Ausgabe 2 / 2016 Material von Simone Kluge

Liebeskummer lohnt sich nicht?

Verborgenes entdecken und umarmen

Von Simone Kluge

Liebeskummer lohne sich durchaus, behauptet Thomas Trobe, der zusammen mit seiner Frau ein „Learning Love Institute“ gegründet hat. Schwer zu glauben. Denn nichts schmerzt doch mehr als eine enttäuschte oder verlorene Liebe.

Wie ich selbst auch wagen es die meisten Menschen immer wieder, sich auf (Liebes-) Beziehungen einzulassen. Das heißt – wage ich es wirklich? Lasse ich einen anderen Menschen so nah an mich heran, dass ich mit meinen Ängsten in Berührung komme? Oder bleibe ich hübsch auf meiner sicheren Insel, damit mich der oder die andere nur ja nicht verletzt? Trobe schreibt, dass die meisten von uns Strategien entwickelt haben, um sich zu schützen, und dass wir diese Strategien auch in unseren Beziehungen anwenden, um nicht mit Unliebsamem konfrontiert zu werden. Wende ich Strategien an? 1

Strategien gegen die Angst

Trobe beschreibt einige davon. Und tatsächlich: Ja, auch ich habe schon den „Hammer“ aus Forderung und Vorwurf benutzt. Sätze wie „Würdest du mich lieben, du würdest …“. Denn das Innere Kind meint, dass der oder die andere verpflichtet ist, die eigenen Bedürfnisse zu erfüllen: „Du musst doch für mich da sein.“ Sehr beliebt ist auch die „Hakenstrategie“. Schmollen und Rückzug gehören dazu, aber auch Großzügigkeit und Schmeicheln. Es lässt sich mit vielem verführen, mit Geld, Liebe, Sex, Intelligenz, Kraft. Dass es hier um Macht und Einfluss, genauer: Beeinflussung geht, spürt der oder die andere oft an einem Unwohlsein, ohne den Grund dafür klar benennen zu können. Der „Haken“ kommt oft in unschuldigem Gewand daher.

Anders ist es mit dem „Messer“. Wir ­stecken Demütigungen und Verletzungen ein – unfähig, sie zurückzuweisen oder unsere Betroffenheit auszudrücken. Stattdessen lassen wir zu, dass sich der Ärger in uns hineinfrisst. Auf unsere Weise versuchen wir die „Rechnung“ zu begleichen. Sarkasmus gehört dazu, den anderen zu demütigen oder sich zur Strafe zurückzuziehen. Oder wir üben heimlich Rache, indem wir etwas tun, von dem wir wissen, dass es die oder den an­deren verletzt, wenn er oder sie es herausfindet. Und dann die „Bettelschale“ und die „umgekehrte Bettelschale“: statt Intimität entsteht ein zermürbender Wechsel aus Anziehung und Abstoßung. Haben Sie so etwas auch schon erlebt oder bei Paaren beobachtet?

Impuls zum Austausch: Es geht nicht mit ihr/ihm, aber auch nicht ohne. Kennen Sie das?

Schutzschilder

Thomas Trobe bleibt nicht beim Aufdecken negativer Verhaltensmuster stehen, er hilft auch zu verstehen, warum wir sie entwickelt haben. Und er ermutigt dazu, eigenen Schwächen und Strategien verständnis- und liebevoll zu begegnen. Dazu hat er eine „Landkarte“ für den Weg von der Angst zur Meditation entwickelt. Sie besteht aus drei ­ineinander liegenden Kreisen. Den äußeren bezeichnet er als Schutzschicht, in der zu leben sicher, bekannt und vertraut ist. Es folgt die „Schicht der Verletzlichkeit“. Wagen wir uns in den Kreis unserer Empfindsamkeit und Gefühle hinein, tauchen Erinnerungen an frühere Zeiten auf, und ein Teil unserer Persönlichkeit versucht alles, was in seiner Macht steht, um uns in der äußeren Schicht festzuhalten. Doch „wenn wir noch einmal die Ängste und Schmerzen erleben, die unser Inneres Kind erfuhr, können wir die Kontrolle aufgeben und gelangen an unser Herz, in dem sich wieder Liebe und Mitgefühl ausbreiten.“ Zugleich bringt uns die Erforschung der mittleren Schicht „mit einer spirituellen Sehnsucht in Kontakt, die kein anderer Mensch jemals erfüllen kann.“ Das leuchtet mir ein: Die mittlere Schicht bringt mich zwar mit meinen Verletzungen in Kontakt, aber eben auch mit dem Reichtum meines Gefühlserlebens, und weist mich so auf meine wahren Bedürfnisse hin. Zu diesen gehört neben der Zugehörigkeit und Nähe zu (einem) anderen Menschen, auch das Bedürfnis, spirituell beheimatet zu sein.

Trobe leitet dazu an, sich zunächst der eigenen Schutzschicht zu nähern, sie genau zu betrachten, sie erst einmal zu akzeptieren. Denn „nur wirkliche Akzeptanz kann bewirken, dass sich die Schutzschicht nach und nach auflöst.“ Vielleicht denken wir, dass wir sie brauchen angesichts der Erfahrung von Anfeindung und Gefährdung? Hier macht Trobe Mut zum ersten Schritt: „Die meisten Konflikte, die wir mit anderen haben, rühren daher, dass die Schutzschilder zweier Menschen aufeinander treffen. Oft werden wir zurückgewiesen, weil wir uns einem anderen nicht mit Sensibilität, sondern hinter unserem Schutzschild nähern. Wir glauben, offen und zugänglich zu sein, aber in Wahrheit verschanzen wir uns hinter einem Schutzwall und warten darauf, dass sich der andere öffnet, bevor wir es tun.“ Trobe weiß aus eigener Erfahrung: „Stellen wir uns unseren Ängsten nicht, dann dringen sie durch Reaktion und Forderungen nach außen. Wir agieren die Angst aus, statt sie zu fühlen. Um der inneren Panik zu entgehen, richtet das Innere Kind seine Energie ganz nach außen, wo es seine Bedürfnisse um jeden Preis erfüllen will. Damit dies gelingt, erfand es Strategien der Manipulation, der Kontrolle, des Forderns oder was sonst am besten zu diesem Zweck geeignet ist.“ Aber, so Trobe: „Erst wenn wir ein Bewusstsein darüber entwickelt haben, wann und wie wir sie [unsere Strategien] einsetzen, können wir uns im Kontakt mit anderen genährt fühlen.“

Grenzen akzeptieren

Der erste Schritt dahin ist: damit auf­hören, das „Außen“ als Quelle unseres Glücks oder Unglücks anzusehen. Es gilt zu akzeptieren, dass die andere Person nicht dazu verpflichtet ist, meine Erwartungen zu erfüllen. Für ein vertrauensvolles Miteinander ist es notwendig, dass wir unseren eigenen Raum und unsere Grenzen respektieren, das aber auch der oder dem anderen zugestehen. Wie gehen wir mit unseren eigenen Begrenztheiten um? Möglicherweise erlaubt uns erst ein im geschützten Rahmen immer ­wieder eingeübtes „Nein“ und die Erfahrung, dass dieses gehört und akzeptiert wird, überhaupt wahrzunehmen, was für Empfindlichkeiten und Befindlichkeiten hinter unserem Schutzschild verborgen liegen.

Übung: Grenzen setzen

In einem freien Raum stehen sich Personen paarweise gegenüber. Die Personen auf der einen Seite beginnen mit dem Grenzen-Setzen, die anderen da­mit sich zu nähern. Person Eins bestimmt, wie weit sich die andere nähern darf, und zeigt mit erhobenen Händen an, wo sie halten soll. Erst wenn die Einladung zum Weitergehen erfolgt, setzt sie sich wieder in Bewegung. – Die Übung kann auch so gehen, dass eine einzelne Person einer Gruppe ge­genüber steht. Hier kann auch ein lautes „Stopp!“ ausdrücken, dass die Gruppe anhalten soll. Jede bestimmt selbst, wie viel Annäherung sie zulassen möchte, und erfährt so, dass Grenzen gesehen und akzeptiert werden.

Eigene Bedürfnisse ernstnehmen

Gegenseitiges Verständnis, Respekt und Intimität wachsen, wenn wir dies lernen: Vertrauen zu uns selbst fassen, Ängste wahrnehmen, dahinter liegende Bedürfnisse erkennen – und dann mutig die Bedürfnisse formulieren und auch leben. Um uns selbst in der eigenen Bedürftigkeit anzunehmen, kann es helfen zu wissen, dass Ängste zum Menschsein dazu gehören, zum Beispiel die Angst, verlassen oder vereinnahmt zu werden. Mir hilft dabei, wenn andere ihre Ängste eingestehen und von ihren Irrwegen und Lernerfahrungen berichten. Das hilft mir, die Scham und damit auch Sprachlosigkeit zu über­winden. Es hilft, um nicht in Schuldzuweisungen stecken zu bleiben, sondern konstruktiv mit dem, was nun einmal ist, umzugehen.

Austausch: Kennen Sie die Angst davor, einen Menschen zu verlieren?
Gibt es Menschen, bei denen Sie sich vereinnahmt fühlen? Gibt es Verhaltensweisen, die Sie entwickelt haben, um dem zu entgehen? Oder haben Sie Wege gefunden, um die eigenen Gefühle auszusprechen?

Verständnis entwickeln

Verständnis für meine eigenen Bedürfnisse entwickeln, aber auch für die des oder der anderen: Schön, denke ich. Doch was, wenn die Bedürfnisse einander widersprechen? Wenn der eine Nähe sucht, ein großes Bedürfnis nach Hingabe und Verschmelzung hat, und die andere nach Freiheit und Unabhängigkeit strebt?

Trobe berichtet: „Alle meine Liebesbeziehungen waren von einem ähnlichen Verhaltensmuster geprägt, einer Art Phobie, dass mich der andere ersticken würde, falls er mir zu nahe käme. Alle Frauen, mit denen ich längere Beziehungen hatte, beklagten sich über die gleichen Dinge. Sie fühlten sich zu mir hingezogen und bewunderten meine Intelligenz, meine Unabhängigkeit […]. Auf der anderen Seite fanden sie mich zu strukturiert, zu rigide, gefühlsmäßig nicht erreichbar und hatten das Gefühl, sie ständen auf meiner Prioritätenliste an letzter Stelle. […] Ich sehnte mich nach der wahren Beziehung, aber wenn ich mir aus meiner isolierten Position heraus die Frauen anschaute, die ihr Herz mit mir teilen wollte, sah ich vor allem emotionale Abhängigkeit, Kon­trolle und Manipulation. Ich hatte das Gefühl, total beherrscht zu werden, wenn ich mich öffnete.“ Aus eigener ­Erfahrung weiß er: „Es wird uns nicht gelingen, das Dilemma durch Analyse zu beseitigen […]. Jeder hat eine anti-abhängige und eine abhängige Seite in sich. Vielleicht merken wir dies in verschiedenen Beziehungen oder in ein- und derselben. Früher oder später müssen wir uns beiden Seiten der Co-Abhängigkeit stellen, der Angst vor dem Alleinsein und der Angst vor der Intimität.“ Und ich ergänze im Stillen: Jede und jeder hat in sich das Bedürfnis nach Nähe und Gemeinschaft, kennt aber auch den Wunsch nach Individualität und Eigenständigkeit und individuellem Wachstum.

Zudem können Bedürfnisse sich im Laufe des Lebens auch verändern. Vielleicht entdecke ich plötzlich mein Bedürfnis nach Hingabe, nach Verschmelzung. Oder ich werde mir umgekehrt nach vielen Jahren meines Bedürfnisses nach Freiheit, Unabhängigkeit und kreativer Entfaltung bewusst. Gestehe ich mir und meinem Partner / meiner Partnerin solche Veränderungen oder Entdeckungen zu? Wenn uns bewusst ist, dass wir auch „das andere“ Bedürfnis in uns tragen, vielleicht gelingt es ja dann, die eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen und zugleich Verständnis für die Bedürf­nisse des oder der anderen zu haben und zu signalisieren?

Rollenspiel „Robert und Susanne“
Lesen Sie in Kleingruppen zunächst das Fallbeispiel. Sprechen Sie dann über die Erwartungen und Gefühle der beiden Beteiligten. Überlegen Sie gemeinsam, wie die beiden zu einer Lösung kommen könnten, und entwickeln ein Rollenspiel zur Lösung des Konfliktes.

Fallbeispiel: Robert steht morgens gern früh auf, um zu joggen. Danach meditiert er. Er hat wenig Zeit für sich selbst und liebt die Ruhe des frühen Morgens, die er für sich braucht, bevor er zur Arbeit geht. Susanne möchte, dass er im Bett bleibt und sie liebt. Sie sieht ihn nicht sehr oft und möchte diese Zeit für den Kontakt mit ihm. Robert fühlt sich jeden Morgen, hin- und hergerissen zwischen einem Schuldgefühl, wenn er joggen geht, und dem Gefühl der Einengung, wenn er bleibt.

Weiträumigkeit erlangen

Solange wir im Zustand der Panik sind, wird es sehr schwer werden, zu Lösungen zu kommen, die für beide Seiten akzeptabel sind, denn unser panisches Inneres Kind akzeptiert keine Grenzen. Trobe empfiehlt den Weg der Meditation, um unser Gegenüber nicht mit überbordenden Erwartungen zu erdrücken. Wobei Meditation für ihn „nicht einfach (heißt), die Augen schließen und nach innen gehen. Meditation heißt vielmehr, in jedem Moment so gegenwärtig wie möglich zu sein und dadurch eine Qualität von tiefer Annahme und Loslassen in das eigene Leben zu bringen.“ Nur so bekommen wir nach seiner Erfahrung „Distanz zu unseren psychischen Traumen. Die Existenzängste, die wir mit uns herumtragen, sind sonst zu groß und überwältigend. Wir müssen zuerst eine innere Weiträumigkeit entwickeln, die nur durch die innere Stille der Meditation entstehen kann. Meditation kann uns mit der Harmonie der Schöpfung wiederverbinden und langsam dazu bringen, loszulassen und wieder zu vertrauen.“

Austausch:
Welche Erfahrung haben Sie mit Meditation und Stille?
Was hilft Ihnen, mit Existenzängsten umzugehen?
Kennen Sie das Gefühl, mit der Harmonie der Schöpfung verbunden zu sein? Wann und wie haben Sie das erlebt?

Abschluss:
Sie können zu einem Moment der Stille einladen, einen Schöpfungsspaziergang machen oder eine ausgleichende Musik hören.

Lied:
Wechselnde Pfade, Schatten und Licht, alles ist Gnade, fürchte dich nicht oder Nada te turbe (Taizé)

Gebet:
Gott, wir danken dir für unser Leben und für die Menschen, die du uns zur Seite gestellt hast.
Lass uns Vertrauen lernen, damit wir unsere Empfindsamkeiten nicht als bedrohlich, sondern als sanft und empfänglich erleben.
Schenke du Verständnis zwischen uns und den Menschen, die uns nahe sind, und eine Liebe, die auf Annahme und Akzeptanz beruht.
Lass uns in dir geborgen sein, damit wir uns selbst und andere nicht überfordern.
Und lass uns darauf vertrauen, dass auch der, die andere in dir geborgen ist.
Manchmal ist es schwer, in unsere Grenzen und in die Grenzen geliebter Menschen einzuwilligen, manchmal begehren wir dagegen auf. Gib, dass wir uns mit ihnen versöhnen und liebevoll und zärtlich mit ihnen umgehen.
Dann wird Veränderung möglich.
Erfülle du uns mit deiner Liebe.
Amen.

Lied: Gott ist nur Liebe, wagt für die Liebe alles zu geben, Gott ist nur Liebe, gebt euch ohne Furcht (Taizé)

Simone Kluge, Mitglied im Redaktionsbeirat der ahzw, ist Referentin für Frauenarbeit bei den Evangelischen Frauen in Mitteldeutschland und stellvertretende Leiterin der Dienststelle. Sie ist ausgebildete Mediatorin und Krisenberaterin auf der Grundlage der klientenzentrierten Gesprächsführung nach C. Rogers

Anmerkung
1) Vgl. hier und für die folgenden Zitate sowie für die Übung „Grenzen setzen“ und das Rollenspiel:
Thomas ­Trobe: Liebeskummer lohnt sich doch.
Aus d. ­Amerik. von Dagmar Schön und Friedhelm Schrodt, Koregaon 2015. Vgl. auch Fritz Riemann: Grund­formen der Angst. Eine tiefenpsychologische Studie, München 362003

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