Alle Ausgaben / 2004 Editorial von Margot Papenheim

Lust auf Spielen?

Von Margot Papenheim

Noch einmal! jubelten meine Kinder, als sie noch klein waren, wenn mit einem Mordskrach der bunte Klötzchen-Turm einstürzte, den wir gerade mit viel Geschick und Sorgfalt aufgebaut hatten. Noch einmal! Vielleicht lieben wir kleinen und großen Menschen das Spielen vor allem deswegen so sehr, weil es einfacher ist als im wirklichen Leben, die Karten neu zu mischen und von vorne anzufangen? Weil wir beim Spielen einen zweiten und dritten und vierten Versuch haben? Weil es höchstens um Spielgeld geht?

Dabei tun wir beim Spielen keineswegs nur „als ob“. Unsere Gefühle sind ganz stark und echt: der Ärger, wenn mein blaues Püppchen zum dritten Mal kurz vor dem rettenden Ziel herausfliegt, die Schadenfreude, wenn's die Freundin und ihr gelbes Püppchen noch schlimmer erwischt, die tiefe Befriedigung, wenn ich genau die zweimal 6 und einmal 5 würfle, die ich brauche, um es meiner Tochter in der nächsten Runde heimzuzahlen, der vollkommene Triumph, wenn ich – wenigstens einmal an drei Abenden – meine vier „Blauen“ als Erste im Ziel habe, das Mitgefühl, wenn die Spielregeln meinen Sohn zwingen, erst den Bahnhof frei zu machen, der tiefe Frust, wenn ich am Ende doch wieder Letzte bin, obwohl ich alle Vier schon ausgesetzt hatte, während die anderen dachten, auf ihren Würfeln sei die Sechs verschwunden…

„Brot und Spiele“ brauchen wir zum Leben – das wussten die Menschen schon lange, bevor sie „Panem et circenses“ in einen Stein des römischen Colosseums meißelten. Und weil Spiele Grundnahrungsmittel für die Seele sind, konnten (und können) die mit Gewalt Herrschenden sie benutzen, um ihre Untertanen ruhig zu stellen, sie abzulenken von Missständen und Ungerechtigkeiten. Aufmerksamkeit ist also gefragt und Widerstand, wo Spiele und die menschliche Lust am Spiel missbraucht werden, um Gewalt zu verharmlosen. „The games must go on!“ verkündete der Präsident des IOC 1972, als elf Mitglieder der israelischen Olympiamannschaft von einem palästinensischen Terrorkommando ermordet worden waren. Ich habe diese Entscheidung immer für richtig gehalten – bis ich kürzlich las, dass es derselbe Avery Brundage war, der 1936, als Vorsitzender des Nationalen Olympischen Komitees der USA, einen Boykott von Hitlers Propaganda-Olympiade in Berlin verhindert hatte, weil „Sport und Politik nichts miteinander zu tun“ hätten. Als ob Spiele, mit denen sich die ganze Skala menschlicher Gefühle abrufen – und folglich auch manipulieren – lässt, jemals harmlos unpolitisch sein könnten! Nicht umsonst warnt der Volksmund uns vor dem Spiel mit dem Feuer.

Dass Spielen gefährlich sein kann, ändert allerdings nichts daran: Spielen, richtig ernsthaft Spielen ist etwas Wunderbares! Weil wir vollkommen bei der Sache sind, vergeht die Zeit wie im Flug. Aber das ist keine verlorene, keine „verspielte“ Zeit, sondern reich gefüllte, gute Zeit. Dieses Wissen begegnet auch in den beiden Testamenten der Schrift. Nicht nur spielte die Weisheit vor Gott, woran Ilona Eisner erinnert, sondern Gott selbst spielte lust- und liebevoll mit seiner Schöpfung. Sylvia Puchert zeigt auf, welche Spielräume Gott damit auch für uns eröffnet. Dass Jesus uns auffordert zu „werden wie die Kinder“, könnten wir auch als Einladung zum Spielen lesen – meint Janet Berchner. Passend dazu meditiert Stephanie Schütze das Spielen als Lebensform.

Dass der Mensch ein „homo ludens“ ist, die Fähigkeit zum Spielen für Menschen ebenso wesentlich ist wie ihr Denkvermögen, hat Andrea Reidt veranlasst, über Sinn, Zweck und die unbändige Lust des Spielens „an Tisch, Brett und Bildschirm“ nachzudenken. Gisela Matthiae, die neben vielem anderen auch Clownin ist, verlockt dazu, den angelernten Widerstand zu überwinden und es selbst einmal zu probieren. Für „Spiele ohne Grenzen“ mit der ganzen Gemeinde hat Britt Fleischer Vorschläge zusammengestellt, während Gudrun Althausen gezielt zum Spielen mit älteren Frauen anleitet. Ein Spiel, das dabei sicher gut ankäme, hat Waltraud Liekefett mit Frauengruppen bereits ausprobiert: das Memory „Frauen der Geschichte“ (und mehr) können Sie mit etwas Anstrengung und einigem Glück sogar gewinnen – bei unserem biblischen Rätselbaum.

Es soll uns die Freude am Spiel und an schönen Spielen nicht verderben, wenn wir uns neben all den begeisternden Aspekten des Themas von Sabine Harles vor Augen führen lassen: Frauen in der globalisierten Spielzeugproduktion sind oft genug gezwungen, ihre Gesundheit und ihre Menschenwürde auf's Spiel zu setzen. Denn wir sind nicht nur Spielende, wir sind auch Käufer/innen – und können also etwas dagegen tun. In der Verbindung von Politik und Spielen etwas zu tun, damit es Menschen besser geht, ist eine der besonderen Fähigkeiten von Petra Bläss, die Dietlind Steinhöfel deswegen porträtiert hat.

Pünktlich zu den langen Sommertagen und Urlaubsabenden haben wir diese Arbeitshilfe zum Weitergeben für Sie zusammengestellt. Spielen Sie, zuhause und in Ihren Gruppen – egal, ob zum ersten oder wiederholten Mal! Spielen Sie miteinander – mit Hingabe und Leidenschaft! Lassen Sie Ihrer Lust auf Spielen freien Lauf – und stecken Sie andere damit an! Auch, wenn Sie am Ende vielleicht verlieren: Sie werden schöne Stunden miteinander gewonnen haben.

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