Alle Ausgaben / 2012 Artikel von Elisabeth Wienemann

Lust auf Zukunft

Perspektiven kirchlicher Frauenarbeit

Von Elisabeth Wienemann

Die Erfahrung, keine „bleibende Stadt“ zu haben, ist haupt- wie ehrenamtlich Engagierten in der kirchlichen Frauenarbeit seit geraumer Zeit sehr vertraut. Auf der Suche nach Wegweisern in die Zukunft hat ahzw die Soziologin Elisabeth WIenemann befragt.

ahzw: Kirchliche Frauenarbeit konnte sich über Jahrzehnte zu einem hoch qualifizierten „Unternehmen“ auf allen kirchlichen Ebenen entwickeln. Seit einigen Jahren hat sie allerdings mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Rückläufige Kirchensteuermittel und Sparmaßnahmen im Bereich öffentlicher Fördermittel blieben nicht ohne Folgen – der Verlust von Personalstellen für Frauenarbeit ist nur eine davon. Eine andere ist die zunehmende Schwierigkeit, finanzielle Mittel für inhaltliche Arbeit „aufzutreiben“. Hinzu kommt, dass gerade im landeskirchlichen Bereich – teilweise aber auch bei Bundesverbänden – eigenständige Frauenarbeit durch Strukturveränderungen von der Bildoberfläche verschwindet. Oft ist damit auch verbunden, dass das Ehrenamt seinen Ort in der Leitung verliert.

– EW: Viele der beschriebenen Herausforderungen betreffen auch andere Non-Profit-Organisationen wie Gewerkschaften, Parteien und die meisten Sportvereine, die auf ehrenamtliche Unterstützung angewiesen sind. Die Evangelische Kirche ist gleich mehrfach betroffen: Als wertebasierte Institution, die vor allem von der Basis ehrenamtlich getragenen wird und zugleich staatlich alimentierte Kirchenorganisa-tion mit weitgehend hauptamtlicher Struktur. Wechselseitig wirkt sich rückläufiges ehrenamtliches Engagement bei gleichzeitigen Einbrüchen im Bereich der personellen und finanziellen Ressourcen verschärfend aus – für die Frauenverbände tendenziell bis zur existenziellen Bedrohung.

Die Ursachen vor allem in den veränderten Lebensweisen auf der einen und im Rückgang staatlicher Finanzierungs- und Förderbedingungen auf anderen Seite zu suchen, scheint zwar naheliegend, berücksichtigt aber nur einen Ausschnitt der Entwicklung. Die Prozesse in beiden Säulen sind viel enger miteinander verwoben, als dies auf den ersten Blick erscheint. In Anlehnung an Erkenntnisse aus der Organisations- und Stressforschung lassen sich auch andere Perspektiven einnehmen.

Hat nicht schon in den Jahren mit zunehmendem Ausbau der hauptamtlichen Strukturen eine allmähliche Zurückdrängung des ehrenamtlichen Bereichs stattgefunden? Je ausdifferenzierter die Hauptamtlichen-Strukturen wurden, umso professioneller konnten sie die kirchlichen Aufgaben gestalten. Je komplexer diese wurden, umso mehr Knowhow und Kontinuität wurden notwendig, um sie angemessen zu steuern, auszugestalten und in der Öffentlichkeit zu vertreten. Das Zurückdrängen der Ehrenamtlichkeit war zum Teil also sachlich begründet und für eine Optimierung der Aufgabenwahrnehmung durch die Kirchenorganisation funktional. Diese Entwicklung hat aber zwangsläufig auch zu Bedeutungs- und Sinnverlusten für die Beteiligung auf der Ehrenamtsseite geführt, wenn nicht sogar auch zu Entwertungen.

Wenn man weiß, dass Sinnhaftigkeit, Anerkennung und Beteiligungsmöglichkeiten zentrale Motivatoren für ein Engagement in der Arbeit sind – das gilt für die bezahlte Arbeit wie für die unbezahlte – dann sind dem Ehrenamt auf diesem Wege auch wichtige Attraktoren verloren gegangen, ohne dass von hauptamtlicher Seite oder der institutionalisierten Kirche ausreichend Kompensationen geboten worden wären. Folgt man dem aus der Stressforschung bekannten Konzept der „Gratifikationskrise“, dann ist hier auch eine Quelle für Erschöpfung, Rückzug oder Zynismus zu finden, weil die Balance zwischen Verausgabung und Ertrag mittelfristig nicht mehr herstellbar erscheint.

Das Interesse an der Sache aufrecht zu erhalten und die Basis ausreichend einzubinden und zugleich eine effektive Steuerung zu gewährleisten, macht das Management von sinnorientierten Organisationen besonders anspruchsvoll. Auf dem Weg, den bisherigen Trend zu unterbrechen, wird man neue Kooperations- und Beteiligungsformen entwickeln müssen. Es wird notwendig sein, eine Wertschätzungs- und Anerkennungskultur mit entsprechenden Feedback-Routinen entstehen zu lassen, die differenzierter auf die unterschiedlichen Potenziale und Ressourcen Bezug nimmt. Und nicht zuletzt sind Erfahrungen von gemeinsamen oder individuellen Erfolgen zu kommunizieren und zu feiern, um die eigene Handlungsfähigkeit auch in krisenhaften Zeiten erfahrbar zu machen. Denn nichts ist energie- und motivationszehrender, als sich selbst und seine Organisation als nicht handlungswirksam oder sogar handlungsunfähig zu erleben.

Wohl wahr! Und doch ist verbreitet Realität eine steigende Arbeitsbelastung der haupt- wie ehrenamtlich „Verbliebenen“. Unübersehbar steigt manchenorts der Frustpegel und droht Ermüdung bis hin zur Resignation angesichts des ständigen Kampfes gegen Windmühlen.

– Wenn sich Menschen als nicht mehr wirksam in ihrem Handeln erleben, wenn alle eingesetzte Energie und Anstrengung nicht ausreicht, um Erfolge zu erleben, wenn zugleich die Angst steigt, dass die eigene Position, die für wichtig erachtete Aufgabe in Frage gestellt wird oder sogar die Stelle gefährdet ist, dann steigt auf der persönlichen Seite der Stress. Befindens-Störungen nehmen zu und schließlich drohen auch Krankheiten. Für die Organisation bedeutet es kurzfristig weitere Motivations- und Ressourcenverluste, bis Aufgaben nur noch so reduziert wahrgenommen werden können, dass sich die Frage nach der Existenzberechtigung der Institution stellt. Letzteres stellt sich für die Kirche insgesamt zwar nicht als realistische Gefahr, doch droht längerfristig ein Verlust an Glaubwürdigkeit, der die Tendenz zum Mitgliederverlust verschärfen kann.

Als wenn es nicht auch so schon genug Probleme gäbe, nagt an der Motivation bei Haupt- wie Ehrenamtlichen ein merkwürdiger Plausibilitätsverlust der Frauenarbeit. Schließlich sei die Gleichberechtigung der Geschlechter doch (jedenfalls „bei uns“) weitgehend erledigt und Gleichstellung mittels Gender Mainstreaming nur noch eine Frage der Zeit…

– Ja – da setzt sich in der Kirche ein Trend fort, der in der Gesellschaft auch an anderen Stellen zu spüren ist. Gender Mainstreaming kommt leider viel zu sehr als bürokratisches Monster daher. Dabei geht es schlicht um Chancengleichheit und die vielen alltäglichen, in den Strukturen gut verpackten, sich immer wieder selbst reproduzierenden Formen von subtilen Rollenzuschreibungen und –zuweisungen, von Erwartungen der Umwelt, aber auch an sich selbst. Es geht schlicht um Diskriminierung und Abwertung. Und es ist notwendiger denn je, dieses explizit zu benennen. Denn es reicht keineswegs, wie im Gender- und Diversity-Kontext suggeriert, Verschiedenheit produktiv zu gestalten, vielmehr gehören die Unterschiede auf Diskriminierung hin überprüft – gleich, wen es betrifft – und durch Chancengleichheit ersetzt.

Eine weitere Problemzone kirchlicher Frauenarbeit: Veränderte Lebensformen von Frauen machen Vereinbarkeit von Familie, Erwerbsarbeit und Ehrenamt zu einer Überlebensfrage für Frauenverbände. Fast alle verbandlichen Arbeitsformen und -strukturen stammen aber aus Zeiten, in denen Frauen „nur“ Familie und Ehrenamt unter einen Hut bringen mussten. Hinzu kommt: Ältere Frauen stehen auch nicht mehr so ohne Weiteres zur Verfügung – sei es, weil sie zunehmend in familiäre Carearbeit eingebunden sind, sei es, weil sie ihre Freizeit lieber anders gestalten.

– Anknüpfend an die oben bereits beschriebene Entwicklung des Zurückdrängens und des Bedeutungsverlusts sei hier noch zusätzlich ins Feld geführt, dass Frauen im Ehrenamt sich in den letzten Jahren auch noch mit mangelnder „Organisationsgerechtigkeit“ auseinander setzen mussten. Zu unterscheiden sind nach diesem Konzept vier Dimensionen von Gerechtigkeit:
Distributive Gerechtigkeit besagt, dass Menschen den eigenen Beitrag vergleichen mit dem Ertrag, den andere erzielen bzw. der Zuwendung, die sie für ihr Engagement erhalten. Sie achten auf prozedurale Gerechtigkeit und beobachten in Verhandlungs- und Gestaltungssituationen in der Organisation sehr genau, ob sie gerecht behandelt und angemessen berücksichtigt werden, ob die Regeln fair, die Entscheidungsgründe transparent und konsistent sind und ob sie Einfluss nehmen und als ungerecht empfundene Fehlentscheidungen korrigieren können. Sie begreifen es als interpersonale Gerechtigkeit, wenn der Umgang in solchen Prozessen mit ihnen respektvoll ist, und schätzen informationale Gerechtigkeit, wenn sie von den EntscheidungsträgerInnen frühzeitig, ausreichend und wahrheitsgemäß informiert werden.

Wenn die Beobachtung stimmt, dass Frauenbelange nicht mehr so ernst genommen werden und ihre Organisationseinheiten in den Strukturen verschwinden, verliert Kirche tendenziell für die engagierten Frauen an Glaubwürdigkeit. Denn auch bei verminderten – finanziellen – Ressourcen bleibt es immer noch der Prioritätensetzung einer Organisation überlassen, wohin sie diese Ressourcen verteilt. Es wird wahrgenommen, dass diese oft interessenorientiert in andere Bereiche verschoben werden, ohne die eigene Arbeit noch ausreichend gewürdigt, geschweige denn finanziert oder ausgestattet zu bekommen. Eine Folge mangelnder Organisationsgerechtigkeit sind Zweifel an der weiteren Verfolgung der gleichen Ziele und Werte, ein Rückzug in Passivität bis hin zur Abwendung von der Institution.

Was tun? In Zeiten akuter Krisen reichen Versuche zur Anpassung bestehender Strategien und Aktionen oft nicht mehr aus. Es müssten vielmehr echte Innovationen entwickelt und umgesetzt werden. Dazu braucht man die Ideen und das volle Engagement aller verfügbaren Kräfte mit all ihrer Vielfalt und ihren Potenzialen. Wichtig ist dabei, erfahrene Mitglieder einzubeziehen – und solche mit Lust darauf, die Dinge neu zu denken und anzupacken, auch und gerade wenn letztere (noch) nicht die verbandliche „Ochsentour“ durchlaufen haben. Oft haben die Hauptamtlichen in den Organisationstrukturen aber gerade davor Angst, sich als Verwalterinnen der Organisation wieder stärker in die Hände der Basis zu begeben. Deshalb müssen für einen solchen Prozess passende Organisationsentwicklungs-Strategien und Methoden gefunden werden, die möglichst viel unmittelbare Beteiligung und Verteilung von Verantwortung ermöglichen mit der Chance die Zahl erfolgversprechender Lösungsoptionen zu erhöhen.

Verändert haben sich neben den Lebensformen von Frauen bei vielen auch deren Formen, sich zu engagieren. Etwas plakativ gesagt: statt lebenslanger Bindung an den „Verein“ Mitmachen auf Projektlaufzeit. Wie darauf reagieren?

– Mit der Entwicklung neuer Aktions- und Organisationsformen, die Lust auf Beteiligung fördern, Jung und Alt zusammenbringen, von Haupt- und Ehrenamtlichen mitgetragen werden. Und ein bisschen verrückt dürfen sie auch mal sein, um Kirche wieder sichtbar zu machen in der Öffentlichkeit. Impulse hierfür können bei so genannten „Schwarmkunstaktionen“ gewonnen werden – eine sehr schöne ist gerade in Hannover zu sehen in Verbindung mit einer Ausstellung im Historischen Museum zum Thema „Diskurs über Wert und Wertschätzung von Sexarbeit und Kunst“. Zwei Frauen haben veranlasst, dass sich durch die Straßen der Altstadt eine Kunstaktion mit kleinen bunten Aufkleberchen zieht und sogar eine Straßenbahn über und über beklebt durch die Stadt fährt. Oder beim beliebten Urban Knitting („Stadt-Stricken“), wo städtische Orte und Gegenstände bunt bestrickt oder behäkelt werden. Übrigens eine Aktion, die oft von Männern und Frauen gemeinsam durchgeführt wird.

Mehr Präsenz an ungewöhnlichen Orten oder bei ungewöhnlichen Zusammenkünften könnte den kirchlichen Frauenorganisationen gut tun, um wieder sichtbarer zu werden, insbesondere für jüngere Frauen. Angebote, für die die Kirchen prädestiniert sind, wie „Fastenwandern auf Pilgerpfaden“, -„Pilgern light“, „Wandern auf dem … Weg“ (regional, zielgruppenspezifisch, kirchliche Anlässe betreffend) oder „Outdoor-Erfahrungen für Mädchen/Jugendliche“, um nur einige zu nennen, werden zurzeit kommerzialisiert von anderen Anbietern erfolgreich als Event vertrieben. Sie können auch Menschen ansprechen, die (noch) nicht in erster Linie den spirituellen Weg suchen. Themen- oder Einsatzwochen, die mir einer Reise ins Ausland verbunden sind, werden gerne von – allein reisenden – Frauen gebucht. Und immer wieder brauchen und nutzen Menschen die Möglichkeiten eines „attraktiven“ spirituellen Rückzugs, der gerne auch mit ein bisschen Komfort oder Event verbunden sein darf. Dies sind einige Felder, auf denen Kirche zeitgemäß sichtbarer und wieder erfahrbarer werden kann und für die engagierte Laien im ehrenamtlichen Einsatz nicht nur geduldet, sondern wirklich gebraucht werden.

Alles kann wieder lebendiger werden, erfolgreicher, wenn es gelingt Wege zu finden, auf denen „leidenschaftliches Engagement“ wieder erbeten, entwickelt und angewandt werden kann und vor allem anerkannt wird. Das Leidenschaft dabei auch in Bahnen gelenkt werden muss, um vor lauter Vielfalt nicht das Profil zu verlieren, ist selbstverständlich. Aber man sollte Initiativen nicht zu früh stutzen. Und wenn nötig, sollte man sie auch mit zumindest kleinen Budgets ausstatten, weil leider auch in der Kirchenorganisation erst das richtig zählt, für das auch Geld ausgegeben wird.

Dr. Elisabeth Wienemann, Jahrgang 1948, ist Diplom-Soziologin und u.a. ausgebildete Organisationsberaterin. Sie arbeitet im Institut für interdisziplinäre Arbeitswissenschaft der Leibniz Universität Hannover, schwerpunktmäßig im Bereich betrieblicher Suchtprävention und Gesundheitsförderung. Mit den Evangelischen Frauen in Deutschland ist sie seit Jahren eng verbunden – zunächst begleitete sie den Fusionsprozess der Frauenverbände und übernahm anschließend die wissenschaftliche Begleitung für die Evaluation des Verbandsaufbaus im Rahmen des Projektes „Frauen gestalten ALTER“.

Das Gespräch führte Margot Papenheim, Redakteurin der ahzw und Verbandsreferentin EFiD.

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