Jetzt sein“, die „mystische Gegenwart Gottes“. Und, als geheimnisvollste Metapher: „Ewigkeit“. Niemand hat je erfahren, was Ewigkeit eigentlich meint. Trotzdem haben wir ein Wort für etwas, das außerhalb der Zeit gedacht, in der Zeit gefühlt wird.
Auch der Vorgang des Erinnerns bewertet Ereignisse in der Zeit immer wieder neu. In der Rückschau geht es immer um personale Zeit, um Höhenflüge im Ablauf des Lebens, nachträgliche Aufwertungen oder Verzerrungen, Verschiebungen, schwarze Löcher, wieder aufgerufene Glücksmomente und das Gefühl der verlorenen Zeit. Wie viel messbare Zeit, wie viele Tage, Stunden, Minuten das alles in Anspruch nahm – wissen wir es noch?
Lied
Noch ehe die Sonne am Himmel stand
Lehre uns, unsere Tage zu zählen
Weil beide Zeitkonzepte nebeneinander bestehen, ist es schwierig, die Balance zu halten zwischen selbst- und fremdbestimmtem Umgang mit der Zeit. Wo gehen wir zu sorglos um mit der Zeit, „hängen rum“, ohne uns des Endes bewusst zu sein? Wann müssen wir uns dem Diktat der ständigen Beschleunigung unterwerfen, verlangen der Zeit zu viel ab, verweigern uns der Muße?
Lassen Sie sich einladen, am 12. Vers aus Psalm 90 Ihre eigenen Lebenserfahrungen, Ihre gegenwärtige Situation in die Betrachtung einzubringen.
Thema des Psalms ist die Vergänglichkeit der Menschen und die Frage,
wie sie, dessen eingedenk, so leben können, dass Gott ihnen zugewandt bleibt. Hören wir den Vers in zwei Übersetzungen, einmal von Martin Luther, einmal aus der Bibel in gerechter Sprache.
Die Leiterin legt 2 (bei größeren Gruppen: 4) große Textblätter mit je einer der Übersetzungen aus und liest den Vers in den beiden Übersetzungen vor.
– Lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. Luther
– Lehre uns, unsere Tage zu zählen, damit wir ein weises Herz erlangen. BigS
Die Teilnehmerinnen werden gebeten, sich der Übersetzung zuzuordnen, die ihnen plausibler oder vertrauter erscheint oder die sie in diesem Moment mehr anspricht. Die Frauen tauschen sich in diesen Kleingruppen (3-5 Frauen, 10-15 Minuten) über ihre Verse aus.
Die Leiterin kann die folgenden Impulsfragen als Gesprächsanregung mit in die Kleingruppen geben. Sie müssen weder alle noch in der hier erscheinenden Reihenfolge „abgearbeitet“ werden.
zur Luther-Übersetzung:
– Wie empfinden Sie die Worte „sterben müssen“ in diesem Vers – wie einen Hammerschlag, derbe, lapidar, massiv? Wie eine Selbstverständlichkeit? Oder ganz anders?
– Warum wird Gott um Unterweisung, um Belehrung gebeten, wo es um Bekanntes, allen Vertrautes geht? Ist vielleicht das Wichtigste die Zwiesprache mit Gott?
– Lehren, lernen, klug werden: Das hat in der deutschen Sprache viel mit Intelligenzleistungen zu tun. Wo bleibt alles andere, das den Menschen ausmacht?
– Wann soll sich die Klugheit einstellen – vor dem Tod? Soll sie sich auf die Lebensführung des Menschen beziehen oder auf einen gelingenden Tod?
– Geht es um die Prozesshaftigkeit des Sterbens, die dem Vorgang des Lehrens entspricht?
zur Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache:
– Was bedeutet in diesem Text „zählen“? Eins, zwei, drei – und am Ende die Summe ziehen?
– Was bedeutet es, „ein weises Herz“ zu gewinnen?
Nach einem kurzen Rundgespräch im Plenum zu den Überlegungen aus den Kleingruppen kann die Leiterin noch folgende Überlegungen vorlesen oder gleich zum Abschluss übergehen.
Ein weises Herz gewinnen
Lehre uns, unsere Tage zu zählen – das bedeutet sicher nicht, eine Zahlenfolge laut oder leise herzusagen, die Anzahl von etwas ausfindig zu machen. Denn das Zählen führt hier nicht zu einer Endsumme von Tagen, sondern bewirkt eine grundlegende Veränderung der Person, einen Zugewinn: ein weises Herz. Im Luthertext ist die Rede vom Ende des Lebens – hier von der Fülle der Zeit. Im Wörterbuch der Feministischen Theologie heißt es dazu: „Diese Theologie braucht keine bereits gegebene Jenseitsperspektive, um bedeutungsvoll zu sein, sie schließt diese Perspektive aber auch nicht aus. Sie zeigt hierin sowohl ein großes Maß an Zurückhaltung als auch ein großes Maß an Vertrauen.“(1)
Könnte „Tage zählen“ bedeuten, sie achtsam zu behandeln, sich ihrer zu vergewissern, sie in ihrer Kostbarkeit einzeln zu betrachten, sich auch ihrer Begrenztheit bewusst zu werden? Geht es vielleicht überhaupt um das Jetzt – alle Tage neu, damit irgendwann aus dem Leben ein Ganzes wird, das mehr ist als die Summe seiner Tage?
Die Tage zählen – kann das vielleicht bedeuten zu „pflegen, was verloren zu gehen droht. Sich Zeit nehmen, Prozesse zulassen, bei etwas bleiben, eine Dauer erleben, Wartezeiten genießen, die Ewigkeit im Jetzt“ erfahren?(2) In so einem Umgang mit der Zeit steckt ein „Widerstandspotential“, das es erlaubt, angstfreier zu leben und auf die Signale und Botschaften des Herzens zu horchen.
Abschluss
Lesung von Psalm 90 – entweder den ganzen Text nach der BigS (siehe S. 24), abwechselnd in zwei Gruppen, oder die Auswahl im EG 738.1
Lied
Alles ist eitel, du aber bleibst, und
wen du ins Buch des Lebens schreibst
(aus: Mein Kanonbuch, tdv-Verlag, 2. Auflage 1987, Nr. 16)
Lore Schultz-Hamster, geb. 1938, hat Germanistik, Pädagogik und Philosophie studiert und ist Dipl.-Bibliothekarin. Sie hat am Fernstudium Feminstische Theologie im Frauenwerk der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers teilgenommen. Ehrenamtlich war sie Kreisbeauftragte für die Frauenarbeit im Kirchenkreis Springe, seit 2003 ist sie Sterbe- und Trauerbegleiterin im Hospizverein Springe.
Anmerkungen:
1 Artikel „Tod/Sterben“, in: Wörterbuch der -Feministischen Theologie, hg. v. E. Gössmann u. a., Gütersloh 22002, S. 561
2 Vgl. Artikel „Zeit“, ebd., S. 581
Die letzte Ausgabe der leicht&SINN zum
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