Ausgabe 1 / 2004 Editorial von Margot Papenheim

lesbisch leben

Von Margot Papenheim

Lesbisch leben? Als sündig, krank oder pervers werden einige von Ihnen das bewerten. Ohne Wenn und Aber. Andere finden es ein großes Glück. Die meisten werden sich – vermutlich – irgendwo dazwischen bewegen. Mit vielen Fragen an „solche“ Frauen, die sie aber sich meist nicht auszusprechen trauen. Schließlich weiß man und frau inzwischen, was Homosexualität im Allgemeinen und Lesbischsein im Besonderen ist. Wie Lesben leben. Wie Frauen lesbisch werden. Eventuelle Bedenken gegen diese Lebensform behält frau in der Regel auch für sich. Sie will doch nicht als hoffnungslos altmodisch gelten – oder gar versehentlich einer auf die Zehen treten. Denn wer weiß schon so genau, ob die Kollegin im Vorstand selbst nicht auch…? Oder ob deren Tochter vielleicht doch…? Grund genug also für eine Arbeitshilfe zu diesem Thema.

Zudem sind evangelische Frauenorganisationen herausgefordert, sich fundierte Meinungen zu bilden und diese zu vertreten. Ihre Positionen sind gefragt in gesellschaftlich-politischen und kirchlichen Diskussionen um das Lebensparternschaftsgesetz, die daraus folgenden Fragen nach Erbschaft-, Steuer – und Adoptionsrecht, nach kirchlichen Segnungen für gleichgeschlechtlich liebende Paare.

Hintergründe und sachliche Informationen zum lesbischen Leben hat Tomke Ande zusammengestellt. Darüber hinaus vertritt sie, selbst offen lesbisch lebend, klare Positionen. Position bezogen haben, stellvertretend für viele andere, auch fünf Frauen, die sich haupt- oder ehrenamtlich in der Frauenhilfe engagieren. Die O-Töne aus der Frauenhilfe regen dazu an, eigene Meinungen zu überprüfen. Dies ist umso wichtiger, als lesbische Frauen keineswegs nur „die anderen“ sind, sondern mitten unter uns leben. Karin Böhmer zeigt auf, dass (und warum) sie allerdings noch ohne Gesicht sind. Viele der Frauen, die sich in evangelischen Frauenverbänden zuhause fühlen, sind von unserem Thema persönlich berührt – als Mütter oder Großmütter lesbischer Frauen oder schwuler Männer. Johanne und Eko Alberts leiten seit Jahren Gruppen für Angehörige gleichgeschlechtlich liebender Menschen und ermutigen dazu, stolz auf diese Töchter und Söhne zu sein. Auch Karin Nungeßer beleuchtet den Aspekt „Familie“ – speziell die Variante der so genannten Regenbogenfamilien, in denen Kinder zusammen mit lesbischen Müttern leben.

Die christlichen Kirchen haben gleichgeschlechtliche Lebensformen lange rundweg abgelehnt. Menschen, die so leben, begegneten sie ablehnend und zurückweisend, bestenfalls seelsorglich-zugewandt. Heute stehen sie, als Teil einer sich wandelnden Gesellschaft, mitten in dem schwierigen Prozess einer Kurskorrektur. Einer notwendigen Kurskorrektur, weil sie antworten müssen auf die Fragen, die Menschen heute haben. Die in der EKD zusammengeschlossenen Landeskirchen antworten sehr unterschiedlich auf die Frage nach einer Segnung für gleichgeschlechtliche Paare. Monika Weber hat den langen Weg nachgezeichnet, den ihre Gemeinde in Berlin gegangen ist – als Mut machendes Beispiel für andere. Mit der Frage, ob gleichgeschlechtliche Liebe aus biblischer Sicht verboten ist, setzt Klara Butting sich auseinander. „Alles, was offenbar wird, ist Licht.“ Der Satz aus dem Epheserbrief gehört nicht zu den üblicherweise in diesem Zusammenhang zitierten. Petra Edith Pietz hat sich herausfordern lassen, in seinem Licht über die biblische (und kirchliche) Bewertung gleichgeschlechtlicher Liebe nachzudenken. Andachten können ein Raum sein, noch einmal anders – vor Gott möglicherweise offener als vor Menschen – über schwierige Fragen nachzudenken. Andrea Richter lädt ein, sich dabei vom Glauben leiten zu lassen, dass Gott Liebe und Leben ist. Die zweite Andacht leitet an, miteinander den aufrechten Gang zu lernen. Eine, die sich schon vor langer Zeit entschieden hat, aufrecht als Lesbe durch's Leben zu gehen, ist Herta Leistner. Ihre Lebensleistung würdigt Ulrike Helwerth in einem Porträt.

Selbstverständlich sind offene Diskussionen, ist auch eine Ausgabe der Arbeitshilfe zum Weitergeben zum lesbischen Leben nicht. Der Vorstand der EFHiD hat sich dennoch und gerade deswegen dafür entschieden. „Lieber nicht dran rühren“ ist keine vertretbare Lösung. Allerdings ist das Thema nicht zum Nulltarif zu haben. Schon die Ankündigung dieser Ausgabe von AHzW zog Kündigungsdrohungen nach sich. Vorgesehene Bilder durften nicht veröffentlicht werden, angefragte Autorinnen winkten ab. Aus guten bzw. vielmehr schlechten Gründen stand es den Autorinnen frei, ob sie sich lesbisch oder heterosexuell orientiert outen wollten. Eine musste anonym schreiben, um sich vor dem Verlust Ihres Arbeitsplatzes zu schützen. Es stimmt traurig – aber es ist die Realität. Auch unter Frauen, die sich gewohnheitsmäßig als „Schwestern “ sehen und anreden. Das macht dieses Heft umso notwendiger. Diskutieren Sie also in Ihren Gruppen, streiten Sie auch. Reden Sie über lesbisches Leben. Vor allem aber: Reden Sie mit lesbisch lebenden Frauen. Das zumindest – meine ich – sind Schwestern einander schuldig.

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