Ausgabe 2 / 2011 Material von Marietta Peitz

Lilien pflanzen, bevor ich gehe

Von Marietta Peitz


Ge-brechlichkeiten, Zer-brechlichkeiten, Wandlungen der Liebe! Nicht immer gelingt es mir, damit zurechtzukommen. Dieses Auseinanderdriften der Körper im Prozess des Älterwerdens, das Abwehrende, Sich-Zurückholende wie eine Pflanze im Herbst – zuweilen tut es weh, wenn nur noch die Hände verschlafen zueinander finden.

Noch nicht in die Vereinsamung, wohl aber in die Vereinzelung holt die Zeit uns zurück. Ein Leben lang haben wir darum gekämpft, unserem Monadendasein zu entrinnen, ein DU zu werden für ein ICH. Jetzt kehrt der Prozess sich um, die Vorhänge fallen. Sanft fallen sie, doch mit der grausamen Entschiedenheit von Herbstblättern …

Ich müsste Gymnastik machen, meine schlaffen Bauchmuskeln trainieren, die Besenreiser an den Füßen behandeln lassen – ich müsste, ich müsste … gelassen werden. Vielleicht liegt schon Gelassenheit darin, dass man dem Körper sein langes, langsames Abschiednehmen zugesteht, nichts zurückreißen will in eine abgelebte, abgelegte Zeit. Kein „lifting“ der Obstbäume im Herbst! Zurückschneiden, vertrauend auf ihre Kraft.

Was betet ein Christenmensch, der in der Alterspyramide auf der absteigenden Seite ist? Betet er überhaupt? Wehrt er sich nicht vor allem gegen den Abstieg? Versucht, sich jugendlich, lässig zu geben, auch seinem Gott gegenüber? So etwa: Fordere mich noch nicht ein! Da sind Ältere; sie haben ein längeres Leben gelebt! Ich kann einfach noch nicht Rechenschaft ablegen über 56 Jahre Gewinn oder Verlust; noch bin ich mittendrin mit zwei viel zu jungen Kindern und meinem Mitverantwortungsgefühl für die uralte „Neue Welt“. Noch darf ich nicht ausschlafen und die Hände falten. Noch muss ich ihn abwehren, den Tod, weil zu viel Leben nach Leben verlangt. Ausreden?

„Etwas gefällt mir nicht in Ihrer linken Brust, Frau Doktor! Das müssen wir noch einmal untersuchen…“

Tod in uns! Die Sterne grinsen. Ich bete: „Vergib mir, denn ich bin noch lange nicht, die ich sein sollte – DEIN Entwurf Maui.“


Auszüge aus:
Ich sollte Lilien pflanzen ehe ich gehe.
Tagebuch des Älterwerdens
© 1990 by
RADIUS-Verlag GmbH
Stuttgart










































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