Maksik, Alexander: Die Gestrandete
Roman. Dt. von Werner Löcher-Lawrence
München: Droemer 2016. 286 S., 21 cm
Aus d. Amerikan. ISBN 978-3-426-19974-9, geb.: 19,99 €
Nach der Flucht vor dem Terror in Liberia strandet Jacqueline auf der griechischen Insel Santorin. Der 23-jährigen Jacqueline ist nach ihrer Flucht nichts geblieben. Aber sie will überleben. Der personale Erzählstil gibt der Leserin Einblicke in ihre Wahrnehmung und Gedankenwelt. Sie wird Zeugin des inneren Gespräches mit der Mutter, die sie warnt und ihr Mut macht. In Jacquelines Erinnerungen tauchen bruchstückhaft einzelne Situationen aus der Vergangenheit auf und wie in einem Puzzle wird ihre Vorgeschichte deutlicher. Der Erzählrhythmus ist langsam. Der Augenblick, die Eindrücke der Natur, die Suche nach Essen, nach einem Versteck, die Einsamkeit stehen im Fokus. Wie Robinson sucht sie mit einfachsten Mitteln in der Fremde ihr Überleben zu sichern und ihre Würde zu wahren. Eine junge Kellnerin sieht ihre Bedürftigkeit, Jacqueline kann die ausgestreckte Hand annehmen. Ihr erzählt sie von dem grauenvollen Tod ihrer Familie in Monrovia. Ein Blick in den Abgrund. Die Schilderung des traumatisierenden Erlebnisses ist vielleicht ein kleiner Schritt in das Leben, der Schluss bleibt offen.
Ein berührendes, humanes Buch zum Thema Flucht und dem, was folgt. Besonders für Gesprächskreise, die sich tiefergehend damit auseinandersetzen wollen.
Ursula Führer (www.eliport.de)
Faryar, Massum: Buskaschi oder Der Teppich meiner Mutter
Roman. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2015, 653 S., 22 cm
ISBN 978-3-462-04674-8, geb.: 22,99 €
Der aus Afghanistan geflohene Schaer kehrt 2008 noch einmal zurück, um seine alternde Mutter von Vergangenem erzählen zu hören. Beim Einmarsch russischer Soldaten musste Schaer (der Name bedeutet in Dari „Dichter“) aus seiner Heimat Afghanistan fliehen. Nach Jahren im Exil kehrt er 2008 zurück, um seine demente Mutter zu sehen und ihr zuzuhören, wenn sie über die Vergangenheit spricht. Es eröffnet sich eine facettenreiche Geschichte. Erinnerungsstütze ist ein edler Teppich. In seinem Zentrum sieht man den traditionellen afghanischen Reiterwettkampf („Buskaschi“). Die Erinnerungen überspannen Jahrzehnte und schildern nicht nur das Schicksal von Schaers Familie, sondern geben einen tiefen Einblick in das von Machtkämpfen und Gier geschundene Afghanistan. Man merkt sofort, dass der Autor mit Herzblut schreibt. Die leichte Wehmut, mit der er seinen Protagonisten begleitet, ist genauso spürbar wie die Lebensfreude, die trotz Blut, Schweiß und Tränen, in Schaer und den Seinen steckt. Besonders die detaillierten, oft recht blumigen Beschreibungen freuen die, welche eine orientalisch-angehauchte Erzählkunst zu schätzen wissen.
Dieser umfangreiche Debüt-Roman ist ein kleines Juwel. Er spricht all jene an, die gerne opulente Familiengeschichten lesen und dabei viel über Afghanistan erfahren wollen.
Martina Mattes (www.eliport.de)
Schami, Rafik: Sophia
Oder Der Anfang aller Geschichten
Roman, München: Hanser 2015. 475 S., 22 cm
ISBN 978-3-446-24941-7, geb.: 24,90 €
Kriminalgeschichte in Damaskus während des Arabischen Frühlings. Vierzig Jahre, zwei Monate und siebzehn Tage nach seiner Flucht aus Syrien beschließt der frühere Widerstandskämpfer Salman Baladi nach Bekanntgabe einer Generalamnestie, in sein geliebtes Heimatland zu reisen. Doch durch den Verrat eines Cousins gerät er in die Fänge des Geheimdienstes und ihm drohen Gewalt und die Hinrichtung. Viele Jahre zuvor war seine Mutter Sophia sehr in Karim verliebt, heiratete zwar einen anderen, rettete jedoch Karim das Leben, als dieser unschuldig unter Mordverdacht geriet. Nun erinnert sie sich an ein Versprechen, das Karim ihr damals gab und versucht mit seiner Hilfe den bedrängten Sohn zu retten. Blumig, poetisch, in seinem unverwechselbaren orientalischen Sprachstil lässt Rafik Schami seinen Roman idyllisch beginnen, doch bald wird die Geschichte immer rasanter und entwickelt sich zu einem spannenden, hochaktuellen Spionagethriller, in dem aber auch die Liebe und die Kraft der Gefühle nicht zu kurz kommen.
Sehr empfehlenswerter Roman mit Blick auf die syrische Mentalität, die neueste Geschichte Syriens und dabei spannende und gefühlvolle Unterhaltung. Für jede Bücherei ein Gewinn.
Stefanie Drüsedau (www.eliport.de)
Catozzella, Giuseppe: Sag nicht, dass du Angst hast
Roman nach einer wahren Geschichte
Dt. von Myriam Alfano, München: Knaus 2014. 251 S., 22 cm aus d. Ital.,
ISBN 978-3-8135-0651-8, kt.: 14,99 €
Samia, Sportlerin aus Somalia, flieht vor dem muslimischen Terror in ihrer Heimat. Für Samia gibt es seit ihrem 8. Lebensjahr nur ein Ziel: Sie will als Läuferin einmal Erfolg haben, vielleicht sogar bei den Olympischen Spielen dabei sein. Dafür trainiert sie verbissen, unterstützt vom Vater, gepusht von ihrem besten Freund, dem Nachbarsjungen. Das Leben der Familie ist nicht leicht, zumal erst der Bürgerkrieg im Land immer mehr das Familienleben erreicht. Die Jungen werden von den Milizen angeworben und unter Drogen begehen sie schreckliche Verbrechen. Dann schränken muslimische Terroristen den Alltag rigoros ein. Samia muss in der Burka trainieren, trotzdem schafft sie es 2008 nach Peking. Doch ihr Ziel ist London. Nachdem sie zu Hause alle wichtigen Bezugspersonen verlor, tritt sie die grauenhafte Flucht an, Schleppern gnadenlos ausgeliefert. Kurz vor Lampedusa ertrinkt sie. Einfach und klar geschrieben, dadurch besonders packend, eindringlich und erschütternd. Catozzella gibt den zahllosen anonymen Flüchtlingen aus Afrika ein Gesicht. Auch für Jugendliche (ab 13 J.) geeignet.
Ulrike Müller-Hückstädt (www.eliport.de)
Erpenbeck, Jenny: Gehen, ging, gegangen
Roman. München: Knaus 2015. 351 S.; 22 cm
ISBN 978-3-8135-0370-8, geb.: 19,99 €
Ein mutiges, schönes und schwieriges Buch über das Fliehen und Niemals Ankommen, das Vermissen und das Verlieren und die Schwere des Erinnerns. Die Flüchtlinge, die auf dem Oranienplatz in Berlin campierten, sind Anlass für Richard, einen emeritierten Philologen aus dem Osten Berlins, zunächst zaghaft und später mutig Kontakt zu suchen, nach Vergangenheit und Zukunft der Menschen zu fragen. Dabei erforscht er selbst neu seine eigenartige Heimatlosigkeit im vereinigten Deutschland. Jenny Erpenbeck findet hier bewegende und haarfein differenzierende Bilder für die Unbehaglichkeit des ostdeutschen Intellektuellen. Die Männer des Camps werden ihm zu fremden Freunden, ihre Geschichten zu Herausforderungen des Mitgefühls und die Behandlung ihrer Personen und Schicksale erzürnen ihn (und die Leserin mit!). Erpenbeck erfindet eine Person mit einem großen Verlangen nach Verstehen und einer tiefen Lust am Erkennen. Richard erscheint weltfremd und ganz als Weltbürger mit Gewissen, ohne ein Gutmensch zu sein. Nur so gelingt es ihm, die Grenzen zu den Fremden zu überwinden und ihr Mitmensch zu werden.
Sehr gut geeignet für Literaturgruppen, Literaturgottesdienste sowie Gruppen, die Flüchtlingshilfe anbieten.
Christiane Thiel (www.eliport.de)
Geda, Fabio: Im Meer schwimmen Krokodile
Eine wahre Geschichte. Dt. von Christiane Burkhardt
München: Knaus 2011. 186 S., 21 cm, aus d. Ital.
ISBN 978-3-8135-0404-0, geb.: 16,99 €
Wahre Geschichte eines 10-jährigen afghanischen Flüchtlingsjungen, der eine Odyssee um die halbe Welt überlebt. Eniatollah gehört zum Volksstamm der in Afghanistan verfolgten Hazara. Um ihren Sohn vor einer Verschleppung durch die Taliban zu bewahren, schmuggelt seine Mutter ihn nach Pakistan und lässt ihn dort allein zurück. Ausgestattet mit drei Lebensregeln: Nicht betrügen, nicht stehlen und niemals eine Waffe benutzen, schlägt sich Eniat alleine durch. Er arbeitet als Kindersklave für Onkel Rahin und als Verkäufer auf dem Bazar. In der Hoffnung auf ein besseres Leben im Iran vertraut er sich Schleppern an, schuftet auf dem Bau, wird mehrmals von der Polizei abgeschoben. Nach einer lebensgefährlichen Reise durch die Türkei überlebt er unvorstellbare Torturen in den Bergen, gelangt irgendwann nach Griechenland und schließlich nach Italien. Dort beginnt in einer Pflegefamilie sein zweites Leben als anerkannter politisch verfolgter Flüchtling. Das neue Leben eröffnet ihm Bildungschancen und nicht zuletzt die Möglichkeit, nach all den Jahren endlich seine Mutter aufzuspüren.
Dieser in der Erzähltechnik des reflektierenden Dialogs zwischen dem italienischen Autor und Eniat geschriebene Roman ist allen Leserinnen ans Herz gelegt.
Bettina Rehbein (www.eliport.de)
Kureyshi, Meral: Elefanten im Garten
Roman. Zürich: Limmat 2015. 140 S., 20 cm
ISBN 978-3-85791-784-4, geb.: 26,00 €
Ein Flüchtlingsroman von großer Tiefe und ungemeiner Gegenwärtigkeit. In der aktuellen politischen Situation ein geradezu brisanter Roman mit der Thematik „Flüchtlinge“. Als Kind ist die Protagonistin mit ihren Eltern aus dem Kosovo in die Schweiz emigriert. Das neue Leben gestaltete sich schwierig. Warum sie kein Deutsch lernte? Weil sie so die Abwertungen und Beleidigungen der Mitschüler nicht verstehen konnte. Politisch korrekt wandte man sich ihr zu. Spielte ihr Freundlichkeit und Zuneigung vor und schloss sie radikal aus. Als ihr Vater starb, verlor sie den Halt und trudelte durch ihr Leben. Sie suchte in den Orten ihrer Kindheit Halt und fand ihn nicht.
In vielen kleinen Szenen beschreibt Kureyshi, wie sich das Leben in einem fremden Land gestaltet. Und sie lässt uns Anteil haben an dem Versuch, das eigene Leben unter den gegebenen Umständen zu gestalten. Mit allem Gelingen und Scheitern.
Ein feiner kleiner Roman, der unter die Haut geht und sensibilisiert. Gegenwärtig für jede erdenkliche Gelegenheit in der Gemeinde zu nutzen. In kleinen Auszügen vorzulesen oder als Ganzschrift zu besprechen.
Dirk Purz (www.eliport.de)
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