Rhythmus und Tanz gehören zum menschlichen Leben. Unser Herzschlag, unsere Atmung, Wachen und Schlafen, der Zyklus der Frauen – alles unterliegt einem bestimmten Rhythmus. Wird dieser natürliche Rhythmus gestört, können wir krank werden.
Zum Rhythmus des Lebens kommt das Phänomen Musik hinzu. Musik, Klänge wirken auf Menschen bereits im Mutterleib und beeinflussen sie ein Leben lang. Das Gefühl für Rhythmus und Musik ist tiefer verankert als die Sprache, darum kann man auch schwer demenziell erkrankte Menschen am längsten mit Musik erreichen. Musik kann beruhigen, kann aufpeitschen, kann trösten, kann euphorisieren. Musik und Rhythmus können ablenken von körperlichen Beschwerden. Sie bewirken, dass Sorgen und Probleme leichter zu ertragen sind.
Da wir Rhythmus und ein Gespür für Musik in uns haben, ist es nicht erstaunlich, dass wir diesem Empfinden Ausdruck verleihen möchten, indem wir uns rhythmisch bewegen. Kinder, denen noch keine Hemmungen anerzogen worden sind, tun das ganz spontan und natürlich. Erwachsene wippen beim Hören von rhythmischer Musik (Tanzmusik) lieber erst einmal mit dem Fuß und überlegen, ob es angebracht ist, auch den ganzen Körper mitzubewegen, ob andere das auch tun und ob man sich eventuell gemeinsam bewegen könnte. Ältere Menschen, vor allem Frauen, glauben oft, dass Tanzen nur etwas für junge Leute sei: Das tut man nicht im Alter – das gehört sich nicht! Hinzu kommt, dass Tanzen für uns gewöhnlich verbunden ist mit „Tanzstunde“, mit Festen – und auf jeden Fall an einen Partner gebunden.
Es sollte uns aufhorchen lassen, dass MedizinerInnen in wissenschaftlichen Versuchsreihen festgestellt haben, dass Tanzen, vor allem bei Älteren, die gesündeste Form ist, sich sportlich zu betätigen. Tanzen hat allen anderen Sportarten die Vielseitigkeit voraus. Bei der körperlichen Bewegung, die durch Musik rhythmisch gelenkt wird, werden Kreislauf sowie Herz- und Atemtätigkeit angeregt, außerdem wird die Beweglichkeit der Gelenke und die Muskeltätigkeit verbessert. Auch die Hirnleistung ist beim Tanzen aktiviert. So werden Konzentration, Reaktion, Koordination, Gleichgewichtssinn, Merk- und Denkfähigkeit und der Orientierungssinn gefördert.
Aber das Tanzen hat nicht nur Einfluss auf das körperliche und geistige Wohlbefinden des Menschen. Wichtig ist auch die soziale Komponente. Gerade ältere Menschen sind leicht in Gefahr, sich zurückzuziehen, viel allein zu sein, sich eventuell körperlich und seelisch zu vernachlässigen, wenn kein Partner mehr da ist oder die Familie nicht ständig angesprochen werden kann. Was tun aber Frauen, die keinen Tanzpartner haben? Was kann man bei der Frauenhilfe tun, um die kirchlichen Frauengruppen an diesem gesunden, fröhlichen Gemeinschaftserlebnis teilhaben zu lassen?
Hier gibt es das gesellige Tanzen, das heißt: Es wird in einer Gruppe getanzt, ohne festen Partner, jede/r tanzt mit jeder/m, Frauen und Männer können allein kommen, es gibt keine Führungsrolle wie im Gesellschaftstanz, ein vorgegebener Tanzfigurenablauf bewirkt einen ständigen PartnerInnenwechsel untereinander, so dass Kontakt zu allen Gruppenmitgliedern entsteht. Es wird in Kreisen, in Reihen, in Blöcken getanzt oder in Gassen: Kontratänze – alte und neue aus England, Deutschland, Frankreich, den USA – sowie Squares mit acht Personen im Karree. Die Musik kommt aus der internationalen Folklore, dem meditativen Tanz und dem Gesellschaftstanz.
Beim Gruppentanzen werden Menschen aus der Isolation herausgeholt. Die Damen machen sich chic für die Stunde. Man hat Kontakt zu allen, gibt sich ständig die Hände beim Weitertanzen, es gibt keine Grüppchenbildung, kein Ausgrenzen, da jede/r mit jeder/jedem in Beziehung steht. Ein Gruppentanz kann nur dann gelingen, wenn alle ihren Teil einbringen. So werden die Schwächeren mitgetragen, es muss Rücksicht genommen werden. Jede/r ist für das Ganze mit verantwortlich und kann sich nicht ausklinken. „Man kennt sich“ im Laufe der Zeit, und jede/r lernt zu helfen, sich eventuell zurückzunehmen oder auszugleichen. Und wenn dann ein Tanz gelungen ist, gibt es jedes Mal eine gemeinsame Freude und ein Erfolgserlebnis für jede/n einzelne/n. Diese Tanzform ist vor über dreißig Jahren für SeniorInnen entwickelt worden. Aber gerade weil sie unabhängig von der Notwendigkeit eines tanzbegeisterten Partners macht, wird sie auch bei Jüngeren immer beliebter.
„Seniorentanz“ wurde erdacht und ausprobiert von einer Tanzleiterin, die beruflich als Lehrerin zunächst nur mit Kindern und Jugendlichen getanzt hatte, und später in der Volkshochschule mit 30 – 50Jährigen tanzte. Die Idee, auch mit älteren Menschen in einer Gruppe zu tanzen, war so begeisternd, dass sich schnell Interessierte fanden, die viele unterschiedliche Tänze so umgestalteten, dass die Sprünge und Hüpfer, die Stampfer und die schnellen wirbelnden Drehungen wegfielen, die Ältere nicht mehr tanzen sollten. Zielgruppengerechtes Tanzen wurde Motto. Über viele Jahre sind einfache und anspruchsvolle Tänze zusammengetragen worden und ermöglichen heute ein breites Angebots-Spektrum. Der Bundesverband Seniorentanz e.V. bietet für alle Altersgruppen, für tanzerfahrene und unerfahrenere Teilnehmer/innen sowie für bewegungseingeschränkte Menschen reichlich Material an.
Im Mittelpunkt des geselligen Tanzens stehen nicht Einzelleistung und Selbstverwirklichung, sondern die Freude an der Bewegung nach Musik in einer Gemeinschaft. Hier lässt die Freude die Anstrengung dabei vergessen. Weil diese Form der Bewegung den ganzen Menschen erreicht, kann man von einer ganzheitlichen Gesundheitsvorsorge sprechen. Regelmäßige Teilnahme an SeniorInnen-Tanzstunden wurde deshalb von vielen Krankenkassen in das Bonusprogramm aufgenommen.
Viele solcher Tanz-Gruppen gibt es jetzt schon in Kirchengemeinden, andere treffen sich in Einrichtungen der Erwachsenenbildung bei den Wohlfahrtsverbänden, bei der Volkssolidarität oder auch in Sportvereinen. Getanzt wird auch in Alten- und Pflegeheimen, hier vor allem im Sitzen. Tanzen im Sitzen ist eine eigene Disziplin, einmal konzipiert für Menschen mit Bewegungseinschränkungen, aber auch für fitte Gruppen zum Training von Konzentration, Koordination und Ausdauer.
Es liegt im Interesse einer Institution wie der Kirche, Frauen durch geselliges Tanzen an sich zu binden, denn damit wird etwas für das Wohlbefinden und die Gesundheit derer getan, die sich mit viel Engagement und oft bis ins hohe Alter für die Gemeinden einsetzen. Vor allem aber wird den Frauen Lebensfreude, Lebensmut, Bestätigung, körperliche, geistige und soziale Unterstützung um ihrer selbst willen gegeben.
Erfahrungsgemäß gibt es in Frauengruppen, wenn Musik und Tanz richtig ausgewählt sind, keine Widerstände oder Schwellenängste. Bei Männern ist das etwas anderes. Beginnen Sie das Tanzen in kleinen Schritten. Eine normales Treffen z.B. könnte mit einem Abschlusstanz beendet werden, der zum Thema oder zur Jahreszeit passt. Wenn das Spaß gemacht hat, sollte das nächste Treffen schon einmal mit einem Tanz beginnen und mit dem aus der vorigen Stunde schließen.
Eine weitere Stunde ließe sich unter das Thema stellen: „Tanzstunde in meiner Jugendzeit“. Hierfür sollten Sie verschiedene Tanzmusiken aus dem Gesellschaftstanz dabei haben. Es bietet sich dann an, einen Wiener Walzer, Foxtrott, Tango usw. in geselliger Form zu tanzen. Neben den Tänzen auf der Fläche gibt es zu diesem Thema fröhliche Tänze im Sitzen, die mit bunten Tüchern oder Rhythmusinstrumenten getanzt werden können.
Folgende Frage-Anreize fördern ein lebendiges Gespräch: Haben Sie eine Tanzstunde besucht? Wo haben Sie getanzt? Was haben Sie getanzt? Wie ging es in der Tanzstunde zu? Wie sah Ihr Abschlussballkleid aus? Welche Schuhe trugen Sie? Gab es Tanzkarten? Gesammelte Bilder aus Zeitschriften und Prospekten können helfen, die Gespräche zu vertiefen.
Außer der biographischen Arbeit im Gespräch können Sie gezielt Gedächtnistraining einbauen. Dies geht zum Beispiel über
Bildung von Wortreihen: Tanzstunde – Stundenglas – Glasteller…
Suche nach zusammengesetzten Wörtern: Tanzstunde, Tanzschuhe, Tanzfläche…
Erstellen eines Anagramms mit Wörtern, die mit Tanzen zu tun haben: TANZSTUNDE – Tango, Anfangsfuß, Note, Zählzeit… (oder auch: Tollpatsch, Nebenbuhler, Eifersucht…)
Erinnern (und gemeinsames Singen) von Volksliedern, die Tanzen zum Thema haben wie: Heißa Kathreinerle; Zum Tanze, da geht ein Mädel; Beim Kronenwirt, da ist heut Jubel und Tanz; Widele, wedele hinter dem Städele…
Natürlich können Sie auch Texte für Einführungen oder als Gesprächsgrundlage verwenden, z.B.: Märchen (Die zertanzten Schuhe: Brüder Grimm) oder „Marinetta tanzt Ballett“ (Elaine Mills, Edition Riesenrad) oder das folgende Fabelgedicht des Kriminal- und Konsistorialrats von Halberstadt, Gottfried Magnus Lichtwer:
Endlich tanzen alle Katzen,
poltern, lärmen, dass es kracht,
zischen, heulen, sprudeln, kratzen,
bis der Herr im Haus erwacht.
Dieser springt mit einem Prügel
In dem finstern Saal herum,
schlägt um sich, zerstört den Spiegel,
wirft ein Dutzend Schalen um.
Stolpert über ein'ge Späne,
stürzt im Fallen auf die Uhr
und zerbricht zwo Reihen Zähne:
Blinder Eifer schadet nur.
Um Tänze sinnvoll auswählen und mit einer Gruppe fröhlich tanzen zu können, erscheint es mir notwendig, selbst in einer Tanzgruppe mitgetanzt zu haben. Tanzen in der Gruppe muss man erleben, um davon überzeugt sein zu können! Es empfiehlt sich außerdem, einen Lehrgang zu besuchen, um mit den einfachsten musikalischen Grundlagen wie dem Lesen einer Tanzbeschreibung sowie den verschiedenen Formen von Tanzanleitungen vertraut zu werden und ein angemessenes Repertoire an Tänzen zu beherrschen. Wenn Sie noch keine Erfahrungen mit Seniorentanz haben, empfiehlt es sich, eine Tanzleiterin des Bundesverbandes Seniorentanz einzuladen, die so eine Gruppenstunde durchführt. Wenn bei Ihnen und in Ihrer Gruppe „der Funke überspringt“, können Sie sich an die unten angegebene Adresse wenden.
Für diejenigen, die schon Erfahrung mit Seniorentanz haben, möchte ich zwei Beispiele geben:
Die Tanzbeschreibung ist zum besseren Verständnis für Neulinge in der Tanzschrift verändert.
Musik:
beliebiger Langsamer Walzer mit durchgehend 8-taktigen Abschnitten
Aufstellung:
paarweise auf der Kreislinie,
einander gegenüber,
eine Dame Front iTr,
die andere Dame Front gTr,
Zweihandfassung,
eine Dame beginnt mit rechtem Fuß vorwärts,
die zweite Dame beginnt mit linkem Fuß rückwärts
Takt:
1-2 2 Dreierschritte iTr (in Tanzrichtung = gegen den Uhrzeigersinn)
3-4 mit 2 Dreierschritten gemeinsam 1/2 Drehung im Uhrzeigersinn
5-6 2 Dreierschritte iTr
Handfassung lösen
Partnerwechsel:
7-8 mit 2 Dreierschritten einzeln drehen:
wer mit dem rechten Fuß beginnt: 1/2 Rechts-Drehung;
wer mit dem linken Fuß dran ist: 1/2 Links-Drehung
Wenn kein Musikrekorder zur Hand ist, können Sie natürlich auch bekannte Volkslieder singen und dazu tanzen.
Aufstellung:
paarweise nebeneinander im Kreis durchgefasst, rechter Fuß beginnt
4 Schritte in den Kreis
Horch, was kommt von draußen rein,
2 Nachstellschritte nach rechts
hollahi, hollaho
4 Schritte rückwärts
Wird wohl mein Feinsliebchen sein,
2 Nachstellschritte nach rechts
hollahiaho
paarweise nebeneinander auf der Kreisbahn
8 Schritte vorwärts
Geht vorbei und schaut nicht rein?
zueinander wenden
4 Schritte rückwärts auseinander
hollahi
4 Schritte schräg rechts
hollaho
zur neuen Partnerin
8 Schritte Handtour mit der neuen Partnerin
Wird's wohl nicht gewesen sein.
4 Schritte vorwärts zum Kreis schließen
hollahiaho
2. Leute haben's oft gesagt,
hollahi, hollaho,
dass ich ein Feinsliebchen hab,
hollahiaho.
Lass sie reden, schweig fein still,
hollahi, hollaho
Kann ja lieben wen ich will,
hollahiaho!
3. Wenn mein Liebchen Hochzeit hat, hollahi, hollaho,
ist für mich ein Trauertag,
hollahiaho.
Geh' ich in mein Kämmerlein,
hollahi, hollaho,
trage meinen Schmerz allein,
hollahiaho!
Die Beschreibung des Tanzes „Horch, was kommt von draußen rein“ ist von Heide Quandt. Die Abdruckrechte beider Tanz-Beschreibungen liegen beim Bundesverband Seniorentanz e.V.
Heide Quandt, Jg. 1941, hat nach ihrer Familienphase mit dem Seniorentanz ein neues, wunderbares Aufgabenfeld gefunden. Sie leitet eine mobile Tanzgruppe und geht in ein Altenheim, um die BewohnerInnen mit Tanzen im Sitzen zu erfreuen und zu aktivieren. Als Referentin des Bundesverbands Seniorentanz e.V. bildet sie TanzleiterInnen aus und ist als stellvertretende Bundesvorsitzende in der Verbandsarbeit tätig.
Kontakt
Bundesverband Seniorentanz e.V.
Insterburger Str. 25
28207 Bremen
Tel: 0421-441180
Fax: 0421-4986217
Email: Verband@seniorentanz.de
Internet: www.seniorentanz.de
Die letzte Ausgabe der leicht&SINN zum
Thema „Bauen“ ist Mitte April 2024
erschienen. Der Abschluss eines Abonnements
ist aus diesem Grund nicht mehr möglich.
Leicht&Sinn - Evangelisches Zentrum Frauen und Männer gGmbH i. L. | AGBs | Impressum | Datenschutz | Cookie-Einstellungen | Kontakt
Wenn Sie noch kein Passwort haben, klicken Sie bitte hier auf Registrierung (Erstanmeldung).