Ausgabe 2 / 2016 Editorial von Margot Papenheim

Liebe und andere Beziehungskisten

Von Margot Papenheim

Mögen Sie es eigentlich, das Wort „Beziehung“? Ich nicht. Ich finde es klang- und charakterlos, nichts sagend. Lieblos, leblos, nicht Fisch noch Fleisch, weder heiß noch kalt. Erbarmungslos neutral.

Im Grunde ist das Wort Beziehung nur eine grob gezimmerte, unbehandelte, schmucklose Kiste, offen für beliebige Inhalte. Beispielsweise für Beziehungen „zwischen“: zwischen Staaten und zwischen gesellschaftlichen Gruppen wie zwischen den Sinus- und Kosinusfun­ktionswerten desselben Winkels und zwischen Geschichte und Gegenwart. Zwischen Menschen natürlich auch. Denn Menschen, meinte Antoine de Saint-Exupéry, seien im Wesentlichen ja „nichts als Bündel von Beziehungen“. Liebe, Hass und Konkurrenz, Leidenschaft oder Korruption, Nachbarschaft und Abhängigkeit, Verwandtschaft, Augenhöhe oder Hierarchie, Geld und/oder Gefühl – die menschliche Beziehungskiste birgt, was das Herz begehrt.

Und fürchtet. So sehr fürchtet, dass die eine oder der andere sich da lieber ganz raushält. Friedrich Hölderlin war einer, der sich da schon lieber in totaler, existenzieller Beziehungslosigkeit sah. „Ich fühl in mir ein Leben, das kein Gott geschaffen und kein Sterblicher gezeugt. Ich glaube, dass wir durch uns selber sind, und nur aus freier Lust so innig mit dem All verbunden.“ Ob solche Gedanken wohl mit dazu beitrugen, ihn für „wahnsinnig“ zu erklären? Ohne vom psychiatrischen Fach zu sein, erscheint es mir da doch richtiger und allemal gesünder, sich der Beziehungskiste etwas weniger apodiktisch zu nähern. „Das Ziel des Lebens ist Selbstbestimmung, seine innere Struktur Zughörigkeit“, schreibt der Mediziner Michael Depner auf seiner Internetseite seele-und-gesundheit.de, und dass diese beiden Motive die Menschheit in Atem halten. Denn: „Wie muss ich sein, damit ich dazugehöre? Was darf ich tun, ohne mir untreu zu sein?“ Das seien die beiden Fragen, die bei allem, was wir gemeinsam mit anderen machen, zugleich im Raum stünden.

Ja, das Wort Beziehung ist zum Vergessen. Ganz wunderbar aber ist das pralle Leben, das uns entgegenfliegt, wenn wir die Kiste öffnen. Mögen Sie?

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