Alle Ausgaben / 2011 Material von Björn Süfke

Männer zwischen Macht und Ohnmacht

Von Björn Süfke

Ich würde uns Männern, die wir schockerstarrt zwischen Macht und Ohnmacht stehen, schlichtweg raten, uns ein bisschen hin- und herzubewegen: hin zur Macht, hin zur Ohnmacht, denn beide sind sie Realität, unser aller Realität. Wir könnten uns ein wenig mit beiden Polen anfreunden, sie kennen lernen, um dann entscheiden zu können, wer wir eigentlich sind, wo wir richtig sind, und zwar bitte nicht wieder als Pauschalaussage, 100 Prozent Macht oder Ohnmacht, sondern eben differenzierter.

Das mit den Stärken und Schwächen, mit der Macht und der Ohnmacht ist letztlich ziemlich relativ – wie eine einfache Gegenüberstellung zeigt: Mit Stärke verbinden wir im Allgemeinen Freude, Kraft, Gesundheit, Wissen, Können, Ansehen, Einfluss, Leistungsfähigkeit. Mit Schwäche hingegen assoziieren wir gemeinhin Trauer, Leiden, Krankheit, schlechte Zensuren, Übersehen-Werden, Machtlosigkeit, Versagen. Wenn man nun die beiden Überschriften dieser Listen vertauscht und nur einen kleinen Augenblick darüber nachdenkt, fallen einem schnell Situationen ein, welche die Listen auch so passend erscheinen lassen. So führt eine starke Fokussierung auf Leistung und Ansehen bei Überschätzen der eigenen Kraft und Fähigkeiten häufig in schwerwiegende Krisen. Umgekehrt entspringen aus Trauer und Krankheit oftmals der Blick für die wesentlichen Dinge im Leben sowie eine große innere Stärke. Und das Versagen an einer Aufgabe kann für uns leistungsorientiert sozialisierte Männer geradezu mächtig erleichternd sein.

Wir müssen also weg von einer innerlich weiterhin vorhandenen Hochbewertung von Stärke/Macht und der Abwertung von Schwäche/Ohnmacht. Ich persönlich allerdings finde die Abwertung und Ablehnung von allem und jedem, das mit Macht zusammenhängt und die moralische per-se-Aufwertung der Ohnmächtigen gleichermaßen dumm und gefährlich. Denn natürlich brauchen wir Verantwortungsübernahme, wir brauchen Menschen, die Macht haben wollen, um sie positiv zu nutzen – in der Politik, in der Kirche, in der Kultur wie auch in der Wirtschaft. Vor allem aber braucht es meines Erachtens diesen Willen zur Verantwortungsübernahme in der Familie: Eltern, die ihre Kinder machtfrei, also gleichberechtigt, erziehen wollen, sind ein pädagogischer Alptraum. Sie sind im Übrigen auch ein menschlicher Alptraum, da sie dem Kind elementare Dinge, die es für ein gesundes psychisches Leben benötigt, vorenthalten: Struktur, Verlässlichkeit, Klarheit und beizeiten auch die Rettung vor sich selbst.

Mein Sohn Jonathan hat vor Kurzem zu seinem dritten Geburtstag ein Nachtlicht in Form eines Marienkäfers geschenkt bekommen. Der Marienkäfer projiziert einen wundervollen Sternenhimmel an die Decke – und das in vier verschiedenen Farben. Neulich abends nun war mein Sohn außergewöhnlich müde, als ich ihn zu Bett brachte, schon das Zähneputzen und anschließende Geschichte-Vorlesen erwiesen sich als etwas schwergängig, und dann verschüttete Jonathan auch noch den Becher mit seinem Schlaftrunk. Ich wischte das Wasser auf, gab ihm einen Gute-Nacht-Kuss und fragte ihn wie jeden Abend, welche Farbe der Marienkäfer machen solle, orange, gelb, blau oder grün. Jonathan sagte: „Blau!“ Ich machte blau an. „Nein, grün!“, schrie er. Ich machte grün an. „Nein, blau, Papa! Ich hab' doch blau gesagt!“ Ich sagte: „Was denn nun, Jonathan, blau oder grün?“ Daraufhin Jonathan mit verzweifelter Stimme: „Ach, mach' du doch einfach!“ Es geht um Respekt, um Liebe, um Selbstkritik, um Wertschätzung, um das Gute um jemanden anderes Willen, aber sicher nicht um Machtlosigkeit.

aus:
Männer zwischen Macht
und Ohnmacht.
Eine psycho-soziale Analyse

in:
Werkheft zum
Männersonntag 2011
hg. v. der
Männerarbeit der EKD

Bezug:
Männerarbeit der EKD
Tel.: 0511 – 89 768 200
info@maennerarbeit-ekd.de

mehr vom Autor unter:
www.maenner-therapie.de

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