Ausgabe 2 / 2002 Frauen in Bewegung von Gertrud Mrowka, Hermann de Boer

Margarete Harms

Eine Frau mit Zivilcourage

Von Gertrud Mrowka, Hermann de Boer

Wenn Margarete Harms auf ihre 93 Lebensjahre zurückblickt, steht es ihr deutlich vor Augen: „Wir sind die Generation, die geschwiegen hat. Aus Feigheit haben wir geschwiegen, und diese Schuld bleibt.“ Diese bittere Erkenntnis hat ihre zweite Lebenshälfte geprägt. Bis heute hat sie das Gefühl, „dass man etwas tun muss“. Und so war sie trotz ihres hohen Alters immer dort präsent, wo Leben in Gefahr ist. Im August 2001 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet – auch für ihren zivilen Ungehorsam.

Politik spielte im Leben von Margarete Harms zunächst kaum eine Rolle, da sie, „furchtbar unpolitisch erzogen wurde“. Sie wurde am 27. Juni 1908 in Port Elizabeth (Südafrika) geboren, wo ihr Vater Pastor der deutschen Gemeinde war. Aufgewachsen ist sie im Stephansstift in Hannover und auf dem Kalandshof in Rotenburg/Wümme. 1928 heiratete sie einen Pastor, mit dem sie erneut nach Südafrika ging. Vier Jahre später kam er durch einen Badeunfall ums Leben. Mit zwei kleinen Kindern zurück in Deutschland, wohnte sie kurze Zeit bei ihren Eltern, nach dem Tod des Vaters zog sie mit ihrer Mutter und den Kindern nach Verden.

Sie übernahm die Leitung einer Pension in Bad Salzuflen und lernte dort ihren zweiten Mann kennen, ebenfalls ein Pastor, der wie sie selbst der Bekennenden Kirche angehörte. Eigentlich wollten beide nach Südafrika, aber ihrem Mann wurde das dazu notwendige politische Zuverlässigkeitszeugnis von den Nationalsozialisten verweigert. So begleitete Margarete Harms ihren Mann 1938 in seine erste Gemeinde in Drebber, einem kleinen Ort in der Nähe von Diepholz. Fünf weitere Kinder wurden geboren. Nach der Taufe des Jüngsten musste ihr Mann 1944 als Soldat nach Ostpreußen, von wo er nicht wieder zurückkehrte. Margarete Harms blieb einige Jahre im Pfarrhaus, bis sie 1950 nach Verden zurückkehrte – heimlich, weil die Stadt den Zuzug einer Frau mit sieben Kindern nicht genehmigt hätte. Selbstbewusstsein hatte sie „nicht gelernt“, aber sie tat alles, was in ihren Kräften stand, um ihre Kinder zu erziehen und zu versorgen.

Kraft zum Durchhalten fand Margarete Harms im Glauben. Ihre Überzeugung, dass Christ sein auch heiße, Verantwortung für die Welt zu übernehmen, führte sie schließlich in die Politik. „Ich wurde erst politisch, als ich 70 war, als die Kinder erwachsen und die Enkelkinder geboren waren.“ Ihr politisches Handeln begann, als sie sich für die Bewahrung der Schöpfung einsetzte. Wegen des ursprünglich in Lichtenmoor geplanten Endlagers für atomaren Müll schloss sie sich der Anti-AKW-Bewegung an. Junge Leute hatten zwei Güterwagen besetzt und dort einen Treffpunkt für weitere Aktivitäten eingerichtet. Ihr war es wichtig, sich mit ihnen zu solidarisieren und ihnen Mut zu machen. „Seitdem bin ich voll eingestiegen und habe kaum eine Demo ausgelassen.“ Sie beteiligte sich an Demonstrationen gegen das AKW in Brokdorf und blockierte zusammen mit vielen anderen die Straßen zur geplanten Wiederaufbereitungsanlage in Gorleben. In Verden gehörte sie zu den Mitbegründerinnen des Ortsverbandes der Grünen.
Seit der großen Friedensdemonstration 1981 in Bonn engagierte sich Margarete Harms zunehmend in der Friedensbewegung. In Mutlangen protestierte sie gegen die Stationierung von Pershing-II-Raketen und wurde verhaftet. Als sie zum erstenmal vor Gericht stand, hatten Friedensfreunde Blumen in den Gerichtssaal gestellt. Dankbar erinnert sie sich, dass zwei ihrer Töchter sie zum Prozess begleiteten. Ihren Kindern erklärte sie: „Wenn du mit der Umwelt anfängst, ergeben sich alle anderen Aktivitäten für Frieden und Gerechtigkeit von selbst.“

Auf die Kirche angesprochen, macht Margarete Harms aus ihrer Enttäuschung keinen Hehl: „Ich habe an der Kirche gelitten, weil sie nicht da war, wo sie nötig gewesen wäre.“ Während sie sich immer aktiver an verschiedenen Initiativen beteiligte, distanzierte sich „die“ Kirche zunehmend. Ganz anders allerdings erlebte sie sie in Gestalt christlicher Gruppen, die sich für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung einsetzten. Ein wichtiges Erlebnis war für sie die Ökumenische Versammlung in Siegen, wo das Abendmahl ökumenisch gefeiert wurde: „Da stand ein junger Katholik neben mir als Pastorenfrau!“ Sie wurde Mitglied im Ökumenischen Netz in Niedersachsen, wo sie bis heute viele Freundinnen und Freunde hat.

Bei all dem hat Margarete Harms erfahren, dass „dir Kräfte geschenkt werden, von denen du gar nicht weißt, dass sie in dir stecken.“ So sieht sie das Leitmotiv ihres Lebens in Dietrich Bonhoeffers Vers: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ Einen „ruhigen Lebensabend“ gönnt sie sich daher nicht. Sie gehört weiterhin zu der kleinen Schalom-Gruppe in Verden. Auf unsere Frage, ob sie trotz ihres Alters an den Treffen abends noch teilnehmen kann, erklärt sie fröhlich: „Weil ich abends nicht mehr so gerne aus dem Haus gehe, treffen wir uns hier im Altenheim.“ Nachdem zwei Verdener Frauen im Urlaub das Wiederaufbauprojekt eines katholischen Ordensmannes in Bosnien kennen gelernt hatten, war sie an der Gründung einer Aktion beteiligt, die jährlich drei Hilfstransporte organisiert. Noch mit 88 Jahren begleitete sie einen dieser Transporte in das vom Krieg zerstörte Land.

Mit ihrer kleinen Kraft hat Margarete Harms Erstaunliches bewirkt. Vielen Jüngeren ist sie durch ihr Engagement zu einem überzeugenden Vorbild geworden. Ihre Hoffnung setzt sie auf die Generation ihrer Nachkommen. So hat sie auch das Bundesverdienstkreuz „nur stellvertretend für euch alle angenommen; für mich wollte ich das nicht.“ Auch von ihren Enkeln erwartet sie, „dass sie nicht gleichgültig bleiben, sondern Verantwortung übernehmen“. Die Aufgabe ihrer eigenen Generation hat sie immer wieder mit großer Eindringlichkeit zu erfüllen versucht: „Wir müssen Mahner bleiben.“

Das Gespräch mit Margarete Harms führten Hermann de Boer, Pastor in Nienburg/Weser, und Gertrud Mrowka, die in Burgdorf ehrenamtlich in der Kirche tätig ist. Sie sagen: „Beide sind wir seit vielen Jahren durch gemeinsame Aktivitäten im Ökumenischen Netz Niedersachsen eng mit Margarete Harms verbunden. Die Stunden des Gespräches im Altenheim St. Johannis waren sehr lebendig und ein großer Gewinn für uns.“

Ausgabenarchiv
Sie suchen eine Ausgabe?
Hier entlang
Suche
Sie suchen einen Artikel?
hier entlang